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Copywrite Lolas Lisas Lächeln

Seniors
Beitritt
06.08.2005
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Lolas Lisas Lächeln

Sie steht da und lächelt ihr Lächeln. Sie ist gut. Jeder kann es sehen. Sie beherrscht alles und jeden.

Es sind wieder neue Leute gekommen, um einen von uns zu holen. Die Babys sind aus, also geht es bestimmt wieder nach Schönheit. Und da hat sie einfach die besten Chancen: mit ihren blonden Locken, dem noch von Marmelade geröteten Mund, ihrem unschuldigen Blick ... Ach, diese Fratze, wie ich sie hasse! Sie werden sie mitnehmen und wiederbringen, wie die anderen es auch getan haben. Und wir anderen bleiben ohne Chance.

Lola ist jetzt schon zum dritten Mal hier. Das erste war lange vor meiner Zeit, und so klebten die anderen schon mit Bewunderung an ihr, als ich damals kurz vor Weihnachten ins Heim kam. Alles war neu für mich: die großen Säle und kleinen Betten, der riesige geschmückte Tannenbaum im Haus, und dann ein Teddybär als erstes Geschenk meines Lebens. Kein Keller oder Schrank, in den ich gesperrt wurde, wenn ich nicht artig war, ein richtiges Badezimmer mit Fenstern drin und ein Klo mit Wasserspülung. Zuerst hatte ich auch vor dem Angst, befürchtete, mit dem Kopf über die Brille gehalten zu werden, damit ich verstocktes Kind meine Fehler einsehe und mit einer Geste um Verzeihung bitte ... Aber schon allein das frische, klare Wasser war so ganz anders als der stinkende, bekotete Eimer im Plumpsklo von früher, dass ich so langsam Vertrauen gewann.

Lola sieht mich an, und ich erblicke eine Maske aus Arroganz, Überheblichkeit und Hohn. Als keiner hinsieht, öffnet sie ihren Mund zu eigentümlichen Bewegungen und glotzt mir entgegen wie eine verängstigte Kuh. Ich verstehe, was sie nachäfft: meine ersten Sprechversuche. Als ich mit sechs Jahren ankam, konnte ich immer noch nicht richtig sprechen. Ich bekam Spezialunterricht, und in kurzer Zeit lernte ich alles, was es zu lernen gab. Sprechen, Schreiben, Lesen, Rechnen – alles saugte ich auf, als würde mein Leben davon abhängen. Inzwischen bin ich in der Schule die Beste von uns, obwohl viele älter sind als ich, und sie verstehen meine Lust nicht, mich freiwillig in Bücher zu vertiefen. Diesmal bin ich es, die Lola überheblich ansieht, und leise rezitiere ich: „Alles geben die Götter, die unendlichen, Ihren Lieblingen ganz ...“ Sie streckt mir die Zunge raus und senkt den Kopf.

Zweimal ist sie zurückgebracht worden. Beim ersten Mal war es eine aufgetakelte Dame, die anscheinend noch ein Püppchen für ihr Wohnzimmer brauchte. Doch Lola hält nicht, was ihr hübsches Gesicht verspricht. Sie will nicht lieb sein, sondern böse. Will verletzen, schlagen, hassen, nicht andere gepflegte Kinder zum Tee einladen. Die zweite Frau war noch empörter, hielt Lola an ihren Schultern, schubste sie dann in die Eingangshalle und kreischte dabei ständig in grellen Tönen: „Dieses Miststück. Diese Hure hat sich nackt zu meinem Mann gelegt. Diese Lolita.“

Ich kannte mich damals mit den Sachen „da unten“ nicht so aus, aber das letzte Wort sprach Lola manchmal im Schlaf, genauso wie „Papa“. Und als sie wieder einmal gemein zu mir sein wollte und Speichel durch ihre Zähne gepresst wie einen Schauer auf mich regnen ließ, zischte ich zurück: „Na, hat Papa seine Lolita nicht mehr lieb?“ Sie erstarrte, wurde weiß wie die frisch getünchte Wand im Flur, und dann, vor Wut geifernd, stürzte sie sich auf mich und schlug auf alles ein, was sie erreichen konnte.

„Das kenne ich schon von meiner Mutter“, japste ich zwischen ihren Schlägen und gab mir keine Mühe, meine Augen, Schläfen oder anderen empfindlichen Stellen vor ihr zu schützen.
„Deine Mutter?“ Sie hielt inne und lachte höhnisch. „Die Katzen-Jule? Die säuft sich doch zu Tode, und du wirst es ihr eines Tages gleich tun. Das liegt bei dir im Blut.“
Ich jaulte auf, schlimmer getroffen als von ihre Fäusten. Wie ein Tier biss ich ihr ein Stück vom Ohrläppchen ab und brüllte sie an: „Das werde ich nie, hörst du das? Irgendwann werde ich in ihr Haus gehen und eine Flasche darauf trinken, dass ich sie überlebt habe. Aber nur ein einziges Mal.“ Dann stürmte ich in unseren Schlafsaal und verkroch mich in meinem Bett, den Teddy fest umklammert.

Jetzt steht sie da und zupft an der Narbe an ihrem Ohr. Wir haben eine unausgesprochene Vereinbarung: Auseinandersetzungen ja, aber nie wieder so eine Bloßstellung ... Das Paar, das ein Kind mitnehmen will, kommt mit der Leiterin durch die Glastür des Büros, und wir alle bemühen uns, freundlich und ansprechend zu wirken, das Beste in uns durchscheinen zu lassen.

Ich schaue Lola noch einmal an. Sie steht da und lächelt ihr Lächeln. Sie ist gut. Jeder kann es sehen. Ist ein Biest und doch nicht. Ist wie ein Kind, machtlos. Hilflos.
Sie ist wie ich, und ich lächele ihr zu.

Ich höre den Mann leise sprechen, schnappe „geheimnisvolles Lächeln“ auf, und seine Frau nickt zustimmend. Sie hat wohl wieder gewonnen, aber für einen Augenblick tut es nicht weh. Dann soll es halt so sein.

„Und, du bist Lisa?“ Der Satz reißt mich aus den Gedanken, und zwei freundliche Gesichter blicken mich direkt an. Mein Herz pocht wie ein Trommelwirbel. Dann soll es halt so sein.

 

Hey Elisha,

Zuerst hatte ich auch vor dem Angst,
hier würd ich eher schreiben:
Zuerst hatte ich auch vor der Toilette Angst,

Puh, schöne Geschichte. So eindringlich erzählt. Die Story könnte man natürlich auswälzen und nicht nur so episodenhaft erzählen, aber ich glaube, dass ist das Beste, was ich bislang von dir gelesen habe. Echt! Kompliment. Gefällt mir.

Eike

 

Welche Überraschung, Prinz. :)

Puh, schöne Geschichte. So eindringlich erzählt. Die Story könnte man natürlich auswälzen und nicht nur so episodenhaft erzählen, aber ich glaube, dass ist das Beste, was ich bislang von dir gelesen habe. Echt! Kompliment. Gefällt mir.
Wow, soviel Lob auf einmal. Kenn ich ja gar nicht ... Und meine letztgeschriebene als meine bisher beste zu bezeichnen, ist ja auch nicht sooo ne falsche Strategie. *g* Nicht so wie Nachtschatten damals bei dem alten Schätzchen. :sad:

Gruß, Elisha

 

Hallo Elisha,

wenn ich mich auch nicht zu Copywrite breitschlagen ließ, wenigstens eine kleine Kritik.

Nette Geschichte, die du da geschrieben hast. Vielleicht liegt es an meiner Müdigkeit, aber ich musste alle Absätze doppelt lesen, um zu kapieren, was vorgeht. Im Nachhinein musste ich dann feststellen, dass alles drinsteht, was man wissen muss, alle scheinbaren Widersprüche sich auflösten in eine schlüssige Handlung und ich bleibe zurück mit einem leisen Gefühl der Beklemmung. So soll es wohl sein, trotz Happy-End (das vielleicht ja keines ist, hohoho). Aber bleiben wir mal in Weihnachtsstimmung und tun so.

Was mich vordergründig kurz gestört hat, ist der analytische Scharfsinn einer im Kindesalter angesiedelten Protagonistin. Das wird erst glaubwürdig, durch die eingeschobene Passage, die Lisa als hochintelligent charakterisiert ... schlau gemacht!

In diesem Sinne Kompliment für die handwerklich fein überarbeitete Story. Vielleicht habe ich ja noch den Nerv, mal einen Blick auf das Original zu werfen.

LG,

N

 

Hallo Elisha,

Interessant, wie du aus zwei Geschichten, die dem Lesenden schwere Interpretationsarbeit abfordern, eine Geschichte zusammen baust, die mich jedenfalls in ihren Bann gezogen hat.

LG

Jo

 

Hey elisha,


zum Copywrite
Zwei meiner Geschichten zu kopieren ist etwas, womit ich nicht gerechnet habe.Ich musste nachlesen, ob das erlaubt ist und siehe da per Definition:

- Der Protagonist der alten Geschichte muss vorkommen, muss aber nicht unbedingt Protagonist bleiben.

- Die Handlung sollte im groben ganzen gleich ablaufen, sprich die von einem Außenstehenden zu erkennenden Situationen, in die der Protagonist gerät, müssen sich für diesen Außenstehenden gleich darstellen. Ob der Prot allerdings mit der leeren Luft spricht, weil er wahnsinnig ist, oder weil er unsichtbare Feen sehen kann, ist egal.

- Neue Personen dürfen gerne eingeführt werden, sollten natürlich in das Umfeld passen, und können dazu dienen, die Geschichte anders zu beleuchten. Wenn sie in Kontakt mit dem/der/den Prot(s) treten, muss das in Szenen sein, die in der vorherigen Geschichte nicht vorgekommen sind, es sei denn, es werden dort Personen erwähnt, die nicht näher beschrieben werden und vorher nicht wichtig waren (zum Beispiel Kellnerinnen oder Taxifahrer o.ä.)
Genauso verhält es sich mit neuen Szenen.

*Es können auch zwei oder drei Geschichten eines Autors zu einer Kopie verquickt werden. Allerdings sollte hier der Bezug zu den Originalen eindeutig nachvollzogen werden können.


Mein Kritikpunkt ist, dass die Geschichte zwar um eine Handlung erweitert wurde, um beide Geschichten zu verquicken, aber es wurde dabei
die Handlung aus Prost gekippt. D.h.: Sie ist in deinem Copywrite nicht vollständig erzählt worden.

Das:

Die Katzen-Jule? Die säuft sich doch zu Tode, und du wirst es ihr eines Tages gleich tun. Das liegt bei dir im Blut.“
ist mir zu wenig.;)


Lisa hätte also noch als Erwachsene in ihr Haus zurückkehren müssen und das tun müssen, was ich kryptisch erzählt habe.:D
Ich nehme es dir nicht übel, wenn du es unterschlägst,:shy: aber die Rückkehr ins Haus sollte m.E der Vollständigkeit halber erzählt werden. Was sie dort macht ist Interpretationssache.:Pfeif:


zum Text

Dann soll es halt so sein.
Den letzten Satz würde ich streichen. Er bringt keine Information, ist wischi waschi.
Stattdessen hätte man Lolas Reaktion erzählen können. Dann wirkt die Geschichte auch abgeschlossener.
zum Stil
Sprachlich ist die Geschichte auf einem hohen Niveau, die nicht zum Alter der Erzählerin passen will. Du löst es indem du die Lisa als intelligent bezeichnest. Ich empfinde diese Lösung als Krücke. Das Problem liegt wahrscheinlich daran, dass in meinen Originalgeschichten, Erwachsene und nicht Kinder erzählen.
Vielleicht konstruierst du noch eine Rahmenhandlung, die diese Geschichte als narratives Erzählkonstrukt einbindet. Geschickt wäre es wenn diese Rahmenhandlung noch die fehlende Handlung aus Prost aufnimmt.:hmm:

Fazit:
Gerne gelesen. Danke :)

LG
Goldene Dame

 

Hi Elisha,

ich finde die geschichte ganz große Klasse. Sie hat mich richtig in ihren bann gezogen. Toll was du aus dem beiden Kg´s gemacht hast. Wobei ich diese mit dem kommentar nicht abwerten will.

lg

toxin

 

Hallo Nicole,

Im Nachhinein musste ich dann feststellen, dass alles drinsteht, was man wissen muss, alle scheinbaren Widersprüche sich auflösten in eine schlüssige Handlung und ich bleibe zurück mit einem leisen Gefühl der Beklemmung.
Mir spukten die beiden auch noch ein paar tage im Kopf rum.

Was mich vordergründig kurz gestört hat, ist der analytische Scharfsinn einer im Kindesalter angesiedelten Protagonistin. Das wird erst glaubwürdig, durch die eingeschobene Passage, die Lisa als hochintelligent charakterisiert ... schlau gemacht!
Ich habe mir Lisa so Anfang der Pubertät vorgestellt.

In diesem Sinne Kompliment für die handwerklich fein überarbeitete Story. Vielleicht habe ich ja noch den Nerv, mal einen Blick auf das Original zu werfen.
:Pfeif: die Originale :D


Hallo Jobär,

Interessant, wie du aus zwei Geschichten, die dem Lesenden schwere Interpretationsarbeit abfordern, eine Geschichte zusammen baust, die mich jedenfalls in ihren Bann gezogen hat.
Wow, das ist ja ein Lob! :)


Hallo Goldene Dame,

Copywrite ist für mich ein Experimentierfeld, und ich versuche immer, neue Aspekte mit reinzubringen. So habe ich, da es nicht eindeutig festgelegt war, bei einem als männlich gedachten Prot eine weibliche Ich-Erzählerin eingesetzt, in einer Geschichte den Diskussionsthread in die Kopie mit einbezogen und aus einem erwachsenen lyrischen Ich einen quengeligen kleine Jungen gemacht. Soviel zu den Möglichkeiten, die dieses Spiel bietet, und ich bin gespannt, was du hierbei machst. Schließlich überraschst du mich ja auch so immer mal wieder mit deinen "normalen" Geschichten. ;)

Zitat GD:
...aber es wurde dabei
die Handlung aus Prost gekippt. D.h.: Sie ist in deinem Copywrite nicht vollständig erzählt worden.
Zitat Kopie:
Die Katzen-Jule? Die säuft sich doch zu Tode, und du wirst es ihr eines Tages gleich tun. Das liegt bei dir im Blut.“
ist mir zu wenig.
Lisa hätte also noch als Erwachsene in ihr Haus zurückkehren müssen und das tun müssen, was ich kryptisch erzählt habe.
Da muss ich widersprechen. Es ist natürlich viel mehr aufgenommen (und neu interpretiert): Plumpsklo und co., Teddy, Sprachfehler, die vernachlässigende Mutter, und der Ausblick auf das, was du erzählt hast:
„Das werde ich nie, hörst du das? Irgendwann werde ich in ihr Haus gehen und eine Flasche darauf trinken, dass ich sie überlebt habe. Aber nur ein einziges Mal.“
In deinem Diskussions-Thread gig es ja auch darum, dass es nicht gesagt ist, dass die Prot selbst Alkoholikerin ist (obwohl ich dort erstmal davon ausgegangen war).

Dann soll es halt so sein.
Der Satz kommt absichtlich zweimal: zum einen bei der Akzeptanz, dass Lola (scheinbar) wieder gewonnen hat, zum zweiten, dass Lisa diesmal die Erwählte ist.

Über die Sprache guck ich noch mal drüber.


Hallo Toxinchen,

Toll was du aus dem beiden Kg´s gemacht hast. Wobei ich diese mit dem kommentar nicht abwerten will.
Schön, dass es dir gefallen hat. Und das Tolle ist ja, wenn beide - Original und Kopie - einen jeweils eigenen Reiz haben.


Danke für eure Kritiken, Elisha

 

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