Die Diskussion ist interessant, doch vermisse ich eine weitere Perspektive, naemlich die Bereitschaft der Leser, nun unbedingt auch einen persoenlichen Bezug reinlesen zu wollen. Man kennt das vielleicht (ich wuerde drauf wetten!): Im Freundeskreis lesen ja wenige distanziert, nuechtern; eher im Gegenteil: Kennt man den Autor persoenlich, tja, erwartet man geradezu, von Dingen zu lesen, die der Realitaet entsprechen - die Lektuere wird so zur Schnitzeljagd.
Da muss man auch einfach drüberstehen. Ist Ressourcen-Verschwendung sich darum zu kümmern. "Dem Werk" hilft es nicht weiter.
Mir ist das hoechstselbst widerfahren. Ein Bekannter hat sich in einer Geschichte erkannt, wollte mich verklagen. Warum? Weil er homosexuell ist - wie der Protagonist. Okay, eine Ausnahme. Aber weiter: Ein anderer Bekannter erkennt sich wieder, weil er sich mit dem Protagonisten einer anderen Erzaehlung den Vornamen teilt. Und so weiter.
Ja. Und wenn du mal erfolgreich veröffentlicht hast, kriegst du anonyme Mails von verrückten Tussis, die glauben, du seist ihr Seelenverwandter. Oder die dich um Hilfe bei einem schwierigen Problem anflehen, weil sie dich für die Quelle der Weisheit halten und sie dein Buch in einer Phase gelesen haben, in der sie total labil waren.
Was lernen wir daraus? Entweder man reibt sich mit sowas auf oder man lässt es bleiben.
All dies ist vollkommener Unsinn, wie jeder Schreibende wenigstens ahnt. Man geht von der Realitaet aus, verfremdet die jedoch im Prozess des Schreibens, entfernt sich immer weiter - und hat es am Ende mit einer gaenzlich anderen Geschichte zu tun. Selbst wenn der Ausgangspunkt eine tatsaechliche Person ist, allein aufgrund des Schreibaktes reflektiert man sich ja von der Person fort, erschafft eine Figur ...
Stimmt.
Mein Fazit hieraus. Ich schreibe heimlich. Eine gewisse Zeit habe ich zu meiner Schreiberei gestanden, habe aber bemerkt, dass man gehemmter arbeitet; ja, wenn man weiss, dass man vielleicht Dinge aus dem persoenlichen Umfeld literarisch aufbereitet, sollte man ungebunden, frei und eben kuenstlerisch wirken koennen. Dies aber nicht mehr gegeben, habe ich beispielsweise eine Ehefrau, die jedes Werk auf persoenliche Bezuege hin abklopft. - Heimliches Schreiben scheint mir hier eine gute Moeglichkeit zu sein (ohnehin sollte man ja nicht ueber das Schreiben reden, sondern eben schreiben ... (Ein Gebot, welches ich soeben breche ... aber so ist er, der Mensch, angefuellt mit Widerspruechen ...))
Du könntest deiner Ehefrau, die alles abklopft, auch einfach sagen: Stephen King hat schon zig Leute ermordet und Frauen vergewaltigt - in seinen Geschichten. Das hier ist mein Hobby und ich denke mir Sachen aus, bitte respektiere das, ich gehe auch nicht her und schaue dir beim Kochen über die Schulter und sage: Uh, Rumpsteak, hast mal wieder deine Periode, hm?
Die meisten Leute werden sich ohnehin nicht so sehr für das Schreiben interessieren, wie man es als egozentrischer Autor vermutet. Und wenn Leute es doch tun, die einem besonders am Herzen liegen und nahe sind, dann sollte man doch ein solches Verhältnis zu ihnen haben, dass man mit ihnen Tacheles reden kann.
Eine Sache noch: Ich frage mich (vor allem seit der angedrohten Klage), wie bekannte Schriftsteller (Kuenstler ueberhaupt) mit diesem Problem umgehen. Und mir faellt Philip Roth ein (ich kenne auch noch andere Autoren!), der seit Jahren allein in einem Haus auf dem Land schreibt, tiefgehende Beziehungen vermeidend. - Der Preis nicht des Ruhms, sondern des konzentrierten Schreibens?
Ich weiß es nicht. Der gute Philip Roth wird schon wissen, was er tut. Es gibt ja auch viele Schriftsteller-Dandys, die es genießen, sich auf öffentlichen Feiern zu produzieren, sich in gesellschaftliche Debatten einzubringen und sehr extrovertiert zu sein. Vielleicht hat Herr Roth das einfach nicht mehr nötig, weil er genug Kohle hat und sich denkt: Ich hab vielleicht noch sechs, sieben Jahre vor mir, muss aber noch vier, fünf Romane schreiben. Da halt ich mich mal besser ran.
Dieses Einschließen und Abschotten wäre für die meisten Autor wohl besser, aber die meisten können sich das gar nicht leisten. Im Gegenteil: Wenn sie veröffentlicht sind (was sich ja kaum lohnt), müssen sie Lesereisen machen und Veranstaltungen organisieren, damit es sich lohnt, was natürlich alles von der Schreib-Zeit abgeht.
Warum warten die Fans so sehnsüchtig auf die nächsten Bände von George R.R. Martins "Das Lied von Eis und Feuer"? Weil der gute Mann durch die ersten Bücher ein Star geworden ist und mit all den Lesereisen, Drehbuchangeboten, Merchanidising-Anfragen so viel Zeit verballert (Und Kohle damit macht), dass er sich aufreibt. Auch wenn Martin wahrscheinlich - mal rein von Optischem - wie Roth ebenfalls nicht mehr ewig leben wird.
Worauf ich hinaus will: Was dem Werk als solches nichts nützt, schadet ihm eher. Und wenn man sich mit sowas aufreibt und sich mit solchen Fragen unbedingt blockieren und beschäftigen möchte, no jo...
Gruß
Quinn