Was ist neu

Berliner Abgründe

Seniors
Beitritt
19.01.2004
Beiträge
936
Zuletzt bearbeitet:

Berliner Abgründe

Er würgte. Tränen liefen über seine Wangen. Die Berührungen der anderen zwiebelten wie Peitschenschläge. Vergeblich versuchte er sich mit seinen Armen zu schützen, als unter dem Gekreisch des Warnsignals die U-Bahntüren zur Seite donnerten. Heerscharen an Berufspendlern drängelten, schubsten und stießen sich hinaus auf den Rehberger Bahnsteig. Und mitten unter ihnen: Mattias.
Alles strömte in Richtung Treppe. Mattias befreite sich aus der Menschenflut, wankte in eine Ecke und lehnte sich an die Wand. Galle brandete einem Tsunami gleich über seine Geschmacksknospen hinweg. Dann kotzte er sein Frühstück auf die Dreihundert Euro teuren Nikes. Seiner Lagerfeld-Jeans erging es kaum besser.
Zitternd stierte er auf die Lache aus Magensaft und türkischem Kaffee, in der Boulettenstückchen schwammen. Dieser Anblick und der Geschmack im Mund genügten, um ihm kalten Schweiß auf die Stirn und den Mageninhalt ein zweites Mal die Speiseröhre hinauf zu treiben. Speichelfäden zogen sich in die Länge und tropften schließlich zu Boden.
»K-k-alt-t«, schlotterte er und hängte ein befreiendes »F-fuck!« hinten ran. Nur, um sich einen Augenblick später den dröhnenden Schädel zu halten.
»Fuck, Fuck, Fuck!«, wiederholte er den Fluch, allerdings wesentlich leiser. Seine Trommelfelle standen kurz vor dem Zerreißen. Die Schritte der Menschen hallten und knirschten auf dem Steinboden und niemand beachtete Mattias. Normaler Weise war es an ihm, einfach vorüber zu gehen und den Penner in der Ecke zu übersehen.
›Aber ich bin kein verschissener Penner!‹ Selbstmitleid und Wut drückten auf seine Tränendrüse. ›Das sieht man doch, oder nicht? Die blonden Strähnchen doch sauteuer!‹
Nachdem der letzte Fahrgast die Stufen hinaufgepoltert war, kehrte einen Moment lang Ruhe auf dem Bahnsteig ein. Mattias stand vorsichtig auf und betrachtete die Schweinerei auf seinem Schoß.
›Das wird teuer!‹, überlegte er und zitterte weiter.
Eisiger Wind stach zehntausend Nadeln in sein Gesicht. Seine Arme brannten vor Kälte. Aber das war noch nicht das Schlimmste hier unten. Der Gestank schalen Biers, abgestandenen Urins und Tausender Zigarettenleichen echote von den Hallenwänden wie Kanonendonner. Der Kloakenmief verfeinert mit Rattenkot, Menschenschweiß, Öldünsten und Ozon ätzte fußballfeldgroße Löcher in seine Schleimhäute.
›Verflucht! Warum hab’ ich mir das scheiß Plugin ausgerechnet in der U-Bahn runtergeladen?‹
Er stöhnte und hoffte inständig, dass ihm bald seine Nase abfallen würde. Als dies nicht geschah, drückte er sie sich mit aller Kraft zu, was aber bis auf Schmerzen ebenfalls keinerlei Ergebnis brachte. Sein Cooperative Implant empfing, filterte und potenzierte alle Sinneseindrücke munter weiter und überflutete die Großhirnrinde mit Unmengen an Daten.
Faustschläge gegen den Nacken erhöhten nur seine Kopfschmerzen. Dem Computerchip konnten sie nichts anhaben, denn der lag sicher eingehüllt irgendwo hinter dem Kleinhirn.
Der nächste Zug toste aus der Dunkelheit des Tunnels heran und brachte Mattias an die Grenzen eines akustischen Komas. In Panik flüchtete er die Stufen hinauf und sprang über die stark befahrene Chaussee-Straße. Das Hupen der Autos fraß sich wie Säure in seine Ohren. Aber das war noch halbwegs zu ertragen, verglichen mit dem Gefühl, brennende Kohlestücke statt Augen im Kopf zu haben.
Er musste hier weg.
Irgendwo hin, wo es weniger grell – viel schattiger und stiller war. Und wo es keine nach Verwesung stinkende Luft gab.
›Der Mond!‹, schoss es Mattias durch den Kopf, und: ›Galgenhumor! Na, der hat mir jetzt noch gefehlt.‹

Auf dem Bürgersteig stolperte er in seiner Hast über die eigenen Beine, stieß gegen einen Passanten und riss ihn mit sich zu Boden. Wellenfronten aus Schmerz überzogen erst sein Knie, dann den gesamten Körper. Halb betäubt richtete er sich auf, während sein Opfer ihn mit ihrer Handtasche traktierte.
»Verflucht! Pass doch auf, verdammtes Arschlo- ... Mattias?« Durch seine Gehörgänge gellten phonetische Atombombenexplosionen.
»Anika? Bist du das?«, flüsterte er unsicher und blinzelte die Frau an.
»Hast du keine Augen im Kopf?«, fragte sie.
»Fühlt sich momentan nicht so an, eher wie brennende... Super! Die borg’ ich mir mal.« Mit einer schnellen Handbewegung hatte Mattias ihr die Sonnenbrille von der Nase gerissen und sich selbst aufgesetzt.
»Aah, viel besser.«
»Hey, die ist von Gucci!«, keifte Anika.
»Bezahl’ ich dir nachher.«
»Wie siehst du denn eigentlich aus? Warum rennst du hier... Oh nein! Schau dir meine Strumpfhose an! Voller Löcher! Und mein Kostüm! Ich habe-«
»Jetzt übertreib mal nicht! Und hör auf, so rumzuschimpfen«, zischte Mattias seine Bekannte an. Eilig half er ihr auf und zerrte sie in eine Seitengasse. Der Gestank war hier nahezu unerträglich, was schon mal eine Verbesserung darstellte. Im Hintergrund donnerte der urbane Häuserkampf zwischen Automobilkrach und Einwohnerlärm. Langsam bekam Mattias seine Situation unter Kontrolle. Er zauberte sogar ein nervöses Lächeln auf seine Lippen, doch heute schien Anika nicht darauf reinzufallen.
»Guck’ dich nur an!«, musterte sie ihn pikiert. »Was ist das da auf deiner Hose und den Schuhen? Hast du dir Suppe über den Schoß-«
»Äh, ...ja. Suppe. Aber sei bitte leiser. Bin heute morgen etwas empfindlich.«
»Und wie du aus dem Mund stinkst. Warst du gestern Abend saufen?«
Mattias antwortete nicht, sondern lief weiter die Gasse hinunter. Sie stöckelte ihm hinterher.
Am Gassenende lag ein kleiner Park mit einem Kaffeehäuschen. Beide setzten sich an einen abseits gelegenen Tisch. Lindenblüten schwängerten die Luft mit ihren Pollen und verliehen ihr eine sirupartige Konsistenz, die jeden weiteren Geruch mit einer Glasur aus Honig überzog.
›Daran werde ich schon nicht sterben‹, hoffte Mattias.
Das allgegenwärtige Kindergegröle, das gerade mit seinen Hörnerven Gummihopse spielte, war unter den Umständen wesentlich gefährlicher. Mattias versuchte es auf die psychologische Tour, aber wüste Drohungen und Beschimpfungen zeigten nur wenig Resonanz. Die Bälger hatten einfach die besseren Trümpfe im Ärmel da Sopranstimmen in der Kehle.
Erst nach einer umfangreichen Kleingeldspendenaktion auf ihre Hosentaschenkonten, konnte er sich halbwegs entspannt zurücklehnen. Anika schien ebenfalls erleichtert.
»Endlich Ruhe!«, war ihr lapidarer Kommentar. »Kinder sollten verboten werden.« Mattias versuchte, auf ihr Geschnatter nicht zu achten. Sein Puls lag nun bei stabilen Hundertachtzig und langsam bekam er wohl sein Implantat in den Griff.
›Fuck, fühl ich mich fertig!‹, stellte er fest. Dabei waren höchstens fünfzehn Minuten seit dem Download vergangen.
Der Kellner brachte den bestellten Kaffee. Mattias hatte mit Wasser vorlieb genommen. Mit einem großen Schluck spülte er sich den Mund aus, spuckte in die Büsche und beließ es dabei. Im Moment schmeckte für ihn selbst klares Arktisgletschereis wie öliges Brackwasser, was es wahrscheinlich auch war.
Anika ignorierte sein Verhalten und begann wieder über ihre zerstörten Strumpfhosen, das ruinierte Kostüm und sonstwas zu lamentieren:
»... und schau dir nur mal meine Pumps an. Das ist Prada. Korrigiere: Das war Prada. Die kann ich jetzt jedenfalls wegschmeißen. Und...«
»Ich bezahle ja alles! Gib endlich Ruhe!«, unterbrach er sie total entnervt.
»Auf was für einem Trip bist du denn heute?«
»Bin krank«, antwortete er knapp, in der Hoffnung, Anika damit vertreiben und sich danach endlich seinen Problemen widmen zu können. Aber Anika und sein Co-Imp hatten offenbar andere Pläne.

›Trip? Dumme Kuh! Was weiß die denn schon von meinem Trip?‹, ärgerte sich Mattias und sah die Kokainspuren an ihrer Oberlippe.
›Wenn's bei mir doch auch nur Koks wäre. Aber nein, ich muss ja mal wieder über das Ziel hinausschießen.‹ Anikas Achselschweiß transpirierte durch die Seidenbluse.
›Bäh!‹, dachte er, und: ›Scheiß Hacker-Seiten. Hätten ja wenigstens eine Warnung neben den verfluchten Link schreiben können.‹
+SuperSense-Extension+, die krasseste Erfahrung, die du je gemacht hast! War zwar völlig richtig, allerdings hatte er die Nase gestrichen voll davon.
›Blödes Sprichwort! Und trotzdem mehr als zutreffend.‹
Der Mief um ihn herum gewann allmählich die olfaktorische Form eines Fischs.
Das verdammte Plugin ließ sich einfach nicht abstellen. Mattias hatte es bereits die ersten dreißig Sekunden in der U-Bahn vergeblich versucht, bis sich die Tür geöffnet und ihn eine Woge aus Menschenleibern, Schweiß, Deo, Qualm und viel, viel Schlimmerem an Land geworfen hatte. Wie einen zappelnden Fisch.
Fisch? War wohl eher eine ganze Fischereiflotte, die ihm gerade durch die Nase schipperte. Er hörte, wie Anikas Herzschlag sich erhöhte, Blut ihre Arterien hinaufschoss. Seine Augen fokussierten die winzigen Äderchen ihrer Wangen, die anschwollen und ihr Gesicht trotz der Puderschicht wie eine Tomate strahlen ließen. Östrogen blubberte auf seiner Zunge.
Dann geschah etwas Seltsames.
Anikas Kontur verschwamm zu einem Brei aus Farbe, Geruch und Geschmack.
Mattias versuchte mit aller Kraft, seine Wahrnehmung zu bündeln...
Und plötzlich sah, hörte, roch, schmeckte und fühlte er tiefer in einen Menschen hinein, als er es je zuvor getan hatte. Seine Supersinne rissen Anikas Fassade aus Oberflächlichkeiten beiseite und sahen ihr wahres Innerstes.
»Is’ ja nicht grad viel!« Mattias war erschüttert.
»Was meinst du?«, fragte Anika überrascht. Der Hormongehalt der Luft fiel für einen Augenblick um drei Punkte.
»Nichts. Äh... mein Co-Imp spinnt heute etwas rum«, log Mattias gekonnt die Wahrheit.
»Das kenn' ich. Hab meines letzte Woche updaten lassen. Geh bloß nicht zu diesem schmierigen Händler Ecke Mariannenstraße und-«
»Werd’ ich nicht!«, unterbrach er sie und wünschte sich insgeheim das Kindergegröl zurück.
»Äh... Mattias? Ich wollte dir schon lange etwas sagen...«
›Dass sich hinter deiner mehr schlecht als recht hochgestylten, parfümierten und operierten Hülle nur eine riesige Leere verbirgt?‹, dachte er, grummelte aber nur ein abwesendes »Hhm?«
» ...Normaler Weise mach ich so was ja nicht oft...«
›Die ganze Zeit gibt sie vor, eine starke, selbstbewusste Frau zu sein. In Wirklichkeit ist sie nur eine kleine, dumme Göre. Sie hat Angst vor dem Leben und weiß das nicht einmal. Beinahe könnte man Mitleid mit ihr haben. Aber sie stinkt. Ich kann riechen, wie sie stinkt. Nach Arroganz. Nach Feigheit. Nach Anpassung. ‹
» ...Was ich meine: wir kennen uns nun schon ziemlich lange...«
›Viel zu lange habe ich es nicht bemerkt, nicht gerochen. Konnte es gar nicht! Und warum? Weil ich selber zu sehr stinke. Jetzt schaue ich in ihre Augen und sehe das Spiegelbild eines menschlichen Abfallhaufens. Ich sehe mich.‹
» ...und wir haben auch ein paar Mal miteinander geschlafen...«
›Sex, Parties, Alkohol, Drogen, Shoppen – was soll das sein? Leben? Erfüllung? Oberflächlicher Dreck, mehr nicht. Pausenfüller. Ablenkungen. Zeitvertreib. Zeitverschwendung! Es hält einen davon ab zu fragen, wer man ist und was man will.‹
» ...Dabei hatte ich immer das Gefühl, dass wir uns ziemlich ähnlich sind...«
›Wie Anika - das bin ich! Und Anika ist wie ich. Und zusammen mit allen um uns herum sind wir trotzdem nichts. Leer. Inhaltslos. Fassade um der Fassade willen. Filmattrappen echter Menschen!‹
» ...Ich könnte mir vorstellen, dass viele uns schon für ein Paar gehalten haben...«
›Ein Haufen menschlicher Dreck, das sind wir! Ich. Anika. Alle. Die ganze verdammte Stadt ist ein riesiger, gammelnder, zum Himmel stinkender Kadaver. Und wir sind die Fliegenmaden, die sich darin suhlen!‹
» ...Vielleicht liegt es nur daran, dass wir Frühling haben. Die Sonne scheint und...«
›Wir schwimmen in einem Meer aus Kälte und Finsternis und stoßen einander immer wieder unter auf dem Weg zum Ufer. Aber da ist kein Ufer! Kein weißer Palmenstrand in Sicht. Keine Rettung. Niemal- ‹

Eine Windböe unterbrach Mattias dabei, in grenzenlosem Selbstmitleid zu versinken. Sie trug einen ganz eigenen, zerbrechlichen Duft mit sich. Wie ein Fis in einem Moll-Akkord schwang über dem Mief der Stadt ein Hauch purer Lieblichkeit.
Purer weiblicher Lieblichkeit.
In einer Reinheit, die er nicht kannte.
Als sich das Cooperative Implant begeistert auf die neuen Daten stürzte, brachen weitere sensorische Schockwellen über sein Stammhirn herein. Doch Mattias hielt stand und seine Nase in den Wind.
Mit jedem Atemzug, den er nahm, dockten Hunderte feinster Pheromone an die Rezeptoren seines Vomeronasalorgans und aktivierten uralte Instinkte.
Eigentlich eine Aufgabe für das menschliche Unterbewusstsein, aber sein super-erweitertes Co-Imp sah das anders.
Ähnlich wie zuvor bei Anika, war Mattias in der Lage, mit der Nase diese Botschaft wie ein Buch zu lesen oder wie ein Lied zu hören. Und auch ein wenig: wie ein Gericht zu schmecken.
Und es schmeckte guuut. Sehr gut sogar. Ein femininer Traum, kulinarisch verpackt: Sahneeis, das sich samten an den Gaumen schmiegte. Erdbeerstückchen, die im Mund zergingen und zusammen mit peruanischer Vanille der Zunge ein Liebeslied sangen. Das alles in diesem feinen Duft, diesem ambrosischen Odeur , diesem göttlichen Wohlgeru-
»Hey!«, unterbrach Anika den sinnlichen Moment. »Ich bin auch noch da.«
»Äh... Was?« Mit einem Schreck erwachte Mattias aus seiner Trance.
»Hast du mir nicht zugehört?«
»Tschuldigung...« Er entsann sich dunkel, aus Anikas Richtung irgendwelche Worte gehört zu haben.
»Ich hab’ grad gefragt, ob du Lust hast, mich mal demnächst ins Kino einzuladen, oder so.« Sein Gesicht zeigte das mimische Äquivalent eines Fragezeichens.
»Jetzt stell dich nicht so an! Scheiße, ich will mit dir zusammen sein. Normaler Weise reagieren die Männer an dieser Stelle etwas fröhlicher, wenn ich sie frage.«
Mattias sprang entsetzt vom Stuhl. Einen Augenblick lang schwieg die Welt auf metaphorischer Ebene.
Auf der aromatischen tat sie es nicht: Erneut trieb der Wind Spuren dieses wunderbaren Dufts in seine Nase. Und mit einem Mal war Mattias klar, dass es hier für ihn nichts Interessantes mehr gab.
»Was?... Wo willst du denn hin?« Anika starrte ihn mit großen Augen an.
»Weg! Ich muss jemanden suchen.«
»Und was ist mit mir?«
»Du wirst schon einen anderen finden.« Mattias zog sich rasch die Jacke an. »So schlecht im Bett, wie du denkst, bist du gar nicht.« Er warf ihr einige große Scheine hin. »Dein Schadenersatz. Ich will das alles jetzt nicht mehr.«
»Äh? Was... ?«
»So leben!«, rief er ihr zu. »Ich wollte es noch nie, und jetzt weiß ich es endlich.« Dann war Anika außer Hörweite und aus seinem Leben verschwunden.

Jetzt hieß es: Suchen und Finden.
Eigentlich hatte er schon sein ganzes Leben lang gesucht, es nur nicht gewusst. Und wer nicht weiß, dass er sucht, kann auch nichts finden. Allerdings hatte sich das bei ihm nun geändert.
Wie an einem Faden zog ihn die Fährte immer tiefer in den Schiller Park. An ihrem Ende wartete der...
›Topf voll Gold? Nein,... · Mattias schüttelt den Kopf. ›...viel zu profane Metapher.‹
Er konnte sich keine Vorstellung von der Frau machen. Er fühlte nur ganz tief in sich drin, dass er zu ihr wollte. Ihre Körperchemie hatte ihm den Weg mit hormonellen Brotkrumen markiert.
Seine Nase war jetzt sein wichtigstes Auge. Die anderen beiden hielt er geschlossen, um nicht abgelenkt zu werden, denn der Faden war dünn und des Öfteren fast zerrissen.
Er stolperte über die Wiesen und wich – für jeden Beobachter unerklärlich – allen Bäumen halbwegs geschickt aus. Dabei schlug er große Bögen; immer so, wie der Wind gerade stand. Irgendwann war er auf der anderen Seite des Parks angekommen. Hinter der kleinen Mauer, der Grenze zur Berliner Innenstadt, transformierte sich das olfaktorische Ambiente aus Hundekot, Grassamen und Marihuanaqualm zum altbekannten Stadtgestank. Durch diese unsichtbare Wand musste Mattias sich mühevoll vorwärts graben, bis er an einer Fußgängerampel erneut Witterung aufnahm.
Hier hatte seine große Unbekannte gestanden, den Signalknopf gedrückt und auf Grün gewartet. Er streichelt sanft über das Plastik. Glatt und eben fühlte es sich an. Tot. Es roch nach dem Schweiß Tausender Hände. Und dem Duft dieser einen einzigen, auf die es jetzt nur noch ankam.
Das Signalpiepen der Ampel riss ihn schmerzhaft aus seiner Gedankenwelt. Mit den Zeigefingern in den Ohren konnte er sich vorerst vor weiteren akustischen Überraschungen schützen, sah aber ansonsten ziemlich bescheuert aus.
›Egal!‹
Die Menschen umspülten ihn wie einen Felsen im Fluss. Mattias versuchte ihre Anwesenheit zu ignorieren, und der Umstand, in Berlin geboren zu sein, half ihm dabei. Allen sinnlichen Widerwärtigkeiten zum Trotz, kämpfte er sich weiter stromaufwärts die Bristol-Straße hinauf und dann rechts in die Barfus-Straße. Sechshundert Meter und zwei Berliner-Currywurstbuden-Würgereize später hieß es erneut rechts.
›Das Mädel lässt mich ja ganz schöne Kreise laufen‹, dachte er sich, stapfte aber unbeirrt voran. Die Spur wurde heißer und der Duft intensiver – einem Bukett schon ziemlich ähnlich.
Die Augen geschlossen; die Finger in den Ohren; bluthundhechelnd und -schnuppernd, so lief er die Straße hinab und erntete skeptische Blicke von seinen Mitmenschen. Die sah er zwar nicht, aber ihre Körper glühten für ihn wie Hochöfen. Immer sicherer werdend, arbeitete Mattias sich voran.
Dann rannte er gegen eine Mauer.
Eigentlich war es ein Loch im Boden, aufgefüllt mit allen Widerlichkeiten dieser Welt. Mattias kannte es bereits. Er öffnete die Augen und stand vor dem Eingang zur U-Bahn-Haltestelle Rehberge. Seine Traumfrau war dort hinunter verschwunden. Mehrere rotblinkende, unsichtbare Duftpfeile zeigten in diese Richtung.
Etwas in ihm sträubte sich. Seine erste Begegnung auf intensiv-geruchlicher Ebene mit dieser Station vor fast einer Stunde war nicht gerade zufrieden stellend verlaufen. Er hatte sich jetzt zwar besser im Griff, aber...
›Reicht das für dort unten?‹
Einen Moment lang überlegte er und fuhr dann doch mit der Rolltreppe in die Dunkelheit. Ein Gutes hatte die Sache wenigstens: Er wurde endlich diese grässliche Damensonnenbrille los, auch wenn er dafür erneut den herben Eau-de-Stank des Berliner Untergrunds in Kauf nehmen musste.
Bereits auf der Treppe wünschte er sich, lieber im Hinterteil eines Moschusochsen zu stecken, als noch einmal hier herunter zu müssen. Aber es half nichts. Das Glück lag nun mal immer am Ende eines steinigen - oder in Mattias Fall stinkenden - Weges.
Unterdessen war aus dem Fis eine schwungvolle Sinfonie geworden, die sich tapfer gegen die Legionen aus Schweiß, Nikotin und allen möglichen anderen Gerüchen zur Wehr setzte. Es würde für Mattias ein Leichtes sein, die Gesuchte hier herauszuschnuppern, wenn auch keine angenehme Erfahrung.
Nur noch wenige Augenblicke und er-

Plötzlich war alles weg!
Kein Gestank. Keine duftende Sinfonie. Kein Licht.
Mattias zog verwirrt die Finger aus den Ohren. Taub.
Noch bevor er sich fragen konnte, was zur Hölle hier vor sich ging, wurde ein Schriftzug in sein Sichtfeld eingeblendet.
›Die Teststunde für SuperSense-Extension Version 3.2 ist abgelaufen. Bei Interesse an einer Vollversion bitten wir dich eine Email an folgende...‹
Es war vorbei.
Seine Augen gewöhnten sich langsam an das Licht. Und mit der nächsten U-Bahn hielt sein normales Hörvermögen wieder Einzug. In die Menschenmenge kam Bewegung. Entsetzt sah Mattias sich um. Wo war die Frau? Wer war sie?
Er starrte in die Gesichter der Leute, und diese starrten achselzuckend zurück.
»Wo bist du?«, schrie er in die sich leerende Halle.
Keine Antwort und keine Zeit.
›Scheiße! Ich brauch’ das verfluchte Plugin!‹
Mit rasenden Gedanken rief er das Web-Interface seines Co-Imps auf.
›Wie war verdammtnochmal der scheiß Name dieser scheiß Hacker-Seite?‹ Der Verlaufscache würde es wissen. Schnell, bevor die...

Mit einem Rumsen fielen die Hydrauliktüren zu. Elektromotoren sprangen an und binnen Sekunden hatte die Bahn die Station wieder verlassen.
Fassungslos starrte Mattias ihr hinterher.
›Sie fährt weg! Einfach weg. Alles umsonst! Alles vergebens!‹
Jetzt hatte er keine Chance mehr, sie wiederzusehen. Selbst mit dem Supersinnen-Plugin für sein Implantat war das ein hoffnungsloses Unterfangen in einem Moloch wie Berlin.
Auf einer Wartebank sackte er zusammen, schloss die Augen und versuchte die Ereignisse der letzten Stunde in Gedanken zu resümieren.
Er kam nicht weit.
Jemand tippte ihm auf die Schulter. Erschrocken blickte er auf.
»Verzeihen Sie.« Die junge Frau hüstelte nervös und versteckte ihre Hände hinter den etwas breiten Hüften.
»Äh... Ich glaube, ich bin hier falsch. Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich nach Charlottenburg komme? Ich kenne mich leider in Berlin nicht gut aus.« Mattias sprang auf und sah sie überrascht an.
»Vanilleeis mit Erdbeeren«, flüsterte er.
»Wie bitte?«
»Nichts. Charlottenburg sagten Sie? Kein Problem!« Er lächelte. »Zeig ich Ihnen. Wenn Sie genug Zeit haben, zeig' ich Ihnen alles, was Sie sehen wollen.« Dann lachte er das fröhlichste Lachen seines Lebens.

Alternatives Ende für Prozac:

Auf einer Wartebank sackte er zusammen, schloss die Augen und versuchte die Ereignisse der letzten Stunde in Gedanken zu resümieren.
Er kam nicht weit. Ein Hauch von Vanilleeis und Erdbeer stieg ihm in die Nase. Und dazu noch jede Menge After-Shave.
»Verzeihen Sie.« Der junge Mann hüstelte nervös und spielte sich am Ohrstecker rum. »Können Sie mir vielleicht sagen, wie ich nach Charlottenb-«
»Fuck!«, rief Mattias und sprang erschrocken auf.
»Wie bitte?«
»Äh... Nichts«, antworte er hastig und fluchte innerlich: ·Blödes, verficktes Co-Imp! Ich bin nicht schwul! Nein, nein, nein!·
Dann sah er sich sein Gegenüber etwas genauer an.
»Andererseits...? Hmm! Was sagten Sie, wo wollen Sie hin? Charlottenburg? Ich könnte Sie hinbringen.« Er lächelte verwegen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Mann Hagen,

da geht man nachts mal kurz aufm Pott und schaut dann, was seine Schäfchen bei KG so machen - schwupp! - schon wieder ne neue Story von dir. :dozey: [Hiermit bekenne ich mich offiziell als kg süchtig, bin aber gerade dabei, eine Selbsthilfe-Gruppe einzurichten :D] Wo war ich? Ach ja:

Da wird sich Charousek aber freuen, dass noch einer mal die drahtlose Daten-Übertragung aufgreift und eine wirklich gute Story draus macht. Ne, ehrlich, fand ich spitze, allerdings gelegentlich etwas zu - wie soll ich sagen - brachial von der Wortwahl her, aber gut.

Frage: Woher zum Geier weiß unser Prot, dass die Frau am Ende seine groooße Liiiebe ist, hm? Das Implantat - Verzeihung - "Co-Imp" ist doch ausgefallen ...

Fazit: Vorgaben erfüllt bzw. kreativ umgesetzt - wie Uwe jetzt sagen würde ;)

Gute Nacht!

Dante

 

Lieber Hagen!

Eigentlich gefällt mir die Geschichte ganz gut, abgesehen von ein paar Kleinigkeiten.
So hat es die Geschichte zum Beispiel gar nicht nötig, zu Beginn den Blick des Lesers auf die Kotze zu richten. Im Gegenteil würden die beschriebenen Gerüche der U-Bahn-Station besser hervorkommen, wenn die Kotze nicht so eklig aufdringlich wäre. – Ich aß noch dazu gerade ein Stück Kuchen, als ich Deine Geschichte zu lesen begann, wußte ja nicht, was Du mir da servierst…
Mir ist auch nicht ganz klar, warum der Protagonist so teure Designer-Klamotten trägt – nur um den Schaden durch die Kotze größer darzustellen? Wenn ja, dann könntest Du getrost auf beides verzichten, es lenkt eigentlich nur von der eigentlichen Geschichte ab, und so, wie Du den Typ anschließend im Streit mit Anika darstellst, passen die Designer-Sachen irgendwie auch gar nicht zu ihm.
Der dritte und letzte Punkt, der mir nicht gefällt, ist die seltsame Wortwahl: Einerseits verwendest Du so viele Kraftausdrücke wie »Scheiße« etc., daß sie beim Lesen schon unangenehm viele werden, andererseits wirfst Du mit Fremdwörtern um Dich, als wolltest Du dem Duden Nr. 5 Konkurrenz machen. Dazu kommt, daß Du den Charakter des Protagonisten nur sehr schwach zeichnest, da wirkt er gerade durch die »brachiale Wortwahl«, wie Dante sie nennt, nicht sehr sympathisch (auf mich jedenfalls).

Was mir gefällt, ist, daß Du das Riechen, ob jemand zu einem paßt, hier SF-mäßig aufgreifst. Denn das ist eigentlich ein natürlicher Instinkt, den sich die Menschheit zur Zeit leider abgewöhnt. Es gilt ja als erwiesen, daß man mit jemandem, den man nicht riechen kann, auch nicht zusammenpaßt, und damit ist nicht der Deo- oder Parfumgeruch gemeint. Dieses Zeug tötet die natürlichen Sinne bzw. bewirkt, daß diese Gabe bei zukünftigen Generationen wohl weniger ausgeprägt wird. Das wäre dann die Grundlage für Deine Geschichte: Die entsprechende Gehirnregion wird künstlich gereizt, was die eigentlich/ursprünglich natürlichen Sinne wieder aktiviert.
Alles völlig logisch und verständlich. :cool:

So, aber bevor ich Dir da eine Korrekturliste schreibe, schau doch bitte selbst noch einmal drüber und achte auf die Wortenden: Oft hast Du nämlich nur ein n oder e zu viel oder zu wenig getippt, die fallen Dir bestimmt auf. ;)

Alles Liebe,
Susi :)

 

Wow, da hat mir aber grad das Herz geklopft, als ich jetzt zum ersten Mal die Reaktionen las. :) Krass

Schön, dass die Geschichte bisher ganz gut ankommt. *PuuhSchweißWischVonDerStirn*

Euch stören die Kraftausdrücke? Gut, das "Kotzen" kann ich rausnehmen. Fand die Provokation irgendwie angebracht, war aber möglicher Weise übertrieben :) "Scheiße" und "Fuck" bleibt als Umgangssprache drinne!

@Dante

Woher zum Geier weiß unser Prot, dass die Frau am Ende seine groooße Liiiebe ist, hm?
Das übernehmen dann wieder seine normalen Sinne. Werds noch deutlicher ausdrücken.
Frage:
Wie gefällt dir dieses Happy End? *GrinsZwinker*

@Häferl

Ich aß noch dazu gerade ein Stück Kuchen
Tschuldigung
Mir ist auch nicht ganz klar, warum der Protagonist so teure Designer-Klamotten trägt
Soll seine eigene Oberflächlichkeit dokumentieren. Gebe zu, dass das doch recht klischeehaft ist. Werd ich wohl ebenfalls noch dran arbeiten müssen.
schau doch bitte selbst noch einmal drüber
Werd ich machen. Rührt da her, dass ich ständig rumgeändert hab im Text, und dann einige Endungen bei übrig geblieben sind.

@Blackwood

Schlecht recherchiert!
Naja, der Satz wird wohl noch mal geändert. Ist sowieso noch etwas zu adjektivistisch.
und ihn mehrfach würgen zu lassen…
Der Satz beinhaltet ein halbes Zeugma, auf das ich eigentlich ziemlich stolz bin :)

das schmerzende Anrempeln der Aus- und Einsteigenden, der Schwindel erregende Übergang von schweiß-warm nach chlor-kalt
Sehr gute Idee. Danke
Dafür könnte das ‚Fühlen’ ruhig noch ein wenig ausgebaut werden
Stimmt!
Dein Ende ist … hach, einfach schön…
Eigentlich sind Happy Ends ja nicht so mein Ding :) Aber hier hat's einfach gut gepasst.

@Euch alle drei
Danke ;)

 

Berliner ...

Hi Hagen,

eine Bum Bum Geschichte. :D
gefüllt mit Sinneseindrücken, die auf einen herniederprasseln und von denen ich jetzt Kopfschmerzen habe. Wollte aber unbedingt wissen, wie es zu Ende geht.
Zuerst habe ich geglaubt, es wäre vielleicht ein Eisstand, deren Duft dein Prot folgen würde. Das es eine Frau sein sollte, so glaubte ich, würde nur seiner Wunschvorstellung entspringen.
Doch deine Variante gefällt mir viel besser. :)

Das sich ein Implantat in seinem Kopf befand, habe ich ja verstanden.
Doch all die dazugehörigen Begriffe :confused:

Aber brauchst du mir nicht zu erklären, kapier ich sowieso nicht :schiel:

Das du deinen Prot als reichen Typen darstellst, finde ich in Ordnung.
Man spürt, dass er seinen Trip doch ziemlich gelassen gehen kann.
Das was er "zerstört" hat, kann er bezahlen. Sein Ruhe kann er sich erkaufen.
Was die Leute von ihm halten, kümmert ihn nicht.
Sein Selbstbewußtsein lässt sogar keine Scham in ihm aufkommen, in seinem unapetitlichem Zustand, seine Liebe zu suchen und zu begegnen.

Ich denke, die Challengevorgabe hast du mehr als reichlich erfüllt.
Ob ich mir die ganzen Fäkalien öfter antun muß, bezweifle ich.

Doch du hast deine KG nun einmal damit gespickt und du hast es gut gemacht. ;)

lieben Gruß, coleratio

 

@alle

1)
"kotzen" hab ich durch "erbrechen" und
"Pisse" durch "Urin" ersetzt. Ich hoffe, das mundet jetzt besser ;)
2)
Der Einstieg wurde ein wenig erweitert, um dem Sinn "Fühlen" mehr Rechnung zu tragen. (Vielleicht kann dazu einer der Vorredner noch seine Meinung sagen )
3)
Aus gleichem Grunde hab ich einige weitere Sätze eingebaut.
4)
Außerdem sind noch zwei Sätze hinzugekommen, die Mattias und Anika etwas besser charakterisieren.


@Häferl
Ich hab vergessen, darauf noch einzugehen:
Stimmt, mein Prot wirkt nicht sehr tiefgründig. Das liegt zum einen daran, dass ich manchmal mit derartigem meine Probleme hab. Hier aber passt es wie die Faust aufs Auge.

da wirkt er gerade durch die »brachiale Wortwahl«, wie Dante sie nennt, nicht sehr sympathisch
Sehr gut erkannt :thumbsup: Denn eigentlich ist Mattias nicht nett, eher so ein 80iger-Jahre-Juppi-Verschnitt und am Anfang mindestens genauso oberflächlich (und aufs Äußere bezogen) wie Anika, doch dann geschieht gegen Textmitte eine Wandlung dank der Erfahrungen durch seine Supersinne. Er ist zwar nicht von Grunde auf umgekrempelt, eine Veränderung hat dennoch stattgefunden.


@Blackwood
Übersehen:

Hmmm, gar nicht gut – Du hebst die Messlatte ein Stück höher…
Daaanke :D Das ist doch mal ein Kompliment, wie ich es selten zu hören bekomme.


@coleratio

Wollte aber unbedingt wissen, wie es zu Ende geht.
Mehr kann man als Autor sich nicht wünschen. Danke.

Das sich ein Implantat in seinem Kopf befand, habe ich ja verstanden. Doch all die dazugehörigen Begriffe
Hab mir das gar nicht so kompliziert vorgestellt. Das Implantat ist so eine Art kleines Zusatzhirn, dass ihm gewisse Dinge abnimmt oder erleichtert(Wahrnehmung,Gedächtnis). Upgrade, Plugin, Extension alles so Software-Begriffe, die aussagen, dass das Gerät jetzt mehr kann als vorher.

Ob ich mir die ganzen Fäkalien öfter antun muß, bezweifle ich.
Nun, die hab ich ja jetzt rausgenommen (siehe oben) Aber Fluchen wird doch wohl noch erlaubt sein ;)

Danke


lg
Hagen

 
Zuletzt bearbeitet:

Tachi Crazy Janey

Danke für deine ehrlichen Worte. Schön auch mal eine Gegenmeinung zu hören, und dazu noch so eine fundierte :)

Inhalt: Jemand hat eine ... verlockend duftenden Frau hinterher und findet sie am Ende
Jupp, dass sind die Eckpunkte der Geschichte.

Wenn du jetzt die Sinneswahrnehmungen .... Neubindungsgeschichte mit völlig überdrehten Sinneswahrnehmungen
Hab ja auch nicht behauptet, dass Rad neu zu erfinden. Das ist mir hier sicherlich nicht gelungen. Aber ich nehme schon für mich in Anspruch ( soweit ich das bisher überblicken kann ) zumindest auf diesem Challenge einen einzigartigen Zugang zum Thema emotionale Sinnsuche gefunden zu haben. Wobei SciFi und Übersteigerung meine Mittel zum Zweck sind.

Ja, und die sind eigentlich mein viel wichtigerer Kritikpunkt. Die finde ich nämlich total überdimensioniert. Sie betäuben meine Sinne, sie wecken sie nicht.
Was soll ich da sagen, außer:
Genau das wollte ich erreichen. Denn dem Prot geht es ähnlich. Die Eindrücke sind überdimensioniert, weil das nun mal die Art seiner Wahrnehmung ist. Wie würdest du deine Erfahrungen beschreiben, wenn du von einer Sekunde auf die anderen hören könntest wie ein Uhu, riechen wie ein Bluthund und sehen wie ein Adler. Ich denke, man wäre ganz schön fertig und überbelastet von der Welt dort draußen, die nur auf normale menschliche Sinne zugeschnitten ist. Synästhetiker vermengen ihre Sinne ganz ohne Übersteigerung. Aber mein Prot erlebt sie rein und klar und so, als gäbe es keine cerebrale Filterung.
Wenn das dein Hauptkritikpunkt ist, werden wir wohl nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen :)

Stilistisch finde ich eine Menge holpriger Formulierungen
Ich wäre dir echt verbunden, wenn du mir die in einer einfachen Liste aufzeigen könntest. Am besten mittels einer PN, falls du Lust und Zeit dazu hast. Diese Holperigkeiten sehe ich nach dem dritten Mal Drüberlesen einfach nicht mehr. Betriebsblindheit!

zahlreiche überflüssige Adjektive und Adverbien, Perspektivprobleme
Da schaue ich gleich selbst noch mal drüber. Adjektivitis ist eine Krankheit die mich immer wieder von Neuem befällt.

Ich frage mich übrigens, ob du die Geschichte nicht einfach hier enden lassen könntest
Du hast recht. Die Geschichte besteht aus zwei großen Blöcken. Der Umbruch zwischen ihnen geschieht nur wenige Sätze zuvor. Aber ich bin nicht der Meinung, dass diese beiden Blöcke einzeln stehen können bzw komplett gelöst von einander betrachtbar sind. Einfach zusammengefasst könnte man sagen: Zuerst wird der Prot dominiert von seinen Sinnen, ist ihnen hilflos ausgesetzt, danach aber beginnt er sie (in Grenzen) zu beherrschen und nutzt sie als neues mächtiges Mittel. Da die beiden Blöcke auf dieser Ebene miteinander korrespondieren, kann man sie mMn nicht trennen von einander.

Hm, also, nee, nimm es mir nicht übel, aber mein Favorit wär diese Geschichte nicht
Tja, das ist dann halt so ;)


Danke

viel Erfolg
Hagen

Nachtrag:

Hab grad 50 - 100 Adjektive rausgekantet :) Aber die entscheidenen Stelle sind unverändert geblieben, daher glaub ich nicht, dass dir der Text jetzt besser gefällt.

"Normaler Weise" und "möglicher Weise" sind bewusst von mir so geschrieben und daher keine echten Fehler. Ist eher mein Beitrag zur Richtigstellung der deutschen Schrift.

 

Hallo Hagen,
die Idee finde ich klasse und passt super zu den Sinnen! Aber die Umsetzung war mir oft zu übertrieben, manchmal gar plump, anderes fehlte mir, einige Beispiele:

"Das Chlorsalzaroma öffentlicher Badeanstalten brandete einem Tsunami gleich über seine Geschmacksknospen hinweg." Ich verstehe nicht, woher jetzt auf einmal eine Badeanstalt kommt und dieser Satz ist mir zu überfrachtet. Mir scheint, da wolltest du zuviel reinpacken. Geschmacksknospen sind eher etwas feines, in diesem Zusammenhang finde ich sie unangebracht. Außerdem erinnere ich mich daran, dass Erbrochenes eher sauer schmeckt, ach, lassen wir das lieber! Der Satz danach klingt in meinen Ohren ebenfalls schräg.
"zischte Mattias sein Bekannte an." seine
"Der Gestank war hier unerträglich, was schon mal eine Verbesserung darstellte." unerträglich, eine Verbesserung?
" Die Person neben ihm schlug ihn mit ihrer Handtasche.": wohin?
" flüsterte er unsicher und blinzelte zu der Frau." hier fehlt mir auch etwas: erkennt er sie, wie sieht sie aus?
"Dies galt möglicher Weise": schreibt man das jetzt echt so??? Oh, jetzt habe ich die Kritiken gelesen.
"Mattias versuchte es auf die psychologische Tour, aber wüste Bedrohungen und Beschimpfungen zeigten nur wenig Resonanz.": was hat er gesagt? psychologisch = wüste Bedrohung?
Muss ich jetzt im Fremdwörterlexikon nachschlagen?
" Ein femininer Traum aus Vanille und Erdbeer, mit Sahne oben drauf und einigen Schokostreuseln drumherum." stellt ein Mann sich so den idealen femininen Geruch vor? Echt?

Das Happy-End kam dann überraschend und ebenfalls nicht überzeugend. Hat er sie erkannt? Warum lacht er so laut? Verschreckt er sie dadurch nicht?
Fazit: Der grundlegende Plot (für Crazy Janey zu trivial) ist durch die SF-Idee innovativ, finde ich toll. Die Sinne sind voll, ja zu voll da, wirken für mich daher eher abstoßend und stilistisch schräg.
Gruß
tamara

 

Das Wort Schneesturm macht mich nicht frösteln, aber Nadelstiche auf der Haut, das Gefühl, dass mir die Wimpern gefrieren, so dass ich Angst habe, die Augen zu öffnen, sowas wirkt viel kälter als ein lapidarer Schneesturm. Ich will mich ja genauso ausgeliefert fühlen wie dein Prot, deshalb musst du versuchen, näher an mich ranzukommen.

Ich denk darüber nach. Etwas Zeit hab ich ja noch :)

 

Tschuldigung tamara

Hab dich einfach übersehen :shy:

Das Chlorsalzaroma öffentlicher Badeanstalten
Etwas schräger Gedankengang von mir: Magensäure->Salzsäure->HCl->Chlor->Chlorgeschmack->Schwimmbad Vielleicht find ich was besseres. Der Satz danach bleibt.

unerträglich, eine Verbesserung
und
psychologisch = wüste Bedrohung
= meine Art von Humor. Hab ich wahrscheinlich nicht ganz durchgezogen über die gesamte Länge des Textes. Muss ich noch machen :)

" Die Person neben ihm schlug ihn mit ihrer Handtasche.": wohin?
Du stellst Fragen :dozey: Was weiß ich! Auf den Kopf? Ist das wichtig?

stellt ein Mann sich so den idealen femininen Geruch vor
Nur ein kulinarischer Vergleich. Hätte ja auch schreiben können: wie ne Schafskäsedöner. Wäre dann aber kein angenehmer Duft mehr gewesen :)

Hat er sie erkannt? Warum lacht er so laut? Verschreckt er sie dadurch nicht?
Du kannst echt Fragen stellen :D Hatte gehofft, dass ihr darüber hinweg lest. Aber da du schon die zweite bist, werd ichs doch noch eindeutiger machen.


Vielleicht könntest du dir auch noch mal die Mühe machen, und mir eine Liste erstellen, mit den Dingen, die in deinen Augen plump erschienen. Gebe zu, dass ich wohl an einigen Stellen ziemlich grobschlächtig zu werke gegangen bin.

Danke jedenfalls für deinen Kommentar

viel Erfolg
Hagen

 

Hallo Hagen,
mir ging es ähnlich wie CJ, ich verstehe schon, dass dein Prot sich von den Sinnes überwältigt fühlt, aber ich kann es nicht nachempfinden. Meine Liste sollte dies zeigen. Ein anderes Beispiel:

Der Gestank schalen Biers, abgestandenen Urins und Tausender Zigarettenleichen echote von den Hallenwänden wie Kanonendonner. Der Kloakenmief verfeinert mit Rattenkot, Menschenschweiß, Öldünsten, Zigarettenqualm und Ozon ätzte fußballfeldgroße Löcher in seine Schleimhäute.
Den ersten Satz finde ich klasse, so stinkt es oft in der U-Bahn. Warum dann noch der zweite? Und warum "fußballfeldgroße Löcher"? Als ich drüber nachgedacht habe, fiel mir ein, dass es für die Leser vielleicht leichter nachzuvollziehen wäre, wenn du ab und betonst, dass es IHM JETZT so geht. Dann ist erstens klar, dass es für ihn ein besonderer Zustand ist und zweitens denke ich als Leser: Krasser Typ, aber so ist er jetzt eben, der Fussball ist symbolisch gemeint! Verstehst du, was ich meine?
Ich finde es merkwürdig, wenn ein Mann den Geruch seiner Traumfrau mit Eissorten assoziert!
meine Art von Humor. Hab ich wahrscheinlich nicht ganz durchgezogen über die gesamte Länge des Textes. Muss ich noch machen
Ja, ich habe mir auch überlegt, ob das eine Satire sein soll, aber du hast es nicht konsequent durchgezogen, so fühle ich mich als Leser irritiert. Entweder ernst oder richtig Satire bitte.
Mit den Lücken, die ich zitiert habe (wohin schlägt sie ihn etc.) meine ich, dass ich kein Bild kriege von deinem Prot. Was ist er für ein Mensch? Wie steht er zu Anika? (Das kommt reichlich spät) Warum hat er so teure Klamotten? An der Stelle hätte mich eher das Aussehen interessiert (glänzendes Leder, edles Design), das hätte mehr ausgesagt als der Preis, das wirkt auf mich plump.
Außerdem wundert mich, dass er nach der künstlichen Verstärkung seiner Sinne ausgerechnet U-Bahn fährt. Warum versteckt er sich in einer Ecke, beschwert sich dann aber, dass keiner ihn beachtet?
Ich hoffe, du kannst jetzt mehr damit anfangen.
Gruß
tamara

 

Hi Hagen,

Er hörte Anikas Herzschlag sich erhöhen
Das würde ich unbedingt umformulieren: "Er hörte, wie sich Anikas Herzschlag erhöhte..."

Ich. Anika. Alle, die wir kennen. Die ganze verdammte Stadt ist ein riesiger, gammelnder, zum Himmel stinkender Kadaver. Und wir sind die Fliegenmaden, die sich darin suhlen!·
Das ist IMHO die stärkste Passage in der gesamten Geschichte. Danach hätte ich diesen Gedanken allerdings nicht mehr weiterverfolgt (Die Palmen, das Ufer...).

Nun zur Geschichte an sich:
Die Idee: Stünde die Story im Sci-Fi Forum, hätte ich geschrieben, dass Implantate mittlerweile ziemlich überstrapaziert und ausgelatscht sind, aber hier muss ich sagen, dass du sie sehr gut eingesetzt hast, um den Challenge-Vorgaben zu entsprechen :thumbsup:.

Die Szenerie: Das stinkende, überfüllte Berlin, der Westen des Ostens, wurde sehr gut getroffen, finde ich. Ich war ja schließlich auch mal in Berlin, als ich etwa 6 Monate alt war. Die Gerüche, aufgenommen von meiner Mutter, fand ich damals sehr intensiv.

Die Adjektive: Wie bei Filmreif hast du auch hier wieder eine gute Ausrede (also im Bezug auf den Inhalt) für die Übersteigerungen geliefert. Aber der Unterschied ist: Hier kaufe ich es dir nicht ab! Daher ist auch meine Meinung: die Formulierungen sind wirklich oft ziemlich (Jetzt kommt das schöne Wort) "oversized". :thdown: Und zwar so, dass man auch manchmal drüber stolpert und denkt: Intention des Autors hin oder her, aber das ist etwas zuviel des Guten.

Als kleines Schmankerl verrate ich dir nun noch, wie die Geschichte bei mir geendet wäre, denn hier schlummert vergeudetes Potenzial: Die Testzeit für das Implantat wäre nicht abgelaufen, und Matthias hätte dann in der U-Bahn-Station statt seiner Traumfrau, seinen Traummann...naja, jedenfalls einen Mann getroffen. DANN erst würde das Implantat ausfallen und er er würde schlagartig realisieren, dass ihn das Implantat die ganze Zeit vorgegaukelt hatte, dass er heterosexuell und nicht stockschwul sei.

So, dann noch viel Erfolg mit deiner Story.

mfg
Prozac

 

Hallo Hagen,

der Challenge hat was Gutes: man liest Geschichten aus Genres, in die man sonst nicht hinein geschaut hätte. Deine Geschichte hat mir gut gefallen. Ich weiß nicht, wieviel du mittlerweile shcon geändert hast, aber mich haben die vielen Sinneseindrücke beeindruckt, ich konnte mitfühlen (bzw. -riechen ;) Klar kommen sie ziemlich massiert und überwältigend, aber eben auch für deinen Prot, hat also zur Identifizierung beigetragen.
Wenig überzeugend fand ich allerdings das Ende. Es kam mir zu plötzlich, das Erkennen der Frau ohne Implatat hielt ich für unrealistisch (müssen seine Sine sich nicht erstmal wieder neutralisieren), auch passte es für mich nicht so wirklich zum Rest der Geschichte.

Ein paar Fehler hab ich noch:

Regungslos stierten er auf die Lache aus Magensaft und türkischem Kaffee
stierte
Der Gestank schalen Biers, abgestandenen Urins und Tausender Zigarettenleichen echote von den Hallenwänden wie Kanonendonner.
tausender
Bei Interesse an einer Vollversion bitten wir dich eine Email an folgende
»Vanilleeis mit Erdbeeren«, flüsterte er.

Liebe Grüße
Juschi

 

Hallo Hagen!

Jaja, diese dämlichen Test-PlugIns fürs Gehirn.
Die Geschichte hat mir gut gefallen. Vorweg ein wenig Textgedöns.

•Ob die aus der Reinung das jemals wieder rauskriegen?•
Reinigung

Der Gestank schalen Biers, abgestandenen Urins
abgestandenes Urin kenn ich ehrlich gesagt nicht

Zigarettenqualm und Ozon ätzte fußballfeldgroße Löcher in seine Schleimhäute
Hm, fußballfeldgroß finde ich irgendwie unpassend. Vielleicht einfach bloß tiefe oder große Löcher.

Durch seine Gehörgänge gellten phonetische Atombombenexplosionen.
Hehe

Hast du dir Suppe über den Schoß-«
Nochmal: hehe

Beide setzten sich an einen abseitsgelegenen Tisch
abseits gelegenen

Dies galt möglicher Weise aber nicht für das allgegenwärtige Kindergegröle, das mit seinen Hörnerven Gummihopse spielte.
möglicherweise Also dieser Satz ist einer Neugestaltung würdig.

Korrigiere: Das war echtes Wildleder!
Nur weil die Botten kaputt sind, ist es immer noch echtes Wildleder ;)

Wie ein zappelnden Fisch.
Entweder: wie ein zappelnder Fisch Oder: wie einen zappelnden Fisch

brachen weitere sensorische Schockwelle
Schockwellen

»Ich hab’ grad gefragt, ob du Lust hast, mich mal demnächst ins Kino einzuladen, oder so.«
Ja genau, „lad mich doch mal ein“, typisch Frau. Hehe

»So schlecht im Bett, wie du denkst, bist du gar nicht.«
Au weia :D

Seine Nase war jetzt sein wichtigstes Auge. Die anderen beiden hielt er geschlossen
Was, er hat drei Augen? Oder noch zwei zusätzliche Nasenlöcher? Hm. :hmm:

Er streichelt sanft über das Plastik.
Igitt :D

Sechshundert Meter und zwei Berliner-Currywurstbuden-Würgereize später
Ich weiß genau wovon du schreibst…

war nicht gerade zufriedenstellend verlaufen
zufrieden stellend

Du hast alle Sinne sehr schön eingebaut. Obwohl ich mit der ersten Version, wo dein Prot noch kotzte etc. mehr anfangen konnte. Was ich auch nicht ganz verstehe ist, warum der Prot unbedingt mit Anika reden musste? Er hat doch eigentlich nichts von ihr gewollt oder? Naja, bis auf diese Kleinigkeiten hat mir die Geschichte zugesagt.

Viel Glück!

Gruß

 

Hallo Hagen!
Ich habe deine Geschichte schon vor einer Weile gelesen, habe aber bisher noch nicht die Ruhe für einen Kommentar gehabt. Beim nochmaligen Lesen habe ich das Gefühl, dass du einige Dinge geändert hast. Ich erinnere mich z.B., dass mir beim ersten Mal nicht ganz klar wurde, was es mit diesem Co.-Imp. auf sich hat. (Ich dachte wie Anika, Mattias hätte einfach nen Kater.) Vielleicht habe ich damals zu schnell gelesen oder du hast es wirklich geändert, jetzt hab ich’s auf jeden Fall kapiert.
Ein bisschen Textkram:

Er stöhnte qualvoll und hoffte inständig, dass ihm bald seine Nase abfallen würde. Als dies nicht geschah
:lol:

keifte die Gestürzte.
Ein gefallenes Mädchen? ;)

Ȁh, ...ja. Suppe.
:lol:

»... und schau dir nur mal meine Prada-Pumps an.
Für mein Empfinden eine unrealistische Ausdrucksweise. „Die ist von Gucci“, wie Anika es ein paar Zeilen vorher formuliert, ist realistisch, aber ich kenne niemanden, der „meine Prada-Pumps“ sagen würde. Lass die Marke weg. Die Erklärung mit dem Wildleder reicht für meine Begriffe völlig, um dem Leser klarzumachen, dass es was Teures ist.
Widerwärtige Fäulnis, die ich mein Leben nenne!
Der Satz ist mir persönlich eine Spur zu pathetisch und aufgesetzt, ich kann Mattias an dieser Stelle nicht ernst nehmen, wenn er ihn so formuliert.

Normaler Weise
normalerweise

in Mattias Fall
in Mattias’ Fall

pflüsterte er.
flüsterte er

So. Und die Geschichte?
Ich kann dir nicht viel dazu sagen, was nicht schon meine Vorredner bemerkt haben.
Sicher ist es wahr, dass der Plot, wenn man ihn um die übertriebenen Sinneseindrücke reduziert, nicht besonders aufregend sein mag. Aber du hast ihn ja eben mit dieser erweiternden Komponente geschrieben und ich persönlich finde, dass das ein sehr interessanter Ansatz ist.
Ich bin am Anfang allerdings davon ausgegangen, dass nicht nur das Plugin, sondern auch das Co.-Imp. etwas Besonderes sind. Von daher war ich überrascht, dass Anika und alle anderen offenbar auch so ein Teil haben, nur eben nicht von derselben Effektivität. Vielleicht mag es daran liegen, dass ich mich im Sci-Fi-Genre nicht sonderlich heimisch fühle, aber mir persönlich hätte es völlig gereicht, wenn Mattias als einziger seine Umwelt über ein seltsames Implantat wahrnimmt. Selbst dann könnte er sich das ja über die Hackerseite besorgt haben. Das ist aber bloß ein Detail und auch nicht weiter entscheidend für den Verlauf der Geschichte.
Gelungen finde ich deinen Text vor allem auf sprachlicher Ebene, auch wenn es manchmal ein bisschen zuviel des Guten ist, aber einige Bilder haben mir doch sehr gut gefallen:

Das Hupen der Autos fraß sich wie Säure in seine Ohren.

brennende Kohlestücke statt Augen

phonetische Atombombenexplosionen

das allgegenwärtige Kindergegröle, das mit seinen Hörnerven Gummihopse spielte

Erdbeerstückchen, die im Mund zergehen und zusammen mit peruanischer Vanille der Zunge ein Liebeslied singen.

Einen Augenblick lang schwieg die Welt auf metaphorischer Ebene.

Sind so die, die mir beim Lesen am meisten aufgefallen sind.
Manchmal ist es dir auch gelungen, mit diesen Bildern meine Sinne anzusprechen – vor allem mit Erdbeerstückchen und peruanischer Vanille. (Habe extra recherchiert, ob in Peru auch wirklich Vanille wächst ;)). An anderen Stellen aber konntest du lediglich die Sensoren meines Sprachempfindens aktivieren – ich fand die Bilder schön, ohne dass meine Sinne bedient worden wären. Woran das genau liegt, weiß ich nicht – vielleicht zu viel und zu aufwändige Verpackung um die eigentliche Sinneswahrnehmung. Würde ich aber nicht zwingend ändern, denn einige Sinneseindrücke sind ja drin und deine kleinen sprachlichen Kunstwerke sollten auf keinen Fall angetastet werden, die geben dem Text das gewisse Etwas.
Ach ja:
Und wer nicht weiß, dass er sucht, kann auch nichts finden.
Damit bin ich nicht einverstanden. Habe schon oft was gefunden, was ich nicht bewusst gesucht habe. Aber egal ;)

Insgesamt habe ich deine Geschichte sehr gerne gelesen, auch wenn es ein paar „zwar“s gibt (manchmal zuviel mit den Worten gemalt und dadurch nicht immer leicht zu lesen, manchmal Sinne nicht genug bedient, Plot nicht spektakulär) – aber mit denen kann ich mich arrangieren. Unterm Strich hat’s mir gefallen.
Liebe Grüße,
Malinchen
(Maya- und Aztekensondervariante ;))

 

Hallo Hagen,

auch ich kann mich den überwiegend positiven Kommentaren zu deiner Geschichte nicht anschließen.

Diese Steigerung der Sinne hat mich sehr stark an Senseless erinnert.
Das ständige Gerede von diesem Co-Imp. etc. hat mich eigentlich nur verwirrt. Deine Geschichte ist wohl so etwas wie eine SF-Geschichte, allerdings fände ich ein paar Erläuterungen nicht schlecht. Es hat mich nach einer Weile echt genervt, dass ich nicht wusste, warum es geht.

Seinen plötzlichen Sinneswandel bzgl. seiner Gelegenheitsfreundin fand ich auch nicht so toll. Es war mir ein bisschen zu kitschig. Und natürlich läuft ihm genau in diesem Moment seine vermeintliche Traumfrau über den Weg. Im R/E-Forum würde man so etwas sicherlich als "wenig realistisch" bezeichnen und nur weil du hier im Challenge schreibst finde ich es deswegen nicht besser.
D. h. ich finde den Plot. nicht sonderlich originell.

Das Happy-End am Schluss hätte ich weggelassen. Ich hätte ihn einfach seine Super-Sinneswahrnehmungen verlieren und die Geschichte damit enden lassen.

Sorry, dass ich nichts Besseres sagen konnte.

Regungslos stierten er auf die Lache aus Magensaft und türkischem Kaffee, in der Boulettenstückchen schwammen.

*igitt* stierte

·Trip? Dumme Kuh! Was weißt die denn schon von meinem Trip?·, ärgerte sich Mattias und roch die Kokainspuren an Anikas Oberlippe.

Das "t" muss weg.

Die sah er zwar nicht, aber ihre Körper für ihn glühten wie Hochöfen.

Hier passt die Satzstellung nicht ganz. ;)


LG
Bella

 

Halo Hagen,
Textzeug

Regungslos stierten ·Aber ich bin doch keine verschissener
·
Ob die aus der Reinigung das jemals wieder rauskriegen?·
Er zitterte. Eisiger Wind stach zehntausend Nadeln in sein Gesicht.
Das verstehe ich nicht. In der U-Bahnstation ist es doch warm????
Wellenfronten aus Schmerz
Schmerzwellen
Die Person neben ihm
Eine Frau?
schlug ihn mit ihrer Handtasche
.
Oh nein! Schau dir meine Strumpfhose an! Voller Löcher! Und mein Kostüm! Ich habe
« Was hat er gemacht? Verstehe den logischen Zusammenhang nicht.
»»Und wie du aus dem Mund stinkst. Warst du gestern Abend saufen?«
Der Dialog wirkt gekünstelt Vorschlag : Igitt! Wie du stinkst? Hast du gesoffen?
Mattias versuchte es auf die psychologische Tour, aber wüste Bedrohungen und Beschimpfungen zeigten nur wenig Resonanz. Die Bälger hatten einfach die besseren Trümpfe im Ärmel beziehungsweise Sopranstimmen in der Kehle Erst nach einer umfangreichen Kleingeldspendenaktion auf ihre Hosentaschenkonten, konnte Mattias sich halbwegs entspannt zurücklehnen. Anika schien ebenfalls erleichtert..
Also um diesen Absatz zu verstehen muss man ihn mehmals lesen. Irgendwie soll es wohl witzig klingen, aber ...
olfaktorische Form eines Fischs
Ein Beispiel für den Fremdwortarlarm ;)
Wie einen zappelnden Fisch.
Er hörte Anikas Herzschlag sich erhöhen, Blut ihre Arterien hinaufschießen.
Verdrehter Satzbau
Seine Augen fokussierten die winzigen Kapillare ihrer Wangen, die anschwollen und ihr Gesicht trotz der Puderschicht wie eine Tomate strahlen ließen.]Östrogen blubberte auf seiner Zunge.
FremdwortarlamDann geschah etwas Seltsames.
Anikas Kontur verschwamm zu einem Konglomerat aus Farbe, Geruch und Geschmack
Dito

Also der Plot ist nicht neu, ich kenne einige Geschichten dieser Art in der Sinneseindrücke künstlich unbewußt oder bewußt verändert wurden, und die Auswirkungen fatal waren.

Ich kenne z. B.eine Geschichte in der ein Imfstoff gegen Schnupfenviren das Riechorgan so sehr verändert hat, dass alle Gerüche unerträglich wurden.
Dort war man auf der Suche nach einem gigantischen Schnupfenvirus, gegen den die Impfung nutzlos war.

Also deine Geschichte ist ähnlich, aber irgendwie ist mir nicht klar, was du überzeichnen willst? Die Oberflächlichkeit?
Ich denke es ist dir nur teilweise gelungen. Der Charakterwandel des Prot kam mir unecht und an den Haaren herbeigezogen vor. Ich konnte ihn nicht nachfühlen
Stilistisch hat mich die Sprache gestört. Der Mix aus Umgangssprache und Fremdwörtern will nicht zusammen passen. Eine Überzeichnung erreichst du nicht, wenn du die Sprache derbe und hochgestochen verwendest. Einfache Bilder haben da in meinen Augen viel mehr Erfolg.

Liebe Grüße
Goldene Dame

 

Manoman, da hab ich ja ganz schön was zu schreiben :)

@alle: Generelles
Vorweg ein großes Dankeschön für eure viele, hilfreiche Textarbeit(das gilt für alle) und die netten Worte und Aufmunterungen (das betrifft nur ein paar :) )

Wie mir scheint, spaltet sich die Leserschaft zunehmend in zwei Fraktionen: Die einen mögen die Übertreibungen und die anderen nicht.
Da ich selbst der Meinung bin, dass die 5 Hauptsinne nicht per (in Bildpunkte oder Druckertinte gepresstes) Wort adäquat stimmulierbar (!!!Fremdwortalarm!!! Hihihi :)) sind und sich allenfalls halbgare Assoziationen (mehr dazu im Posting zu Blackwoods Geschichte ) oder schwammige Erinnerungen an eigene Erfahrungen beim Leser ergeben können, halte ich mich lieber an das alte Sprichwort: "Wenns schon nicht geht, dann aber mit Gewalt."und bleibe bei diesen exessziven Überspitzungen :)
Sozusagen als Kompromiss versuche ich aber, wo ich kann, einige einleitende Bilder zu vermitteln, so dass die Flanke der Sinnesreizungen bei den Lesern weniger steil wirkt (Textbsp: Eisiger Wind stach zehntausend Nadeln in sein Gesicht. Seine Arme brannten vor Kälte.).

Was nun Humor und Holperigkeiten betrifft...
Ersteres ist freilich immer persönlicher Geschmack. Und meiner liegt da ganz klar im Bereich "versteckt, trocken, zynisch, bitter, schwarz und flach"
. Brüllend komisch würde ich meine Geschichte nun auch nicht nennen, aber ich hoffe einen gewisse humoristischen Grundton angeschlagen und nachklingen lassen zu haben.
Holperigkeiten oder das, was man langläufig damit bezeichnet, mögen unschön sein (Einen Großteil habe ich hoffentlich entfernt). Aber auch unter ihnen finden sich zuweilen Erscheinungen, die der Moder der Zeit unterworfen und somit ebenfalls nur Ausdruck eigenen Geschmacks sind. Ich mag bspw Infinitivkonstruktionen, da sie sich interessant von Einerlei des übrigen Textes abheben.

@Tamara
***Verstehst du, was ich meine?
Nein, nicht ganz :hmm:
-merkwürdig, wenn ein Mann den Geruch seiner Traumfrau mit Eissorten assoziert
Ich mag Frauen, ich mag Eis. Gibts da denn keinen Zusammenhang?
***Entweder ernst oder richtig Satire bitte.
Und was ist mit dem weiten Feld der lustigen Ernst- oder der ernsten Lustig-Geschichten dazwischen?
***das hätte mehr ausgesagt als der Preis, das wirkt auf mich plump
Hab ich durch Markennamen ersetzt. Umfangreiche Erklärungen wirken immer wie "Telling" und sind hier mMn auch nicht von Nöten.
***dass er nach der künstlichen Verstärkung seiner Sinne ausgerechnet U-Bahn fährt
Eigentlich hat er sich das erst in der U-Bahn heruntergeladen. Hoffe das wird jetzt mit dem Satz "Warum hab’ ich mir das scheiß Plugin ausgerechnet in der U-Bahn runtergeladen?" deutlich *grins*


@Crazy Laney
Ganz großen Dank an dich für die Holperliste! *bussy* Hab versucht deine Anmerkungen und Ideen umzusetzen. Aber immer mit meinen eigenen Mitteln, versteht sich.
***dass die Empfindungen beim Leser entstehen sollen
siehe dazu "Generelles"


@Prozac
***Danach hätte ich diesen Gedanken allerdings nicht mehr weiterverfolgt
Aber das danach hat so gut gepasst *schniefschnief* Bleibt drin!
***dass du sie sehr gut eingesetzt hast, um den Challenge-Vorgaben zu entsprechen
Danke, man tut, was man kann.
***aber das ist etwas zuviel des Guten
siehe dazu "Generelles"
***Als kleines Schmankerl verrate ich dir nun noch, wie die Geschichte bei mir geendet wäre
Ich hab dir ein kleines Alternativ-Ende geschrieben.


@Juschi
***Deine Geschichte hat mir gut gefallen
Fühle dich mit Dank überschüttet.
***das Erkennen der Frau ohne Implatat hielt ich für unrealistisch
Hab doch mehr Vertrauen in deine natürliche Fähigkeiten. Funktioniert doch schon seit fast 3,5 Milliarden Jahren.

@Flashbak
***Die Geschichte hat mir gut gefallen
Auch du fühle dich in Dank ertränkt *grins*
***abgestandener Urin kenn ich ehrlich gesagt nicht
Sei froh!
***Obwohl ich mit der ersten Version, wo dein Prot noch kotzte
Und da hast du recht! Ich habe mich für Ruhm und Erfolg verkauft! Aber du hast mich daran erinnert, dass dieses Wort ein Aufgabe hatte. Erst jetzt, wo es wieder drin ist, kann ich mir wieder selbst in die Augen schauen *pathetischesSchnief*


@Malinche [mAli`ntsche´]
***dass du einige Dinge geändert hast
Jupp, du hast recht. Ich ändere wahrscheinlich noch bis zur letzten Sekunde. Die Technik habe ich jetzt etwas offener dargelegt (Durch Satzumstellungen). Mehr halte ich für übertrieben.
***wenn Mattias als einziger seine Umwelt über ein seltsames Implantat wahrnimmt
Dann hätte ich seine "technische" Besonderheit aber auch erklären müssen. So ist das Implantat nur ein Ausdruck des allgemeinen Zeitgeistes, wie momentan das Handy.
***Gelungen finde ich deinen Text vor allem auf sprachlicher Ebene
Du weißt nicht, wie viel mir dieses Lob bedeutet. Es heilt mein Herz :kuss:


@Bella
***hat mich sehr stark an Senseless erinnert
Was ist das, wenn ich fragen darf? Buch oder Film?
***Das ständige Gerede von diesem Co-Imp
Ständig? 8 Mal, bei 3300 Worten = 0,24% des Textes *dummesInformatikerGrins*
***Seinen plötzlichen Sinneswandel
Zumindest diesen Dialog/die unabhängigen Monologe zwischen Mattias und Anika hab ich überarbeitet. Vielleicht guckst du dir den noch mal an?
***Im R/E-Forum würde man so etwas sicherlich als "wenig realistisch" bezeichnen
Deshalb schreibe/ lese ich normaler Weise in diesem Forum auch nicht. Aber ich sehe diesen Punkt ein. Trotzdem schien es mir eine passende Entwicklung bzw ein rundes Ende. Deshalb lass ichs auch drinne.
***Das Happy-End am Schluss hätte ich weggelassen
Vielleicht gefällt dir ja das Alternativ-Ende?


@Goldene Dame
***Irgendwie soll es wohl witzig klingen, aber ...
Jupp, ziemlich witzig :D Nix aber! (siehe dazu "Generelles")
***ich kenne einige Geschichten dieser Art
Ich nicht, sehe aber mittlerweile ein, wohl nicht der Erste gewesen zu sein *traurigesSchnief*
***was du überzeichnen willst? Die Oberflächlichkeit?
Ich überzeichne nur die Sinneswahrnehmung. Meine Charaktere halte ich für durchschnittlichen Mainstream. Die sind weder überspitzt, noch karikiert oder persifliert. Anderseits ist dort irgendwo ein Aufruf drin versteckt, sich aus der Masse abzuheben und hervorzutun. Zumindest so etwas in der Art.
***Der Mix aus Umgangssprache und Fremdwörtern will nicht zusammen passen
Das mag deine Empfindung sein. Ich halte diese Form des Zusammenspiels für modern und zeitgeistig :)

Bis hierhin noch mal ein großes Danke an Euch. Der Text wurde hier als nahezu unüberarbeitete Rohfassung gepostet (eine Unart die aber vermutlich tief im Wesen des Challenges verwurzelt ist) und wird von mir noch bis zur letzten Sekunde überwacht und geändert (Gibt bestimmt noch ein schwierige Stelle/ übersehene Fehler)


Allen viel Erfolg
Hagen

 

:eek:...:schiel:...:rotfl:
Hagen...was soll ich sagen? Ich bin...gerührt *schnief*!
Dieses alternative Ende rundet die Story erst richtig ab (ich klopfe mich gerade selbst auf die Schultern!). Nun reicht es sogar für die TOP 10!! Nein, was sage ich: Deine Story wird natürlich gewinnen, weil sie nun ein wesentlich breiteres Spektrum an sexuellen Neigungen abdeckt :D!

mfg
Pro7zac

 

Der alternative Schluss ist definitiv überraschender und passt zu dem schrägen Stil! :thumbsup: Die Punkte dafür müsste gerechterweise Prozac bekommen!

Zitat Hagen:

Erscheinungen, die der Moder der Zeit unterworfen und somit ebenfalls nur Ausdruck eigenen Geschmacks sind.
Ja, ja, über Geschmack lässt sich nicht streiten. Insofern ist das hier wirklich mehr ein Challenge = Herausforderung, als ein Wettbewerb. Die arme Jury. Übrigens gefällt mir das Wort "Moder" in diesem Zusammenhang! :D
Gruß tamara

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom