- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Kifferkumpels
„Hey, lang nicht mehr geseh'n.“
„Hey.“, lächelte ich freundlich, um etwas Zeit zu gewinnen. Wer war das überhaupt, der mich da wild von der Seite ansprach? Dann fiel es mir wieder ein: „Was haste so getrieben die letzten Jahre? Wie lange ist's her? Zehn?“
„Könnte hinkommen. War im Kloster und hab nachgedacht.“
„Nachgedacht? In einem Kloster? Worüber denn?“
„Interessiert dich das wirklich?“
Darüber musste ich nachdenken. Die recht belanglose Unterhaltung drohte angeregt zu werden.
Zuerst musste ich mir darüber klar werden, ob ich mich überhaupt mit einem Kumpel aus den alten Kiffertagen unterhalten wollte. Insbesondere deswegen, weil ich mir nicht einmal mehr sicher war, wie er eigentlich hieß. Oder geheißen hatte? Im Kloster bekommt man ja einen neuen Namen. Außerdem wollte ich vor meiner Freundin zu Hause ankommen, um ein wenig zu wichsen. Sie hat dafür leider kein Verständnis. Er bestimmt auch nicht mehr, da er im Kloster war. Dort ist das eine Sünde. Das heißt, wenn er in einem christlichen Kloster war. Vielleicht war er in einem Kampfsportkloster à la Shaolin oder auf dem Landsitz irgend einer Sekte, bei der Wichsen ein heiliger Akt ist.
Kifft man viel – und wir hatten uns früher sehr viel Zeug zweifelhafter Herkunft eingepfiffen – gerät man schnell in die Klauen der Seelenfänger. Andererseits trug er ein rosa Hemd, eine enge Bluejeans, dazu feine Herrenschuhe und seine braunen Haare waren zu einer schmalzigen Föhnlocke hoch gegelt. Nach Sekte sah das nicht aus – es sei denn er wäre der Sektenführer –, katholisch auch nicht und die Kung-Fu-Mönche tragen doch immer Orange oder schmuddelige Western-Klamotten wie Kwai Chang Caine. Dennoch, oder gerade deswegen, schien er mir einen vernünftigen Eindruck zu machen.
Es soll ja nie verkehrt sein, ein wenig über seinen Tellerrand hinaus zu spähen. Wichsen wollte ich nun auch nicht mehr, hatte also etwas Zeit für ihn gewonnen. Ich heuchelte Interesse und fand auf diesem Weg wenigstens heraus, in was für einem Kloster er nachgedacht hatte.
„Ich denk schon. Haste ne Erleuchtung gehabt?“
Man sollte niemals, nie, auf gar keinen Fall, unter keinen Umständen und ganz besonders dann nicht, wenn man eigentlich Wichsen wollte bevor die Freundin nach Hause kommt, einen verwirrten Kiffer nach einer Erleuchtung fragen. Auch dann nicht, wenn dieser Kiffer seit zehn Jahren nicht mehr gekifft hatte, was in diesem Falle nicht den Umständen entsprach, stattdessen aber die selbe Zeit damit verbracht hatte, über seine Erlebnisse als professioneller Realitätsverneiner nach zu denken. Was sich im weiteren Verlauf des Abends ebenfalls als falsch herausstellte: Er war keine zehn Jahre in klösterlicher Abgeschiedenheit, sondern nur eines. Immer hin.
„Kommt drauf an, was du unter 'ner Erleuchtung verstehst.“, eröffnete er mir klar und deutlich, fern ab der Nüchternheit, „Aber es ist schon etwas, das nicht nur für mich, so als Mensch, sondern auch für die Menschheit, so alle eben, schon recht wichtig sein könnte. Also auch für die Indianer und Chinesen, die ja sonst viel weiser sind als wir. Verstehst du?“
„Tatsächlich?“
Im Nachhinein bereute ich die Frage, auch wenn sie ehrlich gemeint war. Andererseits spendierte er mir im Laufe des Abends fünf Hefeweizen und zwei Gramm, die wir wie zu alten Jugendzeiten auf einer dreckigen Parkbank genossen. Damals tranken wir billiges Pils – man wird eben doch älter.
Er erinnerte mich an den einen Abend im Wald, als er glaubte Spinnen ins Feuer kriechen zu sehen, ich jedoch damit beschäftigt war männliche Feen, die mich permanent piesackten, tot zu schlagen, während die weiblichen Feen mich liebkosten; was jedoch ein schwieriges Unterfangen war, da beide verblüffend ähnlich aussahen. Dieses Erlebnis, ein kleiner Abstecher in die Welt der Mykologie, war es dann gewesen, das ihn dazu veranlasst hatte eine Weltreise zu Fuß zu unternehmen. Er wollte herausfinden, ob denn überall Spinnen in Kerzenflammen krauchen, oder aber nur jene Spinnen an jenem Abend in jene Kerze in unserem Waldversteck. Genauer genommen Webspinnen und nicht alle Spinnenartige – eine sehr wichtige Unterscheidung.
Damals zog er ohne eigenes Geld, nur mit ein paar Wechselklamotten, einem Schlafsack und dem Arthropoda Araneae los.
Nach dem er seinen äußerst skurrilen Reisebericht vollendet hatte, erschloss sich mir die Tragweite seiner Erleuchtung und ich kommentierte pflichtbewusst und in Anerkennung seiner herausragenden Leistungen im Gebiet der Feldforschung menschlicher Erkenntnistheorien:
„Prontofrön!“
„So auch der Mensch!“
Wir nickten beide verschwörerisch und verabschiedeten uns.
Als ich spät in der Nacht irgendwie zu Hause ankam, war meine Freundin noch wach. Die Freude darüber verflog sofort, als sie mich ausfragte, wo ich denn gewesen sei, weswegen ich nach Dope und Alk rieche, wieso ich keine Nachricht hinterließ, warum mein Handy ausgeschaltet sei und ob es einen logischen oder zumindest halbwegs nachvollziehbaren Grund gäbe, warum sie sich jedes Mal solche Sorgen um ein so egoistisches, herzloses Arschloch wie mich mache.
„Interessiert dich das wirklich?“