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Der Maulwurf

Beitritt
22.11.2005
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Der Maulwurf

Verdächtig weit außerhalb der Stadt wohnte er. Durch herbstlichen Morast schleppte er sich und mich, nippte hastig an der Flasche. Verfallen und auf den ersten Blick verlassen war das Haus, in das er mich zerrte, groß und licht. Nicht notwendig und in seiner Funktion unnütz, der löcherige Holzzaun, da Niemand weit und breit, der Anspruch auf Grund hätte erheben können.
Mit Blättern spuckten sie; die Bäume, warfen mit Ästen, und Wind; der um die Wette rannte.
Blick ins schweigende Tal hatte man, weit und tief.
Sturm, der durchs Haus schoss, als sei es Wald.
Aus Holz, dieses Haus. Und als würde es wieder Baum, dieses Holz.
Morsch die Treppen, die Türe. Aufs Bett legte er mich; behutsam.
Eingerichtet wie von besorgter Mutter, dieses Zimmer, dieses eine.
Das Haus abwartend und prüfend.
Das Licht wie nach dem Tode.
Seine Kontur, bucklig und verhetzt, durchs Zimmer nagte und zu sammeln schien.
Mein türkisfarbenes Kleid, getragen einst zu Anlässen; über den Schemel legte er es.
Unbeholfen ausgezogen hatte er es mir.
Als wolle er hinein durchs Dach; so hämmerte der Regen.
Seine Kontur entfaltete sich über mir.
Seiner Herbstmontur entledigte er sich.
Nach meinem Wohlergehen erkundigte er sich.
Nach meinen Eltern fragte er.
Die Flasche bot er mir an.
Meine kalten Brüste liebkoste er.
Meine Augen zu öffnen versuchte er, mit grobmotorischer Gewandtheit.
Waschen tat er mich. Und eincremen. Und einsprühen.
Über meinen Körper schabten sie; die Schwielen an seinen Händen. Vom schnellen Graben hatte er sie, diese Schwielen.
Krume in den Haaren noch, sowie Schweiß in den Pressstellen seines Körpers und in den Ritzen und Haaren an seiner recht deformierten Gestalt; noch Erde, kalt wie ich.
Nicht zum ersten Male machte er es. Wie totes Fleisch zu fallen pflegt, schien er zu wissen.
Draußen lauschten sie seinem Vergnügen; die schweigenden Tiere, getragen vom Wind, gepfiffen durch die Wiesen.
Auf meinen Bauch und ins verschlossene Gesicht tröpfelte er mir; der Schweiß aus seiner Anstrengung.
Durch die Nacht kratzten Blitze, Standbildaufnahmen des Zimmers machten sie.

Ich erinnerte mich an die Umgebung und an die Zeit, als ich mit Isabel und Mira hierhin ausgeritten war. Und „Scheunenzucker“, meinem prachtvollem Rappen.
Hier in der Einöde, weit ab der Zivilisation, hatten wir die Pferde treiben können, ritten um die Wette.
Nur bei der alten „Eichenvilla“ stockten wir, benahmen uns verhalten und versuchten Blicke zu erhaschen. Auch die Pferde verhielten sich sichtlich unwohl, zogen voran. Inmitten einer Insel aus Eichen stand sie auf dem Stoppelfeld und nur, wenn die Bäume ihr Blätterkleid abgelegt hatten, konnte man sie erahnen. Die Fassade und der Aufgang zur Tür, sowie das ganze Haus, schienen aus rindigem Eichenholz gebaut, was es für das Auge schwierig machte, es von der Umgebung abzusetzen. Als ob es mit den Bäumen verwachsen würde, und diese mit dem Haus. Als ob das Haus den Drang zur Rückkehr in die Natur verspüren würde, so farbgleich war die Insel auf dem Stoppelfeld.
Immer, wenn ich des Nachts in meinem Bett lag und in der Dunkelheit etwas knacken hörte, schrie und Mutter dann in mein Zimmer kam, um mir zu erklären, dass alte Häuser nun mal Geräusche machen würden, da Holz arbeiten würde, musste ich an dieses Haus denken, da das Holz dort mühseliger zu arbeiten schien. Und fleißiger.
Wenn unsere Eltern gewusst hätten, dass wir dorthin ausritten, hätten sie es verboten. Den Ort und vielleicht auch das Reiten.
Ab und an trafen wir auf ihn. Man konnte seine Gegenwart nicht spüren. Nur, wenn man bereits an ihm vorbeigeritten war, spürte man ihn zwischen den Eichen stehen, mit seiner Schaufel über der Schulter.
Wir und das Dorf nannten ihn den „Maulwurf“, da er der Totengräber des Friedhofs am Waldrand war. Nur selten verlies er seine Eichenvilla, fuhr dann mit seinem rostig-roten Pick-up runter ins Dorf, die Schaufeln und den anderen Kram auf der Ladefläche, ein riesiges Gestell von einer Brille auf seinem kleinen Kopf, der noch nicht vollendet aus seinem Hals gesprossen sein musste, der verbeulten Glatze, der dreckigen Jeans, dem rot-schwarz karierten Baumfällerhemd und den matschigen Stiefeln.
Kein Kind des Dorfes wagte es ihn anzusehen. Wir rannten schon um unser Leben, wenn wir auch nur seinen Pick-up in den Straßen entdeckten.
Man sollte an dieser Stelle davon ausgehen, dass grausame und düstere Gruselgeschichten über ihn existierten, die beim Zelten mit Taschenlampenlichtgesichtern erzählt wurden. Dem war nicht so! Wenn ein Kind nach dem seltsamen Mann fragte, reagierten sämtliche Eltern der Gemeinde gleich: Sie wurden stets sehr ernst, begaben sich auf Augenhöhe mit dem Kind, packten es fest an den Armen und sagten mit ernsten Augen, dass es sich gefälligst von diesem Mann fern zu halten habe. Und sie betonten es dann stets noch einmal beim Abendessen, vergewisserten sich, dass das Kind es auch ernst nahm.
Bereits in einem sehr frühen Alter lernte ich die Bedeutung des Wortes Nekrophilie kennen.
Noch bevor ich wusste, was genau Sex ist und wie man es praktiziert, wusste ich, dass man es auch mit Toten machen konnte.
Man konnte ihm zwar nichts nachweisen, aber intern war man sich sicher. Den Korpus Delikti namens Nadine hatte der Laigner, der dem Laignerberg und den dortigen Stoppelfeldern entsprang, ins Tal und in die Schlagzeilen geschwemmt. Ihr noch nicht lange beigesetzter Körper war der Ruhestätte am Waldrandfriedhof entnommen worden. Als die ersten Besucher den Tatort betraten, war die Erde noch warm, die Würmer und Maden noch sichtlich ihrer Heimat beraubt und der Sargdeckel lag auf dem Nachbargrab.
Die Schleifspuren verliefen den Laignerberg hinauf, verliefen sich dann jedoch im Matsch und Morast.
Tagelang belagerten Polizisten die verfallene Eichenvilla. Da man weder im Haus, an der Leiche oder sonst irgendwo Indizien finden konnte, fand niemals ein Prozess statt. Und was eindeutig gegen den Verdächtigen sprach: Die Spermaspuren, die zum Entsetzen aller an der Kinderleiche gefunden wurden, stammten nicht von ihm. Nur ein verstörter alter Mann sei er, hieß es. Einige Einwohner, die das Getümmel um die alte Villa damals aus nächster Nähe verfolgt hatten (sie wurden von den Polizisten immer wieder zum „weitergehen“ animiert, obwohl es kein Weiter gab, da es dort keine Wege gab, sondern nur Feld und irgendwann Wald) erzählten, dass die Polizeibeamten kreidebleich aus der Villa kamen und ihre erste Handlung das Hinsetzen war.
Um die verängstigten Einwohner zu beruhigen, versprach man, den Totengräber zu versetzen und ihm anderswo Arbeit zu verschaffen. Was allerdings niemals geschah. Der gutmütige und ebenso schweigsame Pfarrer der Gemeinde erkannte Gutes in seinem Mitarbeiter und auch eine Entlassung durch den Stadtrat oder etwaige Maßnahmen waren unzulässig und schienen aussichtslos, da die Behörde ein Auge auf den Fall gelegt hatte und der Herr Pfarrer stets für den Verdächtigen bürgte.
Daraufhin grassierte eine Art Grabflucht in der sonst so lauschigen Stadt. Die Leute traten nahegelegenen Kirchengemeinden bei und bestatteten ihre Angehörigen auf deren Friedhöfen. Sie hielten es für das Richtige. Vereinzelte besorgte Eltern ließen ihre verstorbenen Kinder verlegen und die dazugehörigen Gräber umsiedeln. Sie hielten es für das Beste.

Nur ich blieb. Meine Eltern hielten es anscheinend nicht für das Beste.

Im Stroboskoplicht der Blitze drehte er mich auf den Bauch. Es war mir eindeutig, dass es für ihn nicht das erste Mal war, da er sich im Umgang mit totem Gewebe geschickt anstellte. Führsorglich strich er mir meine langen weißen Haare aus dem Gesicht, welches sich durchs Eigengewicht ins Kopfkissen drückte, und quetschte sich in mich, stöhnte und schrie, sabberte und weinte.
Und ständig kratzten Blitze durch die unruhige Nacht.
Als er fertig war, wendete er mich erneut, legte sich erschöpft und weinend neben mich, platzierte seinen Arm unter meinem Kopf, klammerte sich um mich und weinte stark wie der Regen, der aufs Dach prasselte.
Winselnd erzählte er mir, es würde ihm leid tun und er könne doch nichts dafür, aber ich sei wunderschön und er sei so gerne mit mir zusammen.
Er goss mir erhitztes Wasser über den Mund und den Kiefer, um die Leichenstarre zu lösen und meinen Mund zu öffnen. Der Kiefer knarrte und brach schließlich.
Dann schüttelte er das Kopfkissen auf, legte noch zwei weitere Kissen hinzu, stopfte seinen Schwanz zwischen meine blauen Lippen und wippte vor und zurück.
Nur kurz, in der Zeit der Blitze, sah ich seine Gestiken.
Mal erregt.
Mal verzweifelnd.
Und beim nächsten Zucken eines Blitzes sah ich eine Schaufel, die mit Schwung auf seinen Hinterkopf zugerast zu kommen schien.
Dann hörte ich einen dumpfen Knall und spürte eine schnelle und ungewollte Bewegung von ihm.
Mit dem nächsten Blitz lag er regungslos und nur noch halb auf dem Bett.
„Endlich hab ich dich!“, hörte ich aus der Dunkelheit. „Wie lange hab ich auf diesen Tag gewartet!“
Ich spürte, wie sich ein Gesicht über dem Meinigen befand.
Mit den Intervallen der Blitze erkannte ich den kleinen Kopf, die riesige Brille und die verbeulte Glatze.
Eine Kerze wurde auf dem umgedrehten Bierkasten, der als Nachttisch diente, entzündet.
„Maren! Meine Güte Kind! Womit hast du das verdient? Ich weiß es noch wie heute, dass du und deine kleinen Freundinnen hier oben ausgeritten seid. Du hattest einen wunderschönen Rappen. Und ich hatte für dich gebetet, als es hieß, du lägest im Sterben, da dich dieser Bus angefahren hatte. Und dann habe ich Erde auf deinen Sarg geschippt.
Und ich wünschte, ich hätte bei der kleinen Nadine schon den Mut gehabt die Schaufel zu nehmen und ... dieses Schwein! Aber damals hab ich ihn nur gehört, und mich in der Dunkelheit meines Hauses verkrochen und gehofft, dass er mich nicht findet. Ich habe es nie erzählt, da ich mich so schuldig fühlte. Nur der Herr Pfarrer wusste es. Ich hatte alle Spuren verwischt. Niemand sollte wissen, dass ich nur zugesehen hatte. Es tut mir so leid.
Aber ich wusste auch, dass er wiederkommen würde. Deswegen bin ich geblieben, habe mich nicht vertreiben lassen und auf ihn gewartet. Und jetzt hab ich ihn.“
Gekonnt fesselte er den Unbekannten, schulterte mich und seine Schaufel und in seinem rostig-roten Pick-up fuhren wir zum Friedhof am Waldrand, wo er mich erneut beisetzte.
Und so fanden wir beide unseren Frieden.


Fin

 

Fantasy? naja. zumndest hast du schon ideen. ich noch nicht. bin echt ratlos mit elishas geschichten.

ich lasse herbstmontur stehen, ich find das gut.

Was willst du denn haben fürs schweigen? ich glaube, außer dir weiß das eh keiner. undwoher du sowas weißt, möcht ich gar nicht wissen :D

besten gruß

 

ich lasse herbstmontur stehen, ich find das gut.
Okay, auch kein Beinbruch.

Was willst du denn haben fürs schweigen?
Das überleg ich mir noch. ;)
ich glaube, außer dir weiß das eh keiner. undwoher du sowas weißt, möcht ich gar nicht wissen :D
Ich hab eben im Pathologieunterricht aufgepasst. Außerdem hab ich auch schon mal ne Kg geschrieben, in der es um eine tote Leiche :D ging.

 

ich hätte auch gerne mal pathologieuterricht . :D

tote leichen sind voll di e wichser. tot, und auch noch leichen! die schweine.

 

Hi!

A) mag ich Horrorgeschichten überhaupt nicht, hab diese aber nun gelesen wegen der Kopie in Humor.
B) zwei kleine Fehlerchen:

Stadtrat oder etwaige Maßnahmen .......und bestatteten ihre Angehörigen auf deren Friedhöfen.
C) Tolle Geschichte mit einem gar nicht horrormäßigen Ende.
:thumbsup:

 

Sehr coole Geschichte, hat mir gefallen. Sie hat mich außerdem auf eine Idee gebracht, ein wahrlich geile Idee, von der ich sicher bin, dass es sie noch nicht gibt *gg* Aber dazu vielleicht ein anderes Mal...

Grautlation und danke für die nach-mitternächtliche Unterhaltung.

LG
markus

 

danke, @jobär für diese zweifelhaften Komplimente. Das Ende sollte mehr überraschen, als schokieren.

ich hab vor dem Copywritespiel auch nicht im Humor gelesen. So hat dieses blöde Spiel zumindest noch den Sinn der Völkerverständigung.

@markus freut mich, dass es dir gefallen hat und dass ich dich auf geile Ideen bringen konnte. Sei doch so freundlich, und schreib mir eine PN, wenn du es gepostet hast. danke.

beste Grüße

 

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