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Copywrite Fingerübungen

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30.06.2004
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Fingerübungen

„Pass auf, Sarassi!!“ Tjar stieß das Fenster auf, streckte seine Hand aus und pfiff leicht zwischen den Zähnen. Draußen in der Pappel steckte ein müdes rotes Eichhörnchen seinen Kopf zwischen den Zweigen hervor, keckerte, lugte nach rechts und links und sprang dann schließlich mit einem gewaltigen Satz durchs Fenster herein. Mit zwei geschmeidigen Sätzen turnte es an Tjars Beinen empor und ließ sich zutraulich auf seiner Hand nieder.
Sarassi riss die Augen auf. „Wie habt Ihr das gemacht, Meister?“
„Gedankenkontrolle. Bei kleinen Tieren ist sie noch einfach. Du musst ein Netz aus deiner Kraft weben, und es dann über den Kopf deines Opfers werfen. So lange du die Zugfäden fest in den Händen behältst, wird das Wesen tun, was du von ihm verlangst.“ Tjar ließ das Eichhörnchen seinen Arm entlang tanzen, Männchen machen und einen Purzelbaum schlagen. Schließlich hielt er inne und reichte Sarassi das Tier herüber. Zutraulich sprang es auf ihre Schulter und begann, an ihrem Ohrläppchen zu knabbern.
Tjar lächelte. Mit einigen knappen Schritten durchmaß er den Raum bis zur Zimmertür. Dort hielt er nochmals inne, und wandte sich um. „Ich möchte, dass du bis morgen Abend die Gedankenkontrolle übst. Es ist eine der wichtigsten Künste unserer Zunft. Wenn ich zurück komme, werde ich dich prüfen, und dann entscheiden, ob du bereit für die nächste Lektion bist.“
Die Tür schloss sich hinter ihm. Sarassi hörte, wie der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde. Sie war alleine.

* * *

„Schülerin im zweiten Jahr“, murmelte sie vor sich hin, während das Eichhörnchen auf den Boden sprang, sich irritiert umsah und dann in Richtung Fensteröffnung huschte. Tjars Bann war von ihm abgefallen. Rasch sprang Sarassi hinzu und schlug das Fenster zu. Sie brauchte das Vieh noch zum Üben.
Wütend starrte sie die geschlossene Tür an. Sie hasste es, stets in irgendwelchen dreckigen Räumen eingeschlossen zu werden, um die Kunst der Magie zu üben. Aber Türen öffnen lernte man nun einmal erst im letzten Lehrjahr. So lange musste sie sich wohl oder übel mit den merkwürdigen Lehrmethoden ihres Meisters Tjar abfinden.
Missmutig stütze sie die Ellenbogen aufs Fensterbrett und starrte in die Nacht hinaus. Ab und zu rauschte unten träge ein Auto vorbei, ansonsten lag die Stadt still vor ihr. Wie sollte sie denn da jemanden finden, dessen Gedanken sie beeinflussen konnte? Es bei den Autofahrern zu versuchen, kam ihr doch etwas gefährlich vor.
Ein paar Häuser weiter schwamm die blaue Leuchtreklame einer Tankstelle in der Dunkelheit. Im fahlen Licht konnte Sarassi zwei menschliche Gestalten entdecken, die durch die Nacht auf das Gebäude zu schwankten. Besoffene Irre, sie verzog den Mund. Sie konnte solche Typen nicht ausstehen. Grölten immer rum, kotzten einem auf die neuen Schuhe, wenn man neben ihnen in der U-Bahn saß, und grabschten einen an, wenn man den Fehler machte, sich zu beschweren.
Eine Idee breitete sich in ihrem Kopf aus. Denen werde ich's zeigen. Grinsend sah sie zu, wie die beiden in der Tankstelle verschwanden.

* * *

Als die beiden Gestalten wieder auf die Straße wankten, warf Sarassi das magische Netz aus, das sie inzwischen gewoben hatte. Einen Moment lang sah sie es in der Dunkelheit funkeln, bevor es sich um den Kopf des größeren schloss. Er schüttelte sich kurz und sah sich verwirrt um, ansonsten zeigte er keine Reaktion. Zufrieden zupfte Sarassi an den Fäden. Er soll tanzen.
Nichts geschah. Der Besoffene glotzte immer noch leicht irritiert und dümmlich in die Gegend, während sein Kumpel ihm lautstark irgendwas erzählte. Sarassi presste die Lippen aufeinander und zerrte heftiger an dem Netz. Für eine Sekunde schien es zu funktionieren, doch dann nahm der Kerl einen Schluck aus seiner Bierflasche, und die magischen Fäden entglitten Sarassis Fingern wie mit Schmierseife bestrichen. Das Netz funkelte noch einmal und löste sich dann auf. Verdammt! Das war bestimmt der Alkohol. Schließlich war der Geist von dem Kerl schon umnebelt, viel mehr konnte Sarassi da auch nicht mehr anrichten.
Die beiden Typen gingen unbeeindruckt weiter. Vor dem Haus gegenüber hielten sie schließlich inne. Sie waren immer noch in ihr Gespräch vertieft. Na gut, wenn nicht direkt, dann eben anders. Denen werde ich schon irgendwas auf den Hals hetzen können. Die haben sich bestimmt gegen mich verschworen, Blödmänner. Mal sehen ...
Geschickt wob sie die Fäden zu dem Muster des Lauschens, und ließ sie zu den Betrunkenen herübersegeln. Es musste doch herauszufinden sein, womit sie die Beiden ärgern konnte.

* * *

„Is schon gut, dasses die Tanke gibt, ne?“
„Wenn ... wenn Frankie nich so wenig Bier gekauft hätt, dann ...“
„Is ja egal, Mann. War super, aber nu muss ich nach Haus. Hab mein Auto da drüben in der Tiefgarage. Wünsch dir viel Glück für morgen, Job und so.“ Der Kleinere zog einen Autoschlüssel aus der Tasche und fuchtelte damit in der Luft herum. Entgegen seiner Aussage, dass sich das Auto in der Garage befand, setzte bei einem silbernen Opel ein paar Meter weiter vorne der Blinker ein. Doch die Männer schienen das gar nicht zu bemerken. Munter redeten sie weiter.
„Hey Helge, du kannst doch gar nicht mehr fahren, hast viel zu viel gesoffen.“
„Prost!“
„Prost!“
Der Größere nahm noch einen Schluck aus der Bierflasche, kramte in seinen Jackentaschen nach dem Schlüssel und fand nach mehreren vergeblichen Versuchen sogar das Schlüsselloch. Kurz darauf ging im dritten Stockwerk das Licht an. Der Kleinere wankte unterdessen dem Tiefgaragenschild an der Straßenecke zu. Ein klappriger grüner Fiat bog gerade im Schneckentempo in die Einfahrt ein.
Sarassi grinste. Ihre Gelegenheit war gekommen. Sie warf ihr geistiges Netz nach dem Fahrer des Fiats aus. Du wirst deinen Schlüssel im Auto lassen, mein Freund. Einige verschwommene Eindrücke aus dem Kopf des Fahrers fluteten durch das magische Netz und fraßen sich in Sarassis Kopf, als wären es ihre eigenen Erinnerungen. Ein armer kleiner Angestellter, der jetzt erst nach Hause kommt. Mitleid erfüllte sie. Er sollte ein besseres Leben haben. Das hat er doch nicht verdient. Das kann ich doch ändern, wenn ich grade dabei bin. Sie zupfte weiter an den Fangstricken des Gedankennetzes. Vorstellungen von Größe und Vorbestimmung sickerten durch die magischen Verbindungen in den Kopf des Autofahrers. Ich kann nicht viel tun, aber hiermit wirst du dich besser fühlen, mein Freund.
Der kleinere Betrunkene verschwand in der Tiefgarage, als der Fiatfahrer gerade nach draußen trat. Als hätten die Betonmauern seine Gedanken zuvor verwässert, bekam Sarassi auf einmal ein viel klareres Bild. Von wegen kleiner Angestellter. Der Typ arbeitete in einer Apotheke und verkaufte unter der Hand Medikamente an Abhängige. Davon finanzierte er sich nicht nur sein schickes Apartment in der Stadtmitte, sondern auch einen zweiten Wagen, eine zweite Frau und eine Yacht.
Ärgerlich verzog Sarassi den Mund. Na wenigstens sein Auto ist er jetzt los, dachte sie, und sandte ein Manipulationsmuster aus, dass die Fernsteuerung des kleinen Betrunkenen mit dem Auto des Apothekers verband.
Danach wirkte sie noch eine rasche Kontrolle auf den Besitzer der Tankstelle, bevor sie sich zum Schlafen auf einer alten Matratze zusammenrollte. Die beiden Typen werden sich noch wundern, wenn sie morgen früh wach werden.
Unten hastete der Tankwart auf die Straße und errichtete ein riesiges „Zu Verkaufen“-Schild neben der Einfahrt zu den Tanksäulen.

* * *

Sarassi erwachte davon, dass das Eichhörnchen über ihr Gesicht lief. Erschrocken fuhr sie hoch und fegte das Vieh mit einem Arm beiseite. Schrill fiepend floh das Tierchen in eine Ecke des Raumes, wo es sitzenblieb und sie vorwurfsvoll anstarrte.
Gähnend stolperte sie auf die Füße und wankte zum Fenster. Vor der Tankstelle hatte sich eine größere Menschenmenge versammelt und starrte das neue Schild an. Unter ihnen befanden sich auch der kleine Betrunkene vom vorigen Abend und der Apotheker. Der Kleine steckte noch in einem ziemlich geschmacklosen grünrotgestreiften Schlafanzug. Der Apotheker starrte ihn eine Zeit lang perplex an, doch als der Kleine sich schließlich auf den Weg zu der Wohnung seines Kumpels machte, wandte sich der Mann schließlich dem nächst stehenden Passanten zu, und begann, auf ihn einzureden.
Immer noch gähnend wob Sarassi wieder ein Lauschnetz. Sie wollte doch zu gerne wissen, welche Auswirkungen ihre Manipulation von gestern auf den Apotheker gehabt hatte. Gerade noch rechtzeitig bekam sie die letzte Gesprächsfetzen mit.
„ ... bist du?“
„Der Irdische, hast du mich nicht verstanden?“
„Ah. Und was ist ein Irdischer?“
„Sterblicher, wage nicht, mich zu beleidigen, der Irdische natürlich.“
Sarassi musste grinsen. Der Gesprächspartner des Apothekers kicherte nervös und sah sich um. Offensichtlich suchte er den Irrenwagen, dem der Irdische entsprungen war.
Sarassi schob das Fenster einen Spalt auf und sog die kühle Morgenluft ein. Das Eichhörnchen sprang munter keckernd aufs Fensterbrett und versuchte, sich nach draußen zu drängen.
„Nicht so hastig, mein Freund!“ Rasch wob Sarassi ein neues Gedankennetz. Wie von selbst legte es sich um den kleinen Kopf des Eichhörnchens. Es wurde sofort ruhig, blieb still sitzen und sah sie erwartungsvoll an. „So, mein Junge, und nun springst du rüber und weckst unseren Freund von gestern!“, flüsterte Sarassi dem Tierchen zu. Eine kleine Fingerübung, nur, um zu sehen, ob ich es noch kann. Gerade wollte sie das Eichhörnchen in die Freiheit entlassen, als sie mit dem Fuß gegen irgendwas stieß. Etwas golden Funkelndes rollte über den schmutzigen Zimmerboden und blieb in einer Ecke liegen. „Warte noch einen Moment!“
Sie huschte durch den Raum und hob das schimmernde Ding auf. Es war ein alter Christbaumschmuck, eine golden lackierte Walnuss. Sarassi wog das kleine Ding in der Hand und kniff die Augen halb zu. Das half ihr immer beim Nachdenken. Wirre Gedankenstränge flochten sich in in ihrem Kopf zu einem Masterplan zusammen, der ein Eichhörnchen, die beiden Betrunkenen, den Apotheker und noch ein paar andere Leute umfasste. Für einige Augenblicke hatte sie ein schlechtes Gewissen, griff sie doch massiv in das Leben dieser Leute ein. Doch andererseits ... gäbe es eine bessere Übung, als Massenkontrolle? Tjar würde stolz auf sie sein.
Sie ging zurück zum Fenster und reichte dem Eichhörnchen die Walnuss. Vorsichtig ergriff das Tierchen sie mit seinen Vorderzähnen. „So, Kleiner, das steckst du dem Typen in die Tasche, sobald er aus dem Haus geht, ja?“ Das Eichhörnchen versuchte zu keckern, doch sein Maul stand zu weit auf. Statt dessen sprang es geschmeidig vom Fensterbrett in die Pappel hinüber. Sarassi sah ihm noch einen Moment lang nach, bevor sie sich wieder der Straße zuwandte.
Um den Apotheker hatte sich inzwischen ein kleines Grüppchen Leute geschart, die ihn mit einer Mischung aus Unverstand, Zweifel und Faszination betrachteten. Der Tankwart eilte unterdessen nach draußen und holte das „Zu Verkaufen“ - Schild wieder ins Haus. Sarassi rieb sich die Hände, atmete tief durch, und begann zu weben. Größer und größer wurde das magische Netz zwischen ihren Fingern, immer heller strahlte es in dem Dämmerlicht des schmuddeligen Zimmers. Endlich war es groß genug, die kleine Gruppe unten auf der Straße vollständig zu umschließen. Mit einer lässigen Handbewegung warf Sarassi es aus, als wollte sie Fische fangen.
Gedanken und Gefühle von vielleicht dreißig Männern stürmten gleichzeitig auf sie ein und ließen sie zurück taumeln. Fast hätte sie die Fäden des Netzes verloren, doch sie krampfte die Finger zusammen und hielt eisern fest. Langsam aber stetig zog sie eine Mauer um ihren Geist, sperrte einen nach dem anderen aus, bis schließlich wieder Ruhe herrschte. Daraufhin begann sie mit der Manipulation. Ihr folgt dem Irdischen, denn er wird es sein, der über die Welt herrscht. Sie hielt kurz inne, um nachzudenken, während die Leute unten mit glasigen Blicken den Apotheker anstarrten. Ihr folgt ihm nun schon mehrere Monate. Ihr seid die Eingeweihten, die neben dem Irdischen herrschen werden. Und gleich werdet ihr euch zur großen Zeremonie im Wald versammeln. Euer Erkennungszeichen soll ...
Ein paar Häuser weiter taumelten die beiden Betrunkenen vom vorigen Abend aus dem Haus des Großen. Beide im Schlafanzug. Der Größere trug dazu einen Morgenmantel. Sarassis Grinsen wurde noch breiter, als sie das sah. Ihr Plan bekam eine neue Facette. Rasch begann sie wieder, zu übermitteln. Euer Erkennungszeichen ist der Schlafanzug. Ihr werdet euch in Pyjama und Morgenmantel einfinden. Damit entließ sie die Gruppe aus ihrem Netz. Einige schüttelten verwundert den Kopf, hasteten aber gleich darauf davon. Wahrscheinlich nach Hause, ihre Schlafanzüge holen. Nur den Apotheker behielt Sarassi noch für einen Moment in ihren Fingern. Du wirst denjenigen zum Herrscher machen, der eine goldene Nuss in der Tasche seines ... Morgenmantel hat.
Der Apotheker nickte, wie in Trance, lächelte blödsinnig und wankte dann auch davon.
Der Große und der Kleine blieben ratlos vor der Tankstelle stehen. Ein neuerschaffener Anhänger des Irdischen stolperte im Morgenmantel auf sie zu und sprach sie an.
Lächelnd schloss Sarassi das Fenster und überließ die Dinge ihrem Lauf.

* * *

Nachdem die beiden Besoffenen mit dem grünen Fiat verschwunden waren, war nicht mehr viel los. Aus Langeweile inszenierte Sarassi eine Eichhörnchenversammlung im Zimmer des Großen. Sie verfluchte sich dafür, dass sie das Treffen des Irdischen und seiner Anhänger nicht auf dem Gelände der Tankstelle angesetzt hatte, dann hätte sie sehen können, was aus ihnen wurde, wenn die Gedankenkontrolle abfiel. Aber nun war es wohl zu spät.

* * *

Als sie gerade ein Spinnenbalett aufführen ließ, klickte Tjars Schlüssel im Schloss. Rasch erhob sich Sarassi von ihrer Matratze und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Die Akrobatenpyramide aus Spinnen stürzte in sich zusammen, allerdings nicht so schnell, dass Tajr nicht noch einen Blick darauf hätte werfen können. Anerkennend nickte er Sarassi zu.
„Ich sehe, du hast gut geübt.“
Sarassi senkte den Blick. „Ja, Meister“
„Hast du vielleicht auch etwas mit der Versammlung im Wald zu tun? Irgendwas mit Nüssen und Schlafanzügen?“
Sarassi machte ein unschuldiges Gesicht, doch Tjar grinste. „Bravo, das ist ein Meisterwerk. Massenkontrolle, wirklich beeindruckend. Ich glaube, die Prüfung entfällt für heute. Ich werde Meister Gnoebel sagen, was du für eine ausgezeichnete Arbeit geleistet hast.“

 

Rasch sprang Sarassi hinzu und schlug das Fenster zu. Sie brauchte das Vieh noch zum Üben.
ach was; überflüssige Information -> weg damit
Wie sollte sie denn da jemanden finden, dessen Gedanken sie beeinflussen konnte?
:susp: hat sie nicht das Eichhörnchen?
Ich werde Meister Gnoebel sagen, was du für eine ausgezeichnete Arbeit geleistet hast."
:D

Hallo Felsenkatze,
tolle Copywrite-Geschichte.

Was mir gut gefallen hat, war das Verweben von Realität und FIktion, aber das gefällt mir ja immer gut. :)

Die Tankstellenszene habe ich nicht verstanden, wieso stellt er es auf und am nächsten Morgen nimmt ers wieder weg (also, klar, sie hat ihn dazu gebracht, es aufzustellen, aber warum sind diese Szenen in der Geschichte?)? Vllt habe ich auch nur die Originalgeschichte nicht mehr richtig in Erinnerung.

Was mir etwas unrealistisch (selbst im Rahmen) vorkam, war, dass Sarassi innerhalb weniger Stunden sozusagen von Null auf Hundert gelangt, also, erst hat sie Probleme mit dem Eichhörnchen, aber kurz darauf legt sie eine perfekte Massenkontrolle hin ... na ja. :)

Hat gefallen.

Bruder Tserk

P.S: Fehlerliste kommt per PN.

 

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