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Punchlines

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05.03.2022
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I​

Ihre Rechte tastet nach dem Smartphone, doch diesmal verfehlt sie die Snoozefunktion und es knallt auf den Boden.
Es hilft ja doch nichts. Ächzend setzt sie sich auf und greift nach dem nervtötenden Teil. Endlich Ruhe.
Sie steht auf. Selbst verwundert, dass ihr Körper diesem Befehl folgt, denn eigentlich will sich alles in ihr direkt wieder in der Bettdecke vergraben. Ein Schmerz fährt ihr dabei in den linken Rippenbogen. Lässt ihr den Atem stocken.

Barfuß geht sie ins Bad, stützt sich aufs Waschbecken und betrachtet ihr Spiegelbild im ungnädigen, grellen Licht des Spiegelschranks.
Robin hatte das sicher nicht so gewollt. Aber geblutet hatte es wie Sau. Ihr rechtes Auge war von dem blutigen Riss an der Braue aus angeschwollen und auch die rechte Seite des Kinns war von einem Bluterguss dunkel verfärbt. Letzteres war mit etwas Schminke zu beheben, aber in dieses geschwollene Auge zu blicken und die Vorstellung, dass nicht nur sie das tat, sondern etliche andere, kotzte sie jetzt schon an. Das war definitiv schlimmer als das Ziepen und Brennen, das von der Wunde ausging. Zum Glück gab es keinen Anlass, ihren Eltern in den nächsten zwei Wochen unter die Augen zu treten.

Ihr Spiegelbild weckt längst verdrängte Erinnerungen. So ähnlich hatte sie schon einmal ausgesehen, nach dem Streit mit George. Er hatte sie gepackt und geschlagen – nur einmal, aber dafür so richtig. Das hatte sie umgeworfen, in jeder Hinsicht. Nie hätte sie gedacht, dass ihr so etwas passieren würde. Er vermutlich auch nicht, denn er hatte sich sofort entschuldigt. Vielleicht war er ähnlich erschrocken wie sie. Hatte sie angefleht, ihm zu verzeihen. Ihr geschworen, dass das nie wieder vorkommen würde. Ja, das hatte sie sich auch geschworen. Dass das nie wieder vorkommen würde und war gegangen. Hatte bis heute kein Wort mehr mit ihm gewechselt und einen Scheiß auf seine Beteuerungen und Entschuldigungen gegeben. Sie hatte versucht, ihre Würde irgendwie zu bewahren, aber eigentlich hatte sie sich nur schrecklich wehrlos gefühlt. Lange.
Sie wirft sich zwei Hände kaltes Wasser ins Gesicht und spült die Erinnerungen in den Ablauf. Widersteht dem Wunsch, ausgiebig zu duschen. Das macht jetzt keinen Sinn. Sie muss raus an die frische Luft. Rennen. Danach würde sie sich besser fühlen, wie fast immer. Laufen im Freien hatte eine kathartische Wirkung.

II

Die Sonne hatte ein Loch in den sonst unversehrt blauen Himmel gestanzt, doch die Nacht war ebenso klar und kalt gewesen und ihr Atem dampfte stoßweise mit den Gullideckeln der Hunderzweiundsiebzigsten um die Wette, als sie aus der Tür trat, sich die Kapuze ihres Hoodys tief ins Gesicht zog und ihre Schritte beschleunigte. Gierig saugte sie die kalte, klare Luft in ihre Lungen. Die monotone Erschütterung ihrer Schritte und die Bässe in ihren Ohren machen sich daran, nach und nach den Gedankenstrudel aus ihrem Schädel zu klopfen. Sie würde den Bronx River entlanglaufen, dessen schwarzes Wasser an solchen Tagen die glitzernde Morgensonne langsam in die City trägt.

III

Als sie das nächste Mal auf die Straße tritt, die große Sporttasche um die Schulter hängend, versteckt sich die Sonne bereits hinter einer aufziehenden Front grauer Schleierwolken. Rasch bemerkt sie, wie die entgegenkommenden Passanten sie anstarren. Zumindest die Hälfte, die nicht auf ihr Smartphone schaut, aber zum Glück kennt sie niemand. Sie eilt die Treppe zur Suburb, die hier auf Schienen oberhalb der Straße entlangfährt. Sie findet einen Sitzplatz, nimmt die Tasche auf ihren Schoß und hält sie fest.

Als sie aufsieht, trifft ihr Blick den einer Frau in ihren 50ern. Gehoben gekleidet mit Oversize-Schal, großen, runden Ohrringen und genauso runder Brille, deren eulenhafter Blick an ihrem geschwollenen Auge festhängt. Sich dorthinein krallt und sie so die Schwellung erst wieder richtig spüren lässt. Ja gefühlt schwillt ihr Auge sekündlich an. Sie wendet den Blick, in die andere Richtung, aber auch von dort gaffen sie ein Teenagerpärchen ungeniert an. Immerhin sahen die nicht so aus, als würden die sie auch noch darauf ansprechen. Aber die Eulenfrau hatte dreingeblickt, als würde sie sich gleich in großmütterlicher Güte zu ihr setzen, ihren Arm um sie legen und etwas zu sagen, das mit einem mitleidigen Seufzer und »Ach Schätzchen…« begann.

Bevor es so weit kam, funkelte sie diese so ablehnend an, wie sie nur konnte, und starrte fortan vor sich auf den Boden. Wie sie mitleidige Blicke hasste. Die hatten doch alle keine Ahnung. Wenn die nur wüssten, warum sie so aussieht, würden sie sich ihr Mitleid wohl sparen.
Sie war selbst schuld.
Sie hätte den Schlag kommen sehen müssen. Aber sie war einfach zu überheblich gewesen – zu arrogant. Hatte sie sich für unverwundbar gehalten?

An der nächsten Station steigt sie schnell aus. Eilt im Stechschritt durch die belebte Station, sodass keines der vorüberziehenden Gesichter länger Zeit hat, sich mit ihrem zu beschäftigen.

IV​

Nach 10 Minuten Fußweg ist sie da. Schiebt die schwere Stahltür auf und betritt die Halle.
Schon in der Umkleide trifft sie auf Robin, die gerade ihr Trainingstop überzieht. »Ach du scheiße, …«, lacht diese los, als die sie erblickt, und hält die Hand erschrocken vor den Mund.
»Halt dein Maul, bitch!«, erwidert sie kühl, kann ein breites Grinsen aber nicht unterdrücken.
»Es tut mir leid!«, lachend umarmt sie Robin.
»Schon okay. Sieht schlimmer aus, als es ist.«
Ich hoffe, bis zu deinem Titelkampf in 2 Wochen bist du wieder so schön wie eh und je.
»Das will ich auch hoffen. Für dich.«, erwidert sie und beginnt die Bandagen, fest um ihre Handgelenke zu binden.
»Aber so oder so. Ab heute ist die Schonfrist für dich abgelaufen.«
Lachend laufen die beiden Arm in Arm in die Halle.

 

Hallo @Ogsesl ,

zu deiner Geschichte habe ich gar nicht so viel zu bemerken, schlicht deswegen, weil sie sich einerseits sauber runterliest, die Spannung bis kurz vor dem Ende aufrechterhält und mir die Protagonistin gefällt. Ich bin ihr gerne vom Aufstehen bis in die Boxhalle gefolgt.
Gelungene Geschichte, so als kleiner perfekter Happen zwischendrin.

Trotzdem, wir sind bei den Wortkriegern, kommst du nicht um die Textarbeit herum:

Ein Schmerz fährt ihr dabei in den linken Rippenbogen. Lässt ihr den Atem stocken.
Oh yes, das kann weh tun, kenn ich.
ausgesehen, nach dem Streit mit George.
Geschickt die Spannung aufrecht erhalten und den Leser an der Nase herumgeführt.
aber eigentlich hatte sie sich nur schrecklich ängstlich, wehrlos und ohnmächtig gefühlt. Lange.
Hier passt mir die Aussage nicht. Ist sie wirklich schrecklich ängstlich und fühlt sich wehrlos und ohnmächtig? Eher doch nicht. Obendrein wirkt es stärker, wenn du nur entweder ohnmächtig oder wehrlos nimmst.
Sie wirft sich zwei Hände kaltes Wasser ins Gesicht und spült die Erinnerungen in den Ablauf.
Gelungener Satz.
Die Sonne hatte ein Loch in den sonst unversehrt blauen Himmel gestanzt
Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn die Sonne ein Loch in die Wolken oder den Nebel stanzt, dann ja, aber in einen blauen Himmel?
Die monotone Erschütterung ihrer Schritte und die Bässe in ihren Ohren machen sich daran, nach und nach den Gedankenstrudel aus ihrem Schädel zu klopfen.
Eigentlich super eingängiger Satz und schön bildhaft, wenn es dir vielleicht noch gelingt, das Verb "machen" durch ein Spezielleres zu ersetzen, wär der Satz an Perfektion nicht zu überbieten.
Sich dorthinein krallt und sie so die Schwellung erst wieder richtig spüren lässt. Ja gefühlt schwillt ihr Auge sekündlich an.
Gut beobachtet, sehr gut beschrieben.
Immerhin sahen die nicht so aus, als würden die sie auch noch darauf ansprechen.
Das ist der erste total langweilige Satz in deiner Geschichte. Formulier den bitte pfiffiger, denn das kannst du. Oder vielleicht ersatzlos streichen?
Aber die Ohrringfrau
Ich finde Ohrringfrau gar nicht so treffend für diese Frau, sondern bei mir blieb die Eule sofort hängen, wie wäre es mit Eulenfrau?
funkelte sie die Ohrringfrau so ablehnend an
Wenn es trotz meines Vorschlags oben bei zweimal Ohrringfrau bleibt, dann würde ich die Wortdoppelung angehen.
Sie hätte den Schlag kommen sehen müssen.
kommen sehen müssen, das sind alles fast nichtssagende Verben, du findest garantiert hier etwas, was zielgenauer ist.

und betritt die Boxhalle.
Exakt hier kommt für den Leser der Aha-Effekt. Wenn du das hier streichst, erfährt er es noch einen Tick später und obendrein wird ja sowieso vollkommen klar, wo sie sich befindet.

Gern gelesen!

Lieben Gruß

lakita

 

Liebe @lakita,
vielen dank für deine überaus wohlwollende und zeitgleich sehr sprachsensible Kritik. Ich bin mir bewusst, dass das vermutlich meine schlechteste Kurzgeschichte ist. Aber ich wollte schauen, ob sie doch irgendwie funktioniert und es vielleicht noch Möglichkeiten gibt sie zu aufzuwerten. Beides scheine ich nach deinem Kommentar bejahen zu können.

aber eigentlich hatte sie sich nur schrecklich ängstlich, wehrlos und ohnmächtig gefühlt. Lange.
Hier passt mir die Aussage nicht. Ist sie wirklich schrecklich ängstlich und fühlt sich wehrlos und ohnmächtig? Eher doch nicht. Obendrein wirkt es stärker, wenn du nur entweder ohnmächtig oder wehrlos nimmst.
Da hast du recht, das passt nicht so gut, ich werde deinen Vorschlag direkt übernehmen.
Die Sonne hatte ein Loch in den sonst unversehrt blauen Himmel gestanzt
Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn die Sonne ein Loch in die Wolken oder den Nebel stanzt, dann ja, aber in einen blauen Himmel?
Hmm, ich wollte auf den Kontrast zwischen dem schöne Himmelblau und der Sonne hinweisen. Dass mit dem gestanzt, sollte den "unversehrten Himmel", eben doch als versehrt und ein klein bisschen kaputt darstellen. Weil das zur Stimmung und dem Thema passt. Erst habe ich geschrieben, die Sonne hätte ein "Loch in den sonst unversehrt blauen Himmel gerissen", aber dass passte für mich vom Bild nicht so gut und ich fand es etwas drüber. Das mechanisch, gestanzte Loch war der Kompromiss.

Die monotone Erschütterung ihrer Schritte und die Bässe in ihren Ohren machen sich daran, nach und nach den Gedankenstrudel aus ihrem Schädel zu klopfen.
Eigentlich super eingängiger Satz und schön bildhaft, wenn es dir vielleicht noch gelingt, das Verb "machen" durch ein Spezielleres zu ersetzen, wär der Satz an Perfektion nicht zu überbieten.

Das "daran machen" ist ja nicht nur ein "machen". Man könnte es leicht durch z. B. "beginnen" ersetzen, aber für mich klingt der Satz dadurch nicht besser. Sich daran machen, löst bei mir jetzt keinerlei negative Assoziationen aus.

Aber die Ohrringfrau
Ich finde Ohrringfrau gar nicht so treffend für diese Frau, sondern bei mir blieb die Eule sofort hängen, wie wäre es mit Eulenfrau?

Auch hier triffst du es einfach besser als ich. Eulenfrau ist ein viel besseres Bild, bei dem man sich ein Gesicht vorstellt und nicht nur Ohrringe.

Sie hätte den Schlag kommen sehen müssen.
kommen sehen müssen, das sind alles fast nichtssagende Verben, du findest garantiert hier etwas, was zielgenauer ist.
Hmm, ich weiß nicht.. Viel fällt mir nicht ein, das genau das aussagt. Was ich tatsächlich aussagen will. Man könnte "mit dem Schlag rechnen müssen" synonym verwenden. Aber "etwas kommen sehen". Das kann man im Kampf genau so erleben. Die Faust, die auf einen zufliegt, mit etwas "rechnen" ist mir hier ein zu abstrakter Terminus. So lang mir nichts besseres einfällt, wird's wohl bei diesem zugegeben etwas komischen Dreierverbkombination bleiben. In der Hoffnung, dass die meisten Leser einfach drüberweglesen, weil sie so von der Geschichte gebannt sind. ;-)

Die Boxhalle werde ich auch weglassen. Du hast recht, man checkt es auch so und es ist dann nicht so platt.

 

Vieles, was ich zu sagen gehabt hätte, hat sich erledigt, da kam mir Lakita schon zuvor.

Bei mir hat der Text "gewirkt" wie er sollte, nehm ich an. Bis kurz vor Schluss gewann die Annahme, dass es sich um einen Gewaltakt in der Partnerschafft handelte

An zwei Stellen deutest du an, dass du die Handlung in New York verortest (Bronx, Suburb), ohne dass du aber die Handlung stärker mit dem Ort verbindest und auch der Titelwettkampf heißt bei dir nur eben Titelwettkampf, und nicht Women Boxing Cup oder so. Ich frage mich, ob das deine Absicht ist oder das nur gewohnheitsmäßig machst, weil deine Lieblingsautoren, -serien oder so nun mal US-Amerikanischen Ursprungs ist. Das wirkt aufgesetzt und klischiert. Genauso gut könnte die Prot ja auch in Berlin am Fluss entlang zur U-Bahn laufen, in Paris, in Wien, in Hamburg, in Warschau, gar São Paulo. Aufwerten, leider in eine aktuell fragwürdige, jedenfalls die publikale Aufmerksamkeit weg von der Handlung führende Richtung, würde den Text die Verortung nach gewisse Länder, die in Konflikten verwickelt sind.

 

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