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Niklas mit den Messerhänden

Seniors
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10.10.2006
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Niklas mit den Messerhänden

Weil er Angst hatte, im Schlaf zu reden, schlief er gar nicht. Nichts konnte natürlicher sein. Statt dessen lag Niklas Frost wach und lauschte dem Atem seiner Frau. Lauschte jedem Atemzug nach, jeder Regung und jedem Geräusch. Draußen erwachte die Stadt: Der Verkehr setzte ein, das Schnaufen der Müllabfuhr war zu hören und auch Vögel sangen, aber nicht sehr viele.
Endlich klingelte der Wecker. Frost gähnte lautstark mit weit aufgerissenem Mund. Seine Frau lag still. Er reckte beide Arme aus, wie um die Müdigkeit langen, erholsamen Schlafes abzuschütteln und dabei traf er seine Frau mit dem linken Arm am Hinterkopf. Daraufhin murrte sie, zog die Bettdecke bis ans Kinn und streckte einen ihrer kalten Füße nach ihm aus, so dass er endlich einen Grund sah, laut aufzuschreien, aus dem Bett zu springen, sich über ihre mangelnde Durchblutung zu beschweren und ins Bad zu verschwinden, wo er sich sechs, sieben Hände voll Wasser ins Gesicht warf und seine Augenringe anstarrte.
Danach machte er Frühstück, ein englisches mit Eiern und Würstchen, warf seinen Sohn aus dem Bett, ermunterte ihn zu einem redlichen, aufrechten Leben, insbesondere was die Körperhygiene und den Respekt vor Älteren anging, schlang hastig einige Brocken Ei hinunter, schlüpfte in seinen Anzug, der so wie er weit bessere Tage gesehen hatte, nahm seinen zerschlissenen Aktenkoffer unter den Arm und machte sich aus dem Staub. Als seine Frau ihm hinterher rief, er solle viel Spaß an der Arbeit haben, da zuckte Frost zusammen, so als hätte ihn die Peitsche eines Sklaventreibers erwischt.

Je näher er der Schule kam, desto langsamer wurden seine Schritte. Als er sie sehen konnte, ein graues Gebäude irgendwann in den Siebzigern gebaut, da fing er an zu schlendern. Steckte eine Hand in die Hosentasche und schlenkerte den Aktenkoffer in unruhigem Rhythmus neben seinem Bein entlang. Und schließlich, als er vor der Schule stand, vor dem Portal mit der lateinischen Aufschrift, da erinnerte sich Frost daran, dass er diese Sentenz dorthin gemalt hatte. Es war sein Vorschlag gewesen. Damals. Er war angenommen worden, hinter seinem Rücken hatte man wahrscheinlich über ihn gelacht. Ein wenig verstaubt, natürlich. Ein klein wenig anachronistisch. Latein, was sollte das heutzutage noch? Aber man hatte den Vorschlag angenommen und er hatte die Worte dorthin gesprüht, mit Vorlagen, mit ausgestanzten Buchstaben, die nur gefüllt werden mussten. Er hatte es gern gemacht. Allein das war wichtig.
„Was machen Sie denn da?“, hörte er eine Stimme. Sie gehörte Deubert, Sport und Physik.
Frost widerstand dem Impuls sich umzudrehen, drückte seinen Kopf auf die Brust und wandte sich zur Seite um, so dass Deubert ihn nicht sehen konnte. Frost ging einige Schritte, die Aktentasche stieß gegen sein Bein.
„Frost? Sind Sie das?“
Frost begann zu gehen, lief dann, lief schneller, die Straße entlang, vor den Worten weg, rannte schließlich und floh. Niklas Frost floh.

Den Vormittag verbrachte er im Park und sah zu, wie andere die Tauben fütterten am See. In seinem Aktenkoffer war noch das Unterrichtsmaterial, aber er hatte es schon zu oft gelesen, wenn die Stunden länger waren als heute und wenn die Zeit wie eine Schnecke kroch, heute schlich sie nur - wie eine lahme Katze.

Als es Mittag wurde, machte sich Frost nach Hause auf. Dort angekommen, öffnete er die Tür, murmelte „Ich bin zu Hause“, lauschte auf eine Antwort und dann – als keine gekommen war – schlich er auf Zehenspitzen in sein Büro, schloss sich dort ein und fuhr den Rechner hoch. Er starrte zwei Stunden lang auf verschiedene Dateien, grafische Darstellungen von Sitzplänen vor allem, bis er Solitär öffnete und mit Kartenlegen die Zeit bis zum frühen Abend füllte.

Am Abendtisch – es gab Ravioli mit Tomatensoße – löffelte Frost energisch und hastig. Er nahm den Blick nicht vom Teller und hörte dem Geschwätz seines Sohnes zu. Er hatte heute Sport gehabt und war im Brennball wohl recht erfolgreich gewesen. Seine Frau übernahm das Heucheln von Interesse und Frost dezimierte seine Ravioli mit grimmiger Entschlossenheit.
„Schatz, mir ist heute etwas Seltsames passiert“, sagte seine Frau.
Die Ravioli plumpsten in Frosts Magen. „Was denn, Schatz?“, fragte er, ohne aufzusehen.
„Die Kreditkarte war überzogen. Dabei ist doch schon der Siebzehnte, dein Gehalt müsste doch längst da sein.“
Frosts Nackenhaare stellten sich und er hörte auf zu löffeln, nur noch das Klappern seines Sohnes war zu hören. Der nun, da er nicht mehr erzählen musste, seinen Hunger stillte, aber ungeschickter als Frost, nicht so systematisch. Er rührte mit dem Löffel in der Nudelpampe umher, traf mal da, mal dort den Tellerrand und den Tellerboden. Es klimperte und klamperte. Ohne jeden Rhythmus, ohne jede Harmonie.
„Schatz? Willst du mir was sagen? Wieso starrst du so?“
„Nichts“, sagte Frost. „Wird bestimmt nur ein Missverständnis sein, ich geh morgen auf die Bank.“
Frost wartete noch einige Lidschläge, schob sich dann vom Tisch weg und sagte. „Ich muss noch ein paar Arbeiten korrigieren, warte nicht auf mich, es wird später.“ Dann ging er zurück zu seinem Computer und zu seinen Karten.

Am nächsten Morgen ließ Frost die Straßenbahn zur Schule passieren. Die erste und auch die zweite, selbst die dritte und vierte, er saß nur dort auf dem kleinen Bänkchen und sah Leute kommen und gehen, sah sie ein- und aussteigen. Unter ihm roch es nach Urin und die Bank war kalt und glatt. Schließlich stützte Frost beide Hände auf seine Knie, erhob sich und ächzte dabei. Kaum aufgestanden, nahm er sein Portmonee aus der Hosentasche, spähte hinein und zählte vierundvierzig Euro, dreißig in Scheinen und vierzehn in Münzen. Er studierte den Fahrplan, ein wirres Sammelsurium aus roten, grünen, braunen, gelben, blauen und orangefarbenen Linien, überlegte eine Weile und folgte dem Verlauf der gelben Linie mit der Spitze seines Zeigefingers. Dann stieg er in eine Straßenbahn, suchte sich einen Platz am Fenster und versank in dumpfe Grübelei, bis die mechanische Frauenstimme verkündete, dass er den Turnvater-Jahn-Platz erreicht hätte. Frost stieg aus, tat einige Schritte, um nicht anderen Passanten im Weg zu sein, reckte dann den Kopf nach links und rechts, denn er war nicht oft hier gewesen und das letzte Mal vor Jahren. Endlich erkannte er das grüne Banner Karstadts und machte sich auf den Weg.

Frost stand vor den Messern unter Glas. Sie blitzten und funkelten ihn an; er wusste nicht, wie lange er schon hier stand, vor der Messerwand in der Freizeit- und Sportabteilung Karstadts, und auf diese Dinger unter Glas starrte. Es gab Messer in allen Formen und Farben, aber das Graue des Stahls dominierte. Es gab lange und kurze Messer, breite und schmale, gezackte und glatte. Einige hatten Intarsien: ein stilisierter Hirsch prangte hier, Initialen funkelten dort, und von einem anderen lächelten ihn überkreuzte Klingen an.
Aber ein Messer interessierte Frost mehr als alle anderen. Dieses Messer war sein persönlicher Gral. Ein schlichtes Ding, ein glatter Holzgriff mit Maserung, dann eine spitz zulaufende Klinge und an der Spitze Zähne. Keine Verzierungen, keine Färbungen, nichts. Nur Holz und Stahl und Zähne. Frost fand, dass es passte.
Er winkte eine Verkäuferin herbei und stand dabei aufrecht und gerade und sprach mit frischer Stimme: „Jenes dort“ und zeigte mit dem Finger auf den Gral.
Die Frau, eigentlich noch ein junges Mädchen, aber nicht jung genug, um Janine zu sein, öffnete die Glaswand mit einem Schlüsselchen, griff nach dem Messer und musste sich dabei strecken. Frost sah, dass ihr weißes Hemd hoch gerutscht war und einen Blick auf ihren schwarzen Slip freigab und auf ihr Rückgrat und auf den Ansatz ihres Pos. „Dieses hier?“, fragte sie und schaute über die Schulter.
„Ebendies“, sagte Frost und folgte dem Mädchen bis zur Kasse, bezahlte dort in bar und steckte das Messer in seine Aktentasche.
„Waidmanns Heil“, sagte das Mädchen und kicherte dabei.

Frost stand vor dem See, ein paar Tauben pickten etwas vom taunassen Gras. Frost lächelte, machte zwei, drei schnelle Schritte auf sie zu, wedelte wild mit den Armen und schrie „Tschu-Tschu!“
Die Tauben stoben auseinander. Frost nickte, zog sich das Sakko aus, faltete es über seinem Arm, strich es glatt und legte es auf die Bank in seinem Rücken. Danach zog er sich seine Schuhe aus und auch die Socken und stellte beides unter die Bank. Er stützte auch den rechten Fuß auf sie und krempelte sich die Hose bis zu den Knien hoch. Dergleichen tat er mit dem linken. Er ließ den Aktenkoffer aufschnappen und nahm das Messer heraus. Dann schloss Frost den Koffer wieder.
Er strich mit der Kuppe seines linken Zeigefingers über die Klinge und fühlte auch den Messerzähnen nach, vertiefte sich in die Einkerbungen seines Grals.
Frost sah hoch in die trüben Strahlen der Vormittagssonne und Frost sah auch auf die Wellen des Sees, dann lief er barfüßig über die Wiese in den See hinein. Hielt das Messer dabei in seiner linken Hand und stand, noch ehe er es sich versah oder Gelegenheit hatte, seine Entscheidung zu reuen, schon bald bis zur Hüfte im Wasser. Seine Zähne klapperten und sein Penis hatte sich weit zurückgezogen.
Frost hielt den Gladius zwischen seine Augen und die Sonne. „Die Iden des Märzen“, skandierte er. Aber das Klappern seiner Zähne störte ihn und durch die klamme Kälte seiner Unterhose erwachte er plötzlich. Und er sah auf das Messer, das er mit beiden Händen hielt, hoch über seinem Kopf.
Und Frost überlegte es sich anders.

Schon von Weitem sah er den Penner, der sich über seine Jacke und seinen Aktenkoffer gebeugt hatte. Eine zerlumpte Gestalt in einem schwarzen Mantel. Frost watete durch den See auf ihn zu, platschte vorsätzlich dabei mit den Händen aufs Wasser. Doch der Penner hörte ihn nicht, hatte sogar einen Stein vom Boden aufgehoben, der dort dicht neben Frosts Schuhen gelegen hatte, und hämmerte nun auf die Schnallen des Aktenkoffers hernieder wie ein Schmied auf einen Amboss.
Frost entstieg dem Wasser. Ihn fröstelte. Das Wasser tropfte seinen Rücken hinunter in die Poritze. Der Penner hatte ihn noch immer nicht bemerkt, obwohl Frost nun hinter ihm stand. Aber er schien wie besessen von seiner Schmiedeaufgabe, donnerte mit dem Stein hinunter.
„Guter Mann“, sagte Frost. „Ich fürchte, das gehört mir.“
Der Penner drehte sich um, hielt noch den Stein und schrie wie von Sinnen, als wäre der Teufel hinter ihm her. Frost sah auf den Stein und in die Augen des Mannes.
„Nicht, verdammt, nicht“, schrie der Penner mit spiritustrunkener Stimme und stürzte auf Frost zu, den Stein erhoben. „Du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht.“
Frost wollte nach hinten ausweichen, doch der Mann war schwer, fiel auf ihn und riss ihn mit sich zu Boden.
Der Penner gurgelte plötzlich und Blut sprudelte aus seinem Mund heraus, besudelte Frosts Hemd und sein Gesicht, von oben bis nach unten. Frost roch Spiritus-Atem, Stoppeln kratzten über sein Gesicht und seine Brust und in seiner linken Hand spürte er den Holzgriff. Den Griff des Grals, den er vergessen hatte.

Frost wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, aber irgendwann hatte er den schweren Mann von sich hinuntergerollt und sich die Hände im See gewaschen. Und dort hatte er gesehen, dass das Messer mit seiner linken Hand verschmolzen war. Dass das Messer zu seiner linken Hand geworden war, gleich der Hakenhand eines Piraten.
Und Frost verstand die Welt nicht mehr. Schon wieder nicht.
Seine Messerhand spiegelte sich im See wieder. Und auch das Blut auf seinem Hemd und auf seinem Gesicht. Eine frische Wunde war an seinem Hals, vom Versuch, sich zu waschen. Jetzt erinnerte sich Frost: Er hatte ganz normal mit beiden Händen Wasser geschöpft, gar nicht gemerkt, dass er nur noch eine hatte und dann hatte er den Schmerz gespürt und hatte die Hand gesehen, die stahlglatte Hand mit den Zähnen. Frost sah sich nach allen Seiten um: Die Tauben waren zurückgekehrt und hatten sich um die Leiche des Penners versammelt, der mit dem Gesicht nach unten im Gras lag. Sonst war niemand zu sehen. Frost stand auf, entfaltete seine Jacke, klopfte sie ab, krempelte seine Hosenbeine nach unten und schlüpfte in seine Schuhe. Dies alles dauerte länger als für gewöhnlich und immer wieder schnitt Frost sich, vor allem an den Beinen und an den Knöcheln; er war noch nicht an seine neue Hand gewöhnt.
Endlich war er fertig angezogen, wenn auch Blut seine Socken durchweichte, und Frost griff sich den Aktenkoffer, der arg durch die Amboss-Schläge ramponiert worden war, und Frost ging.

Während Frost auf die Straßenbahn wartete, tropfte er ab. Die Menschen mieden ihn. Seine linke Hand hatte er in seiner Hosentasche versteckt; dort zuckte und ruckte sie wie der abgeschlagene Kopf einer Schlange. Ein junger Mann blieb irgendwann vor Frost stehen. Flaum war auf seinem Gesicht zu erkennen und er roch nach Zigaretten und billigem Aftershave. „Herr Frost, sind Sie das?“
„Ja“, sagte Frost.
„Geht es Ihnen denn gut? Wir haben nur gehört, dass Sie versetzt worden sind. Ich sag Ihnen, wir vermissen Sie. Oh Gott, was haben Sie denn da? Haben Sie sich beim Rasieren geschnitten.“
„Ja“, sagte Frost. „Beim Rasieren.“
Jetzt erkannte er den jungen Mann. Ein Deutsch-Albaner, saß in Raum Zwei-Null-Vier, in der dritten Reihe, äußerst links, Dienstags und Donnerstags jeweils dritte und vierte Stunde. Ganz ordentlicher Schüler, wenn auch faul, furchtbar faul, stand schriftlich auf Vier und mündlich auf einer guten Zwei. Frost stand auf, schnitt sich dabei mit der linken Hand in den Oberschenkel, ächzte vor Schmerzen auf und sagte: „Hüte dich vor den Iden des Märzen.“
Dann stieg er in die Straßenbahn.

Als Frost wieder zu sich kam, starrte er auf Janines Leiche. Seine Messerhand zuckte mattschwarz nach. Frost sagte: „Ich habe sie dir geopfert. Jetzt wird alles wieder gut.“
Er sah auf die Leiche hinab, eine junge Blume vor ihrer Zeit erblüht und vor ihrer Zeit verblüht. Sexuelle Belästigung. Frost schüttelte den Kopf. Kindesmissbrauch, Missbrauch einer Schutzbefohlenen, fast war es ihm, als lache ihn die Leiche an. Dieses dürre Ding, mit Knospen anstelle von Brüsten, ohne Kurven, ohne Form, noch ohne Charakter, aber schon böse.
Frost sah sich im Zimmer um. Weiße Wände mit roten Tupfen; kein Poster an der Wand, nur ein Bücherregal hing da, ein Sideboard. Marion-Zimmer-Bradley-Romane, dann noch ein Fernseher, ein Satelliten-Receiver und ein Computer. Ein Jahrmarkts-Teddy auf dem Bett neben Kissen mit Blumen bestickt. Und Blut, überall Blut. Die Hand hatte die Kontrolle gehabt.
Die Leiche lag da, der Körper war nur noch blutende, zerschnittene Masse, aber der Kopf war noch rein. Den Kopf hatte sie verschont, jeden Moment konnte der Kopf sagen: „Am besten Sie nehmen Ihren Hut und wir verzichten darauf, es weiter zu verfolgen.“ Konnte das sagen, aber nicht mit der Frauenstimme, mit der Mädchenstimme, sondern mit der Direktorinnenstimme.
„Willst du sie auch, Hand?“, fragte Frost. Die Hand blieb stumm, züngelte nicht mattschwarz wie eine Schlange, wisperte nicht zu ihm mit Fistelstimme. Frost verließ das Zimmer, ging über den Flur, an dem toten Hund vorbei, der niedergemetzelt an der Wand lehnte, ging durch die Tür hinaus, wo die Dame lag, mit zerschnittener Kehle, ging an allem vorbei und ging nach Hause.

Die Fahrt und den Weg zurück bis in sein Büro, bis nach Hause, vergaß er, noch während er sie erlebte.
Und dort saß er nun, seine Knöchel schmerzten, seine Waden, seine Oberschenkel, seine Arme und sein Nacken. Sein Gesicht brannte aus tausend, kleinen Wunden. Und mit der rechten Hand umklammerte er die Maus und legte seine Karten. Die linke lag daneben, tot und starr und still.
Dann Klimpern an der Tür, helles Kinderlachen. Die Hand zuckte. Frost merkte es an seinem Oberarm. Spürte das Zucken abwärts. Frost starrte auf die Hand, sie schlängelte sich auf und ab, kratzte über den Schreibtisch hinweg. Frost nahm die Maus mit seiner rechten Hand und hieb auf seine linke Hand. Doch wohin er auch zielte, die Messerhand war schneller, wich ihm aus. Mal um Mal um Mal. Eine Sisyphus-Arbeit. Vergebene Liebesmüh. Und so strafen die Götter, die gerechten, alle.
„Nein“, sagte Frost. „Bitte nicht.“ Doch die Hand erhob sich nun, wie die Schlange eines Schlangenbeschwörers. Frost griff mit seiner rechten Hand nach seinem linken Ellenbogen, bekam ihn zu fassen, drückte die Messerhand nach oben, zu seiner Kehle hin. Er spürte die Klinge an seinem Hals, schloss die Augen, jeden Moment musste es vorbei sein. Die Iden des Märzen. Doch da war nichts Nasses, da war kein Blut. Und die Klinge leuchtete stumpf von innen heraus, sie hatte ihm kein Leid getan.
Frost starrte auf den Monitor. Klickte mit seiner rechten Hand ein Deck durch, ohne eine Karte bewegen zu können. Es lief nicht gut, das Spiel war nicht mehr zu gewinnen.
An der Tür klopfte es: „Papa? Bist du schon da?“
Frost sagte nichts. Dann energisches Klopfen: „Schatz, warst du auf der Bank?“
Frosts Hand zuckte.

 

Hey Bärli!

und schleuderte den Aktenkoffer in unruhigem Rhythmus neben seinem Bein entlang.
Er schleuderte ihn entlang? Nein, das geht wirklich nicht! Vorschlag: und schlenkerte den Aktenkoffer in unruhigem Rhythmus hin und her.
Eine joviale Stimme, eine Kumpelstimme, eine Schelmenstimme.
Du machst das gerne, dass du auf einem bestimmten Wort sitzen bleibst, hier wirkt es aufgesetzt.

Die ganze Geschichte erscheint mir ein bisschen anachronistisch: Die Idee ist ja altbacken, also das, dass ein Mann nur noch vortäuscht, zur Arbeit zu gehen. Und die Darstellung der Familie ist ja auch nur ein Klischee. Welche Familie sitzt schon noch zu Mittag zusammen beim Essen? Warum ist die Frau nicht berufstätig? Solche Szenen kommen wahrscheinlich nur noch in amerikanischen Soaps vor.

Aber du rettest es damit, dass du sehr genau darstellst. Man hat bei dir immer das Gefühl, dass du dir eine Szene sehr eindringlich vorstellst. Wie du die unterdrückten Ängste des Vaters in eine immer so unter der Oberfläche präsente Ablehnung seines Sohnes umschlagen lässt - das ist schon ziemlich gut.

Frosts Nackenhaare stellten sich und er hörte auf zu löffeln, nur noch das Klappern seines Sohnes war zu hören. Der nun, da er nicht mehr erzählen musste, seinen Hunger stillte, aber ungeschickter als Frost, nicht so systematisch. Er rührte mit dem Löffel in der Nudelpampe umher, traf mal da, mal dort den Tellerrand und den Tellerboden. Es klimperte und klamperte. Ohne jeden Rhythmus, ohne jede Harmonie.
er wusste nicht, wie lange er schon hier stand, vor der Messerwand in der Freizeit- und Sportabteilung Karstadts und auf diese Dinger unter Glas starrte.
Komma: ... Karstadt, und ...
Frost stand vor den Messern unter Glas. Sie blitzten und funkelten ihn an; er wusste nicht, wie lange er schon hier stand, vor der Messerwand in der Freizeit- und Sportabteilung Karstadts und auf diese Dinger unter Glas starrte. Es gab Messer in allen Formen und Farben, aber das Graue des Stahls dominierte. Es gab lange und kurze Messer, breite und schmale, gezackte und glatte. Einige hatten Intarsien: ein stilisierter Hirsch prangte hier, Initialen funkelten dort, und von einem anderen lächelten ihn überkreuzte Klingen an.
Aber ein Messer interessierte Frost mehr als alle anderen. Dieses Messer war sein persönlicher Gral. Ein schlichtes Ding, ein glatter Holzgriff mit Maserung, dann eine spitz zulaufende Klinge und an der Spitze Zähne. Keine Verzierungen, keine Färbungen, nichts. Nur Holz und Stahl und Zähne. Frost fand, dass es passte.
Er winkte eine Verkäuferin herbei und stand dabei aufrecht und gerade und sprach mit frischer Stimme: „Jenes dort“ und zeigte mit dem Finger auf den Gral.
Sehr guter Teil!
bezahlte dort in Bar
klein: bar
Schon vom weitem sah er den Penner,
groß: von Weitem
der dort dich neben Frosts Schuhen gelegen hatte
dicht
Er sah auf die Leiche hinab, eine junge Blume vor ihrer Zeit erblüht und vor ihrer Zeit verblüht.
Schlechter Stil, kitschig - da fällt dir sicher was Besseres ein! ;)
Weiße Wände mit roten Tupferln;
„Tupferln“ passt nicht zum Stil des übrigen Textes
Am besten Sie nehmen ihren Hut
groß: Ihren
Frost nahm die Maus mit seiner rechten Hand und hieb auf seine linke Hand. Doch wohin er auch zielte, die Messerhand war schneller, wich ihm aus. Mal um Mal um Mal.
Ähm, mit der „Maus“ will er eine Stahlhand ruhig stellen??? Beim ersten Schlag geht die kaputt.
Frost starrte auf den Monitor. Klickte mit seiner rechten Hand ein Deck durch, ohne eine Karte bewegen zu können. Es lief nicht gut, das Spiel war nicht mehr zu gewinnen.
An der Tür klopfte es: „Papa? Bist du schon da?“
Frost sagte nichts. Dann energisches Klopfen: „Schatz, warst du auf der Bank?“
Frosts Hand zuckte.
Sehr gutes Ende!

Ja, die Geschichte ist manchmal hart an der Grenze zum Effekthascherischen. Man merkt, du kannst es und du genießt es! ;)
Aber du hast es geschafft, wieder schamlos zu plagiieren und trotzdem wieder eine runde, eigenständige Sache aus dem Ganzen zu machen. Diese Langsamkeit der Handlungen Frosts als Gegensatz zu seinem inneren Aufruhr, der ja nie wirklich gezeigt wird. Die Anspielungen auf seine humanistische Bildung. Seine Korrektheit. Die Resignation am Anfang. Es stimmt schon, nicht deine beste Geschichte, aber sicher lesenswert.

Gruß
Andrea

 
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Ha, hier kann ich nix kaputt machen und wieder voll zitieren! ;)

Hey Andrea,

Er schleuderte ihn entlang? Nein, das geht wirklich nicht! Vorschlag: und schlenkerte den Aktenkoffer in unruhigem Rhythmus hin und her.
Gekauft.

Du machst das gerne, dass du auf einem bestimmten Wort sitzen bleibst, hier wirkt es aufgesetzt.
Ich mach das wirklich gerne, weil es einen ruhigen Punkt liefert im Erzählfluss. Tückisch von dir es "sitzen bleiben" zu nennen, ich würde es eher als ein "Verweilen" erkennen. Aufgesetzt - okay, ich bin damit ja nicht verheiratet. ;)

Die ganze Geschichte erscheint mir ein bisschen anachronistisch: Die Idee ist ja altbacken, also das, dass ein Mann nur noch vortäuscht, zur Arbeit zu gehen. Und die Darstellung der Familie ist ja auch nur ein Klischee. Welche Familie sitzt schon noch zu Mittag zusammen beim Essen? Warum ist die Frau nicht berufstätig? Solche Szenen kommen wahrscheinlich nur noch in amerikanischen Soaps vor.
Ach ... es gibt schon noch Familien, die zusammen essen. Und es gibt auch Frauen, die Hausfrau sind. Das ist vielleicht hier auf dem Land häufiger als in der Stadt. Also "Klischee" find ich dafür wirklich zu hart, nur weil es eine Hausfrau ist. Da finde ich die ganzen Powerfrauen viel eher ein Klischee.
Altbacken, anachronistisch: Ja! Das sollte so ein. Das Thema mit dem Mann, der nur noch den "Ernährer" spielt, hat aber einfach was. Nur weil das schon oft verbruzzelt wurde ... ist mir egal, ich find das ist ein tolles Thema. ;)

Aber du rettest es damit, dass du sehr genau darstellst. Man hat bei dir immer das Gefühl, dass du dir eine Szene sehr eindringlich vorstellst. Wie du die unterdrückten Ängste des Vaters in eine immer so unter der Oberfläche präsente Ablehnung seines Sohnes umschlagen lässt - das ist schon ziemlich gut.
;) Es wirkt durch die Langsamkeit auch sehr kühl, finde ich.

Schlechter Stil, kitschig - da fällt dir sicher was Besseres ein! ;)
Boah. Du bist ja gnadenlos. Es ist eben ein sehr kitschiger Moment, er hat grad die Frau erschlagen, die er begehert hat und die sein Verderben war. Was könnte es kitschigeres geben?

Ähm, mit der „Maus“ will er eine Stahlhand ruhig stellen??? Beim ersten Schlag geht die kaputt.
Ha! Er trifft sie ja eh nicht. Und ich glaube, an dieser Stelle ist ihm das alles ziemlich egal. Und du musst zugeben: Es ist ein sehr komisches Bild. ;)

Ja, die Geschichte ist manchmal hart an der Grenze zum Effekthascherischen. Man merkt, du kannst es und du genießt es! ;)
Ach, so sehr hab ich das nicht genossen. Ich hab ja von der Erzählperspektive runtergeschaltet und kaum Innenansichten geliefert und hab das an manchen Stellen mit einer dickeren, effektvolleren Sprache ausgeglichen, während ich es ja sonst oft genau umgekehrt gemacht habe.

Aber du hast es geschafft, wieder schamlos zu plagiieren und trotzdem wieder eine runde, eigenständige Sache aus dem Ganzen zu machen. Diese Langsamkeit der Handlungen Frosts als Gegensatz zu seinem inneren Aufruhr, der ja nie wirklich gezeigt wird. Die Anspielungen auf seine humanistische Bildung. Seine Korrektheit. Die Resignation am Anfang. Es stimmt schon, nicht deine beste Geschichte, aber sicher lesenswert.
Das freut mich. Wobei ich den Verdacht habe, dass ich erst wieder eine "beste Geschichte" schreibe, wenn ich sie dir widme. Die Geschichte ist halt in dieser Trotz-Phase entstanden, dass ich doch gute Enden schreiben kann.

Dir an dieser Stelle vielen Dank für deine Kritik, deine Anmerkungen werde ich mir alle einverleiben und Bert-Brecht-mäßig als meine eigenen ausgeben!

Gruß
Der Plagiator
(plagiatisier das!)

 
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Wenn die Geschichte schon vorne ist, kann ich sie auch gleich kritisiren (keine Angst, sie war nicht schlecht):

Draußen erwachte die Stadt: Der Verkehr setzte ein, das Schnaufen der Müllabfuhr war zu hören und auch Vögel sangen, aber nicht sehr viele.
Irgendwie komisch :confused: erst positiv, dann negativ. Besser wäre: "...wenn auch nicht sehr viele."
Den Kopf hatte er verschont.
Ist alles gesagt (ahöm, geschrieben.)
Die Leiche lag da, der Körper war nur noch blutende, zerschnittene Masse, aber der Kopf war noch rein. Den Kopf hatte er verschont, jeden Moment konnte der Kopf sagen: „Am besten Sie nehmen Ihren Hut und wir verzichten darauf, es weiter zu verfolgen.“ Konnte das sagen, aber nicht mit der Frauenstimme, mit der Mädchenstimme, sondern mit der Direktorinnenstimme.
??? Da habe ich gar nichts verstanden: könnte, Stimmen, hä???
Naja, ich will aber nicht nur Schlechtes schreiben, die Geschichte war gut, verworren (wie es sich für eine gute Horror-Geschichte gehört) und brutal.
Allerdings war der Schlußteil eher lustig: Er konnte seine Hand nicht beherrschen, verlor das Spiel, dann zuckte seine Hand. Schade, dass man keine Teile von Geschichten verschieben kann. Denn das gehört auf jeden Fall in Rubrik Humor xD!
PS: Gibt es nicht einen Film, in dem es um Ähnliches geht? Nur ´ne Frage, kann ja sein, dass du den nicht gesehen hast.

 

Hi Quinn,

Hm, ja doch, eigentlich eine ziemlich solide Geschichte. Sie hat mich nicht vom Hocker gerissenen, aber schon das gewisse Etwas gehabt. Hab sie also durchgelesen. Endlich mal eine Geschichte, die nicht so Stephen-King-mäßig daherkommt (verirre mich nicht oft in diese Rubrik; habe stets in den USA spielende Stephen-King-Verschnitte angeklickt und irgendwann die Schnauze voll gehabt), sondern der man schon durchaus einen eigenen Charakter zubilligen kann.

Professionell gelöst ist das mit der Rückschau. Gekonntes indirektes Erzählen. Allerdings ist es auch mir nicht wirklich gelungen, mit dem Prot mitzufühlen. Kann leider nicht sagen, woran das liegt. Hatte irgendwie den analytisch-zynischen Blick à la "Jaja, nach außen fein, nach ..." und der Schluss verdampft fast in schulterzuckender Genugtuung.


-- floritiv.

 

Ja, hier war ja noch was. :)

Hey Regi,

Also ich fand's gut :D
Mach mir aber ein bisschen Sorgen um dich ...

Joar. ;) Danke halt
Quinn

Hey diemond,

Allerdings war der Schlußteil eher lustig: Er konnte seine Hand nicht beherrschen, verlor das Spiel, dann zuckte seine Hand. Schade, dass man keine Teile von Geschichten verschieben kann. Denn das gehört auf jeden Fall in Rubrik Humor xD!
Also so komisch find ich das nun nicht. ;) Es wechselt schon von eher subtilem Horror (er wird gleich wahnsinnig) in handfesteren, aber wär für mich jetzt auch kein Haha-Fall.

PS: Gibt es nicht einen Film, in dem es um Ähnliches geht? Nur ´ne Frage, kann ja sein, dass du den nicht gesehen hast.
Gibt's häufig, dass sich Körperteile gegen ihren Besitzer wechseln. Hier, Armee der Finsternis und "Die Killerhand" zum Beispiel.

Danke dir für die Kritik
Quinn

Hallo floritiv,

ich glaub, das ist wirklich das Zwiespältige hier. Der kühle Blick auf die Geschichte lässt einen die Geschichte rational verfolgen, aber schwer miterleben. Wodurch so ein unangenehmes Gefühl entsteht, was für eine Horror-Geschichte aber auch gar nicht so schlecht ist, denke ich.

Danke auch dir für deine Kritik
Quinn

 

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