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Blickstarre

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12.07.2002
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Blickstarre

Blickstarre

Als ich meine Augen erhob, um der Bedienung ein dankbares Lächeln zu schenken, fing ich den Blick von der Seite auf. Es war einer dieser Blicke, der automatisch die Frage aufwirft: „Zufall“, oder „Absicht“? Also schaute ich nochmals zum anderen Tischende, als ich mein Glas an die Lippen hob.

Es war kein Zufall. Sie sah mich an. Nein, das beschreibt es nicht richtig. Sie starrte mich an. Ganz ruhig sah sie in meine Augen. Sie zwang mich, die meinen zu senken. Es war diese Art von Blick, den man mehr fühlt, als dass man ihn klar sehen kann.

Sie saß im Halbschatten. Die Abendsonne wurde von dem Stück Mauer zwischen zwei Fenstern abgehalten. Vor und hinter ihr war es heller im Raum.

Ich kannte niemanden in diesem Gasthof. Weder die Frau am anderen Ende des Tisches, noch die vier Personen, die zwischen uns am langen Tisch saßen, je zwei an den Längsseiten. Es war mein erster Besuch hier. Mein Rücken schmerzte und die Hände waren noch rot vom Saft der geernteten Trauben. Ganz früh am Morgen hatte ich mich aus dem hinteren Passeier Tal auf den Weg nach Meran gemacht. Ein Nachbar ließ mich auf seinem Pferdewagen mitfahren. Für einen Bauern wie mich gab es am Berg keine Arbeit mehr. Hier unten im Tal war noch warmer Herbst, während es bei uns oben bereits einige Male in der Nacht schneite. Es war auf unseren steilen Feldern nichts mehr zu tun und die letzte Milchkuh musste ich verkaufen, um überleben zu können. Hier im Tal konnte ich bei der Weinlese ein bisschen was verdienen. Sie brauchten in diesen Wochen immer alle verfügbaren Hände, um die Ernte schnell einzubringen. Längst hatte ich aufgehört zu zählen, wie oft ich mit dem leeren Eimer den steilen Hang hochgestiegen, mit schnellen Schnitten die überreifen Früchte abgeschnitten habe, um dann den vollen Eimer in den großen Trog zu kippen. Was ich aber nach der Arbeit deutlich spürte, war meine Muskulatur, die verspannt war, und der Durst, der mich plagte.

Ihr Blick ruhte auf mir, als ob sie mich hypnotisieren wollte. Ich leerte das erste Glas in einem Zug.

Die beiden Männer, die links und rechts von mir am Tisch saßen, waren in eine heftige Diskussion vertieft. Es ging um die Frage, die in diesem Herbst die Gemüter im Südtirol erhitzte: Dableiben, oder das Land verlassen? Der Teufelspakt, den Hitler und Mussolini geschlossen hatten, verlangte von den Südtirolern eine eindeutige Entscheidung. Wer blieb, wurde welsch und musste seine deutschen, oder österreichischen Wurzeln verleugnen. Wer sich zum Gehen entschied, bekundete die Treue zum Führer, und ihm wurde als Belohnung für seine Loyalität eine neue Heimat versprochen. Ob in Polen, oder im Burgund wusste keiner so genau. Auch von der Insel Krim war die Rede. Ich hätte mich gern in die Diskussion eingeschaltet, aber ich fühlte mich von der Frau am anderen Ende des Tisches beobachtet. Und in unsicheren Zeiten war es grundsätzlich klüger, sich nicht in fremde Gespräche einzumischen. Außerdem hatte ich mir zum damaligen Zeitpunkt sowieso noch keine feste Meinung zu diesem Thema gebildet. Ja, als ich dreiundzwanzig Jahre jünger war, entschloss ich mich zu gehen. Und die Entscheidung war damals richtig. Aber heute? Die Zeiten hatten sich geändert. Der zweite Weltkrieg tobte in Europa und jede Zukunft war ungewiss. Als Optimist tendierte ich mehr dazu, zu bleiben. Aber sicher war ich mir noch nicht.

Ich fixierte sie jetzt meinerseits mit den Augen. Was wollte sie von mir? Sie war die einzige Frau am Tisch. Irgend wie kam sie mir bekannt vor, aber ich konnte sie nicht zuordnen. Zwischen ihr und mir saßen außer den beiden Bauern noch zwei Männer, die wahrscheinlich eher dem bürgerlichen Lager zuzuordnen waren, jedenfalls soweit man das aus ihrer Kleidung schließen konnte und daraus, dass sie es sich leisten konnten, Zigarren zu rauchen. Sie schien – wie ich – allein zu sein. Jedenfalls beteiligte sie sich nicht am Gespräch mit ihren Sitznachbarn. Ich konnte auch nicht feststellen, dass sie den Kopf dem einen, oder dem anderen zugewandt hätte. Sie blickte konstant in meine Richtung.

Sie senkte ihre Augen nicht. Im Dämmerlicht konnte ich nicht feststellen, ob der starre Blick durch ein gelegentliches Blinzeln unterbrochen wurde. Aber ich spürte, dass er mich wie eine eiserne Klammer fest hielt. Das machte mich nervös.

Soweit ich es erkennen konnte, war ihr Gesicht ebenmäßig geschnitten, aber ausdruckslos und flach, wie das Antlitz einer Puppe. War es der starre Blick, der das Mienenspiel blockierte? Ich schätzte sie auf etwa fünfundvierzig Jahre. Also mindestens zwanzig Jahre jünger als ich. Aber ich konnte mich natürlich irren. Ich bildete mir in meinen jungen Jahren zwar etwas darauf ein, den Kurvenreichtum einer rassigen Frau richtig zu taxieren, aber das Schätzen des Alters war nie meine Stärke.

Der Blickkontakt wurde kurzzeitig unterbrochen, wenn sich zwei Gäste zuprosteten, oder wenn die Bedienung sich über den Tisch beugte, um zu servieren. Oder er wurde vernebelt, wenn einer der Herren den Rauch seiner Zigarre genussvoll ausblies. Doch er wurde von ihr sofort wieder aufgenommen. So, als ob sie die Störung gar nicht bemerkt hätte.

Jetzt traf mich ihr Blick nicht mehr genau in den Augen. Sie zielte auf einen Punkt etwas weiter unten. Auf meinen Mund? Oder hatte sie die Narbe an meinem Kinn entdeckt? Unwillkürlich verdeckte ich das Kinn mit der Hand. Die Narbe hatte ich mir als Kind zugezogen, als ich unglücklich hinfiel. Bei diesem heißen Wetter rötete sie sich und sah dann fast wie eine frische Verwundung aus. Vielleicht schloss sie daraus, ich sei ein Draufgänger? Da hätte sie sich aber schwer geirrt.

‚Wenn sie etwas will von mir, soll sie doch zu mir kommen und mir sagen, worum es geht’, dachte ich. Ich bin kein Mensch, der auf Andeutungen, oder vage Zeichen reagiert. Ein Mensch wie ich liebt klare Aussagen. Danach kann ich mich richten. Wer um den heißen Brei herum redet, macht mich unsicher. Auch wenn das Reden nur mit den Augen geschieht.

War es vorhin schon so heiß in dieser Gaststätte? Jedenfalls war es mir davor nicht aufgefallen. Ich zog meine Jacke aus und hängte sie über die Lehne des Stuhls, auf dem ich saß. Dass die beiden vornehmen Herren am Tisch ihre Krawatten nicht lockerten, konnte ich nicht verstehen.

Mir war klar, dass ich als Mann für eine Frau in den besten Jahren nicht mehr attraktiv war. Dafür war ich zu alt und zu verbraucht. Selbst wenn sie Interesse gehabt hätte, wäre mir nicht danach zu Mute gewesen. Ich hatte in diesem Kriegsherbst ganz andere Sorgen, denn der Winter stand vor der Tür. Und er sollte hart und lang werden! Früher war ich anders. Als junger Mensch suchte ich sehr wohl nach Abenteuern bei Frauen. Dabei riskierte ich oft weit mehr, als meine Altersgenossen.

Obwohl ich kaum noch Geld in der Tasche hatte, bestellte ich noch ein Glas Wein. Mehr aus Verlegenheit. Ich fühlte mich unbehaglich.

Die Frau rührte sich nicht von der Stelle. Man brachte ihr die Suppe. Sie löffelte mechanisch. So, als diente die Suppe nur als lästige Nahrungsaufnahme. Welch ein Frevel, in diesen Kriegsjahren, wo alles so knapp war!

Ihre Augen wandten sie nicht von mir ab.

Die Abendsonne war weiter gewandert. Sie tauchte jetzt die rechte Gesichtshälfte der Frau in rotgoldene Farbe. Die andere Seite des Gesichtes blieb im Schatten. Die Trennlinie verlief – wie mit einem Lineal gezogen – von der Stirne über die Nasenspitze bis zum Kinn. Das jetzt vom Licht neu gezeichnete Relief wirkte lebendiger, greifbarer.

Und dieses Bild bewirkte, dass in mir die Erinnerung geweckt wurde.

Dieses Gesicht hatte ich schon einmal gesehen. Es war damals genau so einseitig von der Sonne beschienen. Die junge Frau saß im Gerichtssaal, etwas abseits. Sie gehörte nicht zu den üblichen Gaffern, die ein Gerichtsverfahren als abwechslungsreiches Spektakel ansehen. War sie vielleicht eine Studentin, die sich speziell für die juristische Seite meines Falls interessierte?

Später fand ich heraus, dass es die Frau des jungen Richters war, der mich mangels Beweisen freisprechen musste. Im Lokalteil der Zeitung wurde über die Hochzeit der beiden berichtet und ein Foto war dabei. Darauf erkannte ich sie wieder.

Ich war natürlich erleichtert, als ich das Urteil entgegennahm. Und auch stolz. Immerhin war es mir gelungen, die Justiz auszuhebeln und einen Mord auszuführen, ohne Spuren zu hinterlassen. Aber, bei meiner Ehre: diesen Halunken Profanter konnte ich nicht ungestraft laufen lassen! Er verbreitete überall in dem Städtchen das Gerücht, dass ich ein Prahlhans und Schlappschwanz sei. Der Schlag, den ich ihm versetzt hatte, als er in jener Nacht von der Kneipe auf seinen Hof zurück torkelte, hatte genügt, ihm die Arroganz für immer aus dem Gesicht zu blasen.

Der Tumult im Saal bei der Urteilsverkündung war unbeschreiblich. Ich war kein beliebter Mann in der Stadt und hatte viele Feinde. Und die hatten sich alle eingefunden um zu sehen, wie ich verurteilt würde. Wütend reckten sie ihre Fäuste gegen den jungen Richter, der mich frei sprach.

Mein Fall war das gefundene Fressen für die Lokalpresse. Die Leser waren es müde, immer nur aufgeblähte Meldungen über Kriegserfolge gegen Österreich-Ungarn zu hören. „Mein Mord“ brachte es in der Kleinstadt aufs Titelblatt. Pro- und Contra-Argumente wurden mit Vehemenz diskutiert. Manchmal auf Ebene der Juristen, dann waren die Artikel mit Fachchinesisch gespickt und fad. Manchmal auf der Ebene der normalen Bürger. Diese Kommentare waren vielleicht weniger stichhaltig, dafür aber mit mehr Würze geschrieben.

Leider konnte ich die Reaktionen meiner damaligen Mitbürger nicht persönlich beobachten, denn – aus Sicherheitsgründen – hatte ich mich entschlossen, das Städtchen sofort nach der Urteilsverkündung zu verlassen und im hintersten Passeiertal unterzutauchen. Ein Freispruch bedeutete noch lange nicht, dass meine Feinde Ruhe gaben! Zumal sie sich durch das Urteil von der Obrigkeit hintergangen fühlten.

In diesem abgelegenen Winkel fand ich genügend Muße, um über das, was ich getan hatte, und über das, was die Gesellschaft aus meiner Tat machte, nachzudenken.

Es war ja nie Absicht, den Profanter umzubringen. Ich wollte ihm einfach eine Lektion erteilen und ihm das Maul stopfen. Mehr nicht. Von einem geplanten Totschlag konnte nicht die Rede sein. Trotzdem war es selbst für mich eindeutig, dass die Justiz meinem Fall nicht die gebührende Sorgfalt angedeihen ließ. Das bedeutete zwar für mich „Freispruch“, aber meinem Gerechtigkeitssinn wurde damit nicht Genüge getan. Gut, es gab damals natürlich wichtigere Probleme, die auf den Fingern brannten: Die Südtirol-Offensive der Österreicher. Die Front war in greifbare Nähe gerückt und Regierung und Verwaltung hatten alle Hände voll zu tun, um sich auf den Angriff vorzubereiten. Für einen kleinen Prozess blieb nicht viel Zeit übrig.

Entsprechend kurz und substanzlos waren die Zeilen, die in der Zeitung als Antwort auf die wütenden Leserbriefe veröffentlicht wurden. Und je mehr der Richter und seine Juristen durch das Volk in Bedrängnis kamen, desto vehementer wurden die Bezeugungen seitens der Behörden, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Es durfte keinesfalls in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, dass der junge Richter mit diesem Fall überfordert war. „Hätten wir mit einem anderen Urteil den Profanter wieder zum Leben erwecken können?“, war einer dieser einfältigen Kommentare, die den Unmut der Bürger noch mehr anheizten, statt Ruhe in die Angelegenheit zu bringen.

In meiner einsamen Hütte fühlte ich mich absolut sicher. Nahe der Grenze gab es viele zwielichtige Gestalten und Schmuggler. Keiner kümmerte sich um den anderen. Jeder war froh, wenn er selbst in Ruhe gelassen wurde.

Aber ich begann mich zu langweilen. Die Lokalzeitung, die ich mir täglich im Dorf besorgte, war für mich die einzige Abwechslung. Die heuchlerischen und falschen Aussagen der Behörden ärgerten mich bis ins Mark und eines Tages schickte ich, unter einem Pseudonym, meinen ersten Leserbrief an die Zeitung, um meinem Ärger über das verlogene Pack Luft zu machen. Er wurde tatsächlich abgedruckt! Und wie die Reaktionen darauf zeigten, hatte ich noch mehr Öl ins Feuer geschüttet. Die verbalen Angriffe auf den jungen Richter wurden immer heftiger. Ich glaube sogar, dass es dann einer meiner weiteren Leserbriefe war, der das Fass zum Überlaufen brachte: Der Richter wurde seines Amtes enthoben und nach Sizilien versetzt.

Für mich war damals die Sache abgeschlossen. Ich übernahm ein kleines Bauerngut von einem, der es vorzog, ins Tal zu ziehen. Die Arbeit war mühsam und das Einkommen karg – aber ich war glücklich.

Ihr Blick ruhte immer noch auf mir und ließ meine Vergangenheit hinter mir aufsteigen, wie der Geist aus der Flasche. Die Angst wurde immer größer und bedrückender. Die Sonne war untergegangen und ihr Gesicht wurde jetzt von einer tief gezogenen Lampe mit einem Schirm aus vergilbtem Pergament beleuchtet. Dieses Licht, das jetzt von vorne kam, hob die Augen noch stechender aus ihrem Gesicht hervor.

Was wollte sie von mir? Ich ertrug den Druck nicht mehr, stand auf und ging zu ihr.

„Sie waren damals bei der Urteilsverkündung dabei.“ Ich ging aufs Ganze.

„Ich habe Sie sofort wieder erkannt. Sie haben mein Leben verändert“, antwortete die Frau völlig ruhig. Sie hatte offensichtlich darauf gewartet, dass ich sie ansprechen würde. Sie wusste, dass sie am längeren Hebel saß.

„Ihr Leben verändert?“ fragte ich überrascht. Ich verstand nicht, was sie damit meinte. Ich zog einen Stuhl heran und setzte mich neben sie.

„Sind Sie ‚Fritz Damm’?“ Vielleicht hatte sie meine Frage überhört.

„Sie kennen doch aus dem Prozess meinen Namen! Ich bin Franco Domenico.“

„Natürlich weiß ich das, aber unterzeichnen Sie Ihre Leserbriefe mit ‚Fritz Damm’?“

Verdammt, warum war ich so eitel und habe mir ein Pseudonym ausgedacht, das die Initialen meines richtigen Namens enthielt? Wenigstens hatte ich daran gedacht, meinem italienischen Namen einen deutschen Anstrich zu geben. Aber was hat es genützt?

„Ja, dieses Pseudonym benutze ich“, gab ich unumwunden zu.

„Ich wusste es. Nur Sie als Täter konnten diese Informationen kennen, die Sie in Ihren Leserbriefen versteckt untergebracht hatten.“

“Sind Sie Kriminalistin?“

„Nein, aber ich war die Frau des jungen Richters, der Sie freigesprochen hat. Ich bin Journalistin.“

„Sie ‚waren’ seine Frau?“

„Trinken Sie einen Wein mit mir?“ Ohne eine Antwort abzuwarten bestellte sie bei der Bedienung eine Karaffe Rotwein und ein neues Glas für mich. „Ja, ich habe mich kurz nach seiner Entlassung aus dem Richteramt von ihm scheiden lassen. Ich ertrug die Schmach nicht, der er mich ausgesetzt hatte. Können Sie sich vorstellen, welchen Status man in der Gesellschaft als ‚Ehefrau des entlassenen Richters’ in einer Kleinstadt hat? Sie werden zwar auf der Straße nicht öffentlich bespuckt, aber jeder tuschelt über sie. Es war zuviel für mich. Ich kam mir vor, als hätte man mich an den Pranger gestellt.“

„Das tut mir leid für Sie“, sagte ich ehrlich betroffen, „aber was wollen Sie jetzt von mir?“ Mein Bauernhirn arbeitete zu träge, um die Gedankengänge dieser Frau sofort zu verstehen.

„Die Aufgabe eines Richters sollte doch darin bestehen, Recht zu sprechen. Und das auf Basis herrschender Gesetze.“ Als ob sie nach Worten für eine Fortsetzung ihrer Erklärung suchte, drehte sie das volle Weinglas in ihren Händen und beobachtete die kleinen Wellen auf der Oberfläche des Weins. „Was mein Mann in Ihrem Fall tat, hatte damit nichts zu tun. Er sprach Sie nur deshalb frei, weil er Angst hatte.“

„Angst vor wem?“

„Darüber möchte ich nicht sprechen. Akzeptieren Sie es bitte einfach als die Wahrheit.“

„So einfach werde ich es Ihnen nicht machen! Sagen Sie mir, wovor sich Ihr Mann fürchtete.“ Meine Stimme wurde sicherer, als ich den Schwachpunkt bei ihr aufgedeckt hatte.

„Haben Sie Profanter näher gekannt?“

„Nein. Ich wusste nur, dass er mich verhöhnte. Und das reichte mir vollkommen aus, um ihm die Fresse zu polieren.“ Ich fühlte noch einmal die Wut in mir aufsteigen, als ich an diese Situation mit Profanter denken musste. „Was war denn mit ihm?“

„Ich sage es mal vorsichtig: Profanter war ein Regimegegner.“

„Dann waren die also recht froh, dass ich den Störenfried aus dem Weg räumte, ohne dass sich unsere Oberen die Hände schmutzig machen mussten?“

„Ja, so können Sie es sehen. Aber fragen Sie mich bitte nicht nach näheren Details. Dazu möchte ich mich wirklich nicht äußern.“

„Ich frage nicht mehr weiter, wenn Sie mir jetzt endlich sagen, was Sie von mir wollen!“ Ich konnte meine Neugier nicht weiter zügeln.

„Können Sie sich das nicht zusammenreimen?“ Sie schlug mit der flachen Hand ungeduldig auf die Tischplatte. Unsere beiden Gläser, die dicht nebeneinander standen, klirrten, als ob diese damit den Unmut unterstreichen sollten. „Ich werde als Journalistin die Wahrheit in einem Buch darlegen. Schonungslos und offen. Und dazu benötige ich Ihre Hilfe.

Sie besuchte mich am nächsten Tag im Passeiertal. Auf der Terrasse, in der goldenen Oktobersonne, erzählte ich ihr meine Version des Falles.

Es war ein seltsames Gefühl, sich quasi selber schuldig zu sprechen und dabei gleichzeitig den Richter zu beschuldigen. Doch die Wahrheit ist das einzige, was auf Dauer Ruhe verschafft.

 

Hallo Ernst Clemens,

schöne Geschichte haste da geschrieben. Ich mag die unaufgeregte Erzählweise und Sprache des Textes. In Bezug auf die Rubrik könnte er auch ganz gut unter Historik eingeordnet werden, wobei der Text auch in die heutige Zeit passen würde.

„Sie kennen doch aus dem Prozess meinen Namen! Ich bin Franco Domenico.“

„Natürlich weiß ich das, aber unterzeichnen Sie Ihre Leserbriefe mit ‚Fritz Damm’?“

Verdammt, warum war ich so eitel und habe mir ein Pseudonym ausgedacht, das die Initialen meines richtigen Namens enthielt? Wenigstens hatte ich daran gedacht, meinem italienischen Namen einen deutschen Anstrich zu geben. Aber was hat es genützt?„Ja, dieses Pseudonym benutze ich“, gab ich unumwunden zu.

Das hat mich erstaunt, dass dein Prot. bereitwillig, immerhin gegenüber einer Fremden, sein Geheimnis preis gibt. Wahrscheinlich weiß er, dass sie aus den Anklage-Prozessen, viel über ihn erfahren hat und somit ihre Rückschlüsse aus seinen Artikeln gezogen hat. Wenns so ist sollte dies vielleicht nocheinmal deutlich gemacht werden.

Er sprach Sie nur deshalb frei, weil er Angst hatte.“

„Wovor fürchtete er sich denn?“

„Darüber möchte ich nicht sprechen. Akzeptieren Sie es bitte einfach als die Wahrheit.“

Das hätte mich auch interessiert. Handelt es sich bei dem toten Profanter eventuell um einen Regime-Gegner (bspw. einen Kommunisten)?

Gruß
Freygut

 

hallo freygut,

du hast recht, die geschichte passt eigentlich in jede zeit. das ist auch der grund, weshalb ich sie in dieser rubrik stehen lassen möchte.

ja, die beiden protagonisten gingen beide aufs ganze:

er sagte nicht einfach "ich kenne Sie", oder noch verschwommener: "Sie kommen mir bekannt vor", sondern er sagt ihr auf den kopf zu, dass sie bei der urteilsverkündung dabei war (und somit: dass sie bestens informiert ist)

sie fragt nicht: "haben Sie Leserbriefe an die Zeitung geschickt?", sondern sie gibt offen zu erkennen, dass sie herausgefunden hat, dass ER hinter diesem pseudonym steckt.

damit haben sich beide prots geoutet und haben keine möglichkeit des rückzugs mehr. es gibt nur noch die flucht nach vorne.

Wovor hatte de richter angst? dein hinweis auf profanter als kommunist/systemgegner finde ich faszinierend. ich werde versuchen, das noch einzubauen. es ergäbe eine interessante zusätzliche facette.

danke für deinen kommentar!

herzliche grüße
ernst

 

@ Freygut: ihc habe deine idee aufgegriffen und den schluss geändert.
was meinst du dazu?

gruß
ernst


„Wovor fürchtete er sich denn?“

„Darüber möchte ich nicht sprechen. Akzeptieren Sie es bitte einfach als die Wahrheit.“

„So einfach werde ich es Ihnen nicht machen! Sagen Sie mir, wovor sich Ihr Mann fürchtete.“ Meine Stimme wurde sicherer, als ich den Schwachpunkt bei ihr aufgedeckt hatte.

„Haben Sie Profanter näher gekannt?“

„Nein. Ich wusste nur, dass er mich verhöhnte. Und das reichte mir vollkommen aus, um ihm die Fresse zu polieren.“ Ich fühlte noch einmal die Wut in mir aufsteigen, als ich an diese Situation mit Profanter denken musste. „Was war denn mit ihm?“

„Ich sage es mal vorsichtig: Profanter war ein Regimegegner.“

„Dann waren sie also recht froh, dass ich den Störenfried aus dem Weg räumte, ohne dass sich unsere Oberen die Hände schmutzig machen mussten?“

„Ja, so können Sie es sehen. Aber fragen Sie mich bitte nicht nach näheren Details. Dazu möchte ich mich wirklich nicht äußern.“

„Ich frage nicht mehr weiter, wenn Sie mir jetzt endlich sagen, was Sie von mir wollen!“ Ich konnte meine Neugier nicht weiter zügeln.

„Können Sie sich das nicht zusammenreimen?“ Sie schlug mit der flachen Hand ungeduldig auf die Tischplatte. Unsere beiden Gläser, die dicht nebeneinander standen, klirrten, als ob diese damit den Unmut unterstreichen sollten. „Ich werde als Journalistin die Wahrheit in einem Buch darlegen. Schonungslos und offen. Und dazu benötige ich Ihre Hilfe.

Sie besuchte mich am nächsten Tag im Passeiertal. Auf der Terrasse, in der goldenen Oktobersonne, erzählte ich ihr meine Version des Falles.

Es war ein seltsames Gefühl, sich quasi selber schuldig zu sprechen und dabei gleichzeitig den Richter zu beschuldigen.

 

Nabend Ernst,

entschuldige die verspätete Antwort.

„Ich sage es mal vorsichtig: Profanter war ein Regimegegner.“

vielleicht kannst du das noch mehr verpacken und Profanter nicht so direkt auf den Punkt als Regimegegner titulieren. Für den Leser fehlt an dieser Stelle meiner Meinung nach der Interpretationspielraum zum Charakter Profanter. Da müsstest du wahrscheinlich in der Vorgeschichte näher auf Profanter eingehen.

Ich finde in deiner ersten Version blieb Profanter zu blass und in deiner Zweiten wird er dann zu stark in den Vordergrund gestellt.

hi hi hi, hoffe du kannst mit meinen zuweilen wirren Gedankengängen etwas anfangen. Mal schaun, was andere Leser sagen

Liebe Grüße
Freygut

 

hallo freygut,

danke für dein feedback....auch wenn die umsetzung nicht ganz einfach ist. aber ich mache mir mal gedanken darüber!

herzliche grüße
ernst

 

Hallo Ernst Clemens,

interessante Geschichte, sehr ruhig erzählt. Der Spannungsaufbau gefällt mir, auch wenn das Intro mir zu lang erschien. Bis zu dem Punkt - Ich bin ein Mörder - passiert ja nicht viel, außer dass die Frau ihn anstarrt. In diesen Zeilen lese ich viel, über die Gedanken, die er sich dazu macht, aber wenig über sein Unbehagen in Form von nervösen Gesten, die ein solchen begleiten.
Hier würde ich gern mehr über den Charakter erfahren. Und ich denke, wenn er die Frau wiedererkennt, dann kommt ihm das Gesicht doch schon zeitiger bekannt vor und er sucht und kramt in seinem Kopf, um es zuordnen zu können. Das kam mir etwas hoppla die hop.

Die spannenste Figur in diesem Ensemble ist Dein Protagonist. Die Frage, warum er sich da am Ende so schnell outet und in die Welt schreit, Hallo - ich bin der Mörder!, beantwortest Du nicht wirklich. Ich denke, er erträgt die Schuld nicht. Aber ich kann es nur erahnen.
Da es aber die zentrale Frage der Geschichte ist, solltest Du seine Motivation, sich ihr anzuschließen und mit ihr gemeinsam am Ende das Buch zu schreiben, deutlicher hervorheben.

Die Geschichte um den "Profanter", ist nebensächlich. Ich finde nicht, dass Du ihn noch als Regimegegner zeigen solltest, Du hast genügend Personal und Konflikte, um das Du Dich kümmern musst. Das ist mehr als ausreichend für eine Kurzgeschichte. Justizirrtum, Mangels an Beweisen und gut. Nicht noch einen Nebenkonflikt eröffnen.

Viel spannender ist ja die Frage nach seinem Schuldeingeständnis. Und da frage ich mich, was da in den Leserbriefen drin gestanden hat, die er damals schrieb.
Auch die Richterfrau kommt mir zu oberflächlich weg. Trennt sich, weil sie die Schmach nicht erträgt; nicht, weil sie ihn nicht mehr liebt. Und als wäre das nicht schon Strafe genug für den armen Richter, will sie nun auch noch ein Buch schreiben und ihrem (Ex)Mann zeigen - ey, Du hast damals wirklich Mist gebaut! Dazwischen fehlt irgendwas. Das macht sie sehr unsympathisch.
Die Frage kann ich mir aus dem Text heraus nicht beantworten: Warum will sie dieses Buch schreiben? Weil sie nun endlich diesen Bauern strafen will, der ihr Leben versaut hat? Dann kommt das einvernehmliche Ende zwischen den beiden aber nicht gut.

Ein sehr liebevoll geschriebener Text, der sich an manchen Stellen in Nebensächlichkeiten verliert, hier könntest Du ausmisten und dafür den Motivationen von den beiden mehr Gewicht zukommen lassen. Meines Empfinden nach ;).

Beste Grüße
Fliege

 

hallo fliege,

als moderatorin für jugend und weihnachten hast du es mit deiner fundierten kritik geschafft, bei mir weihnachtsstimmung mitten im sommer zu erzeugen.

Ich möchte auf die schnelle nur zu einem punkt stellung beziehen: warum hat sich mein protagonist so schnell als mörder geoutet?

ganz einfach. nachdem er wusste, dass sie den prozess mitverfolgt hatte und nachdem sie ihm auf den kopf hin sagte, dass sie seine leserbriefe kannte, rechnete er sich aus, dass leugnen/abstreiten wenig chancen hatte. es gab für ihn also nur die flucht nach vorne.

text ausmisten: da hast du recht. einige details sind zum verständnis der geschichte nicht erforderlich und somit überflüssig.

ich arbeite zur zeit an einer anderen geschichte, die mich sehr gefangen nimmt (das Vogelskelett). wenn dieses kind geboren sein wird, werde ich mich um die überarbeitung der "blickstarre" kümmern.

dir nochmals herzlichen dank für deine bemerkungen, die wirklich weiterhelfen!

herzliche grüße
ernst

 

Ich nochmal ...

als moderatorin für jugend und weihnachten hast du es mit deiner fundierten kritik geschafft, bei mir weihnachtsstimmung mitten im sommer zu erzeugen.

Wieso auch immer, aber bitte: :xmas:

nachdem er wusste, dass sie den prozess mitverfolgt hatte und nachdem sie ihm auf den kopf hin sagte, dass sie seine leserbriefe kannte, rechnete er sich aus, dass leugnen/abstreiten wenig chancen hatte. es gab für ihn also nur die flucht nach vorne.

Ich meinte nicht ihr gegenüber - das ist schon klar, dass er mit ihr nicht Verstecken spielen muss, ich meinte - wieso er es öffentlich machen will - warum will er, dass sie dieses Buch schreibt und ihn somit nachträglich "schuldig" spricht. Es dürfte die selbe Antwort, wie auf die Frage nach den Leserbriefen sein. Wieso er sich in denen selbst outet.

 

Wie konnt ich Dich bis gerade übersehn,

lieber Ernst Clemens,

aber doch noch rechtzeitig getroffen, hoffe ich.

Eine kühl und ohne Firlefanz, also gekonnt erzählte Geschichte, wie einer Jahre nach einem Kapitalverbrechen, für das er mangels Beweises freigesprochen wurde, der gewesenen Frau seines Richters die Tat gesteht und - wie's so aussieht - mit ihr zusammenarbeiten wird.

Erstaunlich wenig gibt’s zu mäkeln:

>Ihre Augen wandte sie nicht von mir ab.< Entweder: „wandten“ oder „Ihr Auge …“

> mangels Beweisen< mangels Beweises (es reicht ein Beweis)

Gruß

Friedel

 

@ fliege: danke für deine zusätzliche erklärung - ich werde es in die nächste version einfließen lassen.

@ friedel: ich freue mich, dass meine geschichte deinen geschmack getroffen hat. deinen hinweis auf den schreibfehler habe ich bereits übernommen und im manuskript geändert.

herzliche grüße an euch beide

ernst

 

hallo fliege und friedel,
ich habe die story nochmals überarbeitet. ist sie jetzt für euch schlüssig?
eure meinung interessiert mich sehr!

herzliche grüße
ernst

 

Und ein letztes Mal ;),

inhaltlich empfinde ich die Geschichte nun runder, aber ich glaube, mit der Zeit werde auch ich hier betriebsblind :).

Eines ist mir noch aufgefallen:

Später fand ich heraus, dass es die Frau des jungen Richters war, der mich mangels Beweisen freisprechen musste. Im Lokalteil der Zeitung wurde über die Hochzeit der beiden berichtet und ein Foto war dabei. Darauf erkannte ich sie wieder.

passt nicht zu:

„Nein, aber ich war die Frau des jungen Richters, der Sie freigesprochen hat. Ich bin Journalistin.“

„Sie ‚waren’ seine Frau?“

Vielleicht noch ein paar sprachliche Anmerkungen:

Der Titel steht ja nun schon oben drüber, der muss im Textfeld eigentlich nicht noch einmal erwähnt werden.

Als ich meine Augen erhob, um der Bedienung ein dankbares Lächeln zu schenken, fing ich den Blick von der Seite auf. Es war einer dieser Blicke, der automatisch die Frage aufwirft: „Zufall“, oder „Absicht“? Also schaute ich nochmals zum anderen Tischende, als ich mein Glas an die Lippen hob.

Es war kein Zufall. Sie blickte mich an. Nein, das beschreibt es nicht richtig. Sie starrte mich an. Ganz ruhig. Der Blick bohrte sich in meine Augen. Sie zwang mich, die meinen zu senken. Es war diese Art von Blick, den man mehr fühlt, als dass man ihn klar sehen kann. Ein Blick, der sich einbrennt.


Wenn es hier etwas weniger "blicken" könnte, wäre sicher nicht übel ;). Überhaupt blickt es ziemlich viel in dem Text.

Für einen Bauern wie mich gab es oben keine Arbeit mehr. Hier unten im Tal war noch warmer Herbst, während es bei uns oben bereits einige Male in der Nacht schneite.

Das erste oben ließe sich sicher durch Berge oder so ersetzen.

Hier im Tal konnte ich bei der Weinlese ein bisschen was verdienen. Sie brauchten in diesen Wochen immer alle verfügbaren Hände, um die Ernte schnell einzubringen.

Für Füllwörter hast Du auch eine kleine Schwäche. Daraufhin könnte man den Text auch noch mal aussortieren.

Ich fixierte sie jetzt meinerseits mit den Augen. Was wollte sie von mir?

Ich empfinde fixieren irgendwie als ein zu starkes Verb.
Auch ich betrachtete sie nun genauer, verweilte auf ihrem Gesicht, ihren Schultern, ihrer Kleidung. Was wollte ...

Sie senkte ihre Augen nicht. Im Dämmerlicht konnte ich nicht feststellen, ...

Soweit ich es im Halbdunkel erkennen konnte, war ihr Gesicht ebenmäßig geschnitten, ...


Dämmerlicht beinhaltet ja Halbdunkel, daher kann das eigentlich raus.

Ich bildete mir in meinen jungen Jahren zwar etwas darauf ein, den Kurvenreichtum einer rassigen Frau richtig zu taxieren, aber das Schätzen des Alters war nie meine Stärke.

Und solche Sätze, braucht es eigentlich gar nicht. Hinhaltesätze sind das ;).

Vielleicht schloss sie daraus, ich sei ein Draufgänger? Da hätte sie sich aber schwer geirrt.

Solche Selbstanalysen auch nicht. Die Geste, wie er die Hand vor das Kinn hält, ist schön.

Auch ist mir der Prozess des Wiedererkennens irgendwie immer noch zu plötzlich. Erst erkennt er sie gar nicht und dann ... Kann sie ihm nicht bekannt vorkommen und er überlegt und überlegt, bis sie dann im rechten Licht sitzt, was ihm die Erkenntnis verschafft? Ich würde es schon viel früher einführen. Auch als Spannungsmoment. So denkt der Leser ja nur - ja die beiden schauen sich da also an, wenn jedoch die Frage im Hintergrund mitschwingt - woher kennt er sie - das ist doch was ;).

Mir war klar, das ich als Mann für eine Frau in den besten Jahren nicht mehr attraktiv war. Dafür war ich zu alt und zu verbraucht. Selbst wenn sie Interesse gehabt hätte, wäre mir nicht danach zu Mute gewesen. Ich hatte in diesem Kriegsherbst ganz andere Sorgen, denn der Winter stand vor der Tür. Und er sollte hart und lang werden! Früher war ich anders. Als junger Mensch suchte ich sehr wohl nach Abenteuern bei Frauen. Dabei riskierte ich oft weit mehr, als meine Altersgenossen.

Der ganze Absatz ist unglücklich Selbstdarstellung. Mir ist schon klar, was Du sagen willst, aber das kann auch gut im Nebensatz in einem der vorherigen Absätze erfolgen. Bin zu alt für sie ...

So, nun höre ich mal auf. Reicht ja auch.

Nimm was Du magst, den Rest ignoriere einfach.

Lieben Gruß Fliege

 

hallo fliege,
toll, dass du dran bleibst und dich weiter um den text kümmerst. vielen dank dir.

Zitat:
Später fand ich heraus, dass es die Frau des jungen Richters war, der mich mangels Beweisen freisprechen musste. Im Lokalteil der Zeitung wurde über die Hochzeit der beiden berichtet und ein Foto war dabei. Darauf erkannte ich sie wieder.

passt nicht zu:


Zitat:
„Nein, aber ich war die Frau des jungen Richters, der Sie freigesprochen hat. Ich bin Journalistin.“

„Sie ‚waren’ seine Frau?“

hast mich voll erwischt! das ist unlogisch.

wortwiederholungen und füllwörter?? da muss ich vor lauter bäumen den wald übersehen haben. ich mach mich sofort an die arbeit! so kann das nicht stehen bleiben.

herzliche grüße
ernst

 

Kann man da anders, wenn man so lieb gebeten wird, als dem Wunsch nachzukommen? ME hat der Text idR durch die Änderungen gewonnen,

lieber Ernst.

Insbesondre der geänderte Schluss ist der Hauptgewinn des Textes, wenn nämlich zu den persönlichen Motiven (durch Kränkung) des Erzählers/Täters das vergangene Geschehen auch von seiner politischen (das Opfer als Regimegegner) und damit opportunistischen Seite aus aufgerollt wird. Mancher Leser wird sich gleichwohl schwertun – nicht so sehr wegen der eher spröden und nüchternen Sprache, als eher hinsichtlich der Rückblenden. Gleichwohl kann selbst der mit ein wenig Arbeit und vor allem Konzentration (!) die Zeitebenen auseinanderhalten. Zudem wäre es falscher Ehrgeiz, es allen recht machen zu wollen.

Unabhängig von Fliege werd ich Satz für Satz durchgehen und mit der mir vorliegenden vorherigen Version vergleichen. Dabei werd ich Auffälliges anzeigen, kann aber nicht ausschließen, dass nicht alles entdeckt wäre, was es zu entdecken geben mag. Da gilt dann für jedermann eine aufkommende Betriebsblindheit.

Die erste Änderung find ich im letzten Satz des zwoten Absatzes: >Ein Blick, der sich einbrennt< deckt weitaus mehr ab, als die ursprüngliche Fassung, die nur ein Organ anspricht >Ein Blick, der auf der Haut brennt<, wobei dort aber so etwas auf die Schutzfunktion der Haut abgestellt wird – wie etwa ein dickes Fell. Da bin ich mir dann nicht mehr sicher, ob’s eine Verbesserung ist.

Der nächste Abschnitt beginnt in jedem Fall mit einer Verbesserung >Sie saß im Halbschatten< vermeidet die Substantivierung >Ihr Platz war im Halbschatten<, was zugleich mit der Ersetzung des Possessivpronomens die Eigentumsfrage (denn der „Platz“ ist ja immer noch im Eigentum/Besitz der Wirtsleute, insofern kann man die ursprüngliche Formulierung als falsch, zumindest aber als nicht korrekt ansehen.

>Hier im Tal konnte ich bei der Weinlese ein bisschen was verdienen< kürzt und strafft den Text, indem er auf den Relativsatz in der ursprüngl. Formulierung verzichtet. Mir erscheint aber jetzt das „was“ als entbehrlich, es sei denn, er könnte neben dem Lohn auch Naturalien bekommen - nix ungewöhnliches in der Landwirtsch., was dann aber gesagt werden sollte.

Nebenbei, was noch gar nicht vermerkt wurde, ist das Komma vor der Konj. „oder“ in >Wer blieb, wurde welsch und musste seine deutschen, oder österreichischen Wurzeln verleugnen< entbehrlich. Ähnlich dann in >Ob in Polen, oder im Burgund wusste keiner so genau<, wobei die zusammengezogene Konstruktion „in dem“ Burgund besser wieder in den alten Stand zurückversetzt werden sollte. Kommt öfter vor, da offensichtlich regelmäßig, wäre zu fragen, woher die Eigenheit dieser Kommasetzung stammt.

Noch eine Randbemerkung, weil der Satz >Auch von der Insel Krim war die Rede< dem, der darum weiß, erst recht die Beschränktheit der des arischen Wahns zeigen kann, lassen sich doch bis ins 16. Jhdt. hinein auf der Krim „Goten“ (incl. Sprache) nachweisen, die dann nach Ermanarichs großer Zeit und dem hunnischen Sturm glatt vergessen hatten, mit den Amalern (die Amelungen der Sage) übern Balkan gen Italien zu ziehn, um mit byzantinischer Billigung, vielleicht sogar im Auftrag des übriggebliebenen Imperators zu Konstantinopel die Skiren unter Odoaker Mores zu lehren.

>Das machte mich nervös< ist durchaus sinnvoll.

Statt >taxieren< bliebe ich bei „einzuschätzen“, verdoppelte Schätzung hin oder her, wird sich ein Bauer/Landarbeiter doch schwertun, gleich einem Herrn Lagerfeld die Wertigkeit einer Frau über Äußerlichkeiten „einzuschätzen“. Die „oder“ stören doch auch nicht, sind sogar notwendig.

Die neue Fassung zeigt, dass ein „aber“ nicht notwendig sein muss, was aber die Neufassung „Da hätte sie sich aber schwer geirrt“ gegenüber dem „böse“ geirrt bringt, ist mir nicht sofort einsichtig.
„böse“ i. S. von „gering, wertlos, schlecht und: SCHLIMM“ hat immerhin letzteres zur Seite, wobei die Bedeutungen des „schwer“ (= gewichtig, aber auch drückend, lastend (BEschwerLICH) und schwierig) daneben gehen.

Sofort einsichtig hingegen ist der Austausch des „einfachen Bauern“ gegen „einen Menschen“.
Und ein bisher übersehner Schnitzer: „Mir war klar, das ich als Mann für eine Frau …“ das+s, dafür leuchtet mir dann noch das „zu“ vorm „verbraucht“ nicht ein. Und gleich noch eine Frage: steht der Winter nur im Kriegsherbst vor der Tür? Insofern wäre der Hinweis entbehrlich und er wird noch mehr Sorgen als nur den Winter haben. Aber dass musstu selbst abwägen, fiele doch dann auch der Folgesatz weg.
(Flüchtigkeit kommt also auch im Lektorat vor.)

>Welch ein Frevel, in diesen Kriegsjahren, wo alles so knapp war!< Erstes Komma ist entbehrlich. Der Gebrauch des „wo“ ist eine süddeutsche (Klinsmann sprach so vom „wo“) Eigenschaft (was die native people Südtirols ja „eigentlich“ sind). Schöner vielleicht ein „… als alles so …“ oder „in denen alles …“

>Später fand ich heraus, dass es die Frau des jungen Richters war, der mich mangels Beweisen freisprechen musste.< Der Einwand gilt immer noch: mangels Beweises – sofern er ausreicht. Wenn’s unbedingt eine Mehrzahl sein muss, wäre die Genitiv-Bildung „mangels (eindeutiger) Beweise“. Umgekehrt hab ich gerad im Duden tatsächlich die Dativ-Bildung als erlaubt gesehen „wenn der Genitiv nicht erkennbar“ wäre. Nunja, Regeln werden (an)erkannt oder ignoriert. So verhallt der Spruch, der Dativ sei dem Genitiv sein Tod unerhört. Aber, dann is’ Schluss mit lamentieren, es besteht Hoffnung, dass der Genitiv von der Liste der bedrohten Arten genommen wird, wenn nämlich vier auf drei Fälle gekürzt werden.
Hierorts gibt’s in der Redewendung „in keinster Weise“ die Umkehrung, als wenn „kein“ nicht wenig genug wäre!

>Ich war natürlich erleichtert, als ich das Urteil entgegennahm. Und auch stolz. Immerhin war es mir gelungen, die Justiz auszuhebeln und einen Mord auszuführen, ohne Spuren zu hinterlassen<, selbst wenn keine Absicht bestand (vgl. weiter unten in der Geschichte), ist endlich mal ein ordentlicher „krimineller“ Satz, denn das zuständige literarische/filmische Genre gaukelt uns vor, Verbrechen geschähen, um aufgeklärt zu werden. Tatsächlich kann jedem Verbrechen zugesprochen werden, dass es eben nicht aufgedeckt werden will.

Kein Fehler, aber vielleicht statt des Konj. I den Konj. II am Ende
>Er verbreitete überall in dem Städtchen das Gerücht, dass ich ein Prahlhans und Schlappschwanz sei<, da der Icherzähler vom Gegenteil überzeugt ist und deshalb die Aussage nicht einmal bezweifelt, sondern als falsch ansieht. Siehe auch weiter unten hinsichtl. der Behörden.

>Der Tumult im Saal bei der Urteilsverkündung war unbeschreiblich. /
Wütend reckten sie ihre Fäuste gegen den jungen Richter, der mich frei sprach.<
Die hinzugefügten Ergänzungen sind durchaus sinnvoll, wie auch zwei Sätze zusammenzufassen, die zusammen gehören.

>Diese Kommentare waren vielleicht weniger stichhaltig, …< trifft’s genauer als die alte Formulierung >Diese Kommentare waren nicht weniger stichhaltig, …<, obwohl sie das Gegenteil ausspricht – selbst als Vermutung („vielleicht“).

Flüchtigkeit, die mir aufgefallen sind, die aber erstaunlich gering für einen Text dieses Umfanges sind:
>Und die hatten sich alle eingefundenKOMMA um zu sehen, ….<

>„ … verändert“, antwortete Sie völlig ruhig.< Sie klein.

>„Ihr Leben verändert?“KOMMA fragte ich überrascht.<
Die darauf folgende Ergänzung ist mE sinnvoll.

Ob „Angst vor wem?“ ein Gewinn gegenüber einem „Wovor fürchtete er sich denn?“ ist, weiß ich nicht. Angst ist idR wenig konkret und hat mit „enge“ zu tun, Furcht ist dagegen konkreter. Zudem erweckt die Änderung den Eindruck, dass der Richter weniger vor einer/einem Sach/verhalt als einer konkreten Person gehabt hätte. Da wäre dann zumindest ein „ … (wem oder) was?“ angesagt, vor allem, weil im folgenden immer noch Furcht statt Angst gewählt wird.


Gruß

Friedel

 

hallo friedel,

puh, da hast du dir aber sehr viel arbeit gemacht, mit meinem text! vielen dank - diese art der kritik bringt jeden schreiberling weiter!

viele deiner anmerkungen setze ich jetzt sofort um.

was die interpunktion anbelangt: ich muss in der schule krank gewesen sein, als dieses thema besprochen wurde...... deshalb setze ich kommata so, wie es für den lesefluss (aus meiner sicht) richtig ist. manchmal stimmt das ja sogar mit den grammatikalischen regeln überein.

In diesem punkt bin ich mir aber nicht sicher, ob die regel wirklich so ist, wie du vorschlägst:

>„Ihr Leben verändert?“KOMMA fragte ich überrascht.<
(kommt nach dem fragezeichen zusätzlich noch ein komma?

du schreibst:

Noch eine Randbemerkung, weil der Satz >Auch von der Insel Krim war die Rede
- es ist überliefert, dass tatsächlich versprechungen kursierten, den südtirolern, die bereit waren auszuwandern, eine heimat auf der krim anzubieten. natürlich kam es dann nie dazu.

du schreibst:

Statt >taxieren< bliebe ich bei „einzuschätzen“,
da bin ich jetzt verunsichert. muss man ein lagerfeld sein, um die kurven einer frau richtig einschätzen zu können? ich denke, jeder mann kann das taxieren (es kommt nicht auf den brustumfang an, sondern darauf, was jeder einzelne mann für SCHÖN empfindet).

nochmals herzlichen dank und schöne grüße
ernst

 

Grüß Dich, Ernst,

mag sein, dass es Arbeit war, die hat sich aber gelohnt.

>was die interpunktion anbelangt: ich muss in der schule krank gewesen sein, als dieses thema besprochen wurde<...

dat sag'n s'e alle! So wie Du es hältst, so ist auch ursprünglich der Sinn der Zeichensetzung gewesen - quasi Regieanweisungen (die ja auch die Atmung betreffen können). Zudem sind wir keine öffentlichen Ämter. - Bei der Arbeit an der Keller Rezension bin ich auf die letzte Rechtschreibreform vorm Duden gestoßen (Abschaffung des th z. B., das sinnigerweise beim Thron erhalten blieb; doch wer hierzulande außer begnadeten Sprachkünstlern) könnt schon das tieäitsch korrekt aussprechen?) Keller machte sich lustig darüber, fand das th aber eh eher lästig.

>In diesem punkt bin ich mir aber nicht sicher, ob die regel wirklich so ist, wie du vorschlägst:
Zitat:
>„Ihr Leben verändert?“KOMMA fragte ich überrascht.<
(kommt nach dem fragezeichen zusätzlich noch ein komma?<
Ja doch, auf den ersten hundert Seiten des Rechtschreibduden wird die sog. Reform kompakt dargestellt, am Ende ist das gesamte Meisterwerk (?) abgedruckt.

>Statt >taxieren< bliebe ich bei „einzuschätzen“, ....<
ist nur ein Vorschlag. Du hast selbstverständlich recht, zumindest kein Unrecht. Was den Lagerfeld betrifft hat mich da wieder der Teufel Spott geritten, denn tatsächlich kann jeder am besten selbst entscheiden, wie er "Kurven" beurteilt. Das gebietet mir schon eine Verallgemeinerung der Beuys'schen (auch schon verschlüsselt in der Schiller'schen Ästhetik) These, dass jedermann Zeug zum Künstler habe. Jeder hat ein Empfinden dafür, was schön und gut sei. Und verunsichern wollt ich Dich sicherlich nicht.

Grundsätzlich gilt, dass alles nur Vorschläge sind. Ich kann Dir versichern, wenn ich das ch abschaffen will, nähme ich das Lautschriftliche x (was Katla z. B. macht), wo ich doch schon immer nix statt nicht(s) sag.

Gruß - und nix zu danken!

Friedel

 

hallo ihr beiden - vielen dank für eure hinweise.

@ maria: du scheinst ja ein ganz schönes "biest" zu sein (lach)! habe ich ein glück, dass ich keinen vorwand geliefert habe um mich fertig machen zu lassen.

ws hat dich denn am anfang meiner geschichte konkret ABGESCHRECKT?


@ friedel: meinst du mit KELLER den ollen Gottfried keller? du scheinst ja ein schweizer-fan zu sein? liest auch Jeremias GOTTHELF....

herzliche grüße
ernst

 

Vielleicht liegt es daran, dass bereits einige Verbesserungen vorgenommen wurden, die unter anderem auf Friedrichards kompetenten Rat hin zum Erfolg führten, aber es gibt nichts zu meckern.
Du hast einen angenehmen Schreibstil und man bemerkt, dass du nicht ohne Hintergrundwissen an deine Geschichte gehst. Leider kann ich deshalb auch keine konstruktive Kritik abgeben. Die Geschichte darf so bleiben, wie sie ist.

Grüße Herrlollek

 

hallo herrlollek,

es freut mich, dass dir die geschichte gefällt. ja, die hinweise hauptsächlich von fliege und friedel haben einiges zum feinschliff beigetragen. es lohnt sich, in diesem forum zu arbeiten!

herzlichen dank und beste grüße
ernst

 

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