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Eine höhere Ebene
„Versprich mir bitte eines. Versprich mir, dass wir nicht miteinander schlafen werden.“
Meine Bitte war eine Lüge. Natürlich wollte ich mit ihr schlafen. Mein Verlangen verglühte mich schier, die Worte waren nur heiße Luft. Und Maya spürte das.
Ich schob eine Wand angestauter Lust vor mir her, die sie schwer übersehen konnte. Maya hatte schon immer die Dinge gesehen, die zwischen den Worten lagen. Und natürlich sah sie auch das Korsett der Angst, in das mein Verlangen geschnürt war, das mich dazu trieb, diese törichten Worte auszusprechen.
Der Zauber aus alten Tagen knisterte zwischen uns. Oder das, was wir dafür halten mochten. Was ich dafür halten mochte.
Das Rauschen in meinen Ohren klang wie das Meer und hätte sie in diesem Moment die Hand nach mir ausgestreckt, wäre ich darin ertrunken.
Der Moment entschwand, nahm seine Möglichkeiten mit sich und hinterließ eine Situation, die vor Belanglosigkeit zu verdampfen drohte.
Worte stolperten aus unseren Mündern, voll gesogen mit geheucheltem Interesse an alltäglichen Banalitäten und deren Schatten.
Namen aus der Vergangenheit flatterten zwischen uns hin und her. Doch sie führten in keine bestimmte Richtung, kreisten um das, was wir nicht aussprachen.
„Und wie geht es deinem Bruder?“
„Der hat einen Job als Fernfahrer, sehe ihn selten.“
„Ist er nicht mehr mit Frauke zusammen?“
„Hat sich von ihm getrennt. Wahrscheinlich hat er deswegen als Fernfahrer angefangen. Die Nähe schmerzt ihn.“
Die Bedienung erlöste uns für einen kurzen Moment aus unserem Elend. Mit ihrem falschen Lächeln fügte sie sich wunderbar in unser kleines Drama ein. Sie gab einen großzügigen Blick auf ihre Trinkgeldgarantie preis und stellte zwei Cocktails in unser Bühnenbild.
Maya und ich versteckten uns kurz hinter den Gläsern und sammelten Kraft für den zweiten Akt.
Sie sah mich dabei nicht an, aber ich wusste, dass sie meine Blicke auf sich brennen spürte.
Ob sie sich auch so viele Gedanken gemacht hatte, was sie zu diesem Treffen anziehen würde? Sündiges Rot umschmeichelte ihre Reize, schimmerte seidig in der diskreten Beleuchtung der Cocktailbar.
Es war eine unbeholfen kurze Umarmung zur Begrüßung gewesen, doch noch immer konnte ich den Stoff auf meinen Fingerkuppen kribbeln spüren. Ihr weicher Duft lag mir noch in der Nase.
Für einen Moment wurde der Wunsch, sie in die Arme zu schließen beinahe übermächtig. Ich wollte in ihr versinken, in die Zeit zurücktauchen, die wir einst miteinander geteilt hatten. Die noch immer in meiner Erinnerung so lebhaft blühte.
Ich hatte lange geglaubt, sie wäre die Eine.
Wann der Traum zu welken begann, kann ich heute nicht mehr sagen. Mangelnde Liebe war es nicht gewesen. Zumindest nicht in meiner Erinnerung.
„Wir konnten uns gegenseitig nicht mehr helfen“, pflegte ich damals zu sagen. Vor allem wohl mir selbst.
Nach zwei unbeschwerten Jahren, in denen wir uns so vollkommen wie möglich treiben ließen, strandeten wir plötzlich am Ufer der Tatsachen. Orientierungslos. Von der plötzlich über uns einbrechenden Realität geschockt, gruben wir uns ein, darauf hoffend, dass jemand kommen würde, der uns den Weg wies.
Es kam niemand und wir erlagen dem Stillstand, versanken in Hilflosigkeit. Zu Beginn meinten wir noch, eine große Grube geschaufelt zu haben, in der wir beide Platz fanden, in welcher wir uns gegenseitig Kraft zuflüstern konnten. Aber bald wurde klar, dass jeder in seinem eigenen Loch kauerte. Zu schwach, den anderen nach oben zu ziehen. Jedes Mal, wenn wir versuchten uns die Hand zu reichen, schütteten wir nur Sand ins Loch des anderen, drohten uns gegenseitig zu ersticken.
Ein wehleidiges Schmunzeln kann ich mir nicht verkneifen, wenn ich daran denke, wie lange wir dort ausgeharrt hatten - aus Angst uns zu bewegen und damit den duldbar gewordenen Schmerz wieder zu neuen Ausbrüchen zu verhelfen.
Schließlich flutete ein lang anhaltender Regenschauer unsere Verstecke und trieb uns hinaus. Auf die damals scheinbar uferlose See. Jeder auf seinem Floß.
Ich fühle mich schuldig, weil in meinen Erinnerungen der Sex eine solch große Rolle spielt. Auf einer höheren Ebene stand fest: Wir gehören zusammen. In unserem Elend vermochten wir uns jedoch nicht mehr zu helfen. Und wir schliefen nicht mehr miteinander.
Ja, auf einer höheren Ebene mochten wir füreinander bestimmt sein, doch irgendwann fühlte ich mich so klein, dass ich an diese Ebene nicht mehr heranreichte, sie nur noch aus der Ferne wie ein erstrebenswertes Ideal betrachten konnte. Ein Ideal, das sich über meine Bedürfnisse definierte.
Ich bildete mir ein, dass alles wieder wie früher sein würde, wenn wir nur wieder miteinander schliefen. Ich sehnte mich nach dieser Form der Nähe, wie ein Neugeborenes nach seiner Mutter.
Maßgeblich war es wohl dieser Drang, der mich damals meinen Kurs setzen ließ. Fort von ihr.
Heute saß ich Maya gegenüber, und fragte mich, ob es eben dieses Bedürfnis war, welches mich wieder hatte Kontakt mit ihr aufnehmen lassen.
Aus Angst davor, dass es so sein könnte, forderte ich das Versprechen von ihr.
Ich wollte nicht, dass es mit uns so endete wie auf meinen von Gier und Selbsthass getriebenen Feldzügen durch die Häfen der weltlichen Freuden.
Ich wollte nicht die Asche aufkehren, die das Feuer der Leidenschaft von der Möglichkeit des Uns zurücklassen würde.
Ich wollte zurück auf unsere Ebene.
Körperlicher Schmerz durchzuckte mich, als Maya mir schließlich das Versprechen gab. Ich fühlte mich nicht so stark und erhaben, wie ich es mir ausgemalt hatte. Ich fühlte mich, als wäre mir etwas Wichtiges genommen worden.
Mit jedem Cocktail schwemmte ich meine Hemmungen weiter fort, ertränkte sie im Meer meiner Begierde. Aber so viel Vernunft der Alkohol auch aus mir herausspülen mochte, so wenig konnte er doch gegen das Schamgefühl ausrichten. Die Scham fühlte sich an wie der pelzige Geschmack im Mund nach einer durchzechten Nacht.
Je mehr Alkohol ich trank, desto voller sog sich dieser Pelz und zog mich tiefer in sein Reich des Abgestandenen. Dieses Reich sonderte den Geruch der Lüsternheit und des Verrates aus.
Ich ekelte mich vor diesem Geruch. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich mich letztlich vor mir selbst ekelte, doch ich wusste mir nicht anders zu helfen als noch mehr zu trinken, um dieses Ekels Herr zu werden.
Maya schien diesen Duft nicht wahrzunehmen.
Sie thronte mir gegenüber auf ihrer Insel und lud mich mit Blicken ein, bei ihr Anker zu setzen.
In einem letzten Aufbegehren meldete sich die Illusion dessen zu Wort, was ich gerne wäre und erinnerte mich an mein eingangs gefordertes Versprechen. Für den Moment des Aufbegehrens wusste ich wieder, warum ich diese Kette ausgeworfen hatte.
Doch diese Kette zähmte mich nicht länger.
Die Kette erwies sich als Schlange, deren gespaltene Zunge sich zu einem gewaltigen Anker formte.
Die Entscheidung, den Anker auszuwerfen, kam plötzlich und ging mit einem körperlich derart heftigen Zucken einher, dass ich mich für einen Moment selbst überrumpelt fühlte. Dieser Moment raubte mir die Balance, die Sicht, den Atem.
Es schien mir, als stürzte ich mit dem Rücken voran in ein kaltes Meer. Schwer wie ein Stein riss es mich nach unten. Die Wasseroberfläche schloss sich über mir und Mayas Angstschrei drang sonderbar dumpf zu mir durch.
Für einen Moment betrachtete ich die Welt über mir wie durch eine dicke Schicht klaren Eises. Alles wirkte sonderbar verzerrt, unwirklich.
Der Augenblick wurde durchbrochen, als Maya scheinbar mühelos die Oberfläche durchpflügte. Ihre Hände fanden die meinen, ergriffen sie, und zogen mich empor.
Nur am Rande nahm ich das Chaos wahr, das ich verursacht hatte.
Ich beäugte fasziniert den Schnitt in meiner Handfläche. Mühsam vollzog ich die Verbindung mit dem umgestürzten Tisch und dem Scherbenmeer der Cocktailgläser. „Ihr bekommt nichts mehr. Raus mit euch – und lasst euch hier nicht mehr blicken!“, blaffte die Kellnerin.
Ich wollte einen Witz über ihre Zwillingsschwester reißen, doch Maya schob mich hinaus in die Kühle der Nacht.
Als die Tür sich hinter uns schloss, fiel auch der Vorhang meiner Wahrnehmung.
Nur zögerlich hebt er sich wieder. Die Welt, die sich dahinter verbirgt, sticht grell auf meine Sinne ein, löst einen Schmerz in meinem Kopf aus, der ewig in der Leere meines Innern wiederzuhallen scheint. Mühsam unterdrücke ich ein Stöhnen, stelle mich schlafend.
Maya weiß, dass ich wach bin, doch wir spielen diesen letzten Akt unseres Dramas in stummer Übereinkunft.
Sie schält sich bemüht leise aus den Laken und schleicht sich fort.
Ich schiele verstohlen zu ihr hinüber und beobachte sie dabei, wie sie mit unkoordinierten Bewegungen ihre Kleidung zusammensucht, sich fahrig anzieht. Das Rot ihrer Bluse schmerzt so sehr, dass ich die Augen schließen muss.
Ganz kurz durchzuckt mich der Gedanke, dieses Spiel zu beenden.
„Bitte bleib doch noch zum Frühstück“, liegt mir auf der Zunge. Als ich mir vorstelle, wie unsere Blicke sich treffen, presse ich die Lippen hart aufeinander, ersticke diesen Gedanken. Die Vorstellung, die eigene Trauer in ihren Augen gespiegelt zu sehen, erscheint mir unerträglich.
Kein Kaffeeduft könnte das Eingeständnis, welches in der Luft lag, übertünchen. Das Alte war fort, und für das Neue waren wir noch nicht bereit.
Als sich die Tür schließt, schwappt die Stille über mir zusammen.
Das Blut rauscht in meinen Ohren und klingt wie das Meer.