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Eli, Eli, lama asabtani
Hinter seinem Schreibtisch wirkte der Pfarrer größer als er war. Die Arbeitsfläche aus dunklem Holz, auf der nichts stand, außer einer Figur des gekreuzigten Jesus, gab ihm in ihrer Kahlheit etwas von Autorität und Macht – den strengen Ernst eines Richters. Dabei waren Kas Züge scharf geschnitten und seine Augen blickten prüfend hinter den Gläsern einer stahlgerahmten Brille. Er trug einen grauen Anzug, weißes Hemd, und glich darin mehr einem Psychologen als einem Pfarrer. Ein geteiltes Bärtchen stand ihm vom Kinn.
„Guten Tag. Setzten Sie sich doch.“ Seine Stimme war warm und angenehm, gleichsam geschult wie bei einem Schauspieler – die Stimme eines Redners, der viel spricht und Gefallen daran findet. Mit einladender Geste wies er auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch.
Thomas schloss die Zimmertür und setzte sich. Bücher reihten sich zu beiden Seiten des Tisches bis zur Decke. Ihr Ledergeruch, schwer und intensiv, füllte die Luft. Vor dem einzigen Fenster stand ein bronzenes Planetarium auf verstellbarem Stativ. Im Regenlicht, das durch die Scheibe fiel, verloren die Himmelskörper ihre Form, waren kaum mehr als Schattenflecken vor dem Grau des Nachmittages.
„Also, wie kann ich Ihnen helfen?“
„Ich möchte Ihnen etwas erzählen.“ Thomas sah Ka nicht an, sondern auf die Wand hinter ihm, wo ein Gemälde hing. In weißes Tuch eingeschlagen, das Gesicht bläulich grau, lag da ein Toter auf dem staubig-leeren Rund eines Marktplatzes. Ein Narr stand neben ihm, rot und weiß geschminkt, eine Mütze auf dem Kopf, beugte sich vor Lachen und zeigte mit dem Finger auf den Leichnam – eine Hohngestalt, ein Spötter wider des Gestorbenen. „Nein, ich möchte nicht, ich muss.“
„Nun gut, fangen Sie an. Aber vorher noch eine Frage: Warum müssen Sie mit mir sprechen? Natürlich, ich bin Pfarrer. Dennoch, haben Sie sonst niemanden, dem Sie erzählen könnten, was Sie bedrückt?“
„Niemand. Ich habe keine echten Freunde und von meiner Frau lebe ich getrennt.“
„Wie lange schon?“
„Zehn Jahre.“
„Und es war ein Verlust für Sie?“
„Natürlich, es ist doch immer ein Verlust seine Frau zu verlieren, oder nicht?“ Er sprach schnell, fast überstürzt und ein dünnes Lächeln zuckte über die Lippen des Pfarrers – das Lächeln eines Wissenschaftlers.
„Sie vermissen also ihre Frau? Hatten Sie jemals vorher das Bedürfnis sich mit jemandem auszusprechen, zu beichten vielleicht?“ Wie beiläufig sah Thomas zur Seite, auf das Fenster und das Planetarium. Die Himmelskörper wirkten verloren in der Hohlkugel des Rahmens, ihre Existenz absurd. Er spürte Kas Blick auf sich und fror.
„Kann ich nicht einfach meine Geschichte erzählen. Es ist nicht so, dass ich ihnen etwas verschweigen möchte, keineswegs, ich will ehrlich sein, ich brauche ja ihre Hilfe, aber trotzdem, ich …“
„Ich verstehe Sie, ich verstehe Sie durchaus. Wenn Sie nicht wollen, frage ich nicht mehr und Sie erzählen einfach ihre Gesichte.“
„Ich weiß nicht so recht, wo ich beginnen soll.“
„Am Anfang, ganz am Anfang. Ich kann Sie sonst nicht verstehen und das muss ich doch, um Ihnen zu helfen.“
Für ein paar Sekunden herrschte Schweigen und Thomas suchte seinen Anfang, während Ka mit dünnem Lächeln wartete.
„Sie müssen wissen, ich war Lehrer. Diesen Sommer wurde ich pensioniert. Damit hat es angefangen, genau genommen, am letzten Schultag.
Zeugnistag. Es ist heiß. In den Lichtbalken, die durch die Rollos fallen, schwebt Staub. Ich bin spät dran und deswegen ganz allein auf dem Korridor. Aber aus den Klassenzimmern kann ich die Kinder hören, fröhlich, laut. Schließlich beginnen heute die Ferien und eigentlich ist keiner mehr so richtig da: Sie fahren schon nach Italien, Frankreich oder sonst wohin. Man kann sie hören, diese Vorfreude.
Ich öffne die Tür zum Klassenzimmer der 5a. Ich bin dort Klassenlehrer und sie sind meine letzten Schüler. Sie warten nur noch auf ihre Zeugnisse, dann sind sie weg. Aber erstmal ist ihnen das nicht wichtig, sie unterhalten sich, berichten, was sie machen werden, laufen schon durch den Sand am Meer. Ich gehe zum Pult, lege die Zeugnismappe ab. Kaum einer achtet auf mich, nur ein paar schauen nach vorne und verstummen.
Allmählich wird es ruhig. Ein paar tuscheln noch, ansonsten sehen mich alle an. Sie warten. Sie sind meine letzten Schüler – ich werde nie wieder vor welchen stehen – und sie warten auf ihre Ferien. Aber ich sage nicht den ersten Namen auf, Christian Adam, er sitzt direkt vor mir – ich sage etwas ganz anders:
‚Ihr werdet alle sterben.‘ Einfach so. Und sie sehen mich an und ihre Gesichter sind immer noch fröhlich und voller Erwartung. Nur ihre Augen haben begriffen, sie sind glanzlos, stumpf, wie Löcher. Es dauert, bis sie aus den Ferien in die Gegenwart zurückkehren.
‚Ihr werdet sterben. Vielleicht erst in siebzig Jahren, wenn ihr alt geworden seid. So wie ihr euch das vorstellt. Denn für euch sterben ja nur die Alten. Ihr denkt, ihr wärt unsterblich, denn Kinder sterben nicht – sie sind nicht alt genug. Doch das stimmt nicht. Es braucht so wenig zum Sterben und Alter gehört nicht dazu. Ein Autofahrer, der einen Moment lang nicht aufpasst, und euer Blut fließt über den Asphalt. Ihr seid dann tot und seht den Fahrer nicht mehr, wie er aussteigt, entsetzt, verwirrt, und auch nicht eure Eltern, die am Grab stehen und weinen. Ihr seid tot.‘
Es ist still, niemand tuschelt mehr. Manche weinen, aber man hört sie nicht. Die Tränen fließen lautlos. Ich sehe in ihre Gesichter, die seltsam leer sind, als hätte jemand die Persönlichkeit fortgewischt – alle sind nun gleich.
‚Christian Adam‘
Er steht auf, langsam, mechanisch, ohne recht zu wissen, was er tut. Dann steht er vor mir und sieht mich an und ich kann die Frage in seinem Gesicht lesen: Warum?“
„Ja, das ist die Frage: Warum haben Sie die Kinder so verschreckt, warum diese Worte am letzten Tag vor den Ferien?“, fragte der Pfarrer und beugte sich vor. Er hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt und fixierte Thomas Gesicht, kühl, berechnend, als betrachtete er ein Insekt, mit seltsamen Verhalten.
„Ich weiß es nicht.“
„Hat es ihnen vielleicht Spaß gemacht, die Kinder zu erschrecken? Wollten sie sich für ihre Pensionierung rächen?“
„Nein, nein. Ich weiß es wirklich nicht. Es war nicht geplant. Ich stand vor den Kindern und habe einfach angefangen zu sprechen. Vielleicht hielt ich es damals für einen guten Witz.“
„Ein Witz, allerdings, aber ein makaberer.“ Er nickte, lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück und strich sich wie abwesend mit der Hand über den Bart, aber seine Augen blieben auf Thomas fixiert. „Sie sind also gekommen, um mir diese Geschichte zu beichten, weil Sie Schuldgefühle haben, weil Sie dieses Warum des kleinen Christian Adam verfolgt?“
„Auch …“
Ka nickte wieder, als hätte er das erwartet.
„Weshalb also noch?“
„Nun, wegen meines Ausrutscher am letzten Schultag habe ich nichts gehört, niemand hat sich beschwert. Vielleicht weil ich ja eh schon pensioniert war und es für eine Anzeige nicht reichte. Jedenfalls ließ man mich in Ruhe und die Tage gingen dahin. Ich bin Hobbygärtner und war also viel im Garten: Unkraut jäten, gießen, Vertrocknetes wegschneiden. Das gleiche wollte ich auch am Dienstag vor zwei Wochen tun.
Ich gehe auf die Terrasse, schon in Arbeitsklamotten: Sandalen, Handschuhe, altes T-Shirt, eine Dreiviertel-Hose. Es ist heiß, aber nicht unangenehm. Ein leichter Wind geht und die Blätter rauschen. Alles lebt. Bunte Blüten im Grün von Rasen und Büschen und auf dem Braun der Beete. Bienen summen von Blume zu Blume. Ganze Scharen sitzen am Lavendel, der direkt an der Terrasse blüht. Sein Duft vermischt sich mit all den anderen. Wie immer bleibe ich ein paar Augenblicke mit geschlossenen Augen stehen. Dann gehe ich über den Rasen, einen Eimer mit Schaufel, Schere und Harke in der Hand. Ich habe mir für heute ein Beet weiter hinten vorgenommen. Ich muss dabei um den Apfelbaum herum, hinter dem mein Zierteich liegt. Darin halte ich Fische.
Ich gehe also am Apfelbaum vorbei, sehe den Teich und, zwischen Lichtreflexen auf dem Wasser, den glitschig-weißen Bauch eines Zierkarpfens. Er ist tot und treibt mit leichten Wind ganz langsam über die Wasseroberfläche. Es ist nicht das erste Mal, dass ich einen toten Fisch sehe: Im vorletzten Winter sind mir alle erfroren und ich musste im Frühling neue kaufen. Aber diesmal ist es anders. Der nackte Fischbauch gleicht einem Zeichen. Ich sehe auf, hinter dem Teich liegt ein Rosenbeet. An den Stöcken sehe ich hier und da vertrocknete Blüten, braun und runzelig, andere Blüten zeigen erst Anzeichen des Verfalls, aber bald werden auch sie trocken und tot sein. Der Wind rauscht in den Blätter und die Bienen summen, aber der Fisch und die Blüten sind tot und bald kommt der Herbst und das große Sterben.
Damals habe ich zum ersten Mal richtig an den Tod gedacht und mir ist klar geworden, dass ich sterben werde. Natürlich wusste ich das auch vorher schon, aber wirklich begriffen habe ich es erst da. Vorher schien der Tod weit weg zu sein, fast wie ich es den Kindern gesagt hatte – ich war zu jung zum Sterben. Und so habe ich dem Tod nur Verachtung entgegen gebracht. Ich wusste, ich werde irgendwann sterben, aber ich hatte die Vorstellung durch Verachtung stünde ich irgendwie darüber.“
„Die Verachtung des Sisyphos für sein Schicksal, erhebt ihn über dieses“, sagte Ka und nickte. „Camus spricht davon.“
„Ja. Aber damals am Teich habe ich meine Verachtung verloren und da war nur noch Angst.“
„Und Sie möchten, dass ich ihnen helfe, dass ich ihnen die Antwort gebe, auf die Frage, die sie seitdem beschäftigt, die Frage nach dem Tod?“
„Ja.“
„Nun, ich kann ihnen nicht helfen.“
Vor dem Fenster verschwamm die Welt im Regen; Blumen und Bäume im Garten wirkten wie tot – bloße Statisten in der Leere des Nachmittags. Die Dinge hatten ihren Sinn verloren.
„Rauchen sie?“, fragte Ka.
Thomas schüttelte den Kopf.
„Aber es stört sie nicht, wenn ich rauche?“
„Nein, nein.“
Ka öffnete eine Schublade, nahm daraus Feuerzeug und Zigarette. Bläulich flackerte die Flamme. Mit einem Seufzer blies Ka den Rauch zur Decke und summte eine leise Melodie. Er wirkte völlig entspannt, als wäre er allein und reihe zum bloßen Zeitvertreib Töne aneinander.
Thomas dagegen sah zum Bild an der Wand, vor dem der Rauch in Arabesken aufwärts stieg und sich auflöste wie Nebel im Sonnenschein, und glaubte, der Narr lache über ihn und könne sich nicht halten angesichts der Sterblichkeit der Menschen – ein Spötter wider die Lebenden, denn sie müssen sterben.
„Nun, ich kann Ihnen natürlich sagen, was ich denke“, unterbrach Ka sein Summen. „Aber was Ihre Wahrheit ist, müssen Sie selbst finden.“
„Erzählen Sie. Bitte.“
„Wir sterben, weil wir nicht für die Unendlichkeit geschaffen sind. Aus unserer Sterblichkeit ziehen wir unsere Kraft, sie ist unser Antrieb, auch wenn in der westlichen Welt der Hedonismus im Vormarsch ist. Vor allem aber könnten wir ein unendliches Leben nicht ertragen, denn hier geht es nicht um ein paar Jahrhunderte, die mit Sinn gefüllt werden müssen, hier geht es um Million, Milliarden von Jahren, um die Ewigkeit. Es wäre die vollkommene Langeweile, die schrecklichste aller Strafen. Alles würde erstarren, es gäbe kein Leben mehr und doch könnte niemand sterben. Wir wären lebende Tote, ausgedörrt, vertrocknet, und auf ewig verdammt.
Freilich bieten die Philosophen noch andere Erklärungen für den Tod. ‚Als Zweck unseres Daseins ist in der Tat nichts anderes anzugeben als die Erkenntnis, dass wir besser nicht wären.‘ So spricht Schopenhauer. Oder, noch ein Beispiel: ‚Wenn man demgemäß den Menschen ansieht als ein Wesen, dessen Daseyn eine Strafe und Buße ist; - so erblickt man ihn in einem schon richtigeren Lichte.‘ Er vertritt also, vom Buddhismus beeinflusst, die These, dass das Leben nichts als Schmerz, Langeweile und Leiden sei und die Erbsünde des Menschen bestehe in seiner bloßen Existenz und wird erst mit dem Tod getilgt. Er gehört damit zu den Wenigen, die sich trauen das Lebensprimat anzugreifen, das unsere Gesellschaft beherrscht, die den Tod nicht als Spielverderber, sondern als langersehnten Ausgang sehen aus einem Jahrmarkt des Leidens und der Qual, wo die Clowns Peitschen statt Luftballons haben und die Spiegelkabinette Folterkammern sind. Selbstmörder würden dem wohl zustimmen.
Aber letztlich bleibt auch hier Fakt, dass wir über den Tod nichts objektives Wissen können. Selbst wenn das Warum bekannt wäre, bliebe noch das Wie oder das Was: Wie ist der Tod? Was kommt danach? Nein, wissen kann man hier nichts, nur glauben. Wer an ein Weiterleben nach dem Tod glaubt, der hat keine Angst mehr vor ihm. Allerdings muss sein Glauben stark genug sein. So ist es wohl bei den Selbstmordattentätern. Sie springen aus dem irdischen Leid direkt ins Paradies. Kein Wunder, dass sie zu sterben bereit sind.
Ähnliches findet sich bei den Wikingern: Wer auf dem Schlachtfeld fällt, den bringen die Walküren nach Walhalla, wo Odin sie empfängt und ihnen ein ewiges Dasein in Suff und Kampf gewährt. Deshalb galt es im Kampf zu sterben und nicht im Bett daheim an Pest, Ruhr oder Typhus. Nun hat das Verhältnis mit dem Tod bei ihnen noch einen weiteren sehr interessanten Aspekt. Denn der Wunsch im Kampf zu sterben, kommt dem nach einem sinnvollen Tod gleich. Man wollte für die Ehre sterben oder im Versuch sein Ziel zu erreichen, sei es Gold oder die Freiheit oder sonst noch was. Daraus nährt sich aller Heldenglaube und aller Tod fürs Ideal. Man möchte dem Tod seine Sinnlosigkeit nehmen und gleichzeitig noch eine weitere Angst des Menschen bannen.
Denn neben den Schrecken des Unbekannten, das der Tod für uns ist, fürchtet der Mensch auch das Vergessen werden – der Tod raubt ihm somit auch den letzten Rest Bedeutung. Und so strebt der Mensch danach sich ein Denkmal zu setzten. Er lässt sich etwa Pyramiden bauen, erobert sich ein Reich, stirbt den Märtyrertod oder schreibt Bücher – alles der gleiche Wunsch nach indirekter Unsterblichkeit.
Kennen Sie zufällig die Offenbarung des Johannes?“
„Ich habe davon gehört.“
„‚Und als es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme der vierten Gestalt sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein fahles Pferd. Und der darauf saß, dessen Name war: der Tod, und die Hölle folgte ihm nach.‘ Es ist der Untergang der Welt, die Apokalypse. Freilich mit Auferstehung am Ende und dem ewigen Reich Gottes. Aber lässt man das beiseite, so findet man auch hier den Wunsch nach Bedeutung – was könnte bedeutender sein als das Ende der Welt? – und noch einen weiteren: den, dass niemand einen überlebe. Meines Erachtens beneidet jeder Sterbende diejenigen, die weiter leben dürfen. Denn so wird sein Schicksal ein individuelles – er allein muss gehen, während die anderen bleiben. Stirbt nun aber die Welt mit ihm, so geht er mit allen von der Bühne und niemand bleibt zurück, die Party ist vorbei.“
Er schwieg und dünner Rauch stieg von der Zigarette auf, deren Rest im Aschenbecher glomm. Beim Sprechen hatte Kas Gesicht den Ausdruck von Schärfe verloren, war weicher geworden, fast, als habe er Mitleid.
„Vielleicht möchten Sie auch wissen, was der Tod für mich ist?“, fuhr Ka fort. „Ich sehe ihn als unabänderlich, als Fakt: aber nicht als Fluchtweg, noch als drohendes Höllentor meines Lebens, sondern einfach als Ausgang. Ich habe keine Vorstellung vom Tod, ich weiß nicht, wie er sein wird. Aber ich fürchte mich auch nicht vor ihm. Ich sehe ihm gelassen entgegen. Dabei weiß ich nicht weshalb. Denn ich habe keinen Glauben mehr; ich habe ihn in den Jahren verloren und geblieben ist nur diese Gelassenheit. Ich erwarte nichts mehr vom Leben und ich habe keine Angst vor meinem Ende. Aber ich kann Ihnen nicht helfen. Das können nur Sie selbst.“
Still war es und der Geruch von Zigarettenrauch mischte sich mit dem der Bücher, und während Ka sich erhob und aus dem Zimmer ging – kein Pfarrer und auch kein Psychologe mehr – sah Thomas auf die Jesus Figur, auf das ausgezerrte Gesicht des Gekreuzigten, und glaubte die Hitze zu spüren und den Staub von damals.
Flammend stand die Sonne über den Hügeln, dem Ascheland, den vereinzelten Olivenbäumen und Akazien und, kaum noch sichtbar in der Helligkeit, über den Häusern der Stadt. Schweiß brannte ihm in den Augen. Unten im Staub saßen die Soldaten und warfen Würfel über seine Kleider. Ihre Stimmen klangen unwirklich. Weiter weg standen Frauen, eingehüllt in graues Tuch. Und da war die eine Frage, die Frage, die alles bestimmte und die als einzige noch wichtig war, die Frage, die auf dem Gesicht des Jungen gestanden hatte, als er zu seinem Lehrer ging, die Frage aller Sterbenden, die Frage nach dem Warum.
Eli, Eli, lama asabtani. – Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?