@Kubus
Jemand hat als Kriterium für einen guten Text unter anderem "Welthaltigkeit" genannt. Das spiegelt meines Erachtens den Willen wider, möglichst viel aus der wirklichen Welt literarisch abzubilden. Also beispielsweise aktuelle Probleme und Fragestellungen des Zeitgeschehens aufzugreifen und die Subjektivität so weit wie möglich zu reduzieren.
Das ist ein grundlegendes, widersprüchliches Problem: Wir können gar nicht anders, als „welthaltig“ schreiben, weil wir nicht außerhalb dieser Welt schreiben können, aber auf der anderen Seite können wir auch die „Wirklichkeit“ dieser Welt gar nicht abbilden, weil Sprache als Medium, das, was es abbildet, auch verändert. Die „Wirklichkeit“ ist durch Sprache nicht erreichbar.
Aber um es pragmatisch zu sehen: Wenn ich möglichst viel Wirklichkeit haben will, dann kann ich auch Zeitung lesen, dazu brauche ich keine Literatur. Die Subjektivität so weit wie möglich zu reduzieren? Literatur ist doch keine Wissenschaft. Literatur lebt vom Subjektiven, vom speziellen Blick auf die Welt. Das ist es, was mich an Literatur interessiert, dass ich die Welt mit anderen Augen sehen kann, um es vereinfacht auszudrücken.
@Udo
Abgesehen davon zielt Deine Frage auf das Handwerk.
Nur bedingt – man kann natürlich lernen, wie man Spannung erzeugt, aber bereits beim Stil oder bei dem Punkt, wie weit ich Subjektivität in den Text bringen bzw. eine eigene Welt im Text erschaffen kann, da hört sich das Handwerk auf. Im Übrigen ging es mir nicht um die Frage, wie man einen guten Text herstellt, sondern wie man einen Text beurteilen kann.
Alle Kriterien, die bis jetzt genannt wurden, was gute Literatur ausmacht, sind keine Kriterien der Literatur, sondern des Texthandwerkes. Handwerk kann man beschreiben und lernen und ausführen und in unserem Fall damit handwerklich gute Texte schreiben, aber keine Literatur erzeugen, was nur durch Kunst möglich ist.
Ich glaube, es gibt keine feststellbare Grenze zwischen „vollendetem Handwerk“ und „Kunst“. Die Idee der „Kunst“ ist für mich irrelevant, nur eine schöne Idee eben, etwas Nebuloses, das nicht greifbar ist.
Nur Kunst lässt sich nicht fabrizieren und deren "Erzeugung" und "Nutzung" ist vom Bildungsstand oder allen anderen möglichen Kriterien unabhängig. Kunst und damit Literatur ist von jedermann und für jedermann möglich, es beherrscht nur keiner, weil keiner weiß, wie es funktioniert!!!!!!
Ja, klar, Kunst fällt einfach so vom Himmel … Das heißt, es gibt für dich niemanden, der in der Literatur Kunst schafft? Oder kannst du vielleicht ein Beispiel für jemanden geben, der deiner Meinung nach literarische Kunst beherrscht?
@Floritiv
Richtlinien zu geben ... wem, der KG.de-Community, die erst dadurch befähigt sei Texte zu kritisieren, oder dir?
Ich hab nirgends gesagt, dass meine Richtlinien normativen Charakter haben. Sehr unterschiedliche Meinungen zu einem bestimmten Text haben mich damals dazu gebracht, für mich selbst festzulegen, nach welchen Kriterien ich eigentlich einen Text beurteile. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, sich darüber klar zu werden. Nirgends hab ich allerdings gemeint, dass die Kg-Community erst dadurch befähigt sei, anhand meiner Richtlinien Texte zu beurteilen. Das ist eine Unterstellung. Vielmehr sollte/könnte mein Punktekatalog nur eine Hilfe sein, sich der eigenen Richtlinien bewusst bzw. sich darüber klar zu werden.
Dein Bemühen ist ein bisschen sehr abstrakt und der Sinn erschließt sich mir nicht. Was hast du davon, wenn du irgendwann einen tollen Katalog solcher Richtlinien hast und dann kommt plötzlich eine Geschichte daher, die gemäß dieser Richtlinien ein affenobergeiles Stück Literatur sein soll, du sie aber trotzdem scheiße findest? Oder umgekehrt, du einen lt. Gesetz, äh, Richtlinie miserablen Text dennoch gern gelesen hast?
Ich glaube nicht, dass es schlecht oder zu abstrakt ist, die eigenen Grundlagen zu objektivieren, auf denen man seine Textkritik aufbaut. Dass zu meinen angeführten Punkten noch viele andere Dinge dazukommen, ist klar. Aber ich habe mich bemüht, nach dem zu fragen, was für einen Text unabdingbar ist. Und wenn ein Text keinen dieser Punkte erfüllt – ich kann mir kaum vorstellen, dass das trotzdem ein toller Text sein könnte.
Wenn dein Bemühen zu irgendetwas führt, dann zu einem pseudonormativen Text, in dem vielleicht nur du allein einen Sinn siehst und an welchem du, statt Geschichten zu schreiben oder andere Geschichten zu lesen/kritisieren, ständig herumrevidierst. Insgesamt eine ziemlich lustlose Angelegenheit.
Du siehst die Richtung falsch. Ich gebe keine Richtlinien, um einen Text zu produzieren, sondern solche, um einen zu beurteilen. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Nein, auszudiskutieren, was einen guten Text von einem Text unterscheidet, erscheint mir absurd. Die naheliegendste Alternative dazu ist, man höre und staune, zugleich der Sinn und Zweck dieser Plattform: Versuchen, gute Texte zu schreiben und artikulieren, wo andere Texte gut sind und wo nicht.
Es mag sein, dass meine Punkte dumm sind oder banal oder einseitig oder naiv oder was weiß ich, aber ich wollte für mich etwas klären. Ich habe mich bemüht, es möglichst einfach und klar zu machen. Wieso hier gleich drauf eingeschlagen werden muss, nur wenn man sich mal Gedanken drüber macht, versteh ich nicht.
Auf welchen Grundlagen formulierst DU denn deine Kommentare?
@Ane
Es heisst, dass etwas zuerst ohne Zweck existiert. Es heisst nicht, dass etwas losgelöst von allen anderen Bedingungen im Raum schwebt.
Das ist ein Widerspruch. Es kann etwas nicht ohne Zweck existieren, das NICHT von allen anderen Bedingungen losgelöst ist. Ich würde das, was du meinst, eher als „absichtslos“ bezeichnen. Wenn man einem Text eine Absicht anmerkt, wenn ein Text tendenziös ist, dann ist man als Leser verstimmt. Man will sich nicht in eine Richtung drängen lassen. Natürlich tun Texte das immer, man will aber als Leser das Gefühl haben, dass man in der Beurteilung des Gelesenen frei bleibt.
Unterhaltung: Ich glaube, Texte, die mich unterhalten wollen, öden mich an. Interessanter oder auch sehr viel lustiger finde ich die, denen das egal ist.
Du meinst, wenn man die Absicht erkennt, dass ein Text unterhalten will, aber das ist doch was anderes, als wenn ein Text an sich unterhaltsam ist.
Schönheit: Ein Stein, der eine lange Zeit in den Wellen liegt, ändert seine Form, aber nicht seine Farbe.
Oder anders: Stil hat mit Schönheit nichts zu tun.
Häh? Stil ist etwas, das ich sinnlich erfasse, etwas, das meine Sinne erfreut. Ein gelungener Stil freut mich, das versteh ich unter Schönheit.
Erwecken von Gefühlen: Ich bin nicht selten gerührt von einem Text, den ich ansonsten schlecht finde (inkl. meine eigenen )
Ja, das kann durchaus passieren.
Anregung des Denkens: Oder, um dem eigenen Denken zu entkommen, um einzutauchen in etwas Fremdes und darin Vertrautes zu finden.
Ich lese eigentlich nie, um mehr zu denken. Sollte ich?
Alles, was ich gesagt hab, ist, dass ich Texte gut finde, die mich zum Denken anregen, ich sagte nie, dass wir lesen sollen, damit wir mehr denken.
Erschaffung einer neuen Welt: Jeder Mensch hat seine eigene Blickweise auf die Welt. Wenn er das ausdrückt, erschafft er sie dann neu?
Ja.
@Setnemides
Hier geht es um Lust am Lesen, Lust am Schreiben ... wie steht es darum? Überwiegend wurden hier, besonders auch von mir selbst, ernste, sehr sehr ernste Motive ins Feld geführt. Wie ist es nun hiermit?
Ja, nur stellt sich halt dann die Frage, ob unsere Kommentare dann mehr leisten sollen, als einfach nur unser Gefallen oder Missfallen auszudrücken. Ich denke, wir haben alle mehr davon, wenn wir unsere Urteile auch begründen.
@Woltochinon
nachdem ich den Titel “Was will Literatur” gelesen habe, hat es mich überrascht, dass die Anmerkungen zum Teil darauf hinauslaufen, wann ein Text gut ist bzw. gefällt. Dies impliziert, dass Literatur will, was gefällt, dann auch gut ist, wenn sie gefällt. Eigentlich kann man (imho) gar nicht davon sprechen, was Literatur will sondern nur was sie wollte: Unterhalten (auf verschiedene Weise – durch Rührung, Horror usw.), informieren, die Welt verbessern (was nur selten gelang).
Gute Literatur ist nicht unbedingt Literatur, die gefällt, das kann man nicht synonym setzen.
Wenn man viele Menschen befragt, wird man in einer Art Glockenkurve die Verteilung der Vorlieben feststellen, dem Maximum entsprechende Texte wird es zu einer gegebenen Zeit häufiger geben, sie werden auch kommerziell erfolgreicher sein als andere. Wenn man dann die erwarteten ‚Zutaten‘ kennt, bekommt man einen kommerziell einigermaßen oder sogar sehr erfolgreichen Einheitsbrei, der nur andere Würze oder sogar Hauptingredienzien bekommt, wenn irgendein Autor etwas wagt. (Vielleicht ist auch der Einheitsbrei als Grundnahrungsmittel nötig, um einen Orientierungspunkt für den literaturbezogenen Geschmack zu haben.)
Das glaube ich tatsächlich, dass die breite Massenliteratur AUCH eine Hefe ist, die notwendig ist, damit hochwertige Literatur entsteht.
Die Frage ist auch, was soll unter Literatur verstanden werden, schließlich gibt es Trivial- und Schundliteratur. Wer bestimmt, was Literatur ist, ob sie vielleicht sogar als ‚gehobene‘ angesprochen werden kann? Die Mehrheit, sogenannte Intellektuelle? (Welche Teilmenge von ihnen?).
Ja, da das auch eine Frage der gesellschaftlichen Distinktion ist, wollte ich diese Frage überhaupt nicht berühren, weil eben einige wenige bestimmen wollen, was Literatur ist und was nicht. Es gibt tolle „triviale“ Texte („Das Lied von Eis und Feuer“ zum Beispiel) und es gibt sterbenslangweilige „hohe“ Literatur, wie wir alle wissen. Es gibt welche, die uns sofort total begeistert und welche, bei denen man sich anstrengen muss, um Genuss und Gewinn aus ihnen zu ziehen. Ich will die Unterscheidung zwischen hoher und Trivialliteratur nicht treffen, bzw. bringt mir diese Unterscheidung nichts.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukommen:
Was will Literatur? Wenn es um gesellschaftlich/intellektuell ambitioniertes Schreiben geht komme ich eher zu dem ernüchternden Schluss einem zahnlosen Literatur-Tiger zu begegnen:
Bei welchem meiner fünf Punkte denkst du, dass dieses ambitionierte Schreiben reinfallen würde? Ich glaube nicht, dass ich das irgendwo gemeint habe. Dass Literatur zahnlos ist, seh ich auch so, zumindest ist es schwer fassbar, wie und ob literarische Texte beeinflussen können. Ich glaube allerdings, dass das nicht die vorrangige Absicht von Literatur ist.
@ Dion
Körperliche Affekte durch Texte zu erzeugen ist schlecht. Durch körperliche Affekte wird der Leser unfrei, Texte, die seine Triebe anregen, nehmen ihm die Möglichkeit selbstbestimmt über etwas zu urteilen, er wird durch seine Triebe bestechlich in seiner Urteilskraft. So ungefähr frei nach Kant. Ob das für unsere Zeit auch noch gilt? Nachwirkungen dieses Gedankens gibt es sicher noch.
@Tiltik
Literatur ist für mich in erster Linie Kommunikation.
Alle Sprache ist Kommunikation.
Ich möchte etwas sagen und auch gehört werden.
Dabei kommt es stark drauf an, was ich sagen will und wie ich es sagen will.
Manchmal sind die Gefühle wichtiger, manchmal der reine Sachgehalt.
Ist das wirklich spezifisch literarisch? Gilt das nicht für alle sprachlichen Äußerungen?
Wirklich gute Literatur setzt mir diese Aussage aber nicht nur einfach vor, sondern führt mich an sie heran. Regt mich zum Nachdenken an oder lässt mich in den Gefühlen versinken. Sie packt mich und lässt mich erst wieder los, wenn alle Argumente auf dem Tisch liegen. überlässt es aber mir, diese zu gewichten.
ja, so sollte es sein
Auf jeden Fall finde ich als Leser all jene Werke gut, bei denen ich mit dem Autor in einer kommunikativen Beziehung stand.
Der Text spricht zu mir, nicht der Autor. Das ist das Spezifische eines literarischen Textes: Dass die Kommunikation zwischen Autor und Leser derart gedehnt ist, dass viel Spielraum für Interpretation bleibt (was für jeden geschriebenen Text gilt), dass aber auf der anderen Seite, und das ist spezifisch literarisch, das Seelische, das Innere, das Imaginative, das Fantasievolle mir viel näher kommen kann als bei einer normalen Kommunikation. Das Alltägliche, Körperliche, Reale bleibt ausgeschaltet, auf dass etwas Inneres sich umso besser entfalten kann.
Konichi-wa!
Andrea