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pH-neutral

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13.02.2008
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pH-neutral

Kati sitzt im Schneidersitz am Küchentisch, auf dem sich seit Wochen ihre Soziologiebücher stapeln. Alles ist Statement. Die Stapel, die jeden zweiten Tag umgeschichtet werden, damit es keine Spinnweben gibt, und die Haare, die mit einem Kugelschreiber möglichst stratzelig hochgesteckt gehören.
Wer wollte sich da noch über mumifizierte Teebeutel in der Garfield-Tasse beschweren?
Der Schneidersitz ist sogar politisches Statement. Genauso wie barfuß. Schon so lange Statement, dass es gar keines Publikums mehr bedarf.
“Was?”, fragt sie böse aber nicht besonders artikuliert, weil sie mit den Eckzähnen die Plastikschlinge eines Preisschildes durchbeisst.
Ich befülle Garfield mit Einweichwasser.
“Ich sag’ ja gar nichts.”
Und ich sagte wirklich nichts und guckte auch gar nicht, denn es ist mir egal, dass sie einkaufen war. Das denke ich zumindest, bis ich sehe, dass sie nicht ausschließlich gesichtslose Dinge gekauft hat.
“Pastateller”, sagt sie. “Villeroy und Boch ist doch irgendwie anders als Ikea.”
Ich nicke unkonzentriert und lasse den steifen Teebeutel knistern.
“Brauchst du die Blasenfolie noch?”, frage ich und versuche so nebenbei zu klingen, weil ihr sonst gewiss noch einfällt, dass es immer ein Fehler ist, Blasenfolie wegzugeben.
“Blasenfolie fünfzig Cent”, sagt sie und dann, als ich mich mit verschränkten Armen gegen die Spüle lehne und schweige, “haha, nee, kannste auch so haben.”
Sie reicht mir die Folie mit gönnerhaftem Gestus, denn sie weiß genau, dass ich wenn nötig auch siebzig Cent bezahlt hätte.
“Danke”, sage ich und überlege, ob ich mir die Bläschen rationieren soll. Aber manchmal verdirbt Rationieren eben auch die ganze Freude.
So bin ich wieder unkonzentriert, als Kati ihre Errungenschaften auf den Bücherstapeln zur Präsentation arrangiert.
“Hier, riech mal. Mandelpeeling. Riecht wie Marzipan. Lecker”, sagt sie und schließt träumerisch die Augen.
Es riecht nicht wirklich nach Marzipan. Wie eine Warnung riecht es eben so nach Marzipan, wie WC-Ente nach Zitrusfrische duftet. Und mit WC-Ente würde ich mir schließlich nicht einmal dann den Rachen ausspülen, wenn ich eines Morgens im Bett neben Kati aufwachen sollte.
“Kind, du hast Alzheimer”, hat meine Mutter immer gesagt, wenn sie mir mal wieder ein Goofy-Pflaster auf die Nase kleben musste. “Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass du Kasimir nicht gegen den Strich bürsten sollst.”
Aber mit dem Gedächnis hat es nichts zu tun. Ich erinnere mich zum Beispiel ganz genau daran, dass "Milch und Honig" nicht gut war. Ich hatte es nicht einmal anders erwartet, denn es ist auch keine Dummheit im klassischen Sinne.
Und trotzdem, als Kati jetzt den Verschluss wieder zuschnappen lässt und eine ungeduldige Bewegung mit der Hand macht, um mich aus der Küche zu verscheuchen, weil es wieder Zeit zum Umschichten ist, weiß ich ganz genau, dass ich höchstens zwei Duschvorgänge widerstehen werde. Dann muss ich wieder spucken und mir den Schaum aus dem Mund spülen. Ph-neutral hin oder her.

 

Guten Abend, feirefiz!

Daß ich die absonderlichen Neigungen Deines Helden verstehen oder gar nachvollziehen kann, würde ich ohne Anwalt nicht zugeben, schon gar nicht öffentlich; aber hast Du's mal mit Handwaschpasten versucht, wie sie in Autowerkstätten verwendet werden? Manche der teuren schmecken wirklich nach Mandel; da ist auch zwecks gröberer Schrubbkraft mehr Echtmandel drin statt - wie bei vielen Peelings - Mandelkleie oder Maisschale, die auf der Packungsschlagzeile erst gar nicht erwähnt wird (wer will schon Maisschalenpeeling?)
Auch einen Versuch wert sind sauteure Körperöle (aber nur nippen!).

Ich finde, Du hast seit Deiner ersten Geschichte mählich noch Souveränität zugelegt, als strenge es Dich weniger an oder als seist Du sicherer geworden. Das steht Dir gut.
Klar hat dieser Text keine Unsäglichen Tiefen und ist um eine "kleine Idee" herumgebaut. Aber er ist lebendig, freundlich und farbenfroh und gefällt mir sehr.

Beim Tempel der Geringen Götter gibt es viele schöne Feste.

Liebe Grüße,
Makita.

 
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Das Faszinierende für mich an dieser Geschichte ist, dass sie offensichtlich etwas erzählt – aber was?
Damnit! Schon wieder Kasimir gegen den Strich gebuerstet. Und den Baeren moeglicherweise auch?!

Na ja, da die Blaeschenfolienverwirrung bereits behoben ist, bleibt mir nicht mehr viel zu sagen ausser: Makita, ich fuerchte, aus Deinem Kommentar spricht so viel Sachverstand, dass selbst der gewiefteste Anwalt Dich nicht mehr raushauen koennen wird.
Ich hatte uebrigens nie das Vergnuegen mit edlen Waschpasten. Die, die mein Vater hatte, war gruen und die Schrubbkraft kam vom Sand. Irgendwo muss auch Schluss sein.

Ich werde mich nun in die tiefschuerfenden Tiefen meiner naechsten Geschichte begeben.

feirefiz

 

Hallo feirefiz

Trotz aller Erklärungen hat sich mir der tiefere Sinn dieser Geschichte nicht wirklich erschlossen. Aber sei's so. Recht geben muss ich diversen Vorkritikern, dass du, obwohl nicht wirklich etwa erzählt wird, den Leser fesselst. Und das können nicht viele.
lg
lev

 
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Hey Feirefiz!

ENDLICH! Endlich weiß ich, dass diese Folie Blasenfolie heißt. :D Ernsthaft, das wollte ich so lange in irgendeine Geschichte von mir einbauen, weil ich es liebe, diese Bläschen zum Platzen zu bringen. Jetzt weiß ich es!

Komischerweise habe ich bei dem Titel immer an Klebstoff gedacht. Und ich lag mit meiner Vermutung ja nicht ganz falsch. Es muss dir nicht peinlich sein, also, du weißt schon, der Mensch ist halt neugierig, die einen riechen lieber, andere kosten lieber.

JoBlack

 

Hi Fiz,

mich hat die Story übel an die Zeiten von Apfelshampoo erinnert, ein sinnliches Erlebnis meiner Kindheit, die weit über die olfaktorischen Impressionen hinausging. Oder daran, daß die Erfahrung, daß Bittermandelaroma zwar unglaublich intensiv nach Marzipan duftet, doch nicht im geringsten geschmacklich hält, was die Nase verspricht - eine Erfahrung, die mich zu Kinderweihnachtsbacktagen bis heute verprägt hat :D

Hat mir gefallen, Deine neurotische Miniatur. Ich geh ein bisken Luftpolsterfolie zerdrücken *verdrück*

Grüße
Ceesandmandelkleiebackwarenhersteller Seltsem

 

Hallo zusammen,

Lev, Du bist ein geistig gesunder Mensch. Herzlichen Glueckwunsch. Wenn Du wissen willst, worum es geht, schick mir ne PN, dann wirst Du in die Abgruende der pathologischen Neugier entfuehrt.

Recht geben muss ich diversen Vorkritikern, dass du, obwohl nicht wirklich etwa erzählt wird, den Leser fesselst. Und das können nicht viele.
Na ja, der Text ist auch extrem kurz. Da muss man sich schon Muehe geben, den Leser abzustossen. Trotzdem danke fuer das Lob.

Hallo Jo,

hmmmm, vielleicht heisst die Folie ja auch gar nicht Blasenfolie und Du wirst (in hoffentlich ferner Zukunft) noch immer unwissend ins Grab fahren. Har har.

Hallo Seltsem,

danke, dass Du Deinen Wahnsinn mit der Forumsoeffentlichkeit teilst. In Wahrheit habe ich die Geschichte naemlich nur geschrieben, damit sich andere user entbloessen. Du bist in die Falle getappt. :D Ich hingegen wuerde sowas Krankes niemals tun. Ich hab davon nur im science-Magazin gelesen.

Hat mir gefallen, Deine neurotische Miniatur.
"neurotische Miniatur" gefaellt mir, dass hoert sich viel besser an als "Un-Geschichte".

PS: Danke fuer die Warnung vor dem Bittermandelaroma.

liebe Gruesse und Dank,
fiz

 

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