@ sim
Schön, dass du das ansprichst. Das macht Mut, und so war auch mein Hinweis auf „Henkersfrühstück“ gedacht, hier nicht nur Waisenkinder zu suchen und zu benennen, sondern sie an die Hand zu nehmen und aus ihrem traurigen Dasein zu befreien.
Woltochinons Anspruch
Was sind die Waisenkinder der möglichen Themen, die noch von keinem Autor aufgenommen worden, aber durchaus Zuwendung verdient hätten?
(wirklich) gerecht zu werden ist kaum möglich. In der Menge, der hier publizierten Kurzgeschichten, gibt es (bestimmt) jedes Thema. Ich kann hier also bestenfalls ein Ungleichgewicht in der Präsenz gewisser „Themen“ (man beachte die Häkchen) feststellen.
Auch müsste ich dazu jedes Thema der Literatur kennen, – jetzt der Bogenschlag zu meinem eigentlichen Anliegen, den Häkchen – habe mir deshalb ein literaturwissenschaftliches Buch
(Themen und Motive in der Literatur, von Horst und Ingrid Daemmrich)
gegriffen und festgestellt: in der Handhabung sehr schwierig, weil dort die „Themen“ von den „Motiven“ nicht klar getrennt werden und umgekehrt, Motive der Weltliteratur nicht den Themen zugeordnet werden. Sämtliche Themen und Motive sind schlicht nach Alphabet geordnet.
Die erklärenden Texte sind dagegen gut aufgebaut und verständlich, also ohne Fachchinesisch geschrieben. So lässt sich, wenn man nur hartnäckig genug dranbleibt, einiges herausfinden.
Am Beispiel deiner Themen, sim: „Vergangenheitsangst“ und „Freundschaft“:
Freundschaft wird als Thema geführt. So weit, so einfach.
Vergangenheitsangst dagegen ist als Thema gar nicht zu finden, ist also bestenfalls ein Motiv. (Womit ich auch mich selbst berichtige; den Begriff Vergangenheitsangst hab ich ja selbst unter „Thema“ ins Spiel gebracht).
Das Thema muss heißen: Angst
Die Gründe für Zukunft- und Vergangenheitsängste, oder ganz allgemein Situationen die Beklemmungen und/oder Entsetzen hervorrufen, sind Motive des Themas „Angst“.
Es lohnt sich für alle Schreibenden, in das Buch mal hinein zu schauen. Die dort aufgeführten Beschreibungen der Themen und Motive sind für jeden Autor hilfreich.
Auch ein interessantes Buch für alle, die Anregungen und Außergewöhnliches suchen: „Motive der Weltliteratur“ von Elisabeth Frenzel. Als Autor ist man sowieso eher auf der Suche nach einem Motiv, als nach einem Thema. Letzteres ergibt sich dann meist von selbst und bleibt unter Umständen sogar dem Autor (ähnlich wie die Moral einer Geschichte) verborgen und es bleibt dem Leser vorbehalten, solche Dinge im Text zu erkennen.
@ Woltochinon
„Vergangenheitsängste“ ist doch eine gute Beschreibung (hat der Henker Ängste oder sorgt er bei anderen für sie?).
Dein Interesse freut mich, bringt mich zugleich aber auch in Schwierigkeiten. Ich will ja hier keine (unerlaubte) Werbung für meine Geschichte machen. Die kurze Antwort lautet: „Ja, der Henker selbst hat Angst.“ Diese Antwort aber erklärt nichts im Sinne des Motives „ Vergangenheitsangst“.
Die etwas längere Antwort, die ich, falls ich Schimpfe von einem Kollegen bekomme, gern und umgehend wieder entferne, sieht so aus:
Der Protagonist selbst hat Angst. Er schämt sich seiner Tat, einem Mord, den er als Hitler-Junge in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges begangen hat. Er versteckt sich ein Leben lang vor einem unerbittlichen Nazijäger. Als der ihn nach siebzig Jahren aufspürt, beschließt der Prot, sich selbst zu richten, zu seinem eigenen Henker zu werden, um der öffentlichen Schande zu entgehen.
Das ist die Wahrnehmung des Prot, der Leser wird nach und nach eine andere, zusätzliche Wahrnehmung der Dinge erlangen, nämlich durch den Blick auf die andere Seite der Medaille. Freilich ohne dass dieser Blick vom Text gelenkt wird, der zusätzliche Blickwinkel ergibt sich für den Leser von selbst. Es geht also um selbstproduzierte Angst durch einseitige Sichtweise, der philosophischen Bedeutung von Licht und Schatten, und ich hoffe, ich krieg das hin. Amen.
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In der Rubrik Spannung/Krimi gibt es einige Defizite.
Thema: Gut gegen Böse
Dazu muss ich erst noch was loswerden:
Der Kampf „Gut gegen Böse“ (den ich im Beitrag als Thema bezeichnete) scheint für Literaturwissenschaftler kein „Thema“ zu sein, auch „Das Gute“ nicht, „Das Böse“ hingegen schon. Sehr interessant, aber verstehen kann ich das nicht. Für Kriminalgeschichten scheint es keine Themen zu geben. Erzählende Kriminologie wird nur am Rande erwähnt und mit Groschenromanen minderer Qualität in Verbindung gebracht. Blödsinn, sag ich da als Laie.
Also bleibt es dabei: Thema: Gut gegen Böse
Motiv: Der Detektiv
Perspektive: dito, und nur dito!
Also eine Detektivgeschichte und nicht, wie hier oft vertreten, eine Kriminalgeschichte.
Es gibt diese Unterteilung schon lange, und genauso lange ist sie umstritten (Quelle: „Gangster, Opfer, Detektive – eine Typengeschichte des Kriminalromans“ von Jochen Schmidt). Hier die Kurzfassung meiner Meinung dazu:
Detektivgeschichte:
Das Verbrechen ist bereits geschehen und was der Erzähler, der Detektiv und der Leser darüber wissen erschließt sich lediglich aus Indizien und indirekten Beobachtungen diverser Personen. Die Beweggründe zur Tat müssen erst noch entschlüsselt werden.
Kriminalgeschichte:
Aus Sicht des Täters. Das Verbrechen wurde geplant und wird nun ausgeführt. Die Beweggründe zur Tat sind für den Leser in jedem Fall erkenntlich.
Es gibt bei beiden Arten keinen perspektivischen Wechsel zur Gegenseite – sonst wäre die Kriminal- oder Detektivgeschichte ein Thriller, womit hier nun auch der große Dritte im Bunde noch rasch erwähnt ist.
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Auch sehr selten vertreten in der Rubrik Spannung/Krimi:
Thema: Reise kombiniert mit Selbstfindung oder Menschwerdung
Motiv: Der aktive, neugierige und wagemutige, nach neuen Erfahrungen suchende Mensch.
Das könnte eine typische Spannungsgeschichte (ohne Verbrechen) ergeben. Vielleicht nicht ganz einfach zu schreiben, weil hier die Spannung und nicht der Reisebericht im Vordergrund stehen sollte.
Es gibt jede Menge Stoff – Rucksackwandern durch Moldawien, mit dem Radl durch die Mongolei und dann natürlich noch die verschiedensten Freizeitsportarten wie Bergsteigen oder Hochseeangeln.
Bei all diesen Gelegenheiten können dem Protagonisten Dinge passieren, die ihm eine Lehre sind und einen Wendepunkt in seinem Leben markieren.
Na dann, ran an den Speck!