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Augenblick

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01.07.2006
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Augenblick

Es war einmal, nein, es war nicht einmal, sondern öfters, um genau zu sein, machte sie es an sechs Tagen in der Woche. Sie tanzte vor Männern. Und sie zog sich aus. Und sie zeigte wirklich alles her dabei. Seit fünf Jahren. In wie vielen Männeraugen hatte sie schon den Widerschein ihres Körpers gesehen! Obwohl deren Augen, wenn sie heiß wurden, nicht mehr blank waren, also gar nicht mehr spiegeln konnten. Sie wurden trüb, bekamen eine Oberfläche wie Löschpapier, so dass das Bild ihres weißen Körpers restlos von ihnen aufgesogen wurde.

Sie hatte es einfach. Sie war weder besonders schön, noch hatte sie einen makellosen Körper, noch hatte sie eine professionelle Tanzausbildung genossen, wie so viele andere Tänzerinnen, die in den Etablissements, Clubs und Discos der Stadt auftraten. Und trotzdem, kaum trat sie auf die Bühne, begann es um sie herum vor Spannung zu flirren wie die Luft über dem Asphalt an einem heißem Sommertag.

Um es gleich zu sagen: Es bedeutete ihr nichts, dass sie die Hosen der Männer zum Wölben brachte. Nein, noch präziser, es bedeutete ihr in DEM Augenblick nichts, wo es passierte. Eigentlich sollte ja eine „erotische“ Tänzerin jedem Mann im Publikum das Gefühl geben, dass sie genau ihn mit ihren aufreizenden Bewegungen meinte. Aber kaum begann die Musik zu spielen, „Lady Marmelade“, „Foxy Lady“, „Je t´aime“ oder etwas Ähnliches, kaum ließ sie zum ersten Mal ihre Hüften in einer Acht kreisen, begann auf der Bühne ihr Reptilienleben. Sie schien kein stützendes knöchernes Gerüst zu haben, derart weich waren ihre Bewegungen, weich und träge, dem Rhythmus immer nur etwas verzögert folgend. Und vor ihre Augen schob sich ein dunkles, dünnes Häutchen, so dass sie nicht mehr sah, was im Publikum passierte. Sie schuf beim Tanzen einen abgeschlossenen Kosmos um sich, innerhalb dessen sich die Spannung staute und wieder entlud. Sie brauchte kein Außen dazu. Früher verwendeten Landgendarmen im Dienst Taschenlampen, vor deren gelbes Licht man ein rot oder grün eingefärbtes Glasplättchen schieben konnte. In ähnlicher Weise konnten die Männer im Publikum sehen, wie sie auf der Bühne einen Schleier vor ihr innerstes Licht fallen ließ, wenn sie wie zufällig ein Bein auf einen goldenen Sessel stellte, um das feucht schimmernde Innere ihrer weiblichen Mitte zu präsentieren.

Aber später, wenn sie gegen vier Uhr früh daheim ihre Wohnungstür aufschloss, stiegen Bilder von Männern aus dem Publikum in ihr auf. Auf der Innenseite ihrer Augen begann jetzt erst der Film abzulaufen, den sie schon einige Stunden zuvor aufgezeichnet hatten. Die Blicke der Männer, ohne Scham, konzentriert und voller unschuldiger Neugier, leuchtend, drangen erst jetzt in sie ein. Und während sie noch ihre Tasche ablegte, hatte sie schon ihre rechte Hand zwischen ihren Beinen und sie hörte nicht mehr auf, sich zu reiben, bis sich ihr Unterleib warm und voll anfühlte und sie endlich einen kleinen Seufzer ausstieß. So machte sie es fast jeden Tag. Jedoch vermied sie es, während sie masturbierend durch ihre Wohnung ging, ihrem Bild in einem der zahlreichen Spiegeln zu begegnen.

An einem verregneten Frühlingstag aber, es war Ende April, wurde ihr bei dieser gewohnten Tätigkeit bewusst, dass sich in letzter Zeit immer ein bestimmtes Gesicht vor alle anderen geschoben hatte. Dieser Umstand irritierte sie, sie ließ ihre Hand fallen und setzte sich kerzengerade auf einen ihrer Küchenstühle. Lange Zeit träumte sie vor sich hin, sie versuchte, sich an jedes Detail am Äußeren dieses Mannes zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Nur an eines konnte sie sich deutlich erinnern: die absolute Leere in seinen dunklen Augen.

An diesem Abend tanzte sie wie immer, es war keinesfalls so, dass dieser Mann etwas an ihrem einsamen Dasein auf der Bühne geändert hätte. Aber immerhin bemerkte sie es, als er in den nicht besonders großen Raum trat, in dem die kleinen Tische mit den schmutziggelben, etwas überdimensionalen Lampen standen. Er setzte sich in einen dieser genau abgegrenzten Lichtkegel, und es sah aus, als ob er sich auf einer winzigen Bühne niederließe. Sie bemerkte das Missverhältnis zwischen seinem massigen Oberkörper und seinen kurzen Beinen, die glanzlose Schwärze seiner Haare, seinen breiten Gang.

Es war ruhig im Zuschauerraum, die Mädchen, die jetzt noch an der Bar standen, würden erst nach ihrer Vorstellung lächelnd und schlängelnd an die Tische treten, um das zu ernten, was sie auf der Bühne gesät hatte. Sie selbst war laut Arbeitsvertrag nur zum Tanzen verpflichtet und zu nichts sonst. Jetzt drehte sie sich das letzte Mal mit dem Rücken zum Publikum, um ihr Hinterteil unter den nun anfeuernden Rufen der Männer in immer schnellere Vibrationen zu versetzen, ein letztes Mal beugte sie sich vor, fuhr dabei mit den Händen an den Innenseiten ihrer Oberschenkel hoch, um ihre schwingenden Backen mit einem festen Griff zur Ruhe zu bringen und sie weit zu spreizen. Dann senkte sich der rote Plüschvorhang, der an der Stelle, wo ihn die Kordeln während der Vorstellung auf die Seite hielten, etwas abgestoßen war, über dieses Tableau aus lebendigem, zitternden Fleisch, das in der Mitte akkurat geteilt war.

Für einen Augenblick verharrte sie hinter dem Vorhang noch in dieser Stellung, sie keuchte ein wenig, dann richtete sie sich rasch auf, teilte den weichen Stoff, der nach Staub roch, stieg von der Bühne und ging zum Tisch des Mannes, ohne den Blick von ihm zu wenden. Er sah ihr dabei aufmerksam und ohne Überraschung ins Gesicht. Dabei wippte er, wie es die Angewohnheit vieler junger Männer ist, mit einem Bein auf und ab. Die Mädchen an der Bar, unschlüssig, ob sie mit ihrer Arbeit schon beginnen sollten, kicherten, froh über die willkommene Verzögerung und erregt ob der Erwartung, was jetzt kommen würde. Denn noch niemals zuvor hatte sich die Tänzerin in den Zuschauerraum begeben.

Die Tänzerin setzte sich auf den Schoß des Mannes. Seine Erektion drückte ihr den harten Stoff seiner Hose an die Scham. Er sagte mit einem breiten Grinsen: „Na, Mädel?“ Sie aber schlang mit ernstem Gesicht ihre Arme um seinen Nacken und tauchte ihre Nase in den Raum zwischen weißem Hemdkragen und braunem Hals. Sein süßer, schwerer, fast etwas modriger Geruch besetzte in der Sekunde die innerste Stelle ihres Herzens. „Hey“, sagte er unsicher, „was gibt´s denn da zu schnuppern?“ Sie sah, wie sein rosafarbener Mund die Worte formte, legte ihre Lippen darauf und schickte ihre Zunge als Boten vor. Er tappte ihr auf die mit Goldflitter bestäubte Brust, aber seine Zunge wich wie ein Tier im Käfig vor ihrer zurück. Ein zusammengerolltes, hartes, kaltes Etwas. Ihr Gesicht und ihre Brust überzogen sich mit einem frischen Schweißfilm, sie löste ihre von seinen Lippen. An ihren Unterarmen stellten sich die Haare auf. Während sie etwas ungelenk aufstand, sah sie ihm nochmals in die Augen. Sein blanker Blick machte aus ihrem Körper zwei weiße, fein gedrechselte Gliederpuppen mit äußerst glatter Oberfläche. Da sie keine Kleidung trug, die sie ordnen hätte können, warf sie nun mit einer raschen Bewegung ihre Haare in den Nacken, dann ging sie auf die Bühne zurück. Dort ließ sie noch einmal ihre Hinterbacken vibrieren, lachte kurz auf und verschwand hinter dem Vorhang.

An diesem Abend begleitete er keines der Mädchen in ein Zimmer im oberen Stock. Vielmehr ging er bald nach Hause und bürstete sogleich den goldenen Glitter von seiner Kleidung. Aber noch einige Tage lang fand er immer wieder blitzende Teilchen in seinem Gesicht und in seinem Haar, die er dann missmutig und mit spitzen Fingern abzulösen versuchte.

Die Tänzerin rief am nächsten Tag ihren Chef an, teilte ihm kurz mit, dass sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen werde, und besorgte sich Unterlagen für ein Philosophiestudium.

 

Hallo Andrea,

In wie vielen Männeraugen hatte sie schon den Widerschein ihres Körpers gesehen!
In jedem Fall fehlt hier das Fragezeichen.

Obwohl deren Augen, wenn sie heiß wurden, nicht mehr blank waren, also gar nicht mehr spiegeln konnten.
Ich verstehe nicht, wieso du dann erst schreibst, sie hätte sich in den Augen sehen können...

Um es gleich zu sagen:
Sowas würd ich stets streichen. Macht die Atmosphäre kaputt. Überhaupt gelingt dir diese im letzten Teil der Geschichte um Längen besser als am Anfang.

Eigentlich sollte ja eine „erotische“ Tänzerin jedem Mann im Publikum das Gefühl geben,
Einen Prosasatz mit "Eigentlich" einzuleiten find ich auch alles andere als schön.

Die Blicke der Männer, ohne Scham, konzentriert und voller unschuldiger Neugier, leuchtend, drangen erst jetzt in sie ein.
"und voller unschuldiger Neugier" ... ich stelle mir die Männer in solchen Läden stets anders vor...

Doch, hat mir gefallen. Den Absatz am Ende über den Mann würde ich aber streichen, aber ich bin auch Gegner von Perspektivwechseln, besonders, wenn sie unnötig sind. Oder gibts einen Grund, den ich nicht sehe?

Ansonsten finde ich gut, dass der Beruf der erotischen Tänzerin hier nicht übermäßig ins Schlechte gezogen wird, es also keine Moralpredikt ist.

Eike

 

Hallo Eike!

In wie vielen Männeraugen hatte sie schon den Widerschein ihres Körpers gesehen!
In jedem Fall fehlt hier das Fragezeichen.
Nein, das ist eher rhetorisch gemeint, so in etwas wie man sagt: "Wie oft hab ich dir das schon gesagt!"

Obwohl deren Augen, wenn sie heiß wurden, nicht mehr blank waren, also gar nicht mehr spiegeln konnten.
Ich verstehe nicht, wieso du dann erst schreibst, sie hätte sich in den Augen sehen können...
Da hast du natürlich Recht, aber auf der anderen Seite wollte ich es genau so haben...:schiel:

Um es gleich zu sagen:
Sowas würd ich stets streichen. Macht die Atmosphäre kaputt. Überhaupt gelingt dir diese im letzten Teil der Geschichte um Längen besser als am Anfang.
Ja, ich hab das bei zwei Geschichte versucht, das mit der ironischen Distanz des Erzählers zur Geschichte, ist aber nicht so gut angekommen!

Die Blicke der Männer, ohne Scham, konzentriert und voller unschuldiger Neugier, leuchtend, drangen erst jetzt in sie ein.
"und voller unschuldiger Neugier" ... ich stelle mir die Männer in solchen Läden stets anders vor...
Doch, ich finde, im Kern der Geilheit ist eine gewisse Unschuld vorhanden! :D

Das mit dem Perspektivwechsel hat schon einen Grund: Ich wollte damit einfach darauf hinweisen, dass der Mann das Ganze auch nicht so leicht wegstecken kann, oder dass es ihn auch noch beschäftigt.

Ansonsten finde ich gut, dass der Beruf der erotischen Tänzerin hier nicht übermäßig ins Schlechte gezogen wird, es also keine Moralpredikt ist.
Ich bin der Meinung, dass ich sie kein bisschen ins Schlechte gezogen habe, vor allem, weil ich an diesem Beruf einfach nichts Schlechtes finden kann! ;)

Danke fürs Lesen und fürs Gefallen! :)

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea H.
Ein bisschen Nabelschau, ein bisschen Erotik; manchmal ein bisschen abgleiten ins Klischee, aber ansonsten gutes Schreibwerk. Teilweise sehr präzise und auch gelungene Wortwahl. Schade, dass diesem abgedrehten Schluss nicht auch noch ein bisschen mehr Farbe beigemengt wurde. Wenn auf die Kacke hau´n, dann richtig grell. Make my day - höre ich den Modrigen flüstern und es schreit in ihr nach mehr als körperlicher Fleißarbeit. Narzistische Lust schwingt sich empor zur Geistesgröße. Ein bisschen holprig, der Übergang, aber immerhin ein Bogen, der in der Kurve quietscht. Nicht schlecht - mach weiter so.
Liebe Grüße
Detlev

 

Hallo Detlev!

Make my day - höre ich den Modrigen flüstern und es schreit in ihr nach mehr als körperlicher Fleißarbeit.
:lol:

Danke fürs Lesen, fürs Lob und für deinen "quietschenden" Kommentar! ;)

Sicher mach ich so weiter, oder noch besser...:D

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,

mir hat die Geschichte gut gefallen. Sie erzeugt eine anhaltende erotische Spannung. An mehreren Stellen stehen stehende Wendungen, die nicht sein müssen: "um genau zu sein", "um es gleich zu sagen" usw.

Das Ende ist so unplausibel, dass alle Versuche einer Rechtfertigung zum Scheitern verurteilt sind: Es gab da etwas, das sie verdrängt hat. Sie tanzte eigentlich nur für sich selbst. Dann überschreitet sie eine Grenze und alles kommt ihr vielleicht idiotisch vor. Aber deshalb geht man doch nicht an die Uni Philosophie studieren! ;)

Sie könnte einen normalen Job suchen oder sich vor Psychologie interessieren, um zu verstehen, was da passiert - was sie ja bisher offenbar nicht getan hat.

 

Hallo Fritz!

mir hat die Geschichte gut gefallen. Sie erzeugt eine anhaltende erotische Spannung. An mehreren Stellen stehen stehende Wendungen, die nicht sein müssen: "um genau zu sein", "um es gleich zu sagen" usw.
Ja, irgendwie kann ich ganz ohne Ironie anscheinend nicht sein, ich weiß, dass das sehr viele als störend empfinden, ansonsten danke! :)
Das Ende ist so unplausibel, dass alle Versuche einer Rechtfertigung zum Scheitern verurteilt sind: Es gab da etwas, das sie verdrängt hat. Sie tanzte eigentlich nur für sich selbst. Dann überschreitet sie eine Grenze und alles kommt ihr vielleicht idiotisch vor. Aber deshalb geht man doch nicht an die Uni Philosophie studieren!
Sie könnte einen normalen Job suchen oder sich vor Psychologie interessieren, um zu verstehen, was da passiert - was sie ja bisher offenbar nicht getan hat.
Du wirst lachen, aber anfangs hab ich auch an Psychologie gedacht: aber Philosophie erschien mir noch mehr das komplette Gegenteil von Tanzen zu sein, und deswegen hab ich das genommen! Sie will sich vervollkommnen, aber ich weiß: Das Ende ist zu aufgesetzt!

Danke für deinen Kommentar und fürs Gefallen! :) Ich werd mich bald revanchieren, aber jetzt herrscht Weihnachtsstress! ;)

Wünsch dir alles Gute und schöne Feiertage! :kuss: (das bekommt jetzt jeder von mir! :D )

Gruß
Andrea

 

Keine schlechte Idee. Gute Geschreibung. nur das ende hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Ein wenig erzwungen, als ob du keine Zeit mehr gehabt hättest. ansonsten... Lob!

 

Hey Antti1!

Danke für dein Lob für die "gute Geschreibung"! :D Und ja, ich weiß, das Ende wirkt etwas aufgesetzt! ;)

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,

Es war einmal, nein, es war nicht einmal, sondern öfters, um genau zu sein, machte sie es an sechs Tagen in der Woche.
Das ist ein schöner Anfang. Ein Anti-Märchen wird erzählt, das erwarte ich nun.

Sie wurden trüb, bekamen eine Oberfläche wie Löschpapier, so dass das Bild ihres weißen Körpers restlos von ihnen aufgesogen wurde.
Man muss die Geschichte schon langsam lesen und sich auf sie einlassen. Augen die auf einmal aussehen wie Löschpapier – Löschpapier sieht aber wie normales Papier aus – aber dann wird deutlich: Nicht das Aussehen ist gemeint, sondern die Funktion. Sie saugen ihr Bild auf wie Löschpapier Tinte.
Ich weiß nicht, aber das Bild brauchte hier eine Weile, um zu wirken. Eben weil es um die Funktion, nicht um das Äußere geht.

noch hatte sie in eine professionelle Tanzausbildung genossen
Das „in“ ist zu viel.

kaum ließ sie zum ersten Mal ihre Hüften in einer Acht kreisen, begann auf der Bühne ihr Reptilienleben.
Du verschenkst hier eine gute Formulierung „Reptilienleben“ an einen schwachen Satz, finde ich. Du arbeitest den Kontrast nicht heraus „Was unterscheidet sie von all den Anderen“, du behauptest ihn. Und die Sinnlichkeit ihrer Darbietung deutest du nur mit dieser „Acht kreisen“ an.

Früher verwendeten Landgendarmen im Dienst Taschenlampen, vor deren gelbes Licht man ein rot oder grün eingefärbtes Glasplättchen schieben konnte.
Es ist schon eine bewusst eingesetzte, kalte Dusche. Der Leser darf nicht in die Rolle des Voyeurs hinein, er muss auf Distanz gehalten werden, um das zu sehen, was die Geschichte zeigen will. Passt hier, weil die Geschichte genau diesen „roten und grünen“ Filter verhindern will.
Ich glaube trotzdem, dass es „stärker“ wirken würden, wenn du den Leser für den ersten Teil dieses Absatzes ins Publikum setzen würdest, um ihn DANN rauszuzerren.

um das feucht schimmernde Innere ihrer weiblichen Mitte zu präsentieren.
Ach herrje, da wird aber ganz schön Tra-Ra drum gemacht.

Auf der Innenseite ihrer Augen begann jetzt erst der Film abzulaufen, den sie schon einige Stunden zuvor aufgezeichnet hatten.
Das ist wirklich ein sehr schöner Satz, der vielleicht gerade durch das ein wenig Schiefe wirkt.

Die Blicke der Männer, ohne Scham, konzentriert und voller unschuldiger Neugier, leuchtend, drangen erst jetzt in sie ein.[/qutoe]
Ich finde, du hast manchmal die Tendenz, dich nicht entscheiden zu können. Du willst dann so viel sagen, und sagst einfach alles. Aber hier z.B. „ohne Scham“ – ja, das erwarte ich, „konzentriert“ – ja, das erwarte ich auch, aber dann kommt’s „unschuldiger Neugier“ (!), leuchtend ist wieder lahm, und dann „drangen ein“(!).
Die Blicke der Männer drangen voll unschuldiger Neugier in sie ein. Zack. Da glänzen die beiden Stars des Satzes. Die brauchen keine Nebendarsteller, um sie zum leuchten zu bringen. Ich glaube hier verwässert es wirklich. Natürlich … der Text will auch das andere noch sagen, aber er muss es gar nicht.
Nicht hier wieder. Basta, alles gleich wichtig, bleibt so, motzen – wie deine Verlobte das auch gerne tut. Man muss sich auch mal von geliebten Stellen trennen können.

Und während sie noch ihre Tasche ablegte, hatte sie schon ihre rechte Hand zwischen ihren Beinen und sie hörte nicht mehr auf, sich zu reiben, bis sich ihr Unterleib warm und voll anfühlte und sie endlich einen kleinen Seufzer ausstieß. So machte sie es fast jeden Tag. Jedoch vermied sie es, während sie masturbierend durch ihre Wohnung ging, ihrem Bild in einem der zahlreichen Spiegeln zu begegnen.
Ist schon interessant gemacht. Der erste Satz: Beine, reiben, warm, voll, Seufzer – also wieder die Voyeurs-Perspektive, wenn auch verkürzt; dann das Nüchterne: So machte sie es fast jeden Tag; Und dann komplett raus: Masturbierend (Partizip).

An einem verregneten Frühlingstag aber, es war Ende April, wurde ihr bei dieser gewohnten Tätigkeit bewusst, dass sich in letzter Zeit immer ein bestimmtes Gesicht vor alle anderen geschoben hatte.
So etwas hinkt erzähltechnisch immer, finde ich. Natürlich denken Menschen oft ohne jeden Anlass an irgendetwas, aber in der Literatur oder in Geschichten überhaupt hat man sich stillschweigend darauf geeinigt, dass nichts aus dem Nichts kommt – und alles eines äußeren Anlasses bedarf. Dieses „wurde bewusst“ – ist immer so ein Alarmsignal.

sich an jedes kleine Detail am Äußeren dieses Mannes zu erinnern, aber es gelang ihr nicht wirklich.
Detail ist immer klein, und „nicht wirklich“ ein unschöner Anglizismus. Es gelang ihr nicht ganz, gelang ihr einfach nicht, gelang ihr nicht.

dass dieser Mann etwas an ihrem einsamen Dasein auf der Bühne geändert hätte
Man muss schon sehr aufmerksam lesen: Dass ihr Dasein „einsam“ ist, hätte ich nicht gedacht. Abgeschottet – ja. Aber ich hätte es nicht als einsam verstanden.

Sie bemerkte das Missverhältnis zwischen seinem massigen Oberkörper und seinen kurzen Beinen, die glanzlose Schwärze seiner Haare, seinen breiten Gang.
Hm, ist schon ein taxieren.

Dann senkte sich der rote Plüschvorhang, der an der Stelle, wo ihn die Kordeln während der Vorstellung auf die Seite hielten, etwas abgestoßen war, über dieses Tableau aus lebendigem, zitternden Fleisch, das in der Mitte akkurat geteilt war.
Hier ist es wieder. Da zeigt jemand genau dieses „warme Innere“, von dem der Text noch vollmundig gesprochen hat – aber der Text erzählt von einem Vorhang und von Kordeln. ;)
Also, ich glaube, es würde stärker wirken, wenn du dem Leser wenigstens einmal diese Bilder gönnen würdest, statt sie permanent diesem Entfremdungs-Effekt zu unterziehen.

Er tappte ihr auf die mit Goldflitter bestäubte Brust, aber seine Zunge wich wie ein verängstigtes Tier im Käfig vor ihrer zurück.
Der Vergleich, der Einschub, ist zu lang. Wich – wie ein verängstigtes Tier im Käfig -, verängstig raus oder „im Käfig“ raus, beides braucht es nicht. Das zurück weichen muss dichter zusammen, sonst wirkt es nicht.

die sie ordnen hätte können,
Hätte ordnen können

Da sie keine Kleidung trug, die sie ordnen hätte können, warf sie nun mit einer raschen Bewegung ihre Haare in den Nacken, dann ging sie auf die Bühne zurück.
Das ist ein sehr lustiger Satz. Wirklich. Es geht da schon immer ein Stück weit um Distanz, um Posen, um Taxieren. Sie gibt ihrem Puls auch eher um ihretwillen nach als um seinetwillen nach, glaub ich. Interessant auch: Hier ist der Erzähler wieder da. Und erklärt es. „Da sie keine Kleidung trug“ erklärt die Geste, die Pose. Die ganze Zeit hat er sich raus gehalten und den Leser mit dieser rätselhaften Frau alleine gelassen, jedenfalls bei den „wichtigen“ Dingen.

Die Tänzerin rief am nächsten Tag ihren Chef an, teilte ihm kurz mit, dass sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen werde, und besorgte sich Unterlagen für ein Philosophiestudium.
Und wenn sie nicht gestorben ist, … Ja, auch wieder ein Anti-Märchen-Ende.

Es ist ein Stück weit die Cinderella-Geschichte. Aber der Schuh passt keinem. Sie würde das natürlich nie zugeben, aber sie lebt da ein Stück weit ein unmögliches Leben im Wartezustand. Perspektiven gibt es keine, ewig kann sie das nicht machen.
Sie wartet auf irgendwas und sie kann sich auf ihre eigenen Gefühlen nicht verlassen. Warum sieht sie sie denn, wenn sie es sich selbst macht, auf einmal diesen Mann vor sich? Sagen ihre Gefühle ihr das? Oder sagt ihr Unterbewusstsein nur, dass sich etwas ändern muss, egal was.
Das Besondere, was sie an dem Mann zu sehen glaubt, verfliegt sofort, als sie sich ihm nährt. Nachdem sie die Distanz einmal überwunden hat, kann sie auch nicht mehr zurück. Es ist ein Sprung ins Ungewisse, ein Sprung von der Brücke, von dem es kein zurück mehr gibt. Die Boote sind verbrannt.
Erzähltechnisch macht es sich die Geschichte nicht einfach. Der Erzähler enthält einem immer das Sinnliche vor, und zwingt zur Kopf-Lektüre. „Hier bin ich, jedes Wort ist wichtig, also Hände auf den Tisch und aufmerksam lesen“, ruft der Text zu, ruft er schon ein wenig nervig zu. ;)
Man kann das auf viele verschiedene Weisen sehen, den Sprung von der Brücke, den Schritt vom Weg – auch wenn Fontane das ganz anders meinte, denn hier rappelt sich ja – gesellschaftlich gesehen – eine gefallene Frau wieder auf und wird anständig. Und der Schritt aus ihrem Leben heraus geschieht dann doch wieder aus einer Koketterie mit der eigenen Stärke heraus. Das ist eine Frau, die sich keine Blöße geben kann. Sie macht es sich zu Hause und schaut nicht mal in einen Spiegel dabei, aus Angst davor, dass sie schwach aussehen könnte. Und selbst wenn sie für einen Moment schwach wird, dann setzt sie sich kerzengerade in den Sessel und baldowert aus, was zu tun ist. Handelt dann zielgerichtet und divenhaft – kokettiert mit der Unberechenbarkeit, die man ihrem Geschlecht und ihrem Beruf zugesteht – und ist dann sofort wieder weg, die Rollos sind wieder unten.
Man muss sich schon sehr auf deine Geschichte einlassen. Ich hab sie schon x-mal angefangen, hatte aber nie das Gefühl, richtig dahinter zu steigen. Jetzt durch Seltsems-Copywrite geht es plötzlich. Also so seh ich die Geschichte halt, verklag mich. ;)

Quinn

 

Hallo Quinn!

Zitat:
Es war einmal, nein, es war nicht einmal, sondern öfters, um genau zu sein, machte sie es an sechs Tagen in der Woche.
Das ist ein schöner Anfang. Ein Anti-Märchen wird erzählt, das erwarte ich nun.
Ach, du bist einer der wenigen, dem dieser Anfang gefällt. :) Freut mich wirklich!
Zitat:
kaum ließ sie zum ersten Mal ihre Hüften in einer Acht kreisen, begann auf der Bühne ihr Reptilienleben.
Du verschenkst hier eine gute Formulierung „Reptilienleben“ an einen schwachen Satz, finde ich. Du arbeitest den Kontrast nicht heraus „Was unterscheidet sie von all den Anderen“, du behauptest ihn. Und die Sinnlichkeit ihrer Darbietung deutest du nur mit dieser „Acht kreisen“ an.
Nein, mit "Reptilienleben" sag ich es schon, was an ihr besonders ist - sie bewegt sich weich und elegant wie eine Schlange. Ich praktiziere ja selber Snake-Dance, aber das ist eine andere Geschichte ... :D
Zitat:
Früher verwendeten Landgendarmen im Dienst Taschenlampen, vor deren gelbes Licht man ein rot oder grün eingefärbtes Glasplättchen schieben konnte.
Es ist schon eine bewusst eingesetzte, kalte Dusche. Der Leser darf nicht in die Rolle des Voyeurs hinein, er muss auf Distanz gehalten werden, um das zu sehen, was die Geschichte zeigen will. Passt hier, weil die Geschichte genau diesen „roten und grünen“ Filter verhindern will.
Gut erkannt!
Ich glaube trotzdem, dass es „stärker“ wirken würden, wenn du den Leser für den ersten Teil dieses Absatzes ins Publikum setzen würdest, um ihn DANN rauszuzerren.
Das ist sehr gut möglich, aber das ist meine erste Geschichte überhaupt,sei nachsichtig! ;)
Zitat:
um das feucht schimmernde Innere ihrer weiblichen Mitte zu präsentieren.
Ach herrje, da wird aber ganz schön Tra-Ra drum gemacht.
Ach :D
Zitat:
Auf der Innenseite ihrer Augen begann jetzt erst der Film abzulaufen, den sie schon einige Stunden zuvor aufgezeichnet hatten.
Das ist wirklich ein sehr schöner Satz, der vielleicht gerade durch das ein wenig Schiefe wirkt.
:)
Die Blicke der Männer, ohne Scham, konzentriert und voller unschuldiger Neugier, leuchtend, drangen erst jetzt in sie ein.
Ich finde, du hast manchmal die Tendenz, dich nicht entscheiden zu können. Du willst dann so viel sagen, und sagst einfach alles. Aber hier z.B. „ohne Scham“ – ja, das erwarte ich, „konzentriert“ – ja, das erwarte ich auch, aber dann kommt’s „unschuldiger Neugier“ (!), leuchtend ist wieder lahm, und dann „drangen ein“(!).
Hm, diesen Satz hast du ausnahmsweise nicht laut gelesen, oder? ;) Ich mag den wirklich, ich lass den so!


Zitat:
An einem verregneten Frühlingstag aber, es war Ende April, wurde ihr bei dieser gewohnten Tätigkeit bewusst, dass sich in letzter Zeit immer ein bestimmtes Gesicht vor alle anderen geschoben hatte.
So etwas hinkt erzähltechnisch immer, finde ich. Natürlich denken Menschen oft ohne jeden Anlass an irgendetwas, aber in der Literatur oder in Geschichten überhaupt hat man sich stillschweigend darauf geeinigt, dass nichts aus dem Nichts kommt – und alles eines äußeren Anlasses bedarf. Dieses „wurde bewusst“ – ist immer so ein Alarmsignal.
Da hast du Recht, das ist eine schwache Verbindungsstelle im Text.

Zitat:
Sie bemerkte das Missverhältnis zwischen seinem massigen Oberkörper und seinen kurzen Beinen, die glanzlose Schwärze seiner Haare, seinen breiten Gang.
Hm, ist schon ein taxieren.
Ist das gut oder schlecht?
Zitat:
Dann senkte sich der rote Plüschvorhang, der an der Stelle, wo ihn die Kordeln während der Vorstellung auf die Seite hielten, etwas abgestoßen war, über dieses Tableau aus lebendigem, zitternden Fleisch, das in der Mitte akkurat geteilt war.
Hier ist es wieder. Da zeigt jemand genau dieses „warme Innere“, von dem der Text noch vollmundig gesprochen hat – aber der Text erzählt von einem Vorhang und von Kordeln.
Also, ich glaube, es würde stärker wirken, wenn du dem Leser wenigstens einmal diese Bilder gönnen würdest, statt sie permanent diesem Entfremdungs-Effekt zu unterziehen.
Ach, auch einer meiner Lieblingssätze!
Zitat:
Die Tänzerin rief am nächsten Tag ihren Chef an, teilte ihm kurz mit, dass sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen werde, und besorgte sich Unterlagen für ein Philosophiestudium.
Und wenn sie nicht gestorben ist, … Ja, auch wieder ein Anti-Märchen-Ende.
Du hast wirklich vieles sehr gut verstanden. Dein genaues Lesen macht mir große Freude! Du hast dir wirklich viele und treffene Gedanken dazu gemacht.
Sie wartet auf irgendwas und sie kann sich auf ihre eigenen Gefühlen nicht verlassen. Warum sieht sie sie denn, wenn sie es sich selbst macht, auf einmal diesen Mann vor sich? Sagen ihre Gefühle ihr das? Oder sagt ihr Unterbewusstsein nur, dass sich etwas ändern muss, egal was.
Das ist ein interessanter Gedanke.
Das Besondere, was sie an dem Mann zu sehen glaubt, verfliegt sofort, als sie sich ihm nährt.
Das kann man nicht sagen. Man erfährt nicht mehr, was er weiter für sie ist. Aber immerhin hat er einen große Wendung in ihrem Leben ausgelöst.
Erzähltechnisch macht es sich die Geschichte nicht einfach. Der Erzähler enthält einem immer das Sinnliche vor, und zwingt zur Kopf-Lektüre. „Hier bin ich, jedes Wort ist wichtig, also Hände auf den Tisch und aufmerksam lesen“, ruft der Text zu, ruft er schon ein wenig nervig zu.
Tut mir leid :D
Man kann das auf viele verschiedene Weisen sehen, den Sprung von der Brücke, den Schritt vom Weg – auch wenn Fontane das ganz anders meinte, denn hier rappelt sich ja – gesellschaftlich gesehen – eine gefallene Frau wieder auf und wird anständig.
Schöner Vergleich, aber als Effie Briest hätt ich meine Heldin nie gesehen!
Und der Schritt aus ihrem Leben heraus geschieht dann doch wieder aus einer Koketterie mit der eigenen Stärke heraus. Das ist eine Frau, die sich keine Blöße geben kann. Sie macht es sich zu Hause und schaut nicht mal in einen Spiegel dabei, aus Angst davor, dass sie schwach aussehen könnte. Und selbst wenn sie für einen Moment schwach wird, dann setzt sie sich kerzengerade in den Sessel und baldowert aus, was zu tun ist. Handelt dann zielgerichtet und divenhaft – kokettiert mit der Unberechenbarkeit, die man ihrem Geschlecht und ihrem Beruf zugesteht – und ist dann sofort wieder weg, die Rollos sind wieder unten.
Das ist wirklich außergewöhnlich gut beobachtet.
Man muss sich schon sehr auf deine Geschichte einlassen. Ich hab sie schon x-mal angefangen, hatte aber nie das Gefühl, richtig dahinter zu steigen. Jetzt durch Seltsems-Copywrite geht es plötzlich. Also so seh ich die Geschichte halt, verklag mich.
Ich werd Schadenersatz verlangen!

Gruß Andrea

 

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