Was ist neu

Des Fährmanns letzte Fahrt

Mitglied
Beitritt
14.04.2002
Beiträge
295
Zuletzt bearbeitet:

Des Fährmanns letzte Fahrt

Der alte Kahn treibt auf schimmernden Wellen seinen Bug durch das glitzernde Nass. Sein hölzerner Rumpf hebt sich stolz aus der Gischt, und fällt schwer und ächzend zurück. Dumpfes Geplätscher erklingt wie Musik, die leise und murmelnd verhallt, während sich Welle um Welle am Schiffsrumpf erhebt und in schäumende Kronen zerfällt. Als weiße Perlen rollen sie nun auf der Oberfläche dahin, den Weg zum Ufer schaffen sie nicht, von der Mitte des reißenden Stroms.

Er ist müde, der Fährmann und kann schon nicht mehr, doch auf ihn wartet noch eine Fahrt. Eine letzte Fahrt für den heutigen Tag, dann der erholsame Schlaf. Das Ufer liegt ins Mondlicht getaucht und scheint nicht mehr weit zu sein. Dort drüben steht eine schwarze Gestalt, fest in den Mantel gehüllt. Es ist eisig kalt und der Abendwind pfeift durch die Bäume und durch das Gebüsch. Der Mantel flattert im stürmischen Wind, der Fährmann erkennt kein Gesicht.

Dem Alten kommt das so schauerlich vor, das Mondlicht, der Wind, die Gestalt. Doch er weiß, es ist schon die letzte Fahrt und dann wartet erholsamer Schlaf. Er legt seine Fähre am Ufer an und die Gestalt steigt schweigend an Bord. Der Fährmann legt ab und bringt seinen Kahn durch die Kraft des Wassers in Fahrt. Eine Weile plätschert das Schiff so dahin und die beiden reden kein Wort. Nur der Nachtwind fährt eisig durch das Gebein und pfeift durch die Ritzen des Kahns.

Der Fährmann ist müd’, sehnt das Ufer herbei, und den erholsamen Schlaf. Doch der Weg ist noch weit und dem Fährmann graut vor der unheimlich dunklen Gestalt. Die Mitte des Flusses ist schon erreicht, das weiß der Alte bestimmt. Da nimmt die Gestalt die Kapuze ab, ihr Haar weht im beißenden Wind. Der Fährmann blickt auf und erstarrt schreckensbleich: Die Gestalt, sie hat kein Gesicht! Der Schreck ist vorbei und er handelt geschwind und springt in die eisige Flut.

Die Gestalt auf dem Kahn ist vorn über gebeugt und reicht dem Fährmann die Hand. Doch der ist entsetzt, denn er sieht kein Gesicht und nimmt diese Hilfe nicht an. „Du bist der Tod und wolltest mich holen!“, ruft er der Gestalt noch nach. Doch da streicht der Wind das Haar zurück und er sieht das Gesicht einer Frau. „Wie kann einer nur so furchtsam sein? Rasch! Nimm meine Hand!“ Doch die Wellen tragen den Fährmann fort, hinaus in die finstere Nacht.

Der alte Kahn treibt auf schimmernden Wellen seinen Bug durch das glitzernde Nass. Sein hölzerner Rumpf hebt sich stolz aus der Gischt, und fällt schwer und ächzend zurück. Der Fährmann ist müde und kann schon nicht mehr. Es nützt ihm kein Rufen, kein Schreien. Der Kahn ist in weite Entfernung gerückt und mit ihm die helfende Hand. Welle um Welle rollt über ihn und zerrt an dem alten Mann. Den Weg zum Ufer schafft er nicht mehr, von der Mitte des reißenden Stroms.

 

Hallo Barbara,

das Ende in der `Mitte´ ist schon klar, ergibt sich aus dem Anfang. Aber das Du das so gewählt hast, finde ich bemerkenswert, weil es unüblich ist, kein `normales´ Ende einer Reise.

Jedenfalls ist das Bild nicht überladen.

Tschüß... Woltochinon

 

Hi Woltochinon!

Ah, so meinst du das. Alles klar. Hast Recht, so mitten im Fluss, das ist kein 'normales' Ende einer Reise. Aber das Ende des Fährmanns letzter Reise.
In einem 'normalen' Kurzgeschichtentext würde man wahrscheinlich noch versuchen, der Frage auf den Grund zu gehen, wie es zu diesem Unfall kommen konnte oder irgendwas in diese Richtung, oder zumindest die Leiche des Fährmanns aus dem Wasser fischen. Das ist hier aufgrund der Text(-misch-)sorte nicht nötig, außerdem ist sonst der Rhythmus zerstört, vielleicht alles, das ganze Bild.

Danke, nicht überladen klingt gut ;)

Liebe Grüße
Barbara

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom