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Fremdkörper
„Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft wurden [...] Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.“ (1.Kor 12, 13)
Jeden Morgen das Gleiche. Ein Faustschlag zwischen die Facentteaugen und das italienische Ungeziefer spuckt eine nicht-schmecken-wollende braune Brühe aus. Lisa füllt sie abends immer schon mit dem Stoff. Ich hasse dieses Insekt. Und doch fühle ich mit ihm, es ist auch nur ein Fremdkörper wie ich. Mein Blut, das Lisas Körper die ganze Nacht verdrängt hatte kehrt pieksend in meinem Arm zurück. Es fühlt sich genauso fremd an. Ich stehe an die Balkontür gelehnt, rauche und beobachte die vereinzelten Blätter der Linde schlapp an ihren Ästchen herabhängen. Ein Déjà vu.
Barfüßig platscht Lisa zu mir. „Holst Du Brötchen?“ Ich schaue sie an. „Sag nicht, du musst schon wieder los! Ich dachte, wir hätten endlich mal einen Tag für uns!“ Wütend funkelt sie mich an. Unter meinem weißen Hemd zeichnet sich ihr perfekter Körper ab. Seit einer Woche kein Sex. Jeden Morgen wachen wir auf, gleichmäßig im Schweiß zweier Menschen gebadet. Jeden Morgen. Wenn man so aufwacht, ohne Sex gehabt zu haben, dann ist es Liebe.
Mein Handy vibriert. Wie eine Schmeißfliege, die auf dem Rücken liegt und verzweifelt versucht auf die Beinchen zu kommen. „Willst Du nicht rangehen?“, große fragende Lisa-Augen. „Ich geh duschen“, antworte ich ihr.
Ich bin ein Warmduscher, kaltes Wasser vertrag ich nicht. Jetzt nicht. Morgen vielleicht. Auf der Ablage steht Duschbad, for women. Daneben Shampoo, for women. Diverse andere Sachen in rosa reihen sich ein. Ich zucke mit den Schultern. Riechen tu ich sowieso schon nach Lisa. Überall am Körper habe ich noch rote Druckstellen der vergangen Nacht. Ihr Körper hat Klebefalzen errichten. Wie ein Bastelbogen kleben wir heut Abend wieder zusammen. Als ob wir nur ein Körper wären, der sich am Tag teilt, um effektiver zu arbeiten.
Wieder dieses Platschen. Lisa ergreift mich von hinten. Ihr langes Haar fällt über meine Schulter. Genussvoll küsst sie die letzten Wassertropfen von meinem Nacken.
Langsam bewege ich mich über die kühlen Marmorfliesen zurück in ihr Schlafzimmer. Sie läuft hinter mir her, fasst nach meiner Schulter: „Warum ziehst du nicht das Hemd an, das ich dir letztens geschenkt habe. Das hattest du noch nie an.“ Ich zieh mir Jeans an und versuche das zerwühlte Bett zu ignorieren.
Kaum stehe ich auf der Straße, klebt mir der Baumwollstoff bereits am Körper. Doch das stört mich nicht.
Die Bäckersfrau schaut mich an: „Wie jeden Morgen?“ Ich nicke.
Ich nehme den fremden Beutel entgegen und bezahle mit fremdem Geld. Ich habe es zuvor aus Lisas Handtasche genommen. Im Beutel befinden sich nur Vollkornbrötchen. Sie isst immer die obere, ich die untere Hälfte.
Sie wird ihr Sommerkleid angezogen haben, während ich beim Bäcker war. Das grüne mit den vielen Blümchen und dem Reißverschluss am Rücken. Der Verschluss wird noch offen sein. Ich werde ihn schließen. Sie wird den Tisch decken, ich die Brötchen aufschneiden. Dann beschmiert sie eins mit Honig und eins mit Wurst.
Mein Handy vibriert wieder. Eine Weile lasse ich es in meiner Hand, wie in einem Käfig. Verzweifelt versucht es auszubrechen, aber ich halte es eisern fest. Nach endlos langen Sekunden erbarme ich mich. „Hi Alex, der Typ ist wieder weg. Dein Zimmer ist also wieder frei. Ich hab noch ein paar Sachen von Dir gefunden und in Dein altes Zimmer gelegt. Ähm... Bist Du glücklich?“