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Von den Tücken eines Abführzäpfchens
An den Rollstuhl gefesselt. Wenn ich das schon höre. Hätte ich das Ding nicht, wäre ich total aufgeschmissen. Typischer Spruch von Fußgängern die nicht wissen, wohin mit ihrem Mitgefühl. Mein Rolli ist mein bester Freund. Ich hege und pflege ihn so gut ich nur kann. Einmal die Woche pumpt Hauke die Reifen auf. Sieben bar. Hauke ist mein Zivi, an sich ein hartgesottener Bursche, doch wenn das Manometer bei fünf bar angelangt ist sehe ich die Panik in seinen Augen. Ich sehe wie er hektisch weiterpumpt in der Erwartung, dass ihm der Reifen jeden Moment um die Ohren fliegt. Nach diesem Pumpmarathon fährt sich mein treuer Begleiter fast von allein. Ein paar Schwünge mit den Händen und ich gleite über den Fußgängerweg – bis zur nächsten Bordsteinkante.
Ich komme gut mit Hauke klar, nur montags morgens gehe ich behutsam mit ihm um. Dann ist er im Delirium. Mr. Alk ließ wieder einmal grüßen. Besonders heftig wird’s für ihn, wenn Abführen angesagt ist am Montag. Ich scheiße alle zwei Tage. - Hört sich für einen Otto-Normal-Läufer vielleicht seltsam an, aber mein Darm wurde damals getrimmt während meines achtmonatigen Reha-Aufenthaltes auf alle zwei Tage. - Dann stülpt sich mein Helfer einen Latex-Handschuh über seine fünf Finger, friemelt mit Mühe das Abführzäpfchen aus der Aluverpackung, fährt seinen Zeigefinger aus und steckt mir die Fettrakete in meine hinterwärtige Öffnung. Während der fünfzehnminütigen Einwirkzeit hängt Hauke sich unter den Wasserhahn und erfrischt seine Lebensgeister. Dann bringt er mich von der Seiten- in die
Rückenlage, stellt den Duschrolli neben mein Bett und fährt es auf Sitzhöhe. Hauke fasst mich mit beiden Händen und zieht mich hoch und schon sitze ich in meinem Bett mit den Beinen auf dem Boden – wie ein normal Sterblicher. Mit Hilfe eines kunststoffbeschichteten Brettes, welches mit einem Handtuch umhüllt ist, rutsche ich auf das Bad-Gefährt. Meistens klappt es mit dem Abführen und ich erreiche rechtzeitig die Kloschüssel. Doch hin und wieder ist mir der Krüppel-Gott nicht wohlgesonnen. Da passieren so Dinger wie neulich am Montag. Anstatt sein Hirn unter den Duschstrahl zu halten, setzte sich mein Zivi aufs Sofa, bekam Schräglage und pennte ein. Erst auf mein mehrmaliges Schreien reagierte er, kam angerast. Er schaffe es, mich unter Absturzgefahr auf den Rolli zu hieven, packte die Schiebegriffe und eilte mit mir Richtung Bad. Als er die Kurve durch die Tür nahm, bemerkte ich ein Knacken in der Nähe des rechten Reifens des altersschwachen Kassenmodells. Der Reifen drohte sich zu lösen. Ich packte mit beiden Händen zu, stoppte so den Anflug und schrie:
„Halt!“
Die rechte Achse war angebrochen. Hauke stemmte sich mit aller Kraft auf die linke Armstütze um Schlimmeres zu verhindern. Geistesgegenwärtig drehten wir gemeinsam den Rolli Richtung Schlafzimmer. Fragt mich nicht, wie wir den Weg geschafft haben. Letztendlich lag ich wieder in meinem Bett. Wohlbehalten, nur Hauke hatte jetzt alle Hände voll zu tun. Das Zäpfchen tat seine Wirkung und das nicht zu knapp.