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Copywrite Was ist wirklich und was ist wahr?

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19.03.2003
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Was ist wirklich und was ist wahr?

Es war still im Haus. Auch draußen war es still. Das einsame Licht einer Neonreklame erhellte die Straße und stahl sich durch die Ritzen der Jalousien vor den Fenstern ins Zimmer. Jedes Mal, wenn die Neonreklame ihr Licht änderte, bildeten sich neue Lichtbahnen, die eine im Bett liegende Gestalt beschienen.
Maik drehte sich im Schlaf auf die Seite und stöhnte laut auf. Seine Augenlider zuckten heftig. Er öffnete den Mund, als wollte er schreien, aber er zog nur tief die kühle Nachtluft ein, die durch das geöffnete Fenster hineinströmte und nach Schnee roch. Er atmete pfeifend aus, kratzte sich in der Leistengegend. Dann war es wieder ruhig. Nur die Neonreklame summte widerspenstig.
Maik träumte ihn zum x-ten Mal und während er ihn träumte, wusste er, dass es der gleiche wie in den letzten Wochen war.

Er robbt durch die Wüste, seine Uniform ist abgewetzt, seine Lippen sind rissig und geschwollen, seine Zunge klebt am Gaumen, eine Patina aus Sand bedeckt seine Haut, ein riesiger Mond möchte auf die Erde herabstürzen, er sehnt ihn herbei, und gleichzeitig hebt er seine Arme, verschränkt sie schützend über sein Haupt, weil der Himmel zwar einzustürzen droht, und er sich trotzdem an sein Leben klammert, weil man es nicht glauben kann, dass jetzt der Tod kommt. Die unzähligen Sterne lachen ihn aus. Sie wippen und tanzen, ihm wird beim zusehen schwindelig. Und weil er sich gegen ihre Übermacht nicht wehren kann, schließt er seine Augen, sein Kopf fällt schwer in den Sand. Und er träumt, dass er einschläft im Traum:
Um ihn herum: Nichts. Blendendweißes Nichts. Schneeschaumweiches, jungfräuliches Nichts.
Schwarze Ziffern schweben heran, drehen sich noch in der Luft um die eigenen Achsen, verharren kurz, heften sich ans Nichts, gewinnen an Tiefe, werden zu einem Relief. Wie eingemeißelt.
Werden zu Grabsteinzahlen.
Neunzehnhundertdreiundachtzig.
Da ist er geboren.
Zweitausendzwölf.
Ist er neunundzwanzig.
Zweitausenddreizehn möchte er Dreißig werden.
Er weint im Schlaf im Traum, wegen der Gewissheit niemals dreißig zu werden und wacht auf aus dem Traum im Traum.
Inzwischen ist es Tag geworden. Eine unbarmherzige Sonne kriecht über den Horizont und taucht die Wüste in ein Farbenmeer aus Blau bis Violett. Maik hebt im Traum den Kopf.
Kakteen zu seiner Linken. Wie Menschen. Zwei Arme, ein Rumpf. Eine von ihnen ist größer und grüner als die anderen. Und sie trägt einen Schmuck am Kopf des Rumpfs.
Eine einzelne rosafarbene Blüte im grünen Soldatenmeer. Als wäre es ein Rangabzeichen.
Heuballen wehen um die Kakteen herum und Maik wusste, dass er sie sich nur einbildet. Nur die einzelne Blüte ist wirklich in seinem Traum. Auch wusste Maik, dass der große Baum, dessen dürre Äste sich immer und immer wieder gabeln, sich verzweigen und schließlich ausgestreckt als dünne klägliche Finger den Wüstenhimmel tragen, nicht echt war. Obwohl er weiß, dass weder der Baum noch der Kolkrabe im Geäst wahr sind, dachte er, dass Winter sein muss, wenn keine Blätter am Baum sind. Er kann den Raben sehen: Der Vogel putzt sich schnäbelnd sein Gefieder und beachtet nicht die von den Ästen baumelnden Kadaver in Eisenrüstungen. Sie existieren nur, weil Maik an sie glaubte, in seinem Traum.
Er schnupperte, blies die Nüstern seiner Nase auf, als er den Geruch von Schnee erkannte, steuerte seinen Traum und sah, was er sehen wollte.

Ein kleiner Hügel baut sich vor ihm auf. Er ist von Schnee bedeckt und ein Holzkreuz steht darauf. Er will das Kreuz nicht wahrhaben, verdrängt es. Es riecht nach Winter, nach Frost an einem kalten Wintertag. Und weil aber die Wüstensonne gnadenlos auf ihn herab scheint, ist es auch nicht kalt und weil es nicht kalt ist, kann er auch nichts riechen. Es ist eine Illusion. Zu glauben das Nichts duftet, ist verführerisch.

Maik lächelte im Schlaf über sich und seinen Traum. Er fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn. Nass geschwitzt war er, die Bettdecke hatte er von sich geworfen. Er fröstelte in der kühlen Nachtluft. Er wusste er musste weiterträumen, durfte nicht erwachen, spürte den kühlen Schatten, den ein riesiger Vogel auf ihn warf, den er als den Tod erkannte.

Der Tod schwebt, ist im Traum gleich einem dunklem Engel mit Flügeln aus Adlerfedern. Er ist böse. Er ist schwarz. Ist ein Ritter und doch nicht, ist ein Mann und obwohl nicht menschlich ist er der Tod.
Sein Federgewand rauscht durch die Luft. Maik kann jede einzelne Feder wie in Zeitlupe sehen.
Die linke Knochenhand hält klappernd eine Sense fest. Das Gesicht wird von einem schwarzen Schlapphut verdeckt. Maik muss lachen, weil der Kopf des Todes einem Geier gleichen will, der Hut, es aber nicht zulässt.
Das Wesen ist irritiert, weil Maik nicht ängstlich ist.
Es landet auf dem schneebedecktem Hügel, von dem Maik weiß, dass er nicht existiert. Der Tod greift um sich und mit der freien Hand an die Hutkrempe, tippt daran, als wolle er respektvoll grüßen. Da Maik nicht sterben will, verwandelt sich die helle Sandschicht auf seinem Körper zu einer weißen Rüstung. Er zieht im Traum sein Flammenschwert. Der Tod grinst ihn an und entblößt dabei seine Zähne. Sie halten einen Zigarillo und Maik weiß im Traum, dass er aufhören sollte zu rauchen. Er gibt sich sogleich ein Versprechen und dem Tod mit seinem Flammenschwert Feuer. Funken sprühen.
Maiks Backenzahn schmerzte dumpf. Es pochte schon seit Tagen, aber er ignorierte es geflissentlich. Es galt Schlimmeres auszuhalten.
Er sah noch den Mann, der er war, in der abgewetzten Uniform, wie dieser verletzt im Sand liegt und zwei zerlumpte Gestalten sich über ihn beugen. Sie halten ihre Gewehre hoch. Seine Kameraden waren kurz zuvor zerfetzt worden, als die Bombe des Attentäters zündete. Er hatte Glück. Nur sein Bein blutete stark. Dann senkt sich die Mündung des einen Laufs und eine Schwärze fällt wie ein Vorhang vom Himmel herab.

Maik fiel aus dem Bett, als er sich einnässte. Er urinierte noch, als die Krankenschwester kam und ihm die Gehhilfe reichte, damit er wieder auf stand. Als sie die Vorhänge aufzog, schien die Sonne auf unzählige Schneekristalle.
Maik schrie, als er den Schnee sah: Nichts. Blendendweißes Nichts. Schneeschaumweiches, jungfräuliches Nichts.

 

Hallo GD,
du hast Quinns Visionen noch um eine Windung erweitert durch den Rahmen mit dem Krankenbett. Das finde ich interessant, nimmt aber den Bildern ein wenig an Intensität, weil es temporeicher (oder einfach mehr) erzählt wird.

Trotzdem hat mir die Mischung aus bekanntem Quinn und stilsicherer GD ganz gut gefallen.

Gruß, Elisha

 

Hallo elisha,
Die Geschichte zu kopieren war für mich nicht einfach. Visionen sind etwas sehr individuelles. Traumbilder wie z.B. das Flammenschwert oder die Personifizierung des Todes mögen vielleicht auch in Filmen Einzug gehalten haben und daher ist die Bedeutung allgemeingültiger.
Quinns Geschichte zu dechiffrieren hatte ihren Reiz.
Ich finde meine Geschichte langatmig und ihren Reiz erst auf dem zweiten Blick erkennbar. Ich glaube dass hast du auch so verstanden...:shy:

Danke fürs Lesen und deine Gedanken

GD

 

Hey Goldene Dame,

komisches Gefühl, wenn man so einen Text liest. Ich hatte mich schon gefragt, welchen du nehmen würdest, nachdem du fast alle kritisiert hast, aber mit dem hier habe ich nicht gerechnet.

Maik träumte ihn zum x-ten Mal und während er ihn träumte, wusste er, dass es der gleiche wie in den letzten Wochen war.
Dieses „ihn“ – ich hab da immer das Gefühl, dass ich nen Satz „überlesen“ habe. Das ist so ein Satz, dem normalerweise eine Überleitung vorausgeht.

ein riesiger Mond möchte auf die Erde herabstürzen, er sehnt ihn herbei, und gleichzeitig hebt er seine Arme, verschränkt sie schützend über sein Haupt, weil der Himmel zwar einzustürzen droht, und er sich trotzdem an sein Leben klammert, weil man es nicht glauben kann, dass jetzt der Tod kommt.
Das gefällt mir sehr gut. Mond in der Wüste, dann der sprachliche Bruch in diese unpersönliche, leicht naive Stimme –mit dem Kausalsatz.

Nichts. Blendendweißes Nichts. Schneeschaumweiches, jungfräuliches Nichts.
Benutzt du als Rahmen der Geschichte, das waren auch die ersten Worte, die ich damals zu der Geschichte hatte. Schneeschaumweich, ja, keine Ahnung.

Er weint im Schlaf im Traum, wegen der Gewissheit niemals dreißig zu werden und wacht auf aus dem Traum im Traum.
Diese Erzählstimme hat etwas mütterliches, wie aus einem Märchenbuch, man möchte deinen Maik in den Arm nehmen. Sehr interessanter Effekt.

Zu glauben das Nichts duftet, ist verführerisch.
Schön.

und Maik weiß im Traum, dass er aufhören sollte zu rauchen.
Das versteh ich nicht. Weil der Tod Zigarillos raucht, sieht Maik das als Symbol für sich mit dem Rauchen aufzuhören?

Er gibt sich sogleich ein Versprechen und dem Tod mit seinem Flammenschwert Feuer.
Du hast dieses Stilmittel, diese Verbeinsparung, oben schon. Da fand ich’s okay, weil es organisch aus dem Text kam, hier ist es mir zu konstruiert, auch weil dieses „Feuer geben“ nicht trifft.

Irgendwie eine verstörende Geschichte. Selbstheilung der menschlichen Psyche nach einem Trauma, kommt mir da in den Sinn. Vielleicht auch, dass jemand dem Tod ins Auge geblickt hat, nur um zu erkennen, dass da Nichts ist.

Vielen Dank für den Text, sag ich auch ganz eigennützig, das war wirklich ein sehr interessantes Gefühl, das zu lesen
Quinn

 

Hallo Quinn,

Happy new year :)

komisches Gefühl, wenn man so einen Text liest. Ich hatte mich schon gefragt, welchen du nehmen würdest, nachdem du fast alle kritisiert hast, aber mit dem hier habe ich nicht gerechnet.

Das war der Text, der mich inspiriert hat ...

Dieses „ihn“ – ich hab da immer das Gefühl, dass ich nen Satz „überlesen“ habe. Das ist so ein Satz, dem normalerweise eine Überleitung vorausgeht
Ist aber eine Überletiung, die vorausgeht ...

Das gefällt mir sehr gut. Mond in der Wüste, dann der sprachliche Bruch in diese unpersönliche, leicht naive Stimme –mit dem Kausalsatz.

Schön, wenn es dir gefällt, danke
Benutzt du als Rahmen der Geschichte, das waren auch die ersten Worte, die ich damals zu der Geschichte hatte. Schneeschaumweich, ja, keine Ahnung

Ich hätte dieses "schneeschaumweich" nie benutzt. Da es aber copywrite ist, musste ich mich damit vergnügen, es einzusetzen. Die Idee zum Rahmen hatte ich, weil ich mir vorgestellt habe, dass der Protagonist nicht mehr Realität und Traum auseinander halten kann.

Diese Erzählstimme hat etwas mütterliches, wie aus einem Märchenbuch, man möchte deinen Maik in den Arm nehmen. Sehr interessanter Effekt.

Ist mir nicht aufgefallen, aber wenn du es so empfindest? Vielleicht ist da die Autorenstimme durchgedrungen? Kann sein, letztendlich ist es der auktoriale Erzählstil, der die Puppen tanzen lässt.

Zitat:
Zu glauben das Nichts duftet, ist verführerisch.

Schön

Da habe ich lange überlegt. Schießlich hast du eine philosophische Passage in deiner Geschichte, die ich treffend und aussagend machen wollte.

Zitat:
und Maik weiß im Traum, dass er aufhören sollte zu rauchen.

Das versteh ich nicht. Weil der Tod Zigarillos raucht, sieht Maik das als Symbol für sich mit dem Rauchen aufzuhören?


Es ist Maiks Assoziation ...

Zitat:

Er gibt sich sogleich ein Versprechen und dem Tod mit seinem Flammenschwert Feuer.

Du hast dieses Stilmittel, diese Verbeinsparung, oben schon. Da fand ich’s okay, weil es organisch aus dem Text kam, hier ist es mir zu konstruiert, auch weil dieses „Feuer geben“ nicht trifft.


Ich habe mich an deinen Text gehalten. Die Aussage ist zwar gerafft, aber das ist bei mir so angekommen. Das Flammenschwert ist nur des Copywrites wegen drin. Denn eigentlich finde ich es als Symbol zu trivial (und komisch)und abgegriffen um es zu verwenden. Die Autorenstimme ist wieder durchgedrungen ...

Irgendwie eine verstörende Geschichte. Selbstheilung der menschlichen Psyche nach einem Trauma, kommt mir da in den Sinn. Vielleicht auch, dass jemand dem Tod ins Auge geblickt hat, nur um zu erkennen, dass da Nichts ist.

Das Verstörende soll schon zu spüren sein. Schließlich geht es auch um Sinnentleerung schlechthin ...

Vielen Dank für den Text, sag ich auch ganz eigennützig, das war wirklich ein sehr interessantes Gefühl, das zu lesen

Nichts zu danken, gern geschehen :D

Lieben Gruß
Goldene Dame

 

hallo Goldene Dame,
ich habe jetzt mit Absicht nur Deine Geschichte gelesen, nicht aber das Original......

.... und sie gefällt mir sehr gut. bilderreiche Sprache. Trotz der verwirrenden Situation (Traum, Traum im Traum) hast du es geschafft, den Leser unfallfrei durch die Geschichte zu führen.

Zwei Dinge stören mich:

- Die Einleitung (Neonlicht....) ist im Verhältnis zur restlichen Geschichte zu lang. Die Lichtspielereien tragen wenig zur Handlung bei.

- in der zweiten Hälfte verwendest du sehr oft das Verb "wissen".


herzliche grüße
ernst

 

Hallo Ernst,

Gerade die Einleitung ist mein Darling ...

Das wissen hat mich auch schon beim Schreiben gestört, aber der Erzählstil und die Perspektive erforderten es.
Ich werde mal schaun, was ich verändern kann.

Danke fürs Lesen und Gutfinden

Lieben Gruß
Goldene Dame

 

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