Was ist neu

Was nicht tötet, härtet ab.

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06.06.2005
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Was nicht tötet, härtet ab.

„... können Sie mir bitte ...?“
„Einfach der Straße aus dem Ort heraus folgen und eine Weile gerade aus“, sagt die alte Dame auf dem rostbefallenen Hollandrad.
„Alles klar, danke!“, schreie ich sie an.
„Ich bin nicht taub, junger Mann.“
Meine Tasche geschultert, mache ich mich auf den beschriebenen Weg, vorbei an renovierten Fachwerkhäusern, kleinen Läden und dem ganzen Kram, den man in ländlichen Ortschaften so zu sehen bekommt. Für jemanden, der aus der Großstadt kommt ein ungewohntes Bild.
„Was mache ich hier?“

Commis de Quisine:
Wir suchen jungen Koch zur Unterstützung unseres kreativen Teams. Ländlicher Gasthof in idyllischer Lage. Ausschließlich Verarbeitung von Frischware. Gehobene Speisen.
Tolles Betriebsklima. Übertarifliche Bezahlung. Für Unterkunft ist gesorgt.

Das habe ich mir nicht zweimal sagen lassen und gleich die angegebene Nummer gewählt. Mein Vertrag wurde nach der Ausbildung nicht verlängert, also musste was Neues her.

Einen knappen Monat später setzt mich der Landbus am Platz der alten Tränke aus.
„Frag dich durch, Junge“, sagt der Fahrer aufmunternd, „so schwer kann es nicht zu finden sein. Frag die Dame da, mit dem Fahrrad.“
„Danke“, entgegne ich wohlerzogen, Dankbarkeit fühlt sich aber eigentlich anders an. Die Hydraulik schließt die Tür mit dem gewohnten Zischen und sperrt mich aus. Die mich anstarrenden Gesichter verwandeln sich in Streifen, als der Bus seine Fahrt wieder aufnimmt.
„Entschuldigen Sie ...!“

„Was mache ich hier?“
Hinter dichtem Nadelholz taucht ein großer Fachwerkkomplex auf, in dessen Hof an sonnenbeschirmten Tischen fröhlich schwatzende Ausflugsgäste sitzen und auf ihre Speisen warten. „Über mangelndes Geschäft können die sich schon mal nicht beklagen“, schießt es mir durch den Kopf. In meinem Lehrbetrieb war es immer eher ruhig, da wir uns als Tagungshotel inmitten einer Gastronomiemeile, preislich einfach dem Restangebot nicht anpassen konnten, so sagte es zumindest immer mein Chef.

Ich erblicke den Personaleingang, dessen Anziehungskraft sich allerdings noch in Grenzen hält, ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir aber, dass ich bereits spät dran bin.
„Scheiß Bus!“
Ich nähere mich zögerlich der Metalltür und drücke die Luft anhaltend auf den von losen Kabeln umgebenen Klingelknopf.
Das Geschwätz der Gäste schwirrt durch die Sommerluft und macht das, was hinter der Türe abgeht, unhörbar.
Ein Spalt öffnet sich.
„Ja?“
„Äh, Michael Sommer. Ich soll hier heute zur Probe ...!“
Eine Hand greift nach meiner Jacke und zieht mich unsanft in den Eingang. Ich stolpere über meine Tasche, die irgendwie den Weg zwischen meine Beine gefunden hat, und lande auf dem verdreckten Boden, zu Füßen meines Begrüßungskomitees.
„Mach, dass du dich umziehst, der Alte flippt schon aus.“
„Ich ... der Bus.“
„Ja, ja, schon gut, hau rein jetzt!“ Ich ziehe meine Wange von den fettigen Schuhen und blicke hinauf in die Richtung, aus der die Stimme kommt.
Über mir steht ein Typ in Kochuniform, bei dem das Prädikat „übergewichtig“, wie eine dreiste Untertreibung scheint. Neue Worte müssten für diesen Umfang kreiert werden. Worte die etwas zu beschreiben vermögen, das es eigentlich nicht geben kann.
„Wo kann ich mich umziehen?“, frage ich die Unterseite des Bauches und richte mich ächzend auf.
„Geh da die Treppen runter, zweite Tür links.“
„Gunnar, beweg deinen fetten Arsch hierhin!“
„Ich muss, komm gleich einfach wieder hier hoch. Und beeil dich!“
„Ist gut.“

Die Umkleide stellt sich als Trockenlager und Heizungsraum heraus, in dem über dreckige Röhren noch dreckigere Uniformteile und Vorbinder gehängt sind.
Das Ordnungsamt scheint sich nicht die Mühe zu machen, hier herauszufahren.
„Einfach zu weit draußen, der Scheiß.“
Die Etiketten der Konserven wirken vergilbt und sind von einer eigenartig klebenden Schicht umgeben, wie mein sich nur schwer lösender Finger feststellen muss. Aufgerissene Mehlsäcke, Zuckerdosen und anderes durch Feuchtigkeit beschädigtes Zeug verteilt sich über Regale und Boden.
Etwas fliegt mir ins Gesicht, ich schnappe danach.
„Erwischt!“ Zwischen meinen Fingern zappelt ein halb zerdrücktes Insekt.
„Motten, Mann!“ Gedanken schießen mir durch den Kopf, Fluchtpläne um genau zu sein, Ausreden.
„Meine Tante rief gerade an, meinem Onkel geht’s nicht so gut. Ich habe leider gerade Tuberkulose bei mir diagnostiziert. Die Lotto Gesellschaft hat sich gemeldet, sechs Richtige.“ Ich könnte auch einen epileptischen Anfall vortäuschen.
Die Tür wird aufgerissen und da ist er.
„Wie lange brauchst du denn, du Saftsack? Spielst du hier an deinem kleinen Pimmelchen herum? Mach, dass du nach oben kommst, jetzt!“
Das muss er einfach sein. Halbglatze, Dreitagebart, Schweiß läuft über sein rotes Gesicht. Ein Albtraum von einem Chef. Das wird schnell klar.
„Äh, mein Onkel hat sechs Richtige.“ Ich verdrehe zuckend die Augen und schwanke leicht, mein Mund ist aber leider zu trocken, um Speichel über mein Kinn laufen zu lassen.
„Wenn du nicht in dreißig Sekunden oben bist, reiß ich dir deinen schwulen Arsch so weit auf, dass du deinem Blinddarm guten Tag sagen kannst!“
Er ließ die Tür zuknallen und machte sich stampfend auf den Weg, zurück an den Herd.
„Oh Mann!“ Wo bin ich hier hereingeraten?
Ich muss da irgendwie durch. Was nicht tötet, härtet ab, heißt es.
Aber ich glaube, das hier tötet.

Der heiße Dampf, der mir entgegenschlägt, nimmt mir die Atemluft.
„Mach die Scheiße da fertig jetzt, das muss raus, du Arschloch!“
„Wie soll ich ...?“
„Mach!“
„Die Soße darüber jetzt und raus damit!“
Er schlägt wie ein Irrer auf die Klingel.
„Wo bleibt der scheiß Service?“
Die Adern an seinem Hals sehen aus wie implantierte Bohnenranken.
„Service! Wenn die Scheiße hier kalt wird, mach ich euch alle!“
Ein hagerer Typ kommt durch die Schwingtür getrant.
„Is ja jut, Cheffe, det dauert halt!“
„Was sagst du Arsch?“
Er zieht den Hilfskellner über den Pass und drückt sein Gesicht gegen die Heizstäbe, bis es dampft.
„Hast noch was zu melden, du Sau? Hier sag ich, was abgeht! Ist das klar?“
„Was soll ich machen, Chef?“ Meine Stimme klingt irgendwie seltsam kindlich. Scheinbar bin ich ein Kind. Ein komisches Kind, das hier herumsteht und nicht weiß, was es zu tun hat. Vielleicht will ich ein Eis.
„Halts Maul und geh auf den Gardemanger! Die Bons liegen da!“
Wie soll ich denn bitte in dem Rauch den Gardemanger finden? Das Jammern des Kellners dringt mühsam durch den restlichen Lärm. Die Haut an seiner Wange löst sich wie nasse Tapete.
„Bring die Scheiße raus! Wo sind die anderen?“ Wieder lässt er eine Salve Schläge auf die Klingel niederrasseln.
„Ich habe hier den Siebener, die Gruppe und die zwei Menüsuppen, wenn das Zeug nicht in spätestens einer Minute draußen ist, zieh ich euch das vom Gehalt ab.“
Die Tür öffnet sich.
„Bon neu!“ Eine Kellnerin, fast so dick wie der Koch von vorhin.
„Was?“
„Die wollen statt der Herzoginnen lieber Kartoffelpüree.“
„Hier gibt’s keine Extrawünsche!“
„Das sind Stammgäste.“
„Mir doch egal, die sollen sich verpissen!“
Ich habe meinen Posten in der Zwischenzeit entdeckt. In der hintersten Ecke der Küche, eine Salatiere mit vielen Einsätzen, gefüllt mit Salat, Gemüsen und Dressings. Ein etwa fünfzigjähriger, indisch aussehender Kollege scheint den Tränen nahe und versucht eine Reihe von ungefähr zwanzig Tellern mit verschiedenen Salaten zu bestücken. An einer Leiste über der Theke stapeln sich Bons, teilweise von der Bedienung mit Wünschen versehen.
„Die Salate!“
„Bon neu!“
Der Fette scheint für die Beilagen zuständig zu sein. In dicken Tropfen perlt der Schweiß über sein prall gefülltes Gesicht.
„Die Gruppe kann!“
„Du musst die Salate machen, ich muss spülen“, sagt der Inder zu mir und schafft es kaum das Zittern in seiner Stimme zu verbergen.
„Wo bleiben die scheiß Salate?“
„Ja Moment!“, rufe ich kleinlaut, aber hörbar.
„Du musst mir zeigen, wie.“
„Keine Zeit“, zischt die Küchenhilfe und eilt in die Spülecke, in der sich Teller, Töpfe, Tassen und allerlei anderes Zeug in allen Gesetzen der Statik widersprechenden Türme häufen.
„Was heißt hier Moment? Ich brauche die Salate hier, aber prompt!“
„Bon neu!“
„Ja, Chef!“
Ich fange an, die vorbereiteten Gemüse und Salate auf die Teller zu verteilen und sie mit Dressing zu übergießen.
„Gardemanger, zwei Carpaccio, zwei Tomate–Mozzarella, vier Salat Schafskäse neu!“
„Bon neu!“
„Noch zwei Bouquets für Bauernfrühstück dazu!“
Der Überdimensionale kommt zu mir gerannt, greift sich ein paar fertig aussehende Salatteller und eilt, damit so gut er, kann zum Pass.
„Bring die Salate raus, Freddy“, sagt er zu dem Kellner mit verbrannter Wange, der sich mittlerweile einen Beutel mit Eis organisiert hat, um die Wunde zu kühlen.
Die Tür geht auf.
„Die Gäste von Tisch zehn fragen, wo ihr Essen bleibt.“
Die Tür geht zu.
„Wenn die Tür noch einmal zu geht, ohne dass dieses scheiß Essen hier weg ist, schließen wir den Laden!“
Die Tür geht auf.
„Bon neu!“
Ein Kreischen füllt den Raum, als würde ein Schwein geschlachtet. Begleitet wird es von berstendem Porzellan.
Ich blicke mich, den Ursprung suchend, um. Was ich sehe, gefällt mir nicht.
Der Chef hat anscheinend die Teller unter der Wärmebrücke nach der Kellnerin geworfen und sie zumindest mit den Suppentassen am Kopf getroffen. Die heiße Brühe läuft ihr vermischt mit Blut am Kopf herunter, doch das Fett bleibt und brennt sich fest. Ihr Kreischen wird lauter, als sie merkt, wie sich ihr Gesicht aufzulösen scheint und den Weg freimacht für Hautschichten, die eigentlich noch lange nicht dran sind.
Keiner rührt sich. Der Schreck sitzt tief. Zu tief um etwas zu unternehmen?
Auf dem Herd verbrennen Steaks.
Die Tür geht auf.
„Was ist hier ...?“ Ein Mann in Anzug eilt auf die Serviererin zu, die mittlerweile auf die Knie gesackt ist.
„Was ist passiert?“
„Ich ... äh, nichts“, antwortet der Chef nun zögernd und blickt sich nach mir um.
„Der ...“
„Nee, nee”, erwidere ich.
„Rufen Sie einen Krankenwagen, Dermsky, aber schnell!“ Der Chef eilt fort.
„Machen Sie Tücher nass und bringen Sie sie her!“, fordert er den Dicken auf, der auch gleich zur Tat schreitet. Von der Frau ist nur noch ein Stöhnen zu hören.

Ich nutze die Gelegenheit und eile unbemerkt in die Kammer, um meine Sachen zu holen. Unterwegs sehe ich Dermsky hektisch telefonieren.
„... das muss schnell gehen. Schicken Sie den scheiß Krankenwagen!“
Ich presse meine Sachen in die Tasche und mache mich auf den Weg zum Ausgang.
Der Chef bemerkt mich, wie ich die Treppen hinauf renne, und schreit noch hinter mir her:
„Können wir mit dir rechnen, Pimmelchen?“
„Ich melde mich!“ Und draußen bin ich, die Tür schnappt zu.
Ich eile vorbei an den fröhlich plaudernden Reisegruppen an den immer noch leeren Tischen, vorbei an den Kräuterbeeten und Komposthaufen.
An der Straße angekommen blicke ich mich noch einmal um.
„Ihr kriegt nichts mit, von dem was da drin los ist.“ Das ist wohl auch gut so.

Ich erwische den Bus zur vollen Stunde, lasse mich auf den Fenstersitz fallen und verstaue die Tasche zwischen meinen Beinen. Als wir uns in Bewegung setzen, bemerke ich die alte Dame mit dem Fahrrad und winke. Sie winkt lächelnd zurück.
„Nett“, sage ich laut, was glücklicherweise keiner mitbekommt, da gerade ein Martinshorn um die Ecke heult.
„Und, haben Sie lecker gekocht?“, fragt mich der Busfahrer, dem meine Montur natürlich nicht entgangen ist.
„Ja, geht schon. War aber nichts für mich.“
„Ist schon nicht ohne, der Beruf, was?“
„Jo.“
„Aber, Sie wissen ja: Was nicht tötet ...“
„Ach, halt's Maul!“

 

Nabend Mr Mirror,

Danke erstmal für deinen Respekt. Ich frage mich irgendwie, was du mit "ich hoffe, dass du bei der Arbeit nicht so bist" meinst. So wie wer oder was? Wie die Geschichte, oder wie die Gäste, die draußen am Tisch sitzen? So wie du, oder ich?

Dann überleg dir auch mal, zu was für Fehlinterpretationen die Formulierung "Wie du mir ja gesagt hast" einläd, hä ...!

Und wie zum Henker, kommt dieser Fehler

einen eileptischen Anfall vortäuschen
in das Zitat.

Mann, Mann, Mann ...!

Du musst noch etwas an der Genauigkeit deiner Aussagen feilen. Aber da bist du ja dran, nech.

Aber nichtsdestotrotz, find ichs natürlich nett, dass du was zu dem Teil gesagt hast.

Bis bald
krilliam Bolderson

 

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