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Lebensweg eines Mariachi oder Sechsundvierzig Schicksale
Es war ein sehr vitaler Wanderzoo, der da durch die Lande zog. Offen gesagt glich er mehr einem simplen Zirkus. Es gab Gorillas, die spielten Banjo; Bären tanzten dazu Tango oder kletterten auf Felsen; Katzen, die aus Versehen einmal in chemische Lösungen gefallen waren, ließen sich von einer Maus erschrecken. Das Ensemble bestach in seiner Exotik: es gab Vertreter einer seltenen Flohrasse aus Ost-Timor, tibetische Riesenameisen und viele Tiere, die einmal Prominenten gehört hatten. So gab es die ehemaligen zahmen Singvögel von Heino – Elstern – oder aus Palästina das wollige Schäferl des mittlerweile verstorbenen Arafat Jassir. Wen das noch nicht verwunderte: Anni, die philosophische Ratte, welche ergebenst die Magd des Zoodirektors war und auf ihrem Fell das Wort „Bla“ in eisblauen Buchstaben gedruckt trug, war allemal ein Staunen wert.
Der Zoodirektor pflegte ihr zu sagen: „Ziel ins Gebüsch, Anni!“ – Ballistik und Zielübungen waren ihre große Leidenschaft.
Der Zoodirektor war ein weitgereister Mariachi. Cancun war sein Geburtsort. In jungen Jahren schickte er kaltblütig einen Rivalen über den Jordan, tendierte also eher zur Kriminalität als zur Kunst, und musste aus Mexiko fliehen. Auf den Philippinen gründete er eine Familie. Stressig war das Leben in Manila: Kita nach Dienstschluss, Kinder abholen, zuhause kochen und putzen … zuviel. Ablenkung fand er im Internet. Digicams mit Flash, Bakterienabwehrsysteme, Schweizer Leckerli, Lymphknotenpolster, goldene Damenhandtaschen, Postkarten aus Nagasaki, Radiowecker Marke Milagro, Persil aus Dschibuti: all das ersteigerte er im World Wide Web, Mastercard und Visa stets in Reichweite. Er liebte eBay, rezitierte schon auswendig die AGB. Wolfsgleich machte er Jagd auf Ausgefallenes. Der Fußball hatte es ihm besonders angetan. Seine Leidenschaft für den HSV ging so weit, dass er sich schließlich nach Hamburg absetzte, im Ohr noch die Klänge von „Paint It Black“. Wo odenländische Unternehmer versagten, siegte der Mariachi. Spontan brach er bei Hagenbeck ein, hinterließ ein wahres Chaos (Queen Elizabeth hätte ihn dafür geadelt) und stahl sich so seinen Zoo zusammen. Mit ihm zog er über die Lande gleich einem Phantom, mystisch und leise.
Immer bei sich trug er sein Lieblingsbuch von García Márquez, „El amor en los tiempos del cólera“. Tío Pepe, der spanische Sherry, der illusionistische Glücksszenarien kreierte, war sein treuester Gefährte. Doch gern mochte er auch Jan, den singenden Papagei von Götz George. „Goodnight, moonshadow and moonlight, goodnight, my moon …”
„Ay“, seufzte der Mariachi dann, in Gedanken weit fort. Wann immer er in der Biografie von Natascha (Zarin von Russland) oder in den Werken Herodots las, hatte Jan Musik bereit.
Sein Repertoire reichte von Abba
(„And I dream I’m an eagle“) bis zur ungeliebten Britney Spears („You drive me crazy ..“)
„Jan, ey!“, brachte der Mariachi den Vogel dann zum Schweigen.
Eines Tages erschien Mephisto – nicht als Teufel, sondern als Mafioso. Er hatte eine Flasche dabei: hochprozentiger Magno.
„E bella Italia non ti piace?“, fragte er und hielt dem Mariachi einen Reiseführer hin, erschienen im Verlage Rowolt.
„Och, in Ontario wär ich lieber“, meinte der Mariachi und Mephisto hieb sich wütend in den Finger: eine Kerbe, rosig im Abendlicht schimmernd. Der Mariachi sprach weiter – worauf sich Mephistos Miene noch stärker verfinsterte - : „Willst du mir nicht was zaubern?“
„Ade!“
T-Teleskope fanden später heraus, dass Mephistos wütende Explosion sogar an den Sternen Kratzer hinterlassen hatte.
Der Mariachi aber lebte weiter wie bisher.