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Ich bin ein egoistisches und untreues Arschloch
Ich fahre heute nur wegen Sophie zu Sascha, lege es wohl drauf an. Jedenfalls locken Bang Boom Bang und Fix mich gewiss nicht.
Sascha meinte, Sophie dürfe das Land nicht wieder verlassen, bevor er ihr den besten deutschen Film aller Zeiten gezeigt habe. Er sagte außerdem: „Warum kommt ihr nicht auch vorbei? Ich mach Chillifix.“
Lisa ist dieses Wochenende bei ihrem Vater in Berlin. Und ich ziehe das Hemd an, von dem sie meint, es bringe meine Augen raus. „Das kann nicht schaden, Augen raus zum Videogucken“, rede ich mir ein.
Das Licht im Treppenhaus ist mal wieder, noch immer defekt und so steige ich in Finsternis die knarzigen Ochsenblutstufen zu Saschas Wohnung hinauf, bis oben die Tür als ein gelbes Rechteck geöffnet wird. Sophie steht mit blanken Beinen im Gegenlicht und bietet mir ihre Wange zum Kuss.
„Ich musste mich richtig zusammenreißen, sie nicht ständig anzustarren und anzufassen. Sie hat so unglaubliche Haut. So golden und weich, wie von innen beleuchtet. Ich hab mich den ganzen Abend darauf gefreut, sie zum Abschied offiziell küssen zu dürfen“, sagte Lisa zu Hause im Bett, nachdem wir Sophie vor ein paar Monaten kennengelernt hatten.
Ich sagte: „Hmmm, weiß nicht“, und zog sie auf mich.
Um mich herum surrt alles, obwohl ich nur zwei Gläser Rotwein getrunken habe. Sophie sitzt neben mir, auf dem Sofa mit dem gebrochenen Rückgrat, und vibriert wie ein kleines Tier, ein Vogel, den man in der Hand hält. Das spüre ich durch das Polster und wenn mein Arm ihren Arm streift, was oft geschieht. Sie trägt keine Unterwäsche. Wenn ihr Kleid nur ein paar Zentimeter hochrutschen würde, könnte ich mein Gesicht in ihrem duftenden Haar vergraben, das schwarz ist und zart wie ein Maulwurfspelz.
„Ich habe nicht verstanden“, sagt sie, als der Film zu Ende ist, worauf Sascha beginnt, die Handlung und die Witze auf französisch nachzuerzählen. Das dauert lange. Ich kann nur danebensitzen und flach atmen. Den einzigen französischen Satz, den ich kenne, kann ich hier nicht anbringen, ohne aus dem Rahmen zu fallen, auch wenn es tatsächlich das einzige ist, was ich Sophie fragen möchte. Und so sitze ich stumm und unfähig das Weinglas zu heben, während meine Ohren Löcher in meinen Kopf brennen.
Weil ich nicht verstehe, was sie sagen, weiß ich nicht, wie es kommt, dass Sophie anfängt zu singen. Sie sitzt mit umsichtig gekreuzten Beinen auf dem Couchtisch, singt mit leiser rauer Stimme und lacht dabei. Ich stelle mir vor, sie müsse eine Zunge wie eine Katze haben, mit winzigen, nach innen gerichteten Widerhaken, an denen die Töne entlangkratzen. Es ist natürlich ein französisches Lied. Es klingt mir wie ein Seefahrerlied oder ein Piratenlied. Sascha und ich sitzen auf dem Sofa, mit engen Kehlen und engen Hosen.
Ich habe ihr Zimmer gesehen beim Reinkommen. Die Wände sind kahl und all ihre Sachen stehen bereits in Kisten verpackt unter dem Fenster, fertig zur Abreise. Zuhause in Marseille lebt sie in einem chic heruntergekommenen Haus. Mit so einem schmiedeeisernen Aufzug, in dem man gerne steckenbleibt und „merde!“ schimpft. Die Wohnung ist weiß, mit wenigen Möbeln vom Sperrmüll und einer großen Matratze mit weißen Laken auf dem Dielenboden. Wenn Sophie nackt die Fensterläden öffnet, fällt die Sonne zu mir auf die Matratze (ich trage einen Bart) und die Seeluft und die Möwenschreie dringen ins Zimmer.
Sophie zieht sich Fellstiefel an, zu dem kurzen weißen Baumwollkleid, das vielleicht nur ein großes T-Shirt ist, und geht zum Rauchen auf den Balkon.
Sascha verdreht die Augen, als ich ihn auf Marseille und seine Piraten anspreche: „Hör auf! Ich hab dir jetzt schon hundert Mal gesagt, dass Sophie gar keine richtige Französin ist. Sie kommt aus diesem Kaff bei Brüssel. Und in dem Lied geht es um Kühe.“
Der Neuschnee knirscht, als ich auf den Balkon hinaustrete. Sophie reicht mir eine Zigarette und verschränkt ihre Arme wieder vor der Brust. Die Wohnzimmerbeleuchtung wirft einen gelben Schein auf ihr blankes Gesicht und macht ihre Augen zu Spiegeln. Ich denke an den messingfarbenen Samt, den ich gekauft habe, um den Stuhl zu beziehen, den ich für Lisa restauriere.
„Ich kann doch nicht mein Leben lang auf diesen dummen Ikea-Klappstühlen sitzen“, hat sie gejammert und ich habe das sofort eingesehen. Ich will ihr zu Weihnachten einen hundertfünfzigjährigen, verläßlichen Stuhl schenken. Einen, der ihr nicht unterm Arsch zusammenklappen wird. Ein Einzelstück, auf dem sie für den Rest ihres Lebens thronen kann. Doch im Moment liegt er in Einzelteilen in der Werkstatt. Ich muss ein paar Stifte austauschen und ihn neu verleimen, damit er bis in alle Ewigkeit hält.
„Ist dir nicht kalt?“, frage ich und widerstehe nur knapp der Versuchung, mir noch ein paar Berührungen zu stehlen, noch ein bisschen nervöse Energie abzuzapfen, indem ich ihr fürsorglich über den Arm streiche.
„Nein“, sagt sie mit zitternden Lippen.
„Bist du froh, jetzt wieder nach Hause zu fahren?“, frage ich.
Sie nickt. „Es war ein bisschen langweilig. Deutsche Männer sind sehr ängstlich.“
„Ich bin nicht ängstlich“, sage ich und bin dankbar, dass es so finster ist. Wir können einander kaum in die Augen blicken.
Sie drückt ihre Kippe in Saschas Blumenkasten aus. „Aber du bist mit Lisa. Und Lisa ist sehr schön.“
Ich schweige eine Weile und schubse Schnee vom Geländer. Zentimeter um Zentimeter räume ich die Balustrade. Eine Taube auf dem Sims darunter gurrt irritiert auf und schüttelt einen Flügel aus.
Sophie lacht. „Das ist nicht nett.“
Ich streue ein wenig Schnee auf Sophie. Er überzieht ihr schwarzes Haar und glitzert übermäßig wie Kunstschnee im tschechischen Weihnachtsmärchen, was wohl bedeutet, dass er nicht schmelzen wird. Sie greift eine Faust voll Schnee und ich halte ihr Handgelenk fest, obwohl mein Gesicht noch immer brennt. Ich dränge sie gegen das Geländer und presse mich gegen ihren Schoß, damit sie mich durch ihr dünnes Kleid pochen spürt, so wie ich sie den ganzen Abend ihre Vibrationen gespürt habe. Das ist vielleicht zu grob, aber es fühlt sich an, als müsse ich einen Abgrund überspringen. Sie lacht und biegt den Oberkörper zurück, immer weiter, dass ich Angst bekomme, sie könnte rücklinks über die Brüstung stürzen, bis sie mein Gesicht mit zwei kalten Händen umfasst und mich küsst. Ich bin überrascht festzustellen, dass ihre Zunge keine Widerhaken hat. Sie ist glatt und kühl. Und ihr Körper, den ich jetzt unter ihrem Kleid ertaste, ist glatt und heiß. Man bräuchte einen Katzenpenis um sich in ihrer Glätte festzuhaken. Ich versuche, ihr Katzenzunge und Katzenpenis zu erklären, aber Widerhaken lassen sich schwer umschreiben und sie schüttelt den Kopf. „Du musst mir nicht viel erzählen. Du kannst jetzt zu mir ins Zimmer kommen. Es ist kalt.“
Sie entgleitet mir und schlüpft unter meinen Armen hindurch ins Wohnzimmer. Ich schubse noch die letzten Schneereste vom Geländer und versuche mich wenigstens ein bisschen zu beruhigen, bevor ich ihr folge, als Sascha den Balkon betritt, um ein paar leere Bierflaschen zurück in den Kasten zu stellen. Er dreht mir den Arsch zu und spricht: „Und du meinst, dass das ne gute Idee ist?“
Ich stehe mit einem Fuß im Wohnzimmer und zucke die Schultern: „Ich will es eben.“
Lisa steht im Keller und pflückt genervt Wäsche auseinander. „Ich versteh nicht, was daran so kompliziert ist. Weiß ist weiß, nicht Gelb und auch nicht Hellgrau. Mann, Jo, ich hab das schon hundert Mal erklärt. So blöd kannst du echt nicht sein.“
Ich lehne hinter ihr an der Betonwand, fühle ihre rauen Pocken und sage: „Ich habe mit Sophie geschlafen. Vor zwei Wochen, als du in Berlin warst.“
Lisa wirft einen graphitgrauen Socken in die Weißwäsche und dreht sich um. „Erzähl doch keinen Scheiß!“
Ihre Augen sind Schlitze. Ihr Unglauben macht mich wütend. Erst als sie mich lange genug angestarrt hat, weiten sich ihre Augen. Ich sehe Angst darin und bin für den Moment zufrieden. Dann fällt mir ein, dass oben im Ofen der Mohnkuchen backt, den wir zusammen gerührt haben und dass sie mir den Teiglöffel überlassen hat. Jetzt habe ich auch Angst. Zum Glück ist da die raue Betonwand hinter mir, sonst würde ich einfach nach hinten umkippen und ins Nichts stürzen.
Lisa ist jetzt in Mareikes Wohnung, die im Moment bei ihren Eltern in der Pfalz ist.
Ich habe gebettelt: „Ich kann doch jetzt nicht zu meinen Eltern fahren. Lisa, bitte! Meine Mutter wird mich keine Sekunde lang in Ruhe lassen. Und meine Schwester. Das halte ich jetzt nicht aus.“
Sie ist ins Schlafzimmer gestampft und hat eine unordentliche Reisetasche gepackt. „Super Jo! Du fickst ne andere und ich soll ausziehen. Großartig!“
Ich sage: „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, wo ich hinsoll“, und „danke, danke, dass ich bleiben darf. Ich weiß, dass es ungerecht ist.“
Lisa reißt den Schlüssel mitsamt dem Haken von der Wand, „dann kannst du jetzt schon mal anfangen zu suchen!“, und knallt die Wohnungstür von außen zu.
Ich weiß nicht, warum sie nicht zu ihrem Vater gefahren ist. Ich denke, sie will ihm nicht das Herz brechen, will nicht, dass er mich hasst. Wie sollte er mir diesen Betrug je verzeihen. Wir könnten nie wieder zusammen einen Vogelkasten bauen oder Würstchen im Schrebergarten grillen.
Und dann ruft meine Mutter an. Mein Name ist ein einziger langer Seufzer mütterlicher Bekümmernis. Ich wünschte, sie hätten mich Jan genannt, das kann man nicht so langseufzen: „Jonathan.“ Und dann noch mal: „Jonathan.“ Da ist viel Atem in meinem Namen.
„Ja bitte?“
„Was ist denn bloß los bei euch? Warum wollt ihr an Heiligabend nicht kommen? Ich habe doch schon die Geschenke eingepackt und die Gans bestellt. Die ist doch viel zu groß für drei Leute. Habt ihr euch gestritten? Hast du was angestellt? Ihr kommt doch jedes Jahr an Heiligabend.“
Ich will ihr sagen, dass Lisa eine spezielle Nippeskiste unter dem Bett hat, in der sie die Geschenke meiner Mutter bunkert, Haseneierbecher und Weihnachtsmanntassen, alle ins Geschenkpapier eingewickelt, damit sie nicht so von unten an unsere Matratze starren.
„Dieses Jahr kommen wir eben nicht. Ich kann jetzt nicht darüber reden.“
„Aber Jonathan (tiefer Seufzer) das ist nicht gut, sowas in sich reinzufressen. Ich hoffe, ihr habt euch nicht getrennt.“
Ich fetze einen von Lisas Telefonnummerzetteln zu Flusen.
„Mutter, wir haben uns nicht getrennt! Ich muss jetzt weg.“
Aber ich darf nicht weg, denn jetzt will auch Kerstin einen Takt oder ein Wörtchen mit mir reden. Ich muss warten, bis sie mit dem Telefon in ihr altes Zimmer hinaufgestiegen ist, dann sagt sie: „Jo, du bist ein Arschloch. Das war sooo dumm von dir, so so dumm. Sowas hätte ich dir nicht zugetraut, sowas abgrundtief Blödes.“
„Ich sehe, Lisa hat mit dir geredet.“
„Natürlich hat sie mit mir geredet. Aber du, du redest ja nicht mit ihr. Knallst ihr das so vor den Latz, zwei Tage vor Weihnachten...“
„Verdammt, lasst mich doch alle in Ruhe mit eurem Scheiß Weihnachten!“
„... und dann weigerst du dich, ihr das zu erklären.“
„Pf, weigern! Was soll ich denn daran bitte erklären?“
„Stell dich nicht so blöd! Du sollst sagen, dass du ein Idiot warst, dass du das nicht wolltest, dass es ein Ausrutscher war, dass es nie wieder vorkommen wird, dass diese Schlampe dir nichts bedeutet. Und dass du Lisa liebst, dass sie das Beste ist, was dir je passiert ist und dass du sie nicht verlieren willst.“
„Sie weiß, dass ich sie liebe und sie nicht verlieren will.“
„Dann gib ihr gefälligst eine Möglichkeit, dir zu verzeihen.“
Ich habe eine Pizza im Ofen. Die Sardellen werde ich runterpicken müssen – es ist Lisas Pizza. Ich denke an Sophies heißen Körper in der Dunkelheit und den überraschend festen Griff ihrer kühlen Hand. Wie ihre Vibration unter meinen Händen zum Zittern, zum Zucken wurde, das sich durch meinen Körper hindurch fortsetzte, immer wieder. Die kleinen Zahnspuren, die sie an meinem Oberarm hinterließ, als ich ohne Widerhaken in ihre herzzerreißende Glätte hineinfuhr. Die glitzernden Tropfen im Maulwurfspelz. Ihre Zunge ist rau, wo sie rau sein muss. Ich denke an die Nacht und ich denke an den darauf folgenden Tag, als ich aufgewacht bin und sofort wusste, wo ich war und bei wem ich war, und genau spüren konnte, was wir getan hatten. Und ich war hungrig und glücklich, dass ich den ganzen Tag bleiben und weitermachen durfte. Als ich am frühen Abend auf die Straße hinaustrat, lag dicker Schnee, in dem ich nur Vogelspuren fand. Kein Mensch war auf der Straße. Und während ich so denke, hole ich mir einen runter. Dann heule ich ein bisschen in Lisas Seidenschal, weil die Wohnung so leer ist und weil der Thron, den ich gestern fertiggebaut habe, am Kopfende des Esstischs steht. Erst danach fällt mir auf, wie schlimm das Heiligabendfernsehprogramm ist. Hätte ich doch nur daran gedacht, DVDs auszuleihen, Tomb Raider, oder so. Ich habe auch die Pizza im Ofen vergessen. Das muss doch gewiss Strafe genug sein. Jetzt klingelt auch wieder das Telefon. Fünfmal, sechsmal, dann stehe ich auf. Es ist Lisa.
„Kommst du jetzt bitte vorbei“, sagt sie mit verschnupfter Stimme, als sei ich schon Stunden überfällig.
Sie hat eine rote Nase und trägt unbekannte Unterwäsche mit Spitze. Auch ihr Haar riecht fremd, als sie die Arme um meine Schultern legt und ihre Stirn an meine Brust presst. Doch die Pose ist vertraut. Sie sieht mich komisch an, während ich meine Schuhe und meine Jacke ausziehe. Vielleicht erwartungsvoll, denke ich.
Ich seufze und sage: „Es tut mir leid. Ich hatte getrunken und wollte ...“, doch sie sagt nur „Lass das", und führt mich in die Küche. Sie beginnt, zwei Gläser Gin Tonic vorzubereiten, eins mit mehr, eins mit weniger Gin. Ich trete von hinten an sie heran und gebe ihr für jeden Eiswürfel, den sie ins Glas ploppt, einen Kuss auf den Nacken. Als ich ihre Brüste umfasse, denke ich leise „Reconquista“ - so lange sie sich an mich lehnt. Doch dann dreht sie sich herum, nimmt tiefen Schluck aus dem potenteren Glas und fragt: „Warum habe ich dich eigentlich verlassen?“
Ich huste, denn bis jetzt war mir nicht klar gewesen, dass sie mich verlassen hat. So bleibe ich lange stumm, bis mein Hals wehtut. Dann sage ich: „Weil ich mit einer anderen Frau geschlafen habe.“
Sie lächelt und nimmt meine Hand: „Stimmt, das war es.“