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Sie kommen!

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26.05.2008
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Sie kommen!

Ich mag Eindringlinge nicht. Aber ich bin vorbereitet, zerklatsche sie an den Wänden, zertrete sie auf dem Fußboden. Es kommen immer neue nach. Ich weiß nicht, woher.

Motten. Sie hinterlassen Flecke in schmierigbraun und zahnfleischrot. Wenn sie aufplatzen, quillt Fettkörper gelb und glibberig heraus. Ihre Flügel sind mit Glitzerzeug bestäubt, silbrig und metallisch grün flockt es auf meine Sachen. Gefiederte Antennen vibrieren in meine Richtung, doch sie spüren mich trotzdem nie kommen. Es ist einfach, sie zu töten, macht wirklich kaum Arbeit. Sie sind langsam, flattern träge vor mir her. Ich bin schnell, hole sie ein, ausnahmslos. Aber es sind viele, und sie wollen meine Wohnung übernehmen. Vielleicht brauchen Motten auch ein Dach über dem Kopf. Bei mir können sie statt des unerreichbaren Mondes eine Glühbirne anbeten, das scheint ihnen besser zu gefallen. Ich habe sie übrigens alle, nicht nur die mondsüchtigen, die anderen auch. Die Kleiderschrankspezies, die sich in Klamotten versteckt, genau wie die Sorte, die im Mehlbeutel Junge bekommt. Sie umschwirren mein Licht, sie tragen meine Kleider, sie fressen mir die Nahrung weg. Sie sind überall und es kommen immer neue nach.

Ich mag Motten nicht. Sie sind unkontrolliert, machen so hektische Richtungswechsel, von quer nach da, gegen die Lampe, gegen mich, prallen mir ins Gesicht. Immerhin prallen sie ab. Weil ich sie abprallen lasse, weil ich das bestimmen kann. Wenn sie mir aber doch irgendwann anhaften? Wie widerwärtig! Und ich presse die Lippen zusammen, sie zielen immer auf Mund und Augen zuerst. Motten schleichen sich im Flug an, seit meiner Kindheit werde ich von ihnen geräuschlos umschwärmt . Sie steuern plump: Ohne Vorwarnung taumeln sie gegen mich, obwohl ich das nicht will. Das habe ich ihnen auch gesagt, dass ich das nicht will. Als Kind habe ich schon gesagt „ich mag das nicht“. Ohren haben sie ja keine. Larven werfen sie aber hintenrum aus, ekelhaftes Raupengezücht, kriecht überall durch die Gegend. Kreucht um mich, windet sich auf mich zu, plant mich einzuweben mit Mottengespinst.

Ich könnte ja ausziehen. Fliehen. Nur, die Motten kämen nach. Verdammte Viecher, verfolgen mich. Sie wären auch in der neuen Wohnung, wären in meinem neuen Zuhause schon vor mir da, kopulierten da plakativ vor meiner Nase, bohrten ihre Unterleiber in meine Bettdecke, um Eier abzulegen oder sich zwischen meinen Laken zu kühlen.
Eine habe ich mit mir im Bett erwischt, die hatte nicht mitbekommen, dass ich inzwischen aufgewacht war. Hat den Augenblick verpasst, in dem sie hätte abhauen können. Sie war behaart und goldgepudert, roch auch ganz staubig, pumpte immer noch vor Anstrengung wie ein Karpfen an Land, diese Motte in meinem Bett. Zartgliedrig und zittrig der schillernde Körper, plötzliche Furcht in den Augen, als sie zu mir aufsah. Ich schlug sie zu Klump, ich mag Eindringlinge nicht.
Seitdem habe ich meine Wohnung nicht mehr verlassen. Ich muss aufpassen, sonst verliere ich gegen sie, denn es sind wirklich viele. Das ist mein Lebensraum, und ich werde ihn verteidigen, egal, dass die braunen Flecken an den Wänden schon stinken. Ich spüle die Maden im Klo runter.
Pausenlos halte ich jetzt Wache, bin immer auf der Hut. Es klingelt an der Tür. Das ist schon lange nicht mehr vorgekommen, trotzdem habe ich es erwartet. Ich gehe öffnen und es ist nur Manuel. „Wir haben uns ewig nicht gesehen, was machst du so?“, fragt er. Ist er nervös? Bin ich aufgeregt?
Ich will ihn nicht reinlassen. Der Motten wegen, und Manuels wegen auch. Ich mag Eindringlinge nicht. „Kann ich reinkommen?“, fragt er.
Nein, denke ich. „Ja“, sage ich und trete beiseite.
Er geht an mir vorbei durch den Flur und schnuppert argwöhnisch. Das sind die Motten, er kann sie riechen. Wie träge er sich bewegt. Als er es endlich bis ins Wohnzimmer geschafft hat, bin ich schon dicht hinter ihm. „Hast du mal wieder was von Iris gehört? Ich mach mir Sorgen, seit zwei Wochen ist die wie vom Erdboden verschluckt – Oh, verflucht!“ Manuel keucht. „Verflucht, was ist denn hier passiert?“
Er gafft die besudelten Tapeten an.
„Motten“, erkläre ich ihm. „Es kommen immer neue nach.“ Wie man sieht.
Manuel starrt auf die triefende Stelle über dem Sofa, wo ich sie zermatscht habe. Die eine, die sich tatsächlich mit mir ins Bett wagte. Ich hab die Leiche an der Wand kleben lassen, zur Abschreckung für die anderen. Manuel kotzt und taumelt gegen mich. Ich bin bereit.

 

Hallo Moechtegern,

ich hatte die Geschichte natuerlich schon gelesen. Nur viel mir nichts neues zu kommentieren ein. Deine Motten sind gehoerig schauerlich. Aeh, wenn sie so ins Gesicht taumeln - ich kann das fuehlen.
Die Uebertragung von pudriger Motte auf pudrige Iris funktioniert gut. Das haette ich womoeglich auch verwechselt.
Sehr gute Geschichte!

fiz

 

Hallo Möchtegern,

Ich finde deine Geschichte echt klasse. Sie ist interessant und vorallem am Ende spannend verfasst worden.

Vielleicht hättest du dir noch ein anderes Wort für "Kleiderschrankspezies" einfallen lassen können, aber ich freue mich jetzt schon auf ein weiters Werk von dir.

 

Hallo Möchtegern,

eigentlich wollte ich früher posten, aber leider war da so ein Störfall, und dann war meine Antwort gelöscht. Darum versuche ich es zusammenzufassen. Jetzt liest du also zwei Antworten, eigentlich.

Die Geschichte hat mir gefallen. Irgendwann musste die Zeit kommen, in der sich jemand mit den Motten beschäftigt. Dass du es so ausgiebig tust, hat mich überrascht, aber es hat der Geschichte nicht geschadet, dass du irgendeine Gebärauswurfmaschine zu Händen der Motten errichtet hast.

Bei mir können sie statt des unerreichbaren Mondes eine Glühbirne anbeten

Das stimmt, weil ja der Mond so weit weg ist.:lol:
Am Besten die Schotten dicht machen, und kein Licht anlassen, die steuern wirklich auch auf Tischlampen. Ich weiß nicht, welche immer in den Getränken zu finden sind? So in der Milch oder im Apfelsaft. Sind das Motten?

Hat mir gut gefallen. Passender Stil und gut gearbeitet.

MfG Mantox

 

Fies und wohl auch ein wenig paranoid. Erinnerte mich ein wenig an ein Lied von Ludwig Hirsch: Die Gelse
Yo, nettes Teil

lg
lev

 

Hallo Möchtegern!

Und die verwesende Leiche lockt natürlich noch mehr an Getier an ... Mir hat die Geschichte auch gut gefallen, das Neurotische des Helden kommt gut rüber und auch die Pointe zündet.

Und: Motten gehören wirklich zu den unnötigeren Viechern - wie Gelsen und Zecken. Also, recht geschieht ihnen!

Wie wiederwärtig
widerwärtig
werde ich geräuschlos umschwärmt von ihnen
Satzstellung: geräuschlos von ihnen umschwärmt
Lange ist das nicht mehr vorgekommen, trotzdem habe ich es erwartet.
Das ist schon lange nicht mehr vorgekommen ... so klingt es von der Betonung her falsch

Gruß
Andrea

 

Hallo Leute, freut mich echt, dass der Text allgemein so gut ankommt. Ich mach euch mal in umgekehrter Reihenfolge.

Andrea,
du machst mir Angst, seit meinem letzten Login hast du ja beinahe mein Gesamtwerk hier gelesen&kommentiert. Über Mücken und Zecken und anderes parasitäres Zeugs schreib ich bestimmt auch nochmal, ist so eine Art Hobby von mir. Es gibt so viel abgefahrenes Viehzeug, das verlangt schriftstellerische Aufmerksamkeit. ;)
Deine Umstellungsvorschläge übernehm ich. Warum ich widerwärtig falsch geschrieben hab, versteh ich nicht. Ich frag mich bei jedem wi(e)der ob es jetzt von gegen oder wiederholt kommt. Dann zieh ich zwar den richtigen Schluss, schreib es aber trotzdem verkehrt. Dennoch ist diese Geschichte eine meiner rechtschreiberisch besseren.

Lev,
das Lied kenn ich nicht, muss ich mal nachsehn. Fies und paranoid ist gut, das sollte so sein. Danke fürs Lesen!

Mantox,
hehe, Danke fürs Nochmalantworten-trotz-böser-Technik, mich freut jedes feedback. Im Apfelsaft strampeln bei mir eher die Fruchtfliegen. Diese kleinen, lästigen, ekligen Fliegen, auch gut für eine Phobie. In Milch hatte ich bisher noch nichts. Ach doch, einmal eine Hundenase ... :)

mitory,
Danke für deinen echt netten Kommentar. "Kleiderschrankspezies" fand ich aber richtig gut *schmoll* ;)
Die Idee für diese Geschichte war eventuell nur ein Glückstreffer, meine anderen Sachen sind der hier nicht unbedingt ähnlich (trotzdem bist du als Leser zu allen meinen "Werken" natürlich herzlich willkommen *g).

feirefiz,
tja - Danke :)
Freut mich, dich unterhalten zu haben.

 

Hallo your royal highness, schon wieder.

Ja, mit der Geschichte hab ich irgendwie richtig Glück gehabt. Inzwischen wurde die von so vielen Kommentaren gemocht, da traut sich auch keiner mehr, die niederzumachen :D
Ich hab mich mittlerweile deswegen auch mit dem Text ausgesöhnt und Abstand davon genommen, den nochmal umzuschreiben (ursprünglich war das geplant).
"Weg mit dem Ungeziefer" wär mein Titel, wenn ich die Geschichte jetzt nochmal schreiben würde :)
Neinneinnein, wir wollen natürlich nicht, dass ich auf der Spiegelbestseller-Liste lande, wo kämen wir denn da hin. Mit dem Abheben muss ich aber schon aufpassen. Vielleicht fahre ich mit meinem Nick so eine Mitleidstour oder so, aber eigentlich sind selbst die Negativ-Kommentare, die ich bisher bekommen habe, trotzdem noch irgendwie ermutigend *. Das geht hier alles in eine ganz falsche Richtung, sag ich euch.

Danke fürs Lesen!

* obwohl ... eventuell erkenne ich Ironie nicht immer, wenn sie mir begegnet ... auch nicht schlimm, doof lebt glücklich ;)

 

Hallo,

Ohne Vorwarnung taumeln sie gegen mich, obwohl ich das nicht will. Das habe ich ihnen auch gesagt, dass ich das nicht will. Als Kind habe ich schon gesagt „ich mag das nicht“.
Das ist gut. Ist interessant, so einen Text durch zu gehen. Man merkt, dass du dich warm schreibst. Im ersten Absatz sind 2, 3 Stolperstellen stilistisch, dann wird es glatt, und hier ist es wirklich gut.

Die Stolperstellen:

Sie hinterlassen hässliche Flecke in Schmierigbraun und Zahnfleischrot.
Die Farben klein, „hässlich“ raus.

Wenn sie aufplatzen, quillt Fettkörper gelb und glibberig heraus.
Ich glaube „Fettkörper“ passt hier nicht.

Ja, ich weiß nicht, ob es die Pointe so braucht, das ist halt sehr „by the book“. Ansonsten fand ich das war eine gute Sache wegen der Details, also wenn es sich von den allgemeinen „Verrückt“-Vorstellungen abhebt. Dass die Motten „Plakativ“ kopulieren – und mein Liebling, dass eine Motte nichtbekommt, dass die Erzählerin schon wach ist, und dann zu langsam reagiert.
Das kam mir so vor wie so eine Kindheitsidee, dass Dinge lebendig und vernunftbegabt werden, wenn man grade nicht hinschaut. Teetassen Spielzeug, Katzen, Hunde . alles mögliche. Und hier ist das mit Motten: Sobald ich nicht hinschaue, verschwören sie sich gegen mich. Das fand ich einen starken, frischen Gedanken in dem Text.
Ich finde, gerade, wenn man sich solchen Autoren-„Butter und Brot“-Themen zuwendet, ist es wichtig, da die Alleinstellungsmerkmale zu betonen.

Gruß
Quinn

 

Hi Quinn,

danke fürs Mottenfleddern/Leichenfleddern ;)

Ich hab das hässlich entfernt und die Farben sind jetzt klein.

Ich glaube „Fettkörper“ passt hier nicht.
Ich glaube, "Fettkörper" passt hervorragend. Also, tja hm. Fettkörper ist ein ... auf deutsch ist es ein Insektenorgan, auf englisch ein Gewebe ... das ist ein Fachbegriff.
Aber ok, vielleicht liest sich das komisch (ist wohl kein sehr gängiger Fachbegriff) ...? :confused:

Ja, ich weiß nicht, ob es die Pointe so braucht, das ist halt sehr „by the book“. Ansonsten fand ich das war eine gute Sache wegen der Details, also wenn es sich von den allgemeinen „Verrückt“-Vorstellungen abhebt.
By the book - du liest zu viel. :D Ich find das immer noch originell und bestehe auf der Pointe. Deswegen kam ich auch nicht auf die Idee, meine Alleinstellungsmerkmale zu betonen: mir kam das damals nicht wie Brot und Butter vor. So ganz tut es das noch immer nicht.
Aber ich gebe zu, diese Verrücktheitsnummer (vor allem, wenn die allzu böse literarische Verrücktheit in einen Mord gipfelt), die ist schon ziemlich ausgelutscht.

Das kam mir so vor wie so eine Kindheitsidee, dass Dinge lebendig und vernunftbegabt werden, wenn man grade nicht hinschaut. Teetassen Spielzeug, Katzen, Hunde . alles mögliche.
Ich kenne und liebe diese Kindheitsidee (wobei: hej, Katzen und Hunde sind lebendig und vernunftbegabt, vor allem, wenn man hinschaut).

Und hier ist das mit Motten: Sobald ich nicht hinschaue, verschwören sie sich gegen mich
.
Die Idee "wenn ich nicht aufpasse, rotten sie sich hinter meinem Rücken zusammen" habe ich ganz absichtlich in den Text gesteckt. Die Verbindung mit obiger Kindheitsidee (die für mich rein positiv ist) nicht.
Aber, ist das nicht die "normale" Paranoia? Sie sind alle hinter mir her, alle, die stecken unter einer Decke, vielleicht sind sie organisiert, und sie haben es auf mich mich mich abgesehen ...?
Wobei, okay, ich will dir nicht den einzigen frischen Gedanken ausreden, den du finden konntest. :D

Vielen Dank fürs Lesen!

 

Hi David,

freut mich, dass dir die Motten gefallen.

Horror - ja! Aber nicht viel.
Ich hab bei diesem Text auch vor allem darauf gebaut, dass ein Leser das Ende liest und anfängt zu lachen.

Ich glaube - und das ist erst die dritte KG die ich von dir gelesen habe - du könntest wirklich sehr geile Horrorgeschichten mit wirklich viel HORROR schreiben.
Ich schätze, ich könnte splatter schreiben. Wobei mich das nicht mehr so reizt wie früher mal. Du hast mich aus Versehen an eine meiner ersten Geschichten überhaupt erinnert, ich war in der fünften Klasse, Stephen King war DAS Vorbild und ich habe eine serienmordende menschenfleddernde ... Hauskatze erfunden. Zum Glück sind meine Frühwerke für die Nachwelt nicht erhalten.

Wenn ich das einmal mit mir vergleiche - bei mir ist das so: Da ist der Hauptcharakter, der ist Soldat, Agent, irgendwas. Und der hat ein Auftrag, schlittert in eine Geschichte hinein oder ist Ziel eines Auftrages. Am Ende erschießt er alles, evtl. noch ein wenig Action und dann ist er fröhlich.
Das ist für Actionfilme ein bewährter plot, für sowas renn ich ins Kino.
Ich weiß nicht, ob das geschrieben genausogut funktioniert?
Aber wenn du jetzt schon festgestellt hast, dass du immer denselben plot hast - trau dich doch mal, aus deinem Muster auszubrechen :D

 

Hallo myisrael,

bitte entschuldige die späte Antwort, normalerweise bin ich nicht ganz so lahmarschig, aber die letzten Wochen waren etwas merkwürdig ...

Ich hab ziemlich lange über deinen Komm nachgedacht, weil es mich gewundert hat, dass sich jemand so vor einem „humoristischen Unterton“ ekeln kann (so liest es sich zumindest für mich, wenn du schreibst, dass Humor „leider“ manchmal einen Weg in deine eigenen Texte hineinfindet, so als wäre Humor ein handwerklicher Mangel, gegen den du vorgehen möchtest, ein Fehler, der dir manchmal passiert und der ausgemerzt werden muss). Das ist interessant, diesem Standpunkt bin ich glaube ich noch nie begegnet.
Bei meinem Text hier war es nicht so, dass sich der Humor heimlich und gegen den Autorenwillen hineingeschlichen hat, der ist da schon absichtlich platziert und gehört da hin. Wenn ich damit einen Ton getroffen habe, der dich zur Tür hinausjagt – :(.
Immerhin gefiel dir die Formulierung mit dem „Zerklatschen“ :) – der Text ist jetzt schon ein bisschen älter und ich erinnere mich nicht mehr so genau an das Schreiben, aber ich hab an vielen Formulierungen da lange rumgefriemelt, das weiß ich noch.

Danke für deinen Kommentar und lieben Gruß,
MG

 

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