Hallo Apfelstrudel,
eine schöne Momentaufnahme, die viel mehr beinhaltet, als auf den ersten Blick ersichtlich wird. Wie lea schon erwähnt hat, steht das „Warum“ des Sprunges in Beziehung zu dem einzig anderen Menschen in der Schwimmhalle. Auch mir fehlt die Aufklärung dieses „Warum“ überhaupt nicht – ich muss nicht wissen, warum die Protagonistin sich fallen lässt, woher sie den Mut nimmt, sich fallen zu lassen. Sie tut es, und das ist gut. Ein befriedigendes Ende einer kurzen Geschichte.
Ein bisschen Textkram:
Ganz schön hoch hier oben.
Das Wasser unter mir glitzert türkisblau. Ich kann die Kacheln am Grunde des Beckens sehen, klein erscheinen sie von hier oben aus. Keine Wellen trüben die glasklare Oberfläche, niemand schwimmt, die Halle ist leer.
Ich bin mir nicht sicher, ob „türkisblau“ nicht doppelt gemoppelt ist, sozusagen ein weißer Schimmel, denn türkis ist ja bereits blau. Und bei den Wellen würde ich den Singular verwenden. Ich habe mir die Stelle laut vorgelesen und fand, dass „Keine Welle trübt die glasklare Oberfläche, niemand schwimmt, die Halle ist leer“ besser klingt. Ist aber sicherlich Geschmackssache.
Wobei du hier ein wenig schummelst, denn die Halle ist natürlich nicht leer - immerhin steht ja noch jemand am Beckenrand.
Ich löse den Blick von der Fläche unter mir und schaue geradeaus. Eine Fensterwand trennt die kalte Straße von der warmen Schwimmhalle. Es ist dunkel hinter der Scheibe, das Glas ist verspiegelt und verwehrt die Sicht nach draußen.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken.
Mir fällt spontan kein anderes Wort für „Fläche“ ein, aber ich fielen die Doppelungen in diesem kurzen Text auf. Zu Beginn hast du die glasklare Oberfläche und hier die Fläche unter dir. Vielleicht fällt dir ja noch ein Synonym ein. Bei dem Blick zur Fensterwand stimmt meiner Meinung nach die „Kamerafahrt“ nicht. Da die Protagonistin in der Halle steht, fände ich es schöner, wenn die Kamerafahrt auch von innen nach außen verliefe, also „Eine Fensterwand trennt die warme Schwimmhalle von der kalten Straße.“ Wobei du die Wirkung der kalten Straße aufhebst, weil bereits im nächsten Satz darauf hingewiesen wird, dass die Sicht nach draußen verwehrt sei. Ich würde entweder die Sicht wieder freigeben oder in der Halle bleiben und vielleicht nicht die kalte Straße erwähnen sondern nur die kalte Außenwelt (Eine Fensterwand trennt die warme Schwimmhalle von der kalten Welt draußen – oder so ähnlich)
Er steht unten, am Beckenrand, sein hübsches Gesicht zu mir gewandt. Er winkt mir zu.
Ein doppeltes „zu“ auf dieser kurzen Strecke. Fiel mir nur auf. Warum nicht einfach nur: „Er winkt“? Dann könntest du den vorangehenden Satz ändern in: „...sein hübsches Gesicht mir zugewandt“. Das klingt m.M.n. schöner, fließender.
Ich muss lächeln und konzentriere mich wieder auf die abweisende Spiegelfläche zu meinen Füßen.
Und wieder taucht die „Fläche“ auf. Natürlich muss man nicht auf Teufel komm raus nach Synonymen suchen, aber bei einem solch kurzen Text fallen Wortwiederholungen noch leichter auf als bei einem langen Text. Gut fand ich an dieser Stelle die Formulierung „zu meinen Füßen“, mit der du die Wiederholung „unter mir“ vermeidest.
Mein Bauch kribbelt. Vorsichtig schiebe ich meine Zehen über den Rand des Sprungbrettes und lunze noch einmal zu ihm herunter. Sein Blick ist auf mich gerichtet.
Schön, dieses Bauchkribbeln. Auch das Bild der sich langsam nach vorne bewegenden Zehen ist sehr schön. „Lunzen“ kenne ich nicht, kann mir aber vorstellen, was damit gemeint ist. Allerdings lunzt die Protagonistin nicht zu ihm
herunter sondern zu ihm
hinunter.
Mittlerweile ist meine Haut getrocknet. Das Wasser wirkt solide, kalt. Ich atme tief durch, schließe die Augen. Von hier oben sieht es so viel beängstigender aus, als ich vermutet hätte.
Ein Wimmern.
Klasse, wie du mit einem kurzen Satz beschreibst, dass die Protagonistin bereits im Wasser war und nunmehr seit einer kleinen Ewigkeit auf dem Sprungbrett steht. Über das „...sieht es so viel beängstigender aus...“ bin ich gestolpert. Lies es dir mal laut vor. Ich glaube, der Satz wirkt stärker, wenn du „so viel“ streichst.
Dann, ganz langsam, hebe ich die Arme über den Kopf. Zögerlich wippt das Brett unter meinen Füßen auf und ab.
Zögerlich wippt das Brett unter meinen Füßen. Das auf und ab ist gar nicht nötig, stört nur. Meiner Meinung nach.
Warum auch nicht, denke ich und seufze. Jetzt oder nie.
Und ich springe.
Ein starker Schlusspunkt. Kein Wort zuviel. Gefällt mir.
Ich hoffe, du hast jetzt nicht den Eindruck, der Text hätte mir nicht gefallen. Er hat mir sogar sehr gut gefallen. Wobei ich nach dem ersten Lesen spontan das Bild eines ungeschliffenen Diamanten vor Augen hatte. Vielleicht willst du ja noch ein wenig an diesem Diamanten herumfeilen, auf dass er noch mehr glänzt
Gruß
George