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Kaffeekranz

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06.06.2005
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Kaffeekranz

Meine ganze Wohnung duftet nach Kuchen und frisch aufgebrühtem Kaffee. Gleich müssten sie alle kommen, zumindest habe ich sie eingeladen.
Ich habe einen Marmorkuchen und zwei Fruchtböden gemacht, hoffentlich nicht zuviel. Oder soll ich noch ein paar Plätzchen dazu tun?
Für den Abend habe ich eine Quiche mit Lachs und Spinat, eine mit Lauch und durchwachsenem Speck und ein paar Häppchen mit Essiggemüse vorbereitet, es soll ja keiner hungern, wenn es etwas länger geht. Für Getränke habe ich auch gesorgt.
Den Tisch habe ich schon am letzten Abend dekoriert, dafür musste eines meiner Bücher herhalten. Ganz dem Thema entsprechend habe ich die Seiten aus dem Schmöker entfernt und schön gefaltet auf der Tafel drapiert, dann verteilte ich Muscheln, die ich in meinem letzten Urlaub auf Amrum sammelte, um die Origamis und deckte fein ein.
„Bringt gute Laune mit!“, habe ich auf die Einladungen geschrieben, denn gute Laune ist wichtig bei einem Kaffeekranz.
Die letzten beiden Nächte habe ich damit zugebracht die drei Bücher, die heute besprochen werden, erneut zu lesen und die Themen auszuarbeiten, nach denen wir sie heute in gemütlicher Runde analysieren werden.
Jetzt haben wir es halb vier, ich habe also noch eine halbe Stunde Zeit um letzte Vorbereitungen zu treffen und mal eben näher auf die drei Bücher einzugehen.
Das erste wird Edgar Leopolds „Affenhaus-Geschichten“ sein, das Portrait eines Tierpflegers im Münsteraner Zoo. Das zweite Susan Kanters Erotikroman „Flöte der Leidenschaft“, ein unglaublich wortgewaltiges Buch aus der Denise Reihe. Zu guter letzt „Bus“ von Antjelisl Blum, die Geschichte einer jungen Bäuerin, die zum Einkaufen in die Stadt fährt.
Auch für die passende musikalische Untermalung habe ich gesorgt und die Tonträger in der zu spielenden Reihenfolge neben dem Player platziert. Den Anfang wird Obsons Oboen Somfinate machen, danach folgen "Best of Musicals and Movies" mit Interpreten wie Elton John, Sting und Whitney Houston.

So, jetzt ist es halb fünf, jetzt müssten ja eigentlich die Ersten so langsam kommen. Am musikalischen Programm habe ich noch leichte Veränderungen vorgenommen, die gefalteten Buchseiten noch etwas verschoben und immer mal wieder aus dem Fenster hinaus auf die Straße geschaut. Die Sahne hat schon etwas an Stand verloren, ich denke, ich werde noch etwas Sahnesteif unterrühren müssen. Wo hab ich das nur?

Endlich geht die Klingel.
„Ich komme!“, singe ich lauthals und renne auf meinen Schlappen zur Tür.
„Ja, wer ist da?“, doch ich hatte schon den Türöffner betätigt und so wird meine Frage durch das laute Summen unterbrochen. Ich gehe raus auf den Flur und schaue zwischen den Treppen hindurch wer es sein könnte.
Wenn die Leute mich hier sehen, denken sie bestimmt, ich hätte die ganze Zeit gewartet, also schnell zurück in die Wohnung.
Obwohl, das ist unhöflich. Ich renne zurück in das Treppenhaus und lehne mich auf das Geländer.
Lautes Lachen erklingt. Meine Hände sind schwitzig, schaffe ich das noch? Nein, ich wische sie mir an der Hose ab.

Das junge Pärchen und ich betreten gemeinsam die Wohnung. Wir kennen uns ja bisher nur aus dem Forum.
„Habt ihr es gut gefunden? War meine Wegbeschreibung okay?“
„Ja, wir sind ja hier. Oh, Kuchen!“
„Supi!“
Die Klingel geht erneut.
„Entschuldigt mich, nehmt doch schon Platz, ich habe Platzkarten gemacht.“
Ich betätige den Öffner wieder zu früh. Diesmal sind es drei Männer und zwei Frauen, die Fahrgemeinschaft aus dem Ruhrgebiet.
Als wir das Wohnzimmer betreten sitzt das Pärchen bereits am Tisch.
„Spitze, dein Kuchen!“
„Hast du eigentlich auch Milchschaum für den Kaffee?“
„Wollen wir nicht noch ...?“
„Wo können wir unsere Jacken hinhängen?“, fragt einer der Männer aus dem Ruhrgebiet.
„Die Klingel!“
„Ja hier ist die Garderobe, ich mache gerade auf!“
„Denkst du an den Milchschaum?“

„Ja, wer ist da?“ Diesmal habe ich es geschafft.
„Ja, Bolderson hier!“
Ich betätige den Türöffner, warte diesmal aber nicht.
Bei meiner Rückkehr in die Stube merke ich gleich, dass die Sitzordnung nicht eingehalten wurde, die Ruhrgebietfraktion sitzt am anderen Ende des Tisches. Einer von ihnen spielt mit einem Origami.
„Äh, ich dachte, dass wenn wir uns alle so setzen...“
„Hast Du den Milchschaum dabei?“
Aus dem Treppenhaus ertönt Geschrei.
„Moment bitte!“, sage ich und eile hinaus in den Flur. Der Lärm kommt von einer Etage weiter unten.
„Sie tragen den ganzen Schmutz hier rein!“, meine Nachbarin.
„Was kann ich denn dafür, dass ich in Scheiße getreten bin?“
Ich atme tief ein.
„Frau Messeling ist schon okay ich beseitige das nachher!“
„Ahh, Sie! Das war ja klar!“ Aus irgendeinem Grund hat Frau Messling etwas gegen mich.
Bolderson kommt die Treppe hinaufgestiefelt.
„Sorry, Alter!“
„Schon gut, macht nichts“
„Die Leute aus Köln sind auch gerade angekommen“, sagt der Bolderson, schiebt mich zur Seite und geht an mir vorbei in die Wohnung.
„Kannst Du die Schuhe bitte...!“

Mit den sieben Kölnern sind wir nun komplett. Ich wische noch mal schnell durch die Diele und versprühe Raumspray, um den Geruch etwas zu übertünchen.
Nun kann ich mich endlich dem eigentlichen Grund unseres Treffens widmen.
Ich nehme die Bücher und mache mich auf den Weg zur Kaffeetafel, die mittlererweile unter einer Wolke aus blauem Dunst zu verschwinden scheint.
Kein Platz mehr frei, die Kölner wollten eigentlich nur zu fünft kommen.
„Hast du einen Korkenzieher?“ Wo haben die den Wein gefunden?
„Der ist eigentlich für heute Abend!“
„Ach nee, warte, ich drücke den Korken einfach rein!“
Der Bolderson kommt aus dem Badezimmer.
„So, die sind wieder sauber! Du müsstest mal dein Toilettenpapier auffüllen, da ist nichts mehr!“
„Ja, mach ich gleich, jetzt will ich erst mal...“, ich hebe die Bücher über den Kopf, um meine Gäste an unser Vorhaben zu erinnern.
Einer der Kölner wirft eine meiner mühsam gefalteten Buchseiten quer über die Tafel.
„Die habe ich extra...!“ Meine Arme sinken samt Büchern nach unten.
„So, wir müssen wieder los! Ich muss früh raus morgen“ Das Pärchen verabschiedet sich.
Der Bolderson kniet vor der Anlage und kramt in seinen Taschen.
„Bring da bitte nichts durcheinander!“
„Nee, nee!“
„Wollen wir vielleicht jetzt mal...!“
Ein ohrenbetäubendes Kreischen dringt durch die Boxen meiner Anlage.
„Hier, ich habe eine Sammlung von Rückkopplungen dabei und ihr müsst raten von welchem Song, welchem Album und welchem Interpreten die stammt!“, Bolderson steht an der Anlage und schaut erwartungsvoll in die Runde.
„Da sind wir dabei!“ Er betätigt den Pausenknopf, und erneut ertönt das Kreischen.
Von unten erklingt ein wütendes Klopfen. Frau Messeling und ihr Besenstiel.
„Oh ha! Was hast du denn hier für verkrampfte Nachbarn, Alter!“
„Dann lass uns Prominentenraten spielen!“
„Wir könnten auch...!“
Einer der Kölner kommt aus der Küche, den Mund voll mit Quiche.
„Warm würde die aber besser schmecken“, sagt er.
„Und bevor ich es vergesse, irgendwie scheint da ein Topf zu verbrennen.“
„Was?“, ich sprinte in die Küche und stoße dabei mit der Hüfte gegen die Tischkante.
„Scheiße!“, Kaffee ergießt sich über die Tafel und überschwemmt die Papierkraniche, die ich so mühsam nach der Vorlage aus "Origami für Falter", gebastelt hatte.

In der Küche bietet sich mir ein Bild des Grauens. Zerfledderte Quiches, leere Weingläser mit ertränkten Zigarettenkippen und ein qualmender Topf auf einem völlig verdreckten Herd.
Mein Blick verschwimmt in nahenden Tränen.
Was haben die hier gemacht?
Ich schalte den Herd aus und stehe fassungslos vor dem verbrannten Inhalt des Topfes.
Von draußen höre ich Geschrei.
„Heavy Metal ist doch Scheiße, Mann! Drum and Bass musst du hören!“
„Die Mucke kannst Du doch nur ertragen, wenn Du von den Kräutern naschst!“
Die Tür geht auf.
„Jaja, leck mich am Arsch, du Affe! Oh Mann, was ist denn hier los?“
Der Bolderson steht neben mir und betrachtet den Topf. Nach einer Weile des Schweigens sagt er.
„Sieht aus, als hätte hier jemand versucht, Milchschaum zu machen.“
„Raus!“, das Blut puckert in meiner Stirn.
„Ich möchte, dass ihr auf der Stelle verschwindet! Der Kaffeekranz ist geschlossen! Haut ab!“
Ich schiebe den Bolderson aus der Küche. Aus dem Wohnzimmer starren mich verdutzte Gesichter mit beschriebenen Klebebändern auf der Stirn an.
„Wir spielen Prominentenraten, willst Du mitspielen?“, unterbricht ein Ruhrgebietler die Stille.
„Das sind doch meine Dekorkleber...! Verpisst euch, auf der Stelle!“
Ich wische mit meinem Arm den gesamten Tischinhalt auf den Boden.
„Haut endlich ab!“
„Ich denke, es ist besser wenn wir jetzt gehen“, sagt der Bolderson.
„Was ist denn mit dem los?“, fragt ein Kölner.

Es dauert eine Weile, bis die Leute ihre Jacken gefunden haben und sich auf den Weg in den Flur machen, um mich endlich in Ruhe zu lassen. Als Letztes geht der Bolderson. Ich will die Tür schließen, da drückt er sie von außen noch mal auf.
„Äh, eine Sache noch Alter. Wenn du die Küche schon schlimm fandest, dann geh besser nicht ins Bad.“

 
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ahhh ja die wars.

nehme ich dir absolut nicht krumm. ich weiß ehrlich gemeinte kritik eher zu schätzen, als dass ich beleidigt wäre.

danke nochmal

krilliam Bolderson

 

kB steht auf dem Klingelschild, ein Zettel hängt an der Tür:
C. Seltsem gab mir den Hinweis auf deine Kaffeerunde. Ich bin so schnell es ging losgefahren (kurz duschen und umziehen, den Hund in den Garten schicken, anderen Termin absagen, Navi einstellen, tanken, Öl und Luftdruck checken, Navi neu einstellen, nochmal nach Hause, die Terassentür schliessen, Herd war zum Glück aus, Navi neu einstellen [wieso kann sich das verdammte Ding die Einstellungen nicht merken!?], kurz vor Hannover fiel mir mein Hund ein, der gräbt jetzt wohl den Garten um) und steh nun hier in deinem Treppenhaus. Bin etwas verunsichert, ein Klingelschild mit "Messeling" finde ich nicht. Im Stock darüber (ist doch deine Wohnung oder?) öffnet niemand. Der Nachbar gegenüber knallt als Antwort auf meine Halbfrage "Wissen Sie, ob gegenüber ...?" kommentarlos die Wohnungstür zu.
Steh ich nun im falschen Treppenhaus oder liegt es an den zwei Jahren, die seither vergangen sind? Letzteres würde mich wundern, bei der super Stimmung, die du beschreibst. Oder hat etwa der Autor geflunkert und sich alles nur ausgedacht?
Dann allerdings sehr überzeugend!
Also, ich geh dann wieder ... (Eigentlich müsste ich dringend mal in dein Bad, ich bin unten vor der Haustür ...)

Ich versuch es dann später nochmal
Jürgen

 

Hallo Jürgen,

Hat der Seltsem dich also auf die Fährte gelockt.

War damals mein Beitrag zur Einmonatigen Sommerpause des Kaffekranzes, den du im Laufe deiner Recherchen für deine Story, bestimmt auch schon entdeckt hast ;)

Ich habe lange versucht, auf deine originelle Antwort etwas adäquates zu erwiedern, hat aber irgendwie nicht hingehauen. Tut mir jedenfalls leid, dass du vergeblich auf Einlass gewartet hast. Die Party war aber auch mies und meine Schuhe konnte ich auch wegschmeissen.

Danke fürs rauskramen (auch an dich, C. du Schlingel!)

Besten Gruß
kirlliam

 

Hehe, da war ich also noch der Humorchampion. ;) Lang ists her.

Cool aber, dass die Geschichte wieder ausgegraben wurde! Lohnt sich irgendwie mit jedem Mal lesen mehr. :)

 

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