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Auf Abwegen
"Warum muss die Feier ausgerechnet in dem kleinsten, abgelegensten Kaff stattfinden, das es in der Gegend gibt? Verdammt Alex, jetzt schneit es auch noch - siehst du? Fahr bloß nicht zu schnell!"
Sonjas Zeigefinger tippt gegen die Scheibe, als könnte ich den Schnee nicht bereits sehen. Sie ist wütend, und mir gefällt mir das. Ich mag es, wenn sich eine kleine Falte zwischen ihren Brauen bildet. Sonja, die Wildkatze. Sie hat die Beine übereinandergeschlagen, und blickt aus dem Fenster. Affektiert zündet sie sich eine Zigarette an - um mich zu ärgern. Ich hasse den kalten Nikotingeruch am nächsten Morgen.
"Außerdem gefällt mir das Kleid nicht. Ich hab das deinetwegen an."
Hat sie nicht. Ich habe es gesehen, sie beobachtet, vor dem Spiegel im Schlafzimmer, wie sie sich betrachtet hat. Es hat ihr gefallen, das schwarze Nichts mit dem weiten Ausschnitt am Rücken. Ich frage mich, weshalb sie so wütend auf mich ist.
"Hm", mache ich.
"Sandra wird mich auslachen."
Ihr Blick ist ein einziger Vorwurf. Sie bläst den Rauch gegen das Wagendach, wo er sich sammelt und darauf wartet, am nächsten Tag in meine Nasenlöcher zu dringen.
Sandra - deshalb ist sie also wütend. Und ich bin unschuldig. Wirklich.
"Sandra ist eine Schlampe", entgegne ich und bin mir bewusst, es übertrieben zu haben mit meiner Ehrlichkeit. Aber das Nikotin will gerächt werden. Sie starrt mich an, schüttelt kurz den Kopf, eine Strähne rutscht ihr ins Gesicht.
"Sag mal Alex, geht's dir noch gut? Eine Schlampe? Nur weil sie sich von Norbert hat vögeln lassen oder was?"
Mit der freien Hand schiebt sie die dunkle Strähne zurück hinters Ohr.
Nein, weil sie sich von mir hat vögeln lassen, will ich sagen.
"Jedenfalls siehst du wundervoll aus, und niemand wird dich auslachen", sage ich stattdessen und schenke ihr meinen George-Clooney-Blick, der wirkt immer. Normalerweise. Sie bläst mir Rauch entgegen.
"Du willst mich nur besänftigen. Wer weiß, vielleicht kommt Sandra ja nicht. Weißt du, ob sie kommt? Gott, meine Schuhe bringen mich um, wenn ich sie den ganzen Abend tragen muss, das weiß ich jetzt schon. Und damit soll ich dann auch noch tanzen."
Sie schlüpft aus den Schuhen und drückt die Füße gegen die Windschutzscheibe, die augenblicklich beschlägt. Ihre Zehen malen Linien, ein Herz, einen Pfeil, dann wischt sie es weg. Mein Blick wandert zu ihren Brüsten, dann wieder hinab zu den Schenkeln, sie hält sie für zu dick, ich finde sie genau passend und freue mich auf die Nacht und auf vielleicht mehr. Nein, wegen Sandra muss sie sich wirklich keine Sorgen machen.
"Ich weiß nicht, ob sie kommt. Warum interessiert dich das?", frage ich sie und versuche, so uninteressiert wie möglich zu klingen. Sie spitzt die Lippen und betrachtet mich einige Sekunden lang, dann drückt sie die Zigarette in den Ascher und sieht wieder aus dem Fenster.
"Ich dachte nur, du wüsstest, ob sie kommt, oder ob nicht. Sonst weißt du doch auch alles über sie. Sag mal, wo sind wir eigentlich?"
Gut, Themawechsel. Doch ich weiß, sie lauert nur, wartet, bis ich unvorbereitet bin. Und dann kommen Fragen wie: "Weißt du eigentlich von Sandras Freund?"
"Irgendwo außerhalb der Stadt", antworte ich, "da ist ein Waldstück, wenn wir durch sind, sind wir im Kaff und somit am Ziel."
"Es schneit. Bist du dir sicher, dass wir auf der richtigen Straße sind? Gott, hier draußen sieht man ja überhaupt nichts." Sie drückt die Nase an die Scheibe.
"Natürlich bin ich mir sicher", sage ich - mit einem Seitenblick auf das Navi.
Plötzlich ist ein Schatten auf der Straße, direkt vor uns, vielleicht ein Tier. Ich will ausweichen und lenke nach rechts, spüre erst nach einem Augenblick, dass ich das Lenkrad verrissen habe und steuere dagegen, doch es ist zu spät. Die Reifen haben keinen Halt mehr, der Wagen bricht aus. Ich höre Sonjas Schrei. Dann erbebt das Auto unter einem lauten Knall, es drückt mir die Luft aus der Lunge. Ich höre Glas splittern und etwas knackt dumpf, warme Feuchtigkeit klatscht gegen meine Wange, dann wird es still. Neben mir höre ich ein Röcheln, stoßweise, unmenschlich. Im sterbenden Licht der Scheinwerfer sehe ich noch ihren eingedrückten Kopf, doch erst als das Licht erlischt, schreie ich.