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Angriff bei Nacht
Die Nacht brach herein über den kleinen Garten.
Die Goldfische im Teich versammelten sich an den Stellen, an denen das Wasser noch ein wenig Sonnenwärme gespeichert hatte und die Nachbarskatze sprang in die große Plastikmuschel und wälzte sich ausgiebig im aufgewärmten Sand.
So lange, bis ungewohnte Geräusche sie zur Flucht trieben.
„Hey, du fettes Vieh! Runter von mir! “
Von der Last der Katze befreit begann der Spielzeug-Cowboy John McDonald (den Namen hatte der Junge ihm gegeben, weil es John von einem Laden namens McDonalds weg hierher verschlagen hatte) sich aus dem Sand zu kämpfen. Dieses haarige Riesenmonster hatte ihn ganz schön eingegraben. Alleine würde er es wohl nicht so schnell schaffen.
Gelächter vom Rand der Muschel her ließ ihn innehalten.
Na klar.
Häuptling Starker Bär.
Natürlich hatte der Junge diesen verdammten Indianer ebenfalls hier draußen vergessen. John blieb auch wirklich nichts erspart.
Starker Bär kam von der Konkurrenz. Burger King hieß der Laden, wenn sich John richtig an die Tüte erinnerte. Es war ganz gut, dass der Junge das im Namen des Indianers nirgendwo eingebunden hatte. Wenn diese dreckige Rothaut auch noch irgendwo ein „King“ im Namen gehabt hätte währe John sicherlich völlig ausgeflippt. Außer es wäre irgendetwas im Sinne von „roher Burger“ geworden ...
Na ja. Egal.
„Soll starker Bär schwachem John helfen? “
Starker Bär würde schwachem John am ehesten damit helfen wenn er sich vom haarigen Monster fressen ließe oder bei nächster Gelegenheit freiwillig in den Grill spränge.
Aber das behielt John natürlich für sich.
Für das was sie vor hatten musste er freundlich zu der Rothaut sein. Starkem Bär gegenüber würde er es nie zugeben, aber er brauchte wohl die Hilfe des Indianers.
Später. Und auch jetzt.
„Ja, schätze etwas Hilfe wäre angebracht. Damit wir uns endlich an den Plan machen können! “
Am anderen Ende des Gartens schielte der Angler-Gartenzwerg vorsichtig zur azurblauen Sandkasten-Muschel. Der Junge hatte wieder einmal sein Spielzeug im Freien vergessen und noch dazu dieses Aufbewahrungsding nicht geschlossen. Das Plastikzeug war bestimmt gerade dabei, neue Angriffspläne zu schmieden.
Sie waren Feinde. Die Gartenzwerge und das Plastikspielzeug.
Mal ehrlich. Gartenzwerge waren doch was Besseres. Sie wurden extra gekauft. Man ging in den Baumarkt oder sonst wo hin und suchte sich einen Gartenzwerg aus um ihn mit nach Hause zu nehmen und an einen ganz besonders schönen Platz zu stellen. Das Plastikspielzeug da drüben bekam man ungefragt zusammen mit dem Essen in eine Papiertüte gestopft. Wahrscheinlich vergaß der Junge es deshalb andauernd hier draußen. Es war unwichtig.
Andererseits spielte der Junge nie mit ihnen, den Gartenzwergen.
Und deshalb hasste der Angler-Gartenzwerg den Cowboy, den Indianer und alles andere womit der Junge so seine Tage verbrachte.
Zwar war er noch immer etwas Besseres – schließlich war er aus Keramik – aber nur dasitzen und angeln war auf Dauer langweilig. Zumal nie einer dieser Fische anbiss.
Seine edle Herkunft, sein höherer Preis und die Tatsache dass die größeren Menschen ihn lieber mochten - das, so dachte der Gartenzwerg, waren wohl die Gründe weshalb das Plastikspielzeug alles mögliche versuchte um ihn zu vernichten.
Bisher hatten sich die Gartenzwerge ganz gut zur Wehr setzten können.
Aber der Cowboy und der Indianer schienen nicht so schnell aufzugeben.
John hatte die Skizze des Gartens in den Sand gezeichnet. In der einen Ecke ihre Sand-Muschel. Links von ihnen die Schaukel und das Klettergerüst des Jungen. Rechts irgendwelche Flächen mit allen möglichen bunten Pflanzen darauf. Und ihnen genau gegenüber – das Ziel.
Der Teich um den herum die Gartenzwerge standen. John war stolz auf seine perfekte Skizze. Sogar die kleine Hängebrücke über den Teich hatte er gezeichnet. Und jede einzelne Position jedes einzelnen dummen Gartenzwerges.
Schließlich waren es genug Gelegenheiten gewesen, in denen er alles genau hatte sehen können.
Dem heutigen Angriff waren schon einige Versuche vorausgegangen.
Und immer wieder war irgendetwas dazwischen gekommen.
Wenn der Vater zum Beispiel die Muschel doch noch schloss. Oder der Junge sie ins Haus holte. Ihnen die Zeit zu knapp wurde. Oder starker Bär Migräne hatte ...
Okay, letzteres war etwas gemein. Aber eine Nacht konnten sie tatsächlich einmal nicht nutzen, weil dem Indianer eine Feder abgebrochen war und dieser deshalb die ganze Nacht lang jammerte. Wie ein kleines Mädchen.
Und alleine würde John es nie schaffen.
Die Gartenzwerge waren zu schwer. Um sie in den Teich zu stoßen brauchte er mindestens noch starken Bären dazu. Und selbst dann war es ungewiss, ob ihre Kraft ausreichen würde. So weit waren sie bisher noch nie gekommen.
Woher dieser Hass den Gartenzwergen gegenüber gekommen war wusste John inzwischen selbst nicht mehr so genau. Er wusste nur, dass er jede Nacht in der es möglich war versuchen würde, diese Hohlkörper zu vernichten. Zerschlagen, in den Teich schubsen, ganz egal. Hauptsache weg mit diesen hässlichen pummeligen Zipfelmützen.
Langsam wurde der Angler-Gartenzwerg nervös. Eine Wolke verdreckte den Mond und er konnte die Muschel nicht mehr gut genug erkennen um zu sehen, wann sich dort etwas bewegte.
Ob sie schon auf dem Weg hierher waren? Wenn ja, von welcher Seite? Kamen sie von drüben, von den Beeten? Sicherlich nicht. Der Harken-Gartenzwerg würde sie bemerken und sofort Alarm schlagen. Über die Hängebrücke war es auch unmöglich. Überall waren Posten seiner Leute verteilt. Blieb nur noch, dass sie sich hinter seinem Rücken anschlichen.
Was gäbe er darum, sich einmal umdrehen zu können.
Aber er war fest. Bewegungsunfähig. Nur seine Augen konnte er bewegen. Und das eben auch nicht besonders weit.
John schlich hinter starker Bär durchs hohe Gras. Eins musste er dem Indianer lassen. Hier kannte er sich aus. Hier draußen in der Wildnis strahlte starker Bär plötzlich eine Anmut aus, die John im Sandkasten oder auf dem Wohnzimmerteppich noch nie bemerkt hatte. Das hier war die Welt des kleinen Indianers. Lautlos und scheinbar ohne einen Grashalm zu berühren kam kleiner Bär voran. John folgte nicht ganz so unsichtbar. Aber der Angler-Zwerg konnte sich eh nicht umdrehen. Würde sich eh nicht wehren können ... Wann waren sie nur endlich da?
Der Angler-Gartenzwerg hörte sie kommen. Er wusste, sie waren hinter ihm. Aber er konnte nichts dagegen tun.
„Na, Fettwanst? Schon was gefangen, heute? “
Schon spürte er die kleinen Plastikhändchen an seinem Rücken.
Sie drückten. Stemmten sich gegen ihn. Versuchten ihn in den Teich zu schieben.
“Noch… Noch nicht. Heute beißen sie irgendwie schlecht.“
Der Druck auf seinen Rücken verstärkte sich und er hörte dem Cowboy die Anstrengung auch an, als dieser ihm mitteilte, er könne sich darüber gleich höchstpersönlich bei den Fischen beschweren.
Sie wollten ihn tatsächlich in den Teich schubsen!
“Hey, kommt. Das könnt ihr doch nicht machen. Wir finden bestimmt einen Weg, dass …“
„Halt die Schnauze, Apfelbacke. Ich kann mich nicht konzentrieren, wenn du so jammerst.“
Wieder stemmte sich der Cowboy mit aller Kraft gegen ihn und panisch bemerkte der Gartenzwerg, dass er tatsächlich ein kleines Stückchen näher an die Steinkante rückte.
In dem Moment ging am Horizont die Sonne auf. Erste Strahlen ergossen sich über die Beete, die Plastikmuschel, den Teich.
Das Sonnenlicht ließ die Plastikfiguren und Gartenzwerge sofort wieder zu dem erstarren was sie tagsüber nun mal waren.
Lebloses Spielzeug und Deko-Material.
Und während John McDonald spürte, wie sein Körper immer mehr versteifte, galt sein letzter Gedanke der nächsten Nacht.
Er würde es wieder versuchen.
Immer und immer wieder.
(Wörter: Gartenzwerg, azurblau, Indianer, Hängebrücke, strahlen)