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Meine Augen sehen Perspektivfehler, aber mein Verstand ruft mich zur Vernunft

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18.08.2002
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Meine Augen sehen Perspektivfehler, aber mein Verstand ruft mich zur Vernunft

Hallo,

Ich lese in Geschichten oft Sachen wie "Meine Augen sehen diesunddas", "Meine Ohren hören Musik", "Ihre Hände berührten sein Glied", etc. pp.

Ich frage mich dann, ob das erzähltechnisch so korrekt ist. Können Organe Subjekte sein? Meines Erachtens sind es doch nur Mittel zur Wahrnehmung oder Handlung, sind also nicht selbstmotiviert, was Voraussetzung für echte Subjekte ist. Am Ende erscheinen mir solche Holpersteine wie verkrampfte Versuche, vom Ich, Du, Er/Sie, ... weg zu kommen.

Was meint ihr?


FLoH.

 

Meiner Meinung nach kann man mit solchen Formulierungen gut die Spaltung zwischen Wahrnehmung und der bewussten Verarbeitung des Wahrgenommenen ausdrücken: "Meine Augen sahen das Grauen, allein mein Verstand weigerte sich, es hinzunehmen."
Das sind verschiedene Gehirnfunktionen, und sie den dazugehörigen Organen direkt zuzuordnen ist viel schöner, als etwas über Gehirnareale zu schreiben, die dies und das taten.

Umgekehrt kann man bestimmte Vorgänge besonders betonen: "Seine Hand ertastete das Schloss des Wagens."
Klar kann er auch mit der Nase tasten, deshalb wird so schneller klar, was vorgeht. ;)

Natürlich verkommt auch eine solche Formulierung leicht zum Klischee, daher sollte man dieses Mittel vielleicht nicht so inflationär verwenden.

"Ihre Hände berührten sein Glied"
Ts, was liest Du denn? :D

 

Literarisch sicherlich gerechtfertigt, was spricht gegen eine Personalisierung?
Ob´s auch ästhetisch ist, ist dann wieder ´ne andere Frage.

 
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Naut: Natürlich muss man sich die Frage der Absicht stellen. Die Personalisierung wie viele andere Mittel, die ich woanders nicht gut heiße, finde ich in Ordnung, wenn sie einen Kontrast verdeutlichen.

Umgekehrt kann man bestimmte Vorgänge besonders betonen: "Seine Hand ertastete das Schloss des Wagens."
Klar kann er auch mit der Nase tasten, deshalb wird so schneller klar, was vorgeht.
Sowas würde ich ganz klar ankreiden. Bei "Hubert ertastete das Schloss des Wagens" sollte jeder Leser, der nur ein Tröpfchen vom Wasser der Normalität genossen hat, wissen, dass er dies mit der Hand tat. Bei "Mit der Nase ertastete er das Schloss des Wagens" sage ich nichts, aber ertasten impliziert schon von sich aus das Tastorgan Hand, diese zu erwähnen wäre daher nicht notwendig -> Redundanz.

Ts, was liest Du denn?
Stimmt, hierzuboard ist eigentlich immer nur von diskriminierten Schwänzen die Rede, "Glied" ist ja sowas von out. Daher (na, nicht nur deshalb) lese ich auch kaum in R/E. Ich hoffe, mit dem Beispiel verstoße ich (nicht) gegen die Sitte.


FLoH.

 

FLoH schrieb:
Sowas würde ich ganz klar ankreiden. Bei "Hubert ertastete das Schloss des Wagens" sollte jeder Leser, der nur ein Tröpfchen vom Wasser der Normalität genossen hat, wissen, dass er dies mit der Hand tat. Bei "Mit der Nase ertastete er das Schloss des Wagens" sage ich nichts, aber ertasten impliziert schon von sich aus das Tastorgan Hand, diese zu erwähnen wäre daher nicht notwendig -> Redundanz.
War ja auch ein blödes Beispiel meinerseits, aber ich konnte nicht widerstehen :)

 

Kristin: Ja, eigentlich hast du recht. Dann wiederum nicht, denn jedenfalls für mein Empfinden impliziert berühren genauso wie nämlich obiges ertasten, dass die Hand das Mittel ist, also ist auch hier deren explizite Erwähnung nicht nötig. Man könnte von "paradigmatischer Redundanz" sprechen: Wenn ein Satzglied nämlich spezifischer ist als notwendig und genauso gut durch Allgemeineres, hier also ein Personal ersetzt werden könnte. (Analog von "syntagmatischer Redundanz", wenn Satzglieder nicht wesentlich für die Satzbedeutung sind.) Übrigens bekommt damit auch das richtige Satzglied den Akzent, nämlich "sein Glied". Irgendwie hab ich's heute mit Gliedern, ich hoffe ihr denkt nicht falsch von mir.

FLoH.

 

Natürlich, aber was FloH meinte, ist, dass wir bei dem Satz immer zuerst an ein Ertasten/Berühren mit der Hand denken, wenn es nicht explizit anders dabei steht. Man kann diese Erwartung des Lesers bewusst zur Irritation einsetzen. Wenn man das nicht will, bleibt einem wohl nur, klarzumachen, dass man mit dem Fuß oder womit auch immer tastet.

 

Krristin, für mich ist der Satz tatsächlich in Ordnung, aber nur weil ich annehme, dass "sie" auf dem Boden kriecht und [mit den Händen] nach der Kante tastet. Alternativ könnte sie sich auch an einer Wand entlang dem Abgrund entgegentasten.

Aber vielleicht liegt es auch nur an meinem pedantischen Sprachgefühl, dass ich Verben wie berühren, betasten usw. stets mit Händen als Mittel assoziiere. Blöd dass man das Sprachgefühl nicht einfach umprogrammieren kann. Um es, so wie es ist, zufrieden zu stellen, würde ich daher schreiben: Sie tastete langsam mit den Zehen voraus, bis sie den Abgrund erreichte.


FLoH.

 

"Der Baum fiel um."

Tat er das aus eigener Motivation? Kann er deshalb Subjekt des Satzes sein?

Hej, klar sind Deine Beispielsätze korrekt!

 
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Ein Baum ist kein Organ des Menschen, sondern ein eigenständiges Lebewesen, daher hätte ich nichts dagegen so zu schreiben. Außerdem ist fallen ja noch passivischer als die Verben der Sinneswahrnehmung.

FLoH.

 

Passivischer? So wie in "Der Schrank brach zusammen und erschlug ihn" ? ;)

 

Ja. Der Grund, warum es dir (d.h. uns) vielleicht so aktiv vorkommt, ist vermutlich die zwangsartige Personifizierung des Zufalls. Aber sprachlich elegant ist es allemal, abgesehen davon, dass schwerlich etwas zusammenbrechen und jemanden erschlagen kann.

FLoH.

 

Mir ist grade aufgefallen, dass ich grade "nicke mit dem Kopf" schreiben wollte. Normalerweise teile ich Kristins Meinung, aber das ist mal wirklich überflüssig...

 

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