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Manchmal

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06.09.2012
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Manchmal

Meine Schwester meint, sie könne meine Arbeit niemals tun. So umgeben vom Tod, wie sie immer sagt. Manchmal würde ich schon gerne weinen, antworte ich dann, aber das ist nicht sehr professionell. Denn man gilt schnell als Weichei. Wie Katharina.
Manchmal ist es auch schwer, das Nichtweinen. Wie bei dem alten Mann vor ein paar Jahren. Der hatte noch Familie in Spanien, die war schon auf dem Weg. Er hatte tagelang einen Puls von 40, später nur noch 20. Ich erinnere mich, wie wir alle auf den Monitor gestarrt haben und uns fragten, wie sein Herz das mitmache. Als seine Familie dann kam und seine Enkel das Zimmer betraten, da hörte sein Herz auf zu schlagen. Und wir saßen fassungslos vor diesem Monitor und trauten unseren Augen nicht.
Ja, solche Dinge halt. Und Katharina, sie ist immer sehr nahe am Wasser gebaut, die ging dann rein zur Familie. Und hat mit ihr geweint. Sie ist auch diejenige, die immer um eine schöne Atmosphäre bemüht ist.
Wenn jemand gestorben ist, dann schiebt sie das Bett ins leere Notfallzimmer und organisiert eine oder zwei Leuchten. Die sind mobil, die schiebt sie dann an eine Wand und hängt sie ab. Mit einem Laken. Das gibt dann so ein gedämpftes Licht. Manchmal zündet sie auch ein, zwei Kerzen an und holt noch ein paar Stühle, die sie ans Bett stellt. So kann die Familie in Ruhe Abschied nehmen, sagt sie, solange sie will. Aber das geht meist nur nachts, wenn es etwas ruhiger ist.
Ich habe Kollegen, die schütteln heimlich den Kopf über Katharina.

Ja, manchmal würde ich schon gerne weinen, aber das merke ich meist erst hinterher. Wie damals, als ich ganz frisch auf der Intensiv war. Irgendwie fehlte schon damals immer einer, es hätte schon damals immer einer mehr sein können.
An jenem Tag hatten wir zwei Reanimationen. Gleichzeitig. Ich habe über der alten Frau gehangen und gedrückt, während im Nebenzimmer das große Chaos um einen kleinen Jungen herum ausbrach. So was kündigt sich immer an. Kritischer Zustand, dann die Alarme, und dann brechen alle Dämme. Und noch so ein junges Kind, ja. Und ich hing eben über dieser Frau, ich weiß ihren Namen nicht mehr. Die war kurz vorher gebracht worden, der Notarzt war noch da. Die mussten schon im Rettungswagen beginnen zu drücken. Dabei hatte sie eine Patientenverfügung, sie hatte das gar nicht gewollt. Aber ich kann sie doch nicht einfach sterben lassen, hat der Notarzt gesagt. Und was machen Sie dann, wenn so jemand reingeschoben wird, die Sanis auf ihr drauf und so. Da diskutiert man nicht, da übernimmt man einfach. So ist das eben. Dann wird gedrückt, bis gar nichts mehr geht.
Ging's auch nicht, bei der Frau. Also bin ich eben runter von ihr und direkt rüber ins Nebenzimmer, zu dem Jungen, und hab‘ geholfen. Hab‘ die Eltern aus dem Zimmer gebracht und bin dann wieder rein. Hat lange gedauert, aber er hat's dann geschafft.
Als ich seine Eltern danach ins Zimmer holen wollte, kamen die Angehörigen der alten Frau den Gang runter. Also bin ich noch mal schnell rein in ihr Zimmer, wollte nachsehen, ob alles in Ordnung war soweit. Ich bin also rein und sah, dass alles noch so war, wie wir es verlassen hatten. Die Frau lag halb quer im Bett und wurde schon langsam steif. Ich hab' dann in letzter Sekunde alles gerade rücken und abdecken können, als auch schon die Tür aufging. Das war so eine Situation, da hätte ich am liebsten alles hingeschmissen.
Als ich dann abends Zuhause war, stand ich erst mal ewig in der Küche und hab' vor mich hin gestarrt. Das sind halt so Dinge. Eben noch stirbt ein Mensch unter dir weg, direkt danach schafft es ein Kind gerade so ... und am Ende muss man, ja, jemanden zurechtbiegen, in letzter Sekunde. Das war so viel, so schnell, da merkt man oft gar nicht, dass man das alles erst mal verarbeiten müsste. Und dann steht man Zuhause und kann nicht mehr aufhören.

Man ist schon sehr allein mit Allem. Und an manche Dinge gewöhnt man sich nie. Assistenzärzte, die sich vor Entscheidungen drücken. Oberärzte, die immer alles besser wissen, ohne auch nur ein Wort mit den Patienten gewechselt zu haben. Angehörige, die verloren auf dem Gang stehen und mich im Vorbeihetzen flüsternd fragen, wie das jetzt gehe mit der Pietät.

Ja, manchmal würde ich schon gerne weinen. Aber dafür habe ich einfach keine Zeit.

 

Hallo Rick,

ja, es stimmt, du kritisierst die Form nicht als Erster, aber das macht mir gar nix. :) Im Gegenteil, so muss ich mich immer wieder damit beschäftigen. Und außerdem gewinnt die Kritik an einzelnen Punkten an Dringlichkeit, je öfter sie geäußert wird, das kann nur gut sein.

Ich habe mich entschieden, den Text als kurzgeschichtoiden Monolog zu bezeichnen. Züge einer Geschichte sind schon vorhanden, aber ich hab halt am Ziel vorbei geschossen. Sozusagen.

Ursprünglich wollte ich eine Geschichte aus der Altenpflege schreiben, aber da habe ich mich dann nicht ran getraut, also wurde es die Intensivstation. Du bist schon der Zweite, neben Markus glaube ich, der annimmt, es wäre aus der Sicht eines Arztes geschrieben, dabei hatte ich beabsichtigt, die Sicht des Pflegepersonals zu beschreiben. Ich finde es nicht schlimm, dass ihr beiden einen Arzt als Erzähler annehmt. Anfangs war ich irritiert und wollte es umschreiben und klar machen - aber eigentlich finde ich das so sogar noch besser.

Ich werde ganz sicher über dieses Thema eine Geschichte schreiben, aber - wie gesagt - mir fehlt noch der Mut irgendwie. Ich habe einige Menschen um mich, die Altenpfleger sind, und da will ich mich sehr gut vorbereiten, bevor ich mich da ran setze. Dieser Text hier hat z.B. bei ihnen nicht funktioniert, weil er für Pflegende so alltäglich daherkommt (wie ich jetzt weiß); das beklemmende Gefühl, das ich beim Schreiben hatte, habe ich bei ihnen nicht auslösen können.
Es liegt also noch viel Arbeit vor mir! Juhu! :)

Insgesamt habe ich deinen Text gern gelesen, weil er engagiert und ehrlich rüberkommt. Deine Idee hat Flügel, nur hast du ihr nicht den Käfig geöffnet, um sie fliegen zu lassen.
So poetisch hat mir das hier noch keiner gesagt. Danke dir! :shy:

Lieben Gruß,
PSS

 

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