Was ist neu

Mischa weint

Seniors
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20.09.2007
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Mischa weint

Wenn Mischa weint, sind das Krokodilstränen, davon bin ich überzeugt. Keinesfalls echte. Niemand kann so viel heulen, wie sie das tut. Zum ersten Mal sah ich Mischa weinen, das war am Freitag, als ich bei meiner Tante angekommen bin. Eigentlich bin ich gern hier, aber jetzt hat sie sich gleich zwei Personen ins Haus geholt, denen ich zutiefst misstraue.

Erwin, Mischas Vater. Den kenne ich schon länger, ein Freund der Familie, gehörte immer zu den Leuten, die bei meiner Tante ein und aus gingen. Jetzt wohnt er hier, macht sich breit und ich denke: Hey, der ist doch okay. Ich befehle mir, ihn zu mögen, warum auch nicht. Er macht freiwillig den Abwasch, bügelt, das ist doch cool, so einen Mann will ich später auch mal. Und ja, ich finde ihn tatsächlich nett, ich kann mich damit anfreunden, ihn okay zu finden.

Mischa, Erwins Tochter. Die ist neu, die kannte ich noch nicht. Ist ein paar Jahre jünger als ich. Ich schätzte sie auf vierzehn, maximal fünfzehn, als ich sie das erste Mal sah. Es gibt Leute, die sehen noch jünger aus, als man sie im Prinzip schon schätzen würde, und Mischa gehört zu diesen Leuten. Sie sieht aus wie zehn.

Wir saßen in der winzigen Küche, zu dritt, Erwin, meine Tante und ich. Eigentlich war ich die Einzige, die saß, Erwin lehnte am Fenster und meine Tante am Kühlschrank. Beide rauchten und sahen mich an, ich stocherte in dem Rührei herum, das ich aus Höflichkeit nicht abgelehnt hatte. Nach langen Reisen hatte ich nie Hunger.
„War der Flug gut?“
„Hm“, nuschelte ich. „Langweilig.“
„Ach was.“ Meine Tante lachte. „Letztes Jahr fandest du es noch toll.“
„Nö, da war's auch schon langweilig.“
„Dann im Jahr davor.“
Ich zuckte die Achseln und grinste sie schief an, ich war zu kaputt zum Sprechen.
„Was macht denn die Schule?“ Das war Erwin. Langsam drehte ich den Kopf in seine Richtung und überlegte, was ich darauf antworten sollte.
„Alles super.“
„Welche Klasse bist du jetzt?“ Konnte der eigentlich nur blöde Fragen - ? Egal. Das Dumme war, dass ich darauf keine kurze Antwort geben konnte, es waren Sommerferien und ich weiß nie: War ich noch oder bin ich schon?
„Komm in die Zwölf.“
„Mischa kommt jetzt in die Neunte.“
„Aha.“ Ich guckte wieder zu meiner Tante. „Ähm ...“
„Achso“, meinte sie hastig. „Das ist Erwins Tochter, du kennst sie noch nicht. Ist gerade mit Freunden weg, aber heute Abend lernst du sie noch kennen.“
„Ihr werdet euch verstehen, meine Süße, da bin ich sicher.“ Wieder Erwin. Er nannte nicht nur meine Tante Süße, Kätzchen, Schätzchen oder Maus, sondern auch meine Großmutter, die Nachbarin oder die Kassiererinnen im Supermarkt, die dann erröteten, kicherten, sich beim Wechselgeld verzählten und nicht selten das Sie mit dem Du verwechselten, insofern bildete ich mir nichts darauf ein. Anfangs war ich irritiert, aber das hatte sich schnell gelegt.

Mischa kam dann, verlor keine Zeit und verschwand in dem Zimmer, das letztes Jahr noch das Gästezimmer gewesen war, sprich meines, und das ich jetzt mit ihr teilte. Wir drei saßen noch immer in der Küche rum, als sie in mein Zimmer schlich, ohne irgendjemanden eines Blickes zu würdigen und ich starrte meine Tante verblüfft an. Erwin antwortete.
„Die Kleine ist sehr schüchtern, geh einfach zu ihr und unterhalte dich mit ihr, hm?“ Er sagte das hm? wie zu einem kleinen Kind, das Angst vor dem ersten Schultag hatte und dem man sagen musste, dass alles okay ist. Er zog dabei die Augenbrauen hoch, lächelte und guckte wie ein Pfannkuchen. Ein Teil von mir wollte ihm am liebsten ins Gesicht schlagen oder „Ich bin doch auch so schüchtern“ flöten, aber ich riss mich zusammen, nickte und sagte: „Klar.“
Ich stand auf und schlurfte in mein Zimmer.

Da saß sie, schmächtig, mit Beinen, die viel zu lang für sie waren, und knubbeligen Knien. Dünn war sie und klein. Mit ihr in einem Raum fühlte ich mich sofort schwer, als würde sich der Fußboden in meine Richtung neigen, als drückte ich die Holzdielen mit meinem Gewicht nach unten und sie dabei nach oben. Wenigstens hatte ich nicht solche Knie.
„Hi“, sagte ich, aber sie sah mich nur aus großen, dummen Rehaugen an. Ärgerlich. „Ähm“, versuchte ich es erneut. „Du sitzt auf meinem Bett.“ Es standen jetzt zwei Betten im Zimmer, oder besser: ein Bett und eine Pritsche, aber ich sah nicht ein, auf der Pritsche zu schlafen.
Meine Tante hätte an dieser Stelle eine Augenbraue gehoben, aber Mischa tat das nicht, starrte nur weiter groß und dumm. Ihre Augen glänzten.
Das ist mein Letzter, dachte ich und sagte: „Wir teilen uns jetzt mein Zimmer, wie's aussieht.“
Sie nickte langsam und bedächtig. Eine Reaktion, gut.
„Ist es okay für dich, mich in meinem Bett schlafen zu lassen?“
Sie schürzte die Lippen und sog rasch und leise die Luft durch die Nase ein, wie ein Häschen, aber nur einmal. Oder als hätte sie gerade geweint, aber ihre Augen waren nicht rot, sondern groß und dumm und braun.
Langsam verlor ich die Geduld. „Es ist nämlich nicht okay für mich, nicht in meinem Bett zu schlafen, weißt du. Also“, ich atmete tief ein und warf einen Blick aus dem Fenster, „kannst ja sitzen bleiben, stört mich nicht.“
Weil sie nichts sagte, lächelte ich unverbindlich und nickte einige Male, um nicht blöd rumzustehen. Mein Blick fiel auf meinen Koffer, der schon am Fußende des Bettes stand, ich konnte also nicht rausgehen und behaupten, mein Gepäck zu holen. Konversation konnte ich noch nie. Ich setzte mich auf die Pritsche.
„Wie heißt du?“, fragte ich, obwohl ich es schon wusste.
„Mischa.“
„Wie alt bist du?“, fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte.
„Vierzehn.“
„Aha.“
Pause. Mir fiel nichts mehr ein. Was konnte ich dieses Mädchen fragen, das aussah, als könnte es schon der kleinste Luftzug aus dem Fenster wehen?
„Was ist deine Lieblingsfarbe?“ Es interessierte mich nicht die Bohne und ich blickte gleichzeitig aus dem Fenster, aber es kam keine Antwort, was mich veranlasste, wieder zu ihr zu schauen. Der Anblick überraschte mich und versetzte mich in einen Schockzustand.
Mischa weinte. Sie hatte die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, ihr Kinn auf die Knie gestützt und die großen Lider gesenkt; Tränen tropften aus ihren Augen auf ihre Beine, sie wiegte sich leicht vor und zurück.
Schnell sah ich wieder aus dem Fenster und überlegte hastig, was ich wohl Falsches gesagt haben könnte. Es wollte mir nicht einfallen. Wieso fing jemand an zu heulen, nur weil ich eine so banale Frage gestellt hatte? Ich kam zu dem Schluss, dass es nicht an mir lag, nicht an mir liegen konnte.
Mit einem „puh“ streckte ich mich auf der Pritsche aus und tat so, als hätte ich nichts bemerkt. „Ganz schön warm hier.“
Aber auch Mischa tat so, als würde sie nichts bemerken. Ich wartete noch eine Weile, stand dann auf und verließ das Zimmer.

Ich traf Erwin allein in der Küche. „Na, mein Mäuschen, habt ihr euch gut unterhalten?“
„Blendend“, grummelte ich, füllte ein Glas mit Leitungswasser und trank es ohne abzusetzen aus, um nicht reden zu müssen.

Das Gute daran, den Urlaub bei meiner Tante zu verbringen ist, dass man jede Menge Zeit hat, um sich in Ruhe langweilen zu können. Man ist zu zweit in ihrer kleinen Wohnung am See, die Haustür ist im Sommer meist angelehnt und immer kommt jemand reingekleckert, den man nicht weiter beachten muss, wenn man nicht will. Man kann einfach in die Küche gehen, sich an den paar Leuten vorbeidrücken, ohne zu grüßen, eine Cola aus dem Kühlschrank nehmen und wieder gehen. Niemand beschwert sich.
Es kommt auch keiner zu einem und fragt, was man unternehmen möchte, und wenn meine Tante das doch mal tut, kann ich ohne weiteres sagen: nichts, und es stört sie nicht. Darum liebe ich den Urlaub bei ihr.

Es ist Samstag und ich sitze mit meiner Tante am Seeufer, wir halten die Füße ins Wasser und zählen die Fische, die hin und wieder mit einem Platschen auftauchen. Keine Mischa, kein Erwin, überhaupt niemand ist an diesem Abend am See.
„Magst du Erwin?“, fragt meine Tante.
„Klar“, sage ich ohne nachzudenken, „er ist okay.“
„Wirklich?“
„Ja. Er wäscht ab und so, er ist nett, was willst du mehr.“
„Mhm.“
„Was arbeitet er eigentlich?“ Ich weiß, dass Erwin mal Brummi-Fahrer war, jedenfalls, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Einmal hat er meine Tante sogar mit nach Italien genommen.
„Er hat den Job als Fernfahrer aufgegeben.“
„Wieso?“
„Wegen uns natürlich.“
Wegen uns. Meint sie sich selbst und Mischa?
„Aha. Hat er was anderes in Aussicht?“
Meine Tante antwortet nicht und ich begreife, lege den Kopf in den Nacken und blicke gen Himmel, den die Abendsonne rosa gefärbt hat. Dann denke ich an Mischa, wie ihr das wohl gefällt: Ihr Vater hat eine neue Freundin und ihretwegen sogar den Job aufgegeben, um für sie dazusein. Das, was er für seine Tochter nicht getan hat. Ich kann mir im Moment schwer vorstellen, dass Mischa das bewusst ist. Und ich frage mich, was sie wohl von meiner Tante hält.
„Wir lieben uns ja.“
„Natürlich.“ Ich höre ein Platschen ganz nah an meinem Fuß und drehe den Kopf, ein Fisch, sehe nicht den vorwurfsvollen Blick meiner Tante im Nacken, spüre ihn aber umso deutlicher.
„Zehn“, sage ich, stehe auf und gehe den Hang hinauf.

Als wir die Wohnung betreten ist das Erste, was ich sehe, Erwins massiger Rücken, der fast gänzlich den Herd verdeckt, an dem er sich zu schaffen macht. Es riecht nach Pfannkuchen, und da schnellt auch schon der erste in die Luft, dreht sich und landet perfekt wieder in der Pfanne. Das kann er also auch. Ich bin nicht beeindruckt.
Meine Tante umarmt ihn von hinten, er säuselt ihr die üblichen Kosenamen ins Ohr, ohne sich ablenken zu lassen.
Ich lasse mich auf einen Hocker fallen und bin jetzt gezwungen, ihm auf den Hintern zu starren.
„Ich habe Wein gekauft“, sagt der Hintern, und: „Achja?“, antwortet meine Tante, in ihrer Stimme schwingt ein besorgter Unterton. „Wieviel?“
„Drei Flaschen, die trinken wir heute.“
„Wo ist Mischa?“, funke ich dazwischen und der Hintern anwortet: „In ihrem Zimmer.“
Kommentarlos stehe ich auf, um Mischas neues Zimmer zu suchen.

„Hey Mischa“, sage ich tonlos und mache es mir ihr gegenüber auf der Pritsche gemütlich, greife das nächstbeste Buch, das auf dem Schreibtisch liegt und fange an, das Ende zu lesen. „Alles fit?“
Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass sie nickt.
Ein ziemlich nichtssagendes Ende, es schneit einfach nur.
„Ich glaube, ich mag deinen Vater nicht besonders.“
Darauf erwarte ich keine Antwort und bin erstaunt, dass ich eine erhalte.
„Ich dich auch nicht.“
Eine Pause entsteht, in der ich schließlich das Buch zuklappe, den Kopf zu ihr drehe, nicke und lächle. Sie hat es leise gesagt und piepsig, aber sie hat es regelrecht hervorgestoßen, gezischt; das hätte ich ihr nicht zugetraut.
„Sowas.“ Ich drehe mich zu ihr. „Mich musst du auch nur die nächsten zwei Wochen aushalten. Und meine Tante?“
Ich warte einen Moment, aber Mischa zuckt nur die Achseln.
„Mach dir nichts draus, ich bin eigentlich auch nicht so gesprächig, das erscheint dir nur so.“
Wieder starren ihre Rehaugen.
„Hm. Dein Vater kocht da draußen, meinst du, das ist gut?“
Schulterzucken. Und dann, ich weiß nicht, was ich schon wieder falsch gemacht habe, fängt Mischa an zu weinen. Dieselbe Prozedur wie gestern, die Beine fest umschlungen weint sie, fast lautlos, nur hin und wieder ein kleines Schniefen. Eine Weile beobachte ich sie mit einem klammen Gefühl um die Schultern, dann stehe ich leise auf, um wieder in die Küche zu gehen. Komisch, dass ich es nirgends lange aushalte.

„Mischa weint“, sage ich. „Macht sie das öfter?“
Erwin antwortet nicht, sondern kramt im Eisfach herum, aus dem er eine Weinflasche befördert.
„Jeden Tag“, flüstert meine Tante mir ins Ohr.
Ich will fragen, warum, aber komme nicht dazu, weil Erwin dazwischenquatscht.

Nach vier Gläsern bin ich betrunken und traue mich nicht aufzustehen, weil ich sicher bin, dann herumzuwanken und irgendetwas umzuschmeißen. Meine Tante lacht über meinen Gesichtsausdruck und Erwin lacht über meine Tante; ich lache gar nicht, sondern versuche, Klarheit in meinen Kopf zu bringen. Ich trinke nie, aus diversen Gründen. In erster Linie deshalb, weil Gehirnzellen sterben, und ich brauche mein Hirn. Weil ich nie trinke, vertrage ich auch nichts, das hätte ich wissen sollen.
Erwin schenkt mir nach. „Gut“, sage ich und versuche, die Hand über das Glas zu halten, um ihn wissen zu lassen, dass ich mit 'gut' nicht: 'Ach wie gut, dass du mich besoffen machst' meine, sondern eher: 'Ist gut jetzt, du Arsch.'
Es klingelt und Erwin ruft: „Ist offen!“
Tommy kommt herein, der wohnt ein Stockwerk weiter oben. Einer von den Leuten, die bei meiner Tante ein und aus gehen, seit ich denken kann, und die es auch weiterhin tun werden, ohne irgendwann mit ihr im Bett zu landen. Ich weiß das, weil Tommy schwul ist. Tommy ist in Ordnung.
Er kommt reingestapft mit seinen Stiefeln, die er im Sommer wie im Winter trägt und auf die ich verdammt neidisch bin. Er hat sie schon ewig, angeblich hat er sie mal in den Staaten gekauft, was ich ihm aber nicht glaube, weil Tommy nicht so aussieht, als hätte er das Land jemals verlassen.
„Hallo Tommys Stiefel“, sage ich, „ihr seht aber hübsch aus heute.“
„Hallo Lisa“, antwortet er, „dir geht’s wohl nicht so gut.“
Ich versuche nach ihm zu treten, zeige auf Erwin und sage: „Der da.“
„Der da?“ Tommy sieht Erwin an. „Hi Erwin.“
Der sagt nichts und es ist komisch still in der Küche.
„Oh oh“, mache ich, kichere und vergrabe das Gesicht in der Armbeuge.
„Du weißt, dass ich das nicht mag, Tommy“, sagt Erwin ernst, so ernst, dass es schon albern wirkt, und ich muss mir das Lachen verkneifen.
„Oooh, aber die sind doch ganz sauber“, meint Tommy und ich frage mich, was um alles in der Welt sie meinen.
„Das spielt keine Rolle.“
„Es ist okay, Erwin“, schaltet sich meine Tante ein, selbst die scheint zu wissen, worum es geht, langsam komme ich mir blöd vor, „wir haben doch Fliesen.“
„Hä?“, sage ich endlich und hebe ruckartig den Kopf.
„Das hat damit nichts zu tun, mein Kätzchen, es ist einfach respektlos.“ Und dann, zu Tommy: „Zieh bitte die Schuhe aus.“
Ach, darum geht es, denke ich, und: Was für ein Wichser.
Ich blicke von Erwin zu meiner Tante, die Tommy schuldbewusst anschaut. Die Stiefel, denke ich, zieh sie nicht aus, zieh sie nicht aus, und er enttäuscht mich nicht, wie könnte er.
„Hm, naja, ich geh dann wieder, wollte sowieso nur kurz vorbeischauen.“
„Bye, Tommys Stiefel!“, rufe ich ihm hinterher und wende mich dann meiner Tante und ihrem Göttergatten zu, um den folgenden Streit zu genießen.
Meine Tante zischt, Erwin bleibt ruhig, seine Stimme ist fest und sogar im Streit nennt er sie Mäuschen. Nein, Mäuschen, da hast du recht, meine Süße, ja und nein und nein und sowieso. Dann wird es lauter, der Tonfall meiner Tante schrill und auch Erwin hebt die Stimme. Wie bei einem Tennismatch springen meine Augen zwischen den beiden hin und her. Dann geschieht das, was ich von Erwin nicht erwartet hätte: Er verliert die Nerven. Spricht auf einmal unglaublich schnell, ich höre nur vereinzelt Worte, er faselt vom Maulhalten, vom Schlagen und Treten.
Dann ist es still.
Ich stehe auf, der Hocker schrappt über den Boden und ich verliere kurz das Gleichgewicht. Meine Beine sind wie Gummi und mir ist schwindlig. Ich stelle mich vor Erwin, hole tief Luft, bohre ihm den Zeigefinger in seine fette Brust und sage: „Du bist ein Arschloch, Erwin, ein riesiges Arschloch. Ich wünschte, meine Tante würde dich mitsamt deiner heulenden Tochter vor die Tür setzen, weil“, ich schwanke und muss mich an seinem Kragen festhalten, „weil das hier“, ich versuche eine ausschweifende Handbewegung, „ist ihre Wohnung, in der du auf ihre Kosten wohnst.“
Ich fokussiere sein Gesicht, das wieder völlig gefasst ist, so gefasst, dass ich ihm gerne hineinschlagen würde. „Scheiß Parasit“, sage ich stattdessen, und damit drehe ich mich um und erblicke Mischa, die dort in der Tür steht.
Und Mischa weint.

Ich weiß nicht warum, aber ich habe ein schlechtes Gewissen. Vielleicht liegt es an den Kopfschmerzen, die mich heute früh geweckt haben und die mein Hirn vernebeln. Ich sitze auf der Pritsche, Mischa schläft noch, in meinem Bett. Ihren Atem kann man fast nicht hören, ich musste nachsehen, um mich zu vergewissern, dass sie noch da ist.
Seit sieben Uhr bin ich wach, jetzt ist es neun, und ich beobachte unverwandt die Zeiger der Uhr. Zähle mit, ob auch wirklich sechzig Sekunden in einer Minute verstreichen, tick, tick, tick.
Dann wacht sie auf. Räkelt sich, atmet tief ein und streckt die Streichholzarme in die Luft.
„Morgen“, sage ich und sie lässt die Arme wieder fallen.
Mischa antwortet nicht, stattdessen setzt sie sich auf und sieht mich wieder mit ihren großen, dummen Rehaugen an. Vorwurfsvoll fast. Ich muss schlucken.
Tut mir leid, will ich sagen, doch es kommt mir nicht über die Lippen. Ich muss mich räuspern.
„Hm. Alles okay bei dir?“, frage ich und hoffe, dass sie das als Entschuldigung akzeptiert.
Und wenn mich Mischa in den wenigen Tagen, die ich hier bin, nicht schon genug überrascht hat, dann tut sie es jetzt, denn Mischa lächelt.
Und ich lächle zurück.

Ich liebe Sonntage. Die meisten, die ich kenne, tun das nicht, weil Sonntage so langweilig sind. In den Ferien versuche ich, das Zeitgefühl möglichst nie zu verlieren, um immer zu wissen, wann Sonntag ist. Heute ist Sonntag und ich liege am See, warte, bis der große gelbe Ball am Himmel seinen höchsten Stand erreicht hat. Perfekt.
Ich denke über Mischa nach, viel zu oft eigentlich. Würde sie mir nicht so unbegreiflich sein, wäre sie mir wohl egal; sie sollte mir egal sein. Ihr Vater ist ein Bastard. Ich frage mich, ob sie das weiß. Weshalb weint sie ständig?
Etwas schiebt sich vor die Sonne, ich öffne die Augen; die Welt ist grün. Da steht Mischa über mir, ihr lockengerahmtes Gesicht schaut auf mich herab.
„Oh“, sage ich und sie hockt sich neben mich ins Gras. Ich schweige, denn ich habe das Gefühl, dass Mischa gar nicht wortfaul ist, sondern nur Bedeutungsvolles sagt und nur, wenn man sie lässt. Ich glaube, sie will etwas sagen, also lasse ich sie.
„Deine Tante mag ich.“
Ich nicke.
„Sie ist gut für Papa.“
Wie würde ich Erwin nennen, wenn er mein Vater wäre?
„Du solltest sie lassen.“
Ich schlucke. Und schon rappelt sie sich wieder auf und geht davon, aber nicht in Richtung Wohnung, sondern in die entgegengesetzte, weiter am Seeufer entlang.
„He, Mischa! Warte mal.“
Sie bleibt stehen und sieht zurück. Und jetzt beginne ich hektisch in meinen Gedanken zu kramen, was ich überhaupt will. Mich weiter unterhalten bestimmt nicht, ganz ausgeschlossen, was kann man mit einer wie Mischa machen?
„Ähm, hast du Lust zu baden?“ Ich könnte mich ohrfeigen.
Mischa zögert, dann schüttelt sie kaum merklich den Kopf, dreht sich wieder um und geht.
„Mist.“ Ich werfe einen Stein ins Wasser.

Ich verbringe den ganzen Tag am See, oder versuche es wenigstens. Bis dann mein Magen unüberhörbar knurrt und ich vor Hunger schon zittere. Ich stehe auf und gehe hoch in die Wohnung, meine Tante ist nicht da, nur Erwin werkelt in der Küche. Wo sie sei, frage ich möglichst unhöflich und er sagt: „Unten am See, Liebes.“ Das hätte ich gesehen, antworte ich. Dann wisse er es nicht.
Er sagt das alles, als wäre gestern nichts passiert, und dafür hasse ich ihn noch mehr. Er tut, als wäre er nicht nachtragend, oder auch, als könne man sowieso nicht ernstnehmen, was ich sage. Wieso schreit er mich nicht an, wieso ist er nicht wenigstens kurz angebunden, wieso kann er mir keine Gelegenheit liefern, mich mit ihm zu streiten?
„Ich geh zu Tommy.“ Keine Ahnung, warum ich ihm das mitteile.
„Hast du keinen Hunger, Süße?“
„Nein.“
Die Tür fällt hinter mir ins Schloss.

Überraschenderweise öffnet meine Tante Tommys Tür, als ich bei ihm klingle. Noch nie habe ich es erlebt, dass sie zu ihm gegangen ist, er kam immer nur zu ihr. Und mir wird bewusst, dass ich noch nie in Tommys Wohnung war.
Sie ist ein bisschen kleiner als die meiner Tante. Das Wohnzimmer ist winzig, nur ein Regal, ein Fernseher und zwei Korbsessel passen hinein. Für mich holt Tommy noch einen Hocker.
„Hast du was zu essen?“, frage ich ihn. „Ich sterbe fast.“
„Wieso isst du nichts bei Erwin, es sind doch noch Pfannkuchen da“, sagt meine Tante noch, aber ich muss zum Glück nicht antworten, da ich Tommy schon in die Küche folge.

„Mann“, schmatze ich und ernte einen vorwurfsvollen Blick meiner Tante. „Du musst echt ...“, ich schlucke, „den Kerl loswerden. Erwin.“
Ich schaue zu Tommy, in der Hoffnung auf Unterstützung, aber er sieht nur zurück, da ist weder Zustimmung noch Widerspruch. „Tommy. Jetzt sei nicht immer so scheiß neutral.“ Er verdreht die Augen und ich wende mich wieder meiner Tante zu. „Echt jetzt.“
Sie schüttelt den Kopf, ein bisschen entnervt, und blickt in eine Zimmerecke.
„Mal ehrlich, was hast du denn von dem? Du bist ihm doch egal.“ Diesmal ein warnender Blick von Tommy, aber ich lasse mich nicht beirren. „Er kann gut von dir leben, das ist -“
„Ist gut jetzt“, zischt sie endlich, und ich nehme einen neuen Bissen von meinem Sandwich. „Ich weiß gar nicht, was dich das überhaupt angeht.“
„Oooh“, mache ich, aber um sie nicht weiter zu reizen, schlucke ich erstmal, bevor ich weiterrede. „Das geht mich ganz schön viel an. Ich verbringe erstens gern meine Ferien bei dir und zweitens -“
Sie schnaubt verächtlich. „Klar, es geht um dich, worum sonst.“
„Und zweitens“, sage ich etwas lauter, „liegt mir was daran, dass es dir gut geht.“
„Sag bloß.“
„Ja.“ Ich versuche einen vielsagenden Gesichtausdruck, was meine Tante wenigstens zum Lachen bringt.
„Sag auch mal was, Tommy.“ Ich stoße ihm mit dem Ellbogen in die Rippen, aber er winkt nur ab. „Feigling.“
„Hey, du kriegst von mir zu essen, also pass auf, was du sagst.“
Meine Tante sieht wieder entspannt aus, was die Sache einfacher macht.
„Angenommen“, sagt sie, „angenommen, ich schmeiße ihn raus. Was passiert mit Mischa?“
Ich muss schlucken. „Ach, ich bitte dich, willst du aus Mitleid mit diesem Dreckskerl zusammenbleiben? Das kannst du doch nicht machen.“
„Das Mädchen hat schon genug gelitten.“
„Oh Mann.“ Ich verdrehe die Augen. „Bist du Mutter Teresa oder was?“
Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Tommy grinst, aber meine Tante schüttelt den Kopf. „Wer hat dich nur erzogen, Lisa.“
Ich zucke die Schultern und stehe auf. „Ich geh wieder runter zum See. Kommt ihr mit? Ist schön draußen.“

Mischa sehe ich die nächsten Tage selten, meist läuft sie in Richtung See, aber ich treffe sie nie. Sie muss sich einen anderen Platz am Ufer suchen, aber ich folge ihr nicht. Ich glaube, darüber wäre sie nicht glücklich.
Die Stimmung bei meiner Tante ist angespannt, was gut ist, aber auch unangenehm, ich nehme mir also ein Beispiel an Mischa und verbringe die meiste Zeit außer Reichweite von Erwin. Oft kommt jetzt meine Tante zu mir, legt sich wortlos neben mich ins Gras. Dann beobachte ich sie, wie sie schweigt. Nach einer Weile sieht sie mich dann an, grinst und sagt: „Los, baden“, und wir schwimmen uns den Kopf frei.
Die Strategie habe ich jetzt gewechselt, ich verliere kein Wort mehr über Erwin. Was ich über ihn denke, weiß meine Tante, es macht keinen Sinn, weiter darauf herumzuhacken. Ich bin sicher, dass es in ihr arbeitet.
Erwin behandle ich eigentlich wie Luft, starre durch ihn hindurch, reagiere auf seine Fragen nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, und dann nur knapp. Er macht so weiter wie bisher. Kauft des öfteren Wein, wenn er denkt, irgendwas in Ordnung bringen zu müssen, aber ich trinke nichts mehr von dem, was er mir gibt. Einmal habe ich mich in seiner Gegenwart ans Küchenfenster gelehnt und ganz langsam das Glas ausgekippt. Er hat gelacht, der Idiot.

Es ist ein Sonntag, als meine Tante ausrastet. Und alle sind dabei: Erwin, Tommy, ich und sogar Mischa. Ihr Ausrasten funktioniert nicht wie bei anderen Menschen, sie schreit nicht unvermittelt herum, wirft nichts an die Wand. Zuerst ist sie ganz leise. Sagt: „Erwin, bitte geh jetzt.“
Ich weiß gar nicht, was der Auslöser war. Vielleicht gibt es auch keinen. Die Zahnräder in ihrem Kopf haben sich einfach zu Ende gedreht, die Lösung ist gefunden, eine andere gibt es nicht. Jetzt muss sie handeln, es ist das Einzige, was sie tun kann, um nicht stehenzubleiben. „Erwin, bitte geh jetzt.“ Sie sagt es leise, aber mit Nachdruck, ihr ganzer Körper bebt dabei. Ich stehe in der Tür und kann die Augen nicht von ihr lassen. Ich weiß, ich sollte mich verziehen, ihr diesen Moment lassen, aber ich kann mich nicht bewegen. Reiße die Augen weit auf, um jede Einzelheit in mich aufzusaugen.
Erwin sieht lächerlich aus, er hat noch einen Kochlöffel in der Hand; es zischt und ich rieche verbrannte Milch, die auf dem Herd überkocht. Niemand beachtet sie. Tommy steht an den Kühlschrank gelehnt und scheint sich an einen anderen Ort der Erde zu wünschen. Er schaut aus dem Fenster.
Dann wird meine Tante lauter. „Verstehst du mich nicht? Ich will, dass du gehst. Ich will dich nie wieder sehen.“
Und Erwin löst sich aus seiner Starre, dreht sich um und schaltet den Herd aus, nimmt den Topf von der heißen Platte. Blickt nicht zurück, drängt sich an mir vorbei und geht. Aus der Küche, aus der Wohnung, aus dem Haus.
Und ich drehe mich wieder um zu meiner Tante, die seltsam gefasst aussieht, die nicht weint. Ich schlucke, aber der Kloß in meinem Hals verschwindet nicht. Vorsichtig lächle ich ihr zu, aber sie erwidert es nicht.

Im Wohnzimmer steht Mischa. Sie steht an die Wand gelehnt und sieht mich aus ihren großen Augen an. Ihr Blick hat nichts Vorwurfsvolles, auch nichts Stumpfes, ich sehe nur Schmerz darin. Mischa weint und ich ertrage es nicht, verlasse das Zimmer, die Wohnung, das Haus; ich laufe zum See und bleibe stehen, gehe weiter, weiter, nicht in Richtung Haus, sondern in die entgegengesetzte, am Ufer entlang.
Ich hatte mir das einfacher vorgestellt.

 

Alles klar?
Wie dicke Tinte. Danke für die Aufklärung, ich hab nämlich ein bisschen gezweifelt, da dein Kommentar irgendwie hin und her gerissen klang. Jetzt kann ich beruhigt schlafen. :D

Liebe Grüße,
strudel

 

Hallo apfelstrudel,

ich finde, das ist eine Eisberggeschichte, weil 90% der Masse nicht sichtbar ist, und gerade das macht die Geschichte so gut.
Die einzige, die richtig redet, ist die Protagonistin, die als Katalysator in diese ganze festgefahrene Situation reinplatzt.
Und die einzelnen Figuren sind alle "tiefer" angelegt, als es den Anschein hat und haben alle nachvollziehbare Gründe, finde ich.
Die Tante möchte nicht mehr alleine sein. Diese Freiheit an ihr, die die Erzählerin so toll findet, bedeutet eben auch Einsamkeit. Sie wünscht sich eine Familie, Mischa als Tochter, will sich mit Erwin arrangieren. Aber schlußendlich nicht um jeden Preis. Sie vermisst ihre Freiheit dann, die Szene, wenn Erwin Tom und seine Stiefel und damit ihr früheres Leben aus dem Haus ekelt, kann da stellvertretend stehen. Sie dachte, sie könnte es, aber es geht halt nicht.
Tom hat sich anders entschieden, ist aber reflektiert genug, um der Tante nicht reinzureden, das macht nur die Protagonistin, die mal so gar kein Verständnis dafür hat, dass die Kehrseite der Freiheit eben auch die Einsamkeit sein kann. Das sieht sie nicht, das kommt ihr auch gar nicht in den Sinn. Sie hat da zwei Wochen ihre Ruhe und einen See, und ihre Tante hat das das ganze Jahr.
Dass bei der Tante auch schon eine Art Torschlußpanik herrschen könnte, dass sie andere Bedürfnisse hat, dass sie sich vielleicht wirklich um Mischa kümmern will, weil sie eine Aufgabe braucht, all das kommt der Erzählerin überhaupt nicht in den Sinn. Es sagt ihr sonst auch keiner. Tom sagt ihr: "Hier Ruhe, du futterst umsonst." Und die Tante guckt sie nur so an. Mischa weint oder sagt "Misch dich nicht ein", und Erwin ist gar nicht in der Lage sich anders als über schmierige Allerwelts-Kosenamen zu artikulieren.
Erwin ist auch so einer. Er hat wohl irgendwie begriffen, dass man nett zu den Frauen sein sollte, aber diese Nettigkeit ist reine Fassade, Ärschchen tätscheln und Mäuschen säuseln. Klar, reicht das nicht.

Es ist eigentlich die komplette Unfähigkeit zu irgendeiner Form von Kommunikation, die hier ist. Tom und die Tante könnten reden, doch Tom respektiert diesen Zwiespalt und er weiß auch: Jetzt ist sie vielleicht noch glücklich, aber wenn sie alleine altert ... das muss sie mit sich selbst ausmachen.
Mit der Protagonistin könnte die Tante reden, aber dafür nimmt sie sie nicht voll genug, oder will das vielleicht auch gar nicht. Denn die Erzählerin hat statt Fingerspitzengefühl, eher die Boxhandschuhe an.
Und da muss dann eben alles schiefgehen, die Tante entscheidet sich. Sie will einen Mann, sie will eine Familie, aber nicht um jeden Preis. Das war vielleicht der einzige Vorzug, den Erwin hatte, dass er eine Lücke füllen konnte zusammen mit Mischa.

Erzählt wird das ganze wirklich durch die Bank weg spannend und sympathisch. Das Bild, wenn sich die Erzählern da einen antrinkt und wild ausholend gestikuliert, ist einfach herrlich. Überhaupt wie sie da durch die Geschichte tollpatscht, das macht schon richtig Spaß. "Ich hab nämlich ein Problem damit, nicht in meinem Bett zu schlafen!"
Wirklich, sehr gelungene Geschichte, hat mir richtig viel Spaß gemacht, und das man dann im zweiten Gang sozusagen, noch schön drüber grübeln konnte, ist dann fast noch wichtiger.

Gruß und Kompliment
Quinn

 

Hallo Apfelstrudel,
viel ist geschrieben worden zu deiner Kurzgeschichte, vor allem viel Lob, dem will ich mich gerne anschließen und darüber hinaus noch ergänzen, was mir so beim Lesen vornehmlich zu der Protagonistin MISCHA und der zentralen Figur <Tante> durch den Kopf ging.

Mischa:
- vordergründig eine zickig, verquere pubertierende Heulsuse…dahinter aber - subtil von dir mit sparsamen Andeutungen angelegt - ein eingeschüchtertes, introvertiertes Mädchen –, das <schon viel durchgemacht hat>…vermutlich durch mehrere gescheiterte Beziehungen ihres Vaters. (Aussage der Tante, Zitat: „Das Mädchen hat schon genug gelitten.“)

Man spürt Mischas Angst, dass auch DIESE Beziehung wieder scheitern wird, und man spürt ihr Bedürfnis, endlich <ein Zuhause>, Geborgenheit zu finden, die sie durch das trotzige Belegen des Bettes der Erzählerin dokumentiert und an anderer Stelle auch verbal äußert: „Deine Tante mag ich.“ … „Sie ist gut für Papa.“
Hier schwingt die Hoffnung mit, dass diesmal die Beziehung ihres Vaters zu einer Frau halten möge, dass die Tante diesen Mann durch ihre ruhige, gelassene Art zu nehmen und seine despotische Ader zu mildern versteht.
Das Vater-Tochter-Verhältnis ist durch Beziehungslosigkeit gekennzeichnet; er schleift sie wie selbstverständlich als sein Anhängsel einfach mit in seine Lebensgemeinschaften, überlässt sie dann aber sich selbst und verlässt am Ende bei seinem Weggang aus dem Haus auch sie –
Bei der Charakterzeichnung der Tante möchte ich als Leserin gerne den Aussagen der Tante entnehmen, dass sie sich nach der Trennung von Erwin um Mischa kümmern wird.

Die Tante zeichnest du als patente, großherzige Frau, die grundsätzlich gewillt ist, alle Besonderheiten der Menschen um sie herum mit ihren teilweise schrulligen Eigenarten nicht nur hin- sondern auch anzunehmen (eine Beobachterin und stille Lenkerin, Typ: <Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht!>)…Dennoch stößt sie in ihrer Gelassenheit an ihre Grenzen – aufgerüttelt durch die Erzählerin (Nichte) – und entschließt sich zu konsequentem Handeln.

Was mir fehlt ist ein weiterer kleiner Anhaltspunkt dafür, warum die Tante die Trennung von diesem Mann so beherrscht vollzieht und auch danach keine Anzeichen von Herzeleid zeigt.
Sie wird ja in erster Linie nicht dem Drängen ihrer Nichte nachgegeben haben, sondern hat vermutlich innerlich schon vorher mit diesem Mann abgeschlossen, den sie offensichtlich nicht (mehr) achtete und nicht wirklich lieben konnte.
Der Grund kann ja nicht die Arbeitslosigkeit Erwins sein und die Tatsache, dass er auf ihre Kosten lebt, wie mehrmals in der Erzählung erwähnt…..auch nicht der einmalige verbale Ausraster mit bloßer Gewaltandrohung im alkoholisierten Zustand.
Irgendein Hinweis fehlt, vielleicht nur eine aufschlussreiche Nebenbemerkung der Tante gegenüber Erwin (oder gegenüber dem neutralen Mitbewohner Tommy Stiefel, den sie ja aus irgendeinem Grunde besucht haben muss) eine Bemerkung, die deutlich macht, dass ihre Würde verletzt wurde, dass sie die Achtung vor ihm verloren hat und somit das kalte, reulose Abservieren ihres „Lebenspartners“ untermauert wird.

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich deine Geschichte nicht nur gerne gelesen, sondern mich auch gerne mit ihr auseinandergesetzt habe.

Lieben Sonntagsgruß
kathso60

 

Tag Quinn!

Danke für deinen Kommentar erstmal und die Gedanken, die du dir gemacht hast. Das liest man gerne. :)

Die einzige, die richtig redet, ist die Protagonistin, die als Katalysator in diese ganze festgefahrene Situation reinplatzt.
Ich glaub, besser kann mans gar nicht sagen, Katalysator ist das richtige Wort. Sie hat ja da gar keine Hemmungen hinzugehen, und ihrer Tante zu sagen, was die schon lange wissen müsste.
Erwin ist auch so einer. Er hat wohl irgendwie begriffen, dass man nett zu den Frauen sein sollte, aber diese Nettigkeit ist reine Fassade, Ärschchen tätscheln und Mäuschen säuseln. Klar, reicht das nicht.
Ja. Für mich persönlich macht diese aufgesetzte und kontrollierte Art ihn zum Aas, und die Erzählerin schreckt das auch ab, eben weils so unnatürlich ist und falsch wirkt.
Wirklich, sehr gelungene Geschichte, hat mir richtig viel Spaß gemacht, und das man dann im zweiten Gang sozusagen, noch schön drüber grübeln konnte, ist dann fast noch wichtiger.
Das ist ein schönes Lob. Ist echt toll zu sehen, wie sich hier Gedanken gemacht wird um die Geschichte, und es tut mir fast schon leid, auf so lange Kommentare nur so kurz antworten zu können, aber ich kann einfach nur dasitzen und das lesen und nicken und sagen: jap! Genau. :)
Schön, dass es dir gefallen hat.

Hi kathso60!

Auch dir vielen Dank fürs Lesen, Interpretieren, Gutfinden, Kritteln und was nicht alles.

vermutlich durch mehrere gescheiterte Beziehungen ihres Vaters. (Aussage der Tante, Zitat: „Das Mädchen hat schon genug gelitten.“)
Jo, so kann man das sehen. Man weiß ja nicht, was mit der Mutter ist, aber so weit wollte ich es auch nicht ausdehnen, das sollte sich dann alles im Kopf des Lesers abspielen. Jedenfalls muss es bei denen drunter und drüber gehen, ja. Und es freut mich auch, dass du das herausgelesen hast, dass Mischa quasi das Anhängsel ihres Vaters ist, der sie zwar in seine ganzen Beziehungen reinschleppt, sie dann aber sich selbst überlässt.
Was mir fehlt ist ein weiterer kleiner Anhaltspunkt dafür, warum die Tante die Trennung von diesem Mann so beherrscht vollzieht und auch danach keine Anzeichen von Herzeleid zeigt.
Naja, für mich ist die Tante einfach eine Person, die möglichst alles richtig machen will. Daher kommt auch die Beherrschung am Ende. Und darüber hinaus hätte es für mich auch gar nicht in den Tonfall der Geschichte gepasst, wenn sie da am Ende dramatisch rumgeschrien und irgendwelches Zeug aus dem Fenster geschmissen hätte. ;) Und ich glaube auch nicht, dass ihr das nicht nahegeht. Sie muss sich schon ganz schön zusammenreißen und nachdem sich Erwin dann verzischt hat, lächelt die Erzählerin ihr ja auch zu, aber die Tante erwidert das nicht. Ich denk schon, dass es nicht so einfach für sie ist. Bloß, die Geschichte muss ja irgendwo zu Ende sein, wie die Tante das dann verkraftet, wie es weitergeht, ist gar nicht Thema der Geschichte. Soll ja kein Roman werden.
Es wurde jetzt schon so oft kritisiert, dass die Handlung der Tante nicht nachvollziehbar sei und so, und ich denke auch echt drüber nach, wie ich da was einbauen kann, das Problem ist bloß, dass ich das Problem nicht als solches empfinde. Bin da wirklich ratlos.
Irgendein Hinweis fehlt, vielleicht nur eine aufschlussreiche Nebenbemerkung der Tante gegenüber Erwin (oder gegenüber dem neutralen Mitbewohner Tommy Stiefel, den sie ja aus irgendeinem Grunde besucht haben muss) eine Bemerkung, die deutlich macht, dass ihre Würde verletzt wurde, dass sie die Achtung vor ihm verloren hat und somit das kalte, reulose Abservieren ihres „Lebenspartners“ untermauert wird.
Na, das spielt sich ja im Innern der Tante ab. Es würde für mich völlig aus der Rolle springen, wenn sie auf einmal über ihre Probleme reden würde. Es ist doch Hinweis genug, dass sie zum ersten Mal überhaupt zu Tommy hochgeht, und die Erzählerin ist da ganz offensichtlich in ein Gespräch geplatzt.
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass ich deine Geschichte nicht nur gerne gelesen, sondern mich auch gerne mit ihr auseinandergesetzt habe.
Auf jeden Fall. :) Und ich hoffe, es wird auch deutlich, dass ich deine Anmerkungen nicht einfach abweise, sondern echt drüber nachdenke.

Liebe Grüße an euch beide,
strudel

 

Hallo apfelstrudel,

die Geschichte ist sehr kurzweilig und hat glaubwürdige Dialoge. Der Zeichnung der Personen ist dir geradezu klassisch gut gelungen. Ohne unnötiges Blabla erschließen sich sehr lebendige Charaktere, stellenweise glaubt man, unmittelbar mit dabei zu sein, und du verlierst dabei nie den coolen, teilweise amüsanten Blickwinkel, aus dem die Prota das Geschehen betrachtet. Das zeichnet deinen Text aus und erklärt die Sogwirkung, die entsteht, obwohl eigentlich außer Alltag nichts "Aufregendes" passiert. Der Spannungsbogen entsteht nicht (allein) aus der möglichen Neugier, herausfinden zu wollen, warum Mischa weint, die Spannung erzeugst du aus der Figurenkonstellation, Dynamik gewinnt deine Geschichte durch die Dialoge.

Ich verstehe deine Story als Grauzonengeschichte und stimme da mit Quinn überein, mit seinem Eisbergvergleich. Du lässt mir als Leser viel Raum, mir über den Text hinaus Gedanken über deine Figuren zu machen. Das mag ich. Und das funktioniert mit diesem Text ausgezeichnet. Ich weiß auch genau, warum Mischa weint, weil ich mir meinen Teil dazu gedacht habe. *g*

Und es geht ja nicht nur um die Frage, WARUM Mischa weint, auch wenn das der Titelnagel ist, an dem die die KG aufhängst. Da gibt's noch viele andere Fragen/Punkte, die man sich zurechtinterpretieren kann.

Ein starker Text - zu recht empfohlen.

Rick

 

Hallo Rick!

Der Spannungsbogen entsteht nicht (allein) aus der möglichen Neugier, herausfinden zu wollen, warum Mischa weint, die Spannung erzeugst du aus der Figurenkonstellation, Dynamik gewinnt deine Geschichte durch die Dialoge.
Das freut mich ehrlich, dass mir das gelungen ist. Weil die Lesererwartung ja nur enttäuscht würde, wenn es allein darum ginge herauszufinden, wieso Mischa weint. Ja, die Figuren sind irgendwie das wichtigste an der Geschichte, da hast du recht. Bedenken hatte ich ja am Anfang, dass es vielleicht bisschen langweilig wird, tut gut zu hören, dass das bis jetzt bei keinem der Fall war. Puh.
Ein starker Text - zu recht empfohlen.
Ich danke herzlichst. :gelb:
Schön, dass dir die Geschichte gefallen hat und dir einen Kommentar wert war.

Liebe Grüße

 

Hallo Strudel!

Die großen Pluspunkte der Geschichte sind ihre Authentizität und die interessanten Figuren. Ich denke, Lakita hat nicht so unrecht, dass man eigentlich nicht genau weiß, wieso sie den Mann so ablehnt, denn sie lehnt ihn ja bereits ab, bevor er seine schlechten Seiten zeigt. Das ist es auch, was die Protagonistin so sehr an der ganzen Sache stört, dass da ein tiefer Widerwillen in ihr ist, ohne dass sie genau sagen kann, woher der kommt, denn anfangs will sie sich ja dazu zwingen, Erwin zu mögen. Und das Ende legt nahe, dass sie zwar mit der Entwicklung sehr zufrieden ist, dass sie Erwin plus Anhang los wird, aber sie fühlt sich nicht wohl dabei, sie hat ein vages Schuldgefühl, nicht nur weil Mischa leidet, sondern auch, weil da in ihr ein Gefühl ist, das sie nicht mag, ein unbegründeter Hass vielleicht, jedenfalls ein Gefühl, das ihr zu stark ist, etwas, das sie vielleicht bis jetzt noch nicht kannte.

Ja, sehr schöne Geschichte, nachvollziehbar und unterhaltsam. :) Als Leser kann man da gut anschließen, denn jeder kennt Leute, bei denen es einem die Haare aufstellt, ohne dass man genau weiß, wieso.


Eigentlich war ich die einzige
groß: Einzige
aber ich sah nicht ein, auf der Pritsche zu schlafen.
ich glaub, das geht nicht so verkürzt, also: aber ich sah nicht ein, wieso ich auf der Pritsche schlafen sollte
ist das erste, was ich sehe
groß: Erste
Erwin antwortet nicht sondern kramt im Eisfach herum
Komma: nicht, sondern ...
Es ist okay Erwin
Komma: okay, Erwin
da hast du recht meine Süße
Komma: recht, meine ...
Die meisten, die ich kenne tun das nicht
Komma: kenne, tun ...
Sag auch mal was Tommy
Komma: was, Tommy
Ach ich bitte dich
Komma: Ach, ich ...
reagiere nur auf seine Fragen, wenn es sich nicht vermeiden lässt
würde ich umstellen: reagiere auf seine Fragen nur, ...
es ist das einzige, was sie tun kann
groß: Einzige


Gruß
Andrea

 

Tach Stru,

vorneweg, ich mag von den dargestellen Charakteren nur Mischa, die ist die Einzige, die zumindest ein bisken sympatisch auf mich wirkt, sie weint meisten, lächelt nur einmal und spricht nicht viel, ist in ihrer Welt.

Das soll jedoch nicht bedeuten, daß ich die Geschichte um die anderen nicht mag, auch wenn ich im speziellen Lisa mit ihrem sehr selbstbezogenen Habitus fast noch unsympatischer als Erwin finde. Die Charaktere sind jedenfalls greifbar, konkret, glaubwürdig, lebendig, sonst könnten die keine Sympathie oder Antipathie bei mir auslösen :)
Sprachlich fliesst die Geschichte ruhig dahin, auch mir gefällt dabei sehr gut, daß sie nicht explizit ist, sondern Raum lässt, sich das wirkliche Geschehen und die Hintergründe auszumalen und selber zu entwickeln, ich mag sowas - gerade in dem erzählten, alltäglichen Kontext der Handlung - gerne.

Einziger inhaltlicher Kritikpunkt :

„Hä?“, sage ich endlich und hebe ruckartig den Kopf.
bei dem Alkoholgehalt von Lisas Blut und der damit einhergehenden Wirkung würde das Ruckartige der Bewegung sie vermutlich ziemlich massiv beeinflussen, im Sinne, daß sie kotzen muss oder zumindest mit der Fassung und der räumlichen Orientierung kämpfen muss, davon finde ich jedoch nichts im Text.

Gut erzählt, gutes Ende, hat Freude gemacht zu lesen !

Grüße
C. Seltsem

 

Hallo Andrea!

Die großen Pluspunkte der Geschichte sind ihre Authentizität und die interessanten Figuren.
Das hört man gern, danke. :)
Ich denke, Lakita hat nicht so unrecht, dass man eigentlich nicht genau weiß, wieso sie den Mann so ablehnt, denn sie lehnt ihn ja bereits ab, bevor er seine schlechten Seiten zeigt.
Deine Interpretation trifft eigentlich den Nagel auf den Kopf, ja. Natürlich ist Erwin erstmal der Böse, er ist der neue Freund ihrer Tante (Frechheit aber auch) und Sachen wie: er ist arbeitslos, schleimt rum, hat ne störende Tochter, das gibt der Erzählerin ja nur Futter, ihre Abneigung irgendwie zu begründen. Aber die Tante wird ihn ja am Ende wirklich los, also muss schon was an ihm sein, was nicht nur durch die Wahrnehmung Lisas verfälscht wird.
sie hat ein vages Schuldgefühl, nicht nur weil Mischa leidet, sondern auch, weil da in ihr ein Gefühl ist, das sie nicht mag,
Das sind Schuldgefühle pur. :p

Vielen Dank für deinen Kommentar und die Korrekturen, ich hab (fast) alle übernommen, da war ja doch noch einiges drin. Hat mich gefreut!

Tag Herr Seltsem!

Soso, Sie mögen also die Erzählerin nicht, ja? Na, dann werd ich sie gleich mal vorbeischicken, vielleicht kann sie ja irgendwen rausekeln oder so. :p
Nee im Ernst: Die haben ja alle so ihre Fehler, und Lisa ist nunmal total Ich-bezogen, ja.

Die Charaktere sind jedenfalls greifbar, konkret, glaubwürdig, lebendig, sonst könnten die keine Sympathie oder Antipathie bei mir auslösen
Das ist gut! Ich wollte schon immer mal ne Antiheldin. :)
bei dem Alkoholgehalt von Lisas Blut und der damit einhergehenden Wirkung würde das Ruckartige der Bewegung sie vermutlich ziemlich massiv beeinflussen, im Sinne, daß sie kotzen muss oder zumindest mit der Fassung und der räumlichen Orientierung kämpfen muss, davon finde ich jedoch nichts im Text.
Hmm. Najaaa, soviel hat sie doch nicht getrunken, oder? Die verträgt nur nix. Und mal ehrlich, ich will da keine Kotzszene einbauen. Ich werd mal sehen, was ich da einbauen kann.

Danke auch dir für deine Rückmeldung!

Liebe Grüße an euch beide,
Strudel

 

Hallo Apfelstrudel

Zitat von dir: „Man weiß ja nicht, was mit der Mutter ist, aber so weit wollte ich es auch nicht ausdehnen, das sollte sich dann alles im Kopf des Lesers abspielen“


Kümmer dich mal nicht um den Kopf des Lesers. Das hört sich für mich nach Ausrede an. Wenn es dir nicht gelingt, bestimmte Sachverhalte oder unklare Sequenzen deutlich zu machen, kann man das auch als Schwächen im Kopf der Autorin auslegen.
In deiner Geschichte – gut und leicht lesbar, mit viel Tempo im Stil und mit bissigem Humor unterlegt – häufen sich allerdings die Themen, die sich dann „im Kopf des Lesers“ weiterbilden sollen. Überspitzt gesagt: streich doch den Text deiner KG und belaß es beim Titel, im Kopf des Lesers wird sich dann schon der Rest irgendwie abspielen. Das kommt mir wie eine Gleichgültigkeit vor, die du, ja, letzten Endes nicht nur dem Leser, sondern auch deinen Figuren gegenüber zeigst. Ein paar Bemerkungen mehr, die aufklärerisch wirken könnten, heißt ja nicht, dem Leser alles vorzukauen. Bei der Darstellung der Lisa bist du ja auch großzügig und belässt es nicht bei wenigen charakteristischen Momenten. Ich empfinde das als Mangel, was schade ist, weil ich deine Kg gerne gelesen habe.

Warum Mischa weint: Ihr Freund hat sie gerade verlassen; sie hat Schulprobleme; ihr Vater kauft ihr nicht das neue Handy; sie ist schwanger; die Weltwirtschaftskrise; Lisas Verhalten; sie hat eine starke Depression; sie ist drogensüchtig; ihre Mutter, ihre Oma, ihr Hamster ist kürzlich gestorben usw.…

Die meisten Kommentare gehen von der neuen Lebens-Situation aus, die bei Mischa die Tränendrüsen aktiviert. Warum eigentlich? Das geht aus dem Text mit keiner Silbe hervor.
Aus dem enigmatischen Satz der Tante „Das Mädchen hat schon genug gelitten“ jedenfalls kann man das m. M. nach nicht ableiten. Hier spekulierst du wohl wieder auf den Kopf des Lesers.

Etwas merkwürdig finde ich auch die Gesamtanlage deiner Story: da kommt also diese gefühllose Lisa in die Beziehung ihrer Tante als Gast hinein, benimmt sich wie der große Zampano, mag eigentlich niemanden und trägt letztendlich dazu bei, dass die Tante den Erwin vom Hof schickt. Und der nickt dann auch artig mit dem Kopf und haut ab. Als ob es die Achtzehnjährige ist, nach der sich die Erwachsenen in ihren Entscheidungen richten.

Jedenfalls, schön, dass dein Text mich zum Nachdenken angeregt hat. Also noch mal - gerne gelesen, auch die flotten, knappen Dialoge und einige herrliche Passagen, wie die mit dem Pfannkuchen und dem sprechenden Hintern.

Viele Grüße
Hawowi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hawowi

Kümmer dich mal nicht um den Kopf des Lesers. Das hört sich für mich nach Ausrede an. Wenn es dir nicht gelingt, bestimmte Sachverhalte oder unklare Sequenzen deutlich zu machen, kann man das auch als Schwächen im Kopf der Autorin auslegen.
Du hast mich zitiert, als es um Mischas Mutter geht, die ja mit keiner Silbe in der Geschichte erwähnt wird. Nichtsdestotrotz kann man sich über die Mutter Gedanken machen, keine Frage. Aber muss ich das groß in der Geschichte auswälzen, nur weil eine Mutter existiert? Das ist kein Roman, sondern eine Kurzgeschichte, und nur weil dieses "das muss sich im Kopf des Lesers abspielen" von vielen als Ausrede benutzt wird, heißt das nicht, dass das bei jedem der es sagt, eine Ausrede ist. Gewisse Dinge muss man einfach bei einer Kurzgeschichte außer Acht lassen, ich hab mich jetzt darauf konzentriert, was ich für wichtig empfinde und fertig. Ich werd da bestimmt keine Mutter einbauen.
Überspitzt gesagt: streich doch den Text deiner KG und belaß es beim Titel, im Kopf des Lesers wird sich dann schon der Rest irgendwie abspielen.
Du unterstellst mir jetzt Zeug, was auf diese Kurzgeschichte nicht zutrifft, wenn ich das mal so sagen darf. Du unterstellst dieser Geschichte ein Fragment zu sein, ne lückenhafte Momentaufnahme, aber ich bitte dich, das sind 8 Seiten und ich hab nicht das Gefühl groß rumgeschwafelt zu haben.
Das kommt mir wie eine Gleichgültigkeit vor, die du, ja, letzten Endes nicht nur dem Leser, sondern auch deinen Figuren gegenüber zeigst.
Das ist, mit Verlaub, großer Mist. Die Figuren sind mir alles andere als egal und wenns dir so vorkommt kann ich dir da auch nicht helfen.
Warum Mischa weint: Ihr Freund hat sie gerade verlassen; sie hat Schulprobleme; ihr Vater kauft ihr nicht das neue Handy; sie ist schwanger; die Weltwirtschaftskrise; Lisas Verhalten; sie hat eine starke Depression; sie ist drogensüchtig; ihre Mutter, ihre Oma, ihr Hamster ist kürzlich gestorben usw.…
Letzteres.
Etwas merkwürdig finde ich auch die Gesamtanlage deiner Story: da kommt also diese gefühllose Lisa in die Beziehung ihrer Tante als Gast hinein, benimmt sich wie der große Zampano, mag eigentlich niemanden und trägt letztendlich dazu bei, dass die Tante den Erwin vom Hof schickt. Und der nickt dann auch artig mit dem Kopf und haut ab. Als ob es die Achtzehnjährige ist, nach der sich die Erwachsenen in ihren Entscheidungen richten.
Erklärst du mir bitte, was daran so komisch ist? Kann ich hieraus grad nicht ableiten.

Gruß
strudel

 

Hey apfelstrudel,

auf eine persönliche Empfehlung hin habe ich Deine (diese) Geschichte gelesen und bin unheimlich angetan. Dann habe ich die Komm's überflogen und finde, der letzte sollte nicht den Abschluss bilden.

Im Theater ist ein Stück für mich gut, wenn mir am Ende nicht mein Hintern weh tut, eine längere KG mag mich gut unterhalten, wenn ich nicht nach dem Ende scrolle. Irgendwie war es dann plötzlich da, dass Ende.

Klar habe ich mich beim lesen gefragt, warum Mischa weint. Aber wirklich unbefriedingend fand ich es nicht, dass Du nicht explizit aufklärst. Ich meine, sie ist irgendwie nur noch in sich, verlässt tagsüber das Haus und dessen Bewohner, ich finde, da gibt es einige Stellen im Text, die besagen, dass sie alles andere als glücklich ist. Menschliche Nähe scheint Mischa nur schwer zu ertragen. Für mich wurde sie zu oft enttäuscht, wurde ein ums andere Mal verlassen (Vater - Fernfahrer), Mutter (wie auch immer - aber auch sie ist fort) und nun schon wieder, sie wird wohl mit ihrem Vater mit müssen, jedenfalls ist das der erste Gedanke. Die Tante - die ja okay war und dem Vater gut tut - dann auch wieder fort.
Jedenfalls ist das so meine Lesart.

Die Erwin-Tanten Beziehung. Früher war in dieser Wohnung die Maxime - Leben und Leben lassen, nun gibt es Regeln - bitte Schuhe ausziehen. Bezeichnende fand ich die Stelle, wo die Tante erstmals aus ihrer eigenen Wohnung flüchtet, nach oben zum langjährigen Freund, der doch sonst nur zu ihr kam. Nun geht sie zu ihm. Die Wohnung, die, wie es scheint immer kleiner wird.

Klar ist die Nichte eine Kotterschnauze, eine sehr liebenswerte, wie ich finde. Altersgerecht bringt sie ihre Sicht der Dinge hervor, nimmt mich als Leser an die Hand und führt mich mit ihrer Jugend durch den Text.

Sehr gern gelesen. Eine Geschichte die bleiben wird.
Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege!

Vielen Dank fuer den sehr schmeichelhaften Kommentar. :) Solche Streicheleinheiten sind genau das was ich brauche!

Dann habe ich die Komm's überflogen und finde, der letzte sollte nicht den Abschluss bilden.
Meiner machts nur noch schlimmer.
Klar habe ich mich beim lesen gefragt, warum Mischa weint. Aber wirklich unbefriedingend fand ich es nicht, dass Du nicht explizit aufklärst.
Das hat ja einige gestoert, aber selbst mit mittlerweile reichlich Abstand kann ich daran nichts Falsches sehen. Obwohl ich die Geschichte selbst auch nicht ganz rund finde, aber fuer mich liegen die Haken eher bei Erwin, was solls. Keine Ahnung ob ich daran was aendern werde, innerhalb der naechsten Monate wirds garantiert nix und danach trau ich mich bestimmt auch nicht mehr ran, ich mag nicht gern an alten Geschichten rumdoktern. Was erzaehl ich hier eigentlich - in die Richtung ging die Kritik gar nicht. :p
Klar ist die Nichte eine Kotterschnauze, eine sehr liebenswerte, wie ich finde.
Die hat mir auch Spass gemacht.

Danke dir fuers Ausgraben und Gutfinden!

Liebe Gruesse,
strudel

 

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