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Präsens oder Präteritum?

Seniors
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20.12.2002
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Präsens oder Präteritum?

Hallo Leute,

beschäftigt euch diese Frage auch? Ich habe schon Geschichten im Präsens und im Präteritum geschrieben, aber bei mir da steckt ehrlich gesagt keine wirkliche Logik dahinter. Ich mach das irgendwie nach Gefühl. Bisher klappt das ( zumindest hat sich von eurer Seite noch niemand darüber beklagt), aber gibt es da irgendwelche Leitsätze? Vorteile, Nachteile? Ist es schlichtweg egal?

Und inwiefern darf man ins Präsens rutschen, wenn man im Vergangenheit erzählt, und dann eine Allgemeinheit ausspricht, bzw. aus dem erzählerischen Rahmen bricht?

zb.

Was für eitle Spießer! Was machte ich hier? Was hatte ich vor? Wir waren doch nur ins Balett gegangen, weil Balettt jetzt in war und auf einmal ganz schick und nobel und toll sein sollte. Und vielleicht stimmte das sogar, vielleicht ist Ballett wirklich ganz toll, doch deswegen waren wir nicht hier. Wir waren wegen Natalie Portman hergekommen, weil wir nicht genug von der sexuellen Energie gesehen hatten, die durch ihren Film zieht.

Muss ich da "zog" schreiben?

Und wenn ich gerade dabei bin... Darf ich in einer Kurzgeschichte überhaupt Portman und ihren Film erwähnen? Oder ist das gleich irgendeine Rechtsverletzung, sollte sich wer darüber beschweren?

 

Was für eitle Spießer! Was machte ich hier? Was hatte ich vor? Wir waren doch nur ins Balett gegangen, weil Balettt jetzt in war und auf einmal ganz schick und nobel und toll sein sollte. Und vielleicht stimmte das sogar, vielleicht ist Ballett wirklich ganz toll, doch deswegen waren wir nicht hier. Wir waren wegen Natalie Portman hergekommen, weil wir nicht genug von der sexuellen Energie gesehen hatten, die durch ihren Film zieht.
Ist und zieht sind mMn richtig, weil sie sich auf Dinge beziehen (Ballett und Film), die noch andauern.

Und wenn ich gerade dabei bin... Darf ich in einer Kurzgeschichte überhaupt Portman und ihren Film erwähnen? Oder ist das gleich irgendeine Rechtsverletzung, sollte sich wer darüber beschweren?
In fiktiven Geschichten – und das sind bei uns alle – kann man mehr schreiben als Journalisten in den Zeitungen etc. sagen dürfen.

 

Was ich bei Deiner Fragestellung bissken vermiss,

lieber Juju,

ist die nach dem Konjunktiv (genauer: den Konjunktiven), aber vielleicht küddet ja noch’.

Wesentliches hat Dion schon gesagt. Ich klemm mal noch’n bissken vor allem von'r Dudenredaktion hinterher, und da wir über die „geschriebene“ Sprache reden, geht’s hiermit los:

Das Präteritum wird immer mehr zum Tempus geschriebener Sprache, vermerkt die Dudenredaktion. Vor allem in den Regionen südlich der Linie Trier - Frankfurt – Plauen wär’s im Gesprochenen nicht mehr vorhanden: Da hier Präteritum und Plusquamperfekt seit dem 16./17.Jh. geschwunden seien, wäre der Sprecher in diesen Gebieten auf das Perfekt als Vergangenheitstempus angewiesen. – Du siehst, dass ich - wie nebenbei - den Konjunktiv wähle a) idR für die indirekte Rede Konj. I und b), wo ich bezweifel, dass etwa das Präteritum in der gesprochenen Sprache ausgestorben sein soll, dass Konj. II – wobei ich, soweit als möglich, umgangssprachliche Konstruktionen mit „würde“ vermeide, bedeutet doch das engl. „would“ mehr als unser „würde“, was Du besser weißt als ich armer Klugscheißer.

Das Präteritum (Vergangenheit, Imperfekt) drücke aus, dass ein Sachverhalt vom Standpunkt des Sprechers / Schreibenden aus in der Vergangenheit oder in anderer Weise entfernt liege und in diesem Sinn nicht direkt auf die Sprechzeit bezogen sei. Mit dem Präteritum versetze man sich in die erzählte Zeit hinein; es signalisiere Distanz zur Sprechsituation. Daher sei das Präteritum das Haupttempus in allen schriftlichen Erzählungen und Berichten, die von einem erdachten oder wirklichen Geschehen handeln.
Das Präsens hingegen habe einen unspezifischen Zeitbezug. Häufig drücke es aus. dass ein Vorgang vom Standpunkt des Sprechers aus gesehen schon oder noch abläuft, der entsprechende Sachverhalt die Sprechzeit einschließe.
Es stehe aber auch in Aussagen mit allgemeingültigen Inhalten. (Beispiel: Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.)

Wo beide Tempora vorhanden seien, sei Perfekt mit und Präteritum ohne Gegenwartsbezug zu unterscheiden.
Man sollte also nicht schreiben: Den Umschlag zeichnete x, wenn der bezeichnete Sachverhalt auf den Standpunkt des Sprechers bezogen und für ihn wichtig wäre, sondern: Den Umschlag hat x gezeichnet.
Auch kann man in einer Anzeige nicht schreiben „Ich eröffnete gestern mein neues Geschäft in der Schillerstraße“, weil ja nicht ein völlig in der Vergangenheit liegendes, abgeschlossenes und von der Gegenwart losgelöstes Geschehen mitgeteilt werden soll, sondern ein Ereignis, das weiterhin von Wichtigkeit sei; daher: „Ich habe gestern mein
neues Geschäft in der Schillerstraße eröffnet.“

Nur bei einigen wenigen Verben werde das Präteritum oft dem Perfekt vorgezogen, wenn damit sehr komplizierte mehrteilige Prädikate vermieden werden können. Man sage oft, ohne dass der Tempuswechsel vom Perfekt ins Präteritum störend wirke, war / hatte / musste / konnte statt bin gewesen / habe gehabt etc. (Beispiel: .,. Ich habe noch nicht angerufen, weil ich noch so viel zu tun hatte und nicht abschätzen konnte, wie lange ich brauchte [alternativ mit Perfekt: ...weil ich noch so viel zu tun gehabt habe und nicht habe abschätzen können ...]). Du siehst vielleicht, dass es im Deutschen eine feste Zeitenfolge im Allgemeinen nicht gibt (unter der Zeitenfolge [Consecutio Temporum] versteht man das Verhältnis der Tempora in einem Satz, der mehrere Teilsätze enthält.)

Gleichwohl:
Am „handlichsten“ wirkt allemal das Präsens - was Du bestimmt schon geahnt hast.

Das sogenannte historische Präsens (Praesens historicum) stehe anstelle des Präteritums; es diene dazu, eine Situation oder ein Geschehen besonders lebendig darzustellen: Da lieg ich doch gestern auf der Couch, kommt Inge leise ins Zimmer und gibt mir einen ... (anstelle von: Ich lag …, als Inge hereinkam und ... gab).

Zudem vermags Präsens in Verbindung mit (künftigen) Zeitangaben das Futur I zu ersetzen (Beispiele: X kommt morgen [statt: X wird morgen kommen]/ X bleibt bis 2020). Analog kanns Futur II (Bis morgen wird x sich die Sache überlegt haben) durchs Perfekt ersetzt werden (Bis morgen hat x sich die Sache überlegt). In beiden Varianten ist die Umgangssprache „ökonomischer“ als die korrekte Konstriktion – im Gegensatz zur würde-Konstruktion im Konjunktiv …

Ich hoff, die kleine Darstellung konnte ein wenig behilflich sein.

So viel oder wenig für heute

Friedel

 
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Huhu!

Zum Präteritum hat ja Friedel schon was gesagt. Es ist die Erzählzeit, die in Geschichten verwendet wird, und keine Vergangenheit.

Das hier klingt für mich schräg:

Was für eitle Spießer! Was machte ich hier? Was hatte ich vor? Wir waren doch nur ins Balett gegangen, weil Balettt jetzt in war und auf einmal ganz schick und nobel und toll sein sollte. Und vielleicht stimmte das sogar, vielleicht ist Ballett wirklich ganz toll, doch deswegen waren wir nicht hier. Wir waren wegen Natalie Portman hergekommen, weil wir nicht genug von der sexuellen Energie gesehen hatten, die durch ihren Film zieht.

Ich würde da "war" und "zog" reinsetzen. Wozu Präsens im Erzähltext? Braucht man nicht, irritiert meiner Meinung nach nur.

Hab gerade bisschen gegoogelt: Hier steht Genaueres:

http://www.belleslettres.eu/artikel/prateritum-imperfekt-perfekt.php

Edit:

Und hier:

Wir waren doch nur ins Balett gegangen, weil Balettt jetzt in war und auf einmal ganz schick und nobel und toll sein sollte.

Da könnte man Friedels Konjunktiv brauchen. ;)

 
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Hallo Dion, Friedrichard,

Vielen Dank für die Infos! Wirklich sehr hilfreich.
Was ich aber noch vermisse, und worauf ich eigentlich mit diesem Thread hinauswollte, ist eure persönliche Meinung zu den verschiedenen Zeiten.

zum Beispiel hat Joblack als Antwort auf Quinns Geschichte Bettprobleme geschrieben:

Ich bin ganz stark dafür, dass diese Geschichte hier in Präsent erzählt werden sollte. ICh wei´ß, dass du kein Fan davon bist, weils dann eher nach Bericht klingt als Geschichte. Aber der Meinung bin ich nicht, es gibt Geschichten, die in Präsens erzählt werden sollte, weils einfach stärker klingt. Weil das hier und jetzt spielen könnte.

Und da hat er geantwortet:

Ich hab nichts gegen Präsens, nur in Verbindung mit der 3. Person finde ich das nicht gut.
Die Geschichte hier sollte nicht so direkt erzählt sein, wie sich einige das wünschen und wie ich es auch manchmal bevorzuge. Ich hatte hier tatsächlich eine Distanz zum Erzählgegenstand in der Absicht, ich wollte überhaupt die Geschichte von „weiter weg“ erzählen, ein wenig anachronistisch. Also sie sollte eben nicht im „hier und jetzt“ spielen.

Nun, da gibt es wohl kein richtig und falsch, ist halt eine Stilfrage. Aber was meint ihr dazu? Ich fange halt manchmal an zu schreiben, und dann denke ich mir: hmmm… also in Präsens würde das auch nicht schlecht (besser?) klingen. Und schon lese ich mir das Ganze auf Präsens vor, und dann frage ich mich, ob das Präsens später Probleme macht, bzw. nervig wird, oder mir vielleicht doch viel mehr Freiheiten lässt, und anstatt zu schreiben, denke ich dann nur noch über Zeiten nach, was ja auch nicht Sinn der Sache ist.


Gut, wahrscheinlich ist eine langweilige Szene so oder so langweilig, und eine spannende so oder so spannend, und von dem her ist es relativ, aber mich beschäftigt trotzdem warum genau Joblacks' Mädchen die von Männern träumen vom Gefühl irgendwie im Präsens sein muss, aber Hals Sich dem Kern nähern, meiner Meinung nach auch in der Vergangenheit einen Haufen Lob bekommen hätte.
Nur musste man dann halt solche Stellen im Präsens lassen, bzw. ganz weglassen(?)
(ich hab den Anfang in die Vergangenheit gesetzt):

Es schien, als hätten wir uns beide stillschweigend dafür entschieden, die Krankheit als das zu sehen, was sie war - eine Krankheit.
Es gibt zwei Wege, mit Krankheiten umzugehen: Entweder man verteufelt und dämonisiert sie, erhebt sie zu einer Person – zu einer Persönlichkeit, rückt die Krankheit in das Zentrum, definiert alles über sie. Gefühle, Gedanken, Handlungen sind entweder Futter oder Gift, ernähren oder töten sie. Sie wird zum Lebensmittelpunkt, zur Religion und das Krankenhaus zur Kirche. Mit der Zeit, mit dem Fortschreiten der Krankheit entwickelt sich ein immer skurriler werdender Aberglaube, aus dem sich die Hoffnung speist. Der andere Weg ist, sie zur Kenntnis zu nehmen und ihr möglichst aus dem Weg zu gehen, nicht an sie zu denken – ihr keinen Platz in der ersten Reihe anzubieten - und sie nicht größer zu machen, als sie sowieso schon ist.

Genau darauf zielte nämlich auch meine zweite Frage ab, inwiefern kann/soll man ins Präsens rutschen? Ich kann mir diese Stelle nämlich nicht im Präteritum erzählt vorstellen, bzw. ich kanns schon, aber da ist die Wirkung ganz anders, finde ich. Er unterbricht hier die Erzählung, um vor uns hinzuphilosphieren. Aber in der Vergangenheit erzählt würde das aber alles nach Fakt klingen, und weniger nach seiner Meinung, was es aber glaub soll.
Ist das dann ein Vorteil des Präsens, dass ein Erzähler jederzeit spontan die Geschichte unterbrechen kann, um seine Philosophie über uns zu gießen, oder ist das tatsächlich in der Vergangenheit genauso möglich, wenn man einfach die Zeit wechselt?

z.B.

Die Hippiefrau den mit langen blonden Haaren reichte mir das LSD Plättchen und lächelte.
Es gibt zwei Arten von Männern auf dieser Welt. Es gibt solche, die alles für eine hübsche Blondine machen, und dann gibt es solche, die wirklcih alles für eine hübsche Blondine machen.
Ich gehörte zur zweiten Gruppe.

Oder muss das so heißen:
Die Hippiefrau den mit langen blonden Haaren reichte mir das LSD Plättchen und lächelte.
Es gab zwei Arten von Männern auf dieser Welt. Es gab solche, die alles für eine hübsche Blondine machten, und dann gab es solche, die wirklich alles für eine hübsche Blondine machen.
Ich gehörte zur zweiten Gruppe.

Für mich klingt "gab" irgendwie strange … es gibt solche Männer doch immer noch!

Soviel von mir. Würde mich sehr über Feedback freuen.


In fiktiven Geschichten – und das sind bei uns alle – kann man mehr schreiben als Journalisten in den Zeitungen etc. sagen dürfen.

Cool! Ich habe da immer ein wenig Angst. Mein Prot. darf also Star Wars Fan sein, Adidas scheisse finden, hin und wieder Darth Vader zitieren und sich in einer Bar betrinken, während Michael Jackson im Hintergrund läuft?

Vielen Dank,

JuJu

 

Wirklich? Ich habe da immer ein wenig Angst. Mein Prot. darf also Star Wars Fan sein, Adidas scheisse finden, hin wieder Darth Vader zitieren und sich in einer Bar betrinken während Michael Jackson im Hintergrund läuft?
Jau, das ist ja das schöne an der Fiktion. Da kann man sich so richtig austoben, bis man einen Namen hat, dann kommt die Sache mit dem bezahlten Productplacement ins Spiel und ab da wird's moralisch, wie juristisch heikel.

Aber natürlich frage ich mich als Leser schon, warum dein Star dann ausgerechnet adidas Scheisse findet und nicht Puma, oder asics, usw. :D

 
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Das ist nicht so einfach. Das Tempus in der Literatur ist kein Thema der Grammatik, sondern eins der Erzähltheorie.
Käte Hamburger, episches Präteritum. Friedrichard hat auch das Vergangenheits-Präsens erwähnt - "Und da sitz ich so und denk mir nichts Böses und ZACK - Herzkaschper!".
Man sieht: Die Wahl der richtigen Zeit hat nichts mit dem zu tun, was man mal in der Schule gelernt hat, mit abgeschlossen und andauernd und so ...

In der Erzähltheorie fällt die Wahl der Zeitform in die "Erzähler"-Charakterisierung.
Personale Erzähler erzählen im Präsens, als diktieren sie was sie erleben in ein Diktafon. Die wissen also auf der ersten Seite noch nicht, was auf der letzten passiert. Und können durchaus jederzeit draufgehen. Bei der Art des Erzählens, gerade in der 1. Person, finden sich dann oft Parallelen zwischen dem Erzählgegenstand und dem Timbre des Erzählers (Rollenprosa ist da so ein Stichwort, wenn man das internet-google-mäßig vertiefen will).
Auktoriale Erzähler (Und die gibt es auch in der 1. Person Singular) erzählen im Präteritum, als schrieben sie ihre Memoiren - oder die von jemand anderem. Die wissen also auf der ersten Seite, was auf der letzten passiert. Und wenn die sterben ist das immer äußerst ärgerlich, deshalb wechseln Spannungstexte gerne auf den letzten Metern noch ins Präsens, um ein Ableben des Erzählers möglich zu machen (Hier endet meine Aufzeichnung! Nun höre ich den Tod an meine Türe klopfen!).
Der "neutrale" Erzähler ist übrigens seit 80 Jahren tot. Und sogar als er gelebt hat, hat ihn keiner gemocht außer Dashiell Hammett. :)

Generell ist die Literatur frei und es ist nichts vorgeschrieben. Die "Standard"-Erzählform für literarische Werke ist 3. Person-Singular+Präteritum mit einem nicht näher charakterisierten Erzähler, der einer Hauptfigur über die Schulter schaut (ich glaub ... die Richtlinien sind da so, mehr als 40, 50%) und ab und an noch Nebenfiguren. Das ist das, was man erwartet, wenn man aus dem Krabbeltisch ein Buch zieht. Und was man in den meisten Fällen auch bekommt. Machen wir uns nichts vor: Die Agentur- und Verlagsliteratur ist standardisiert.

Je ... höher der Anspruch eines Buches ist, also, sagen wir, je eher es im Feuilleton besprochen wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass von diesem Erzählrahmen abgewichen wird.

Und wenn wir da schon sind, dann ist man dicht bei der Gestaltung von Erzählfiguren (Ich erzähle euch, wie es einem Freund von mir ergangen ist, und ab und an stolpere ich auch mal durchs Bild!) oder bei fiktiv-realistischen Erzählrahmen (Ich habe das Tagebuch von ihm gefunden, das sind seine Aufzeichnungen!) - das ist ein spannendes, umfangreiches Thema, das man kaum in einem Forum-Post behandeln kann.

Es ist generell zu beachten: Wenn man mit den Gewohnheiten des Lesers bricht, wär's nicht schlecht, wenn man einen guten Grund dafür hat. Also wenn man weiß, was man tut. Präteritum+3. Person kann man nichts falsch machen.
Ich-Erzähler+Präsens birgt schon einige Risiken, wobei das über eine kurze Strecke auch anders wirkt als auf Romanlänge.

 

Gut, wahrscheinlich ist eine langweilige Szene so oder so langweilig, und eine spannende so oder so spannend, und von dem her ist es relativ, aber mich beschäftigt trotzdem warum genau Joblacks' Mädchen die von Männern träumen vom Gefühl irgendwie im Präsens sein muss, aber Hals Sich dem Kern nähern, meiner Meinung nach auch in der Vergangenheit einen Haufen Lob bekommen hätte.
Ist lustig, du hast das gefragt, während ich schon geschrieben hab. Und die Antwort ist tatsächlich: Jos Erzählerin ist personal, Hals Erzähler auktorial.
So einfach geht's. :)

 
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Hallo Quinn,

Ich glaube wir kommen der Sache auf jeden Fall näher. Sowohl Jos als auch Hals Erzähler sind in der 1. Person Präsens …
Aber Hals ist Auktorioal, und Jos Personal.
Und zwar deswegen, weil Jos Erzählerin nicht weiß, wie die Story ausgeht. Das leuchtet bei mir ein. Man kann sich das quasi so vorstellen, dass Jos fiktive Erzählerin sich zwischendurch immer wieder an ihren Schreibtisch setzt, während die Geschichte sich weiterentwickelt. (Deswegen wechseln dann manche Autoren von einem Kapitel zum nächsten plötzlich die Zeit, und es heißt plötzlich: "Gestern habe ich wieder mit Marla geschlafen", wo doch die ganze Zeit im Präsens erzählt wurde.)
Wobei auktorial und personal auch Begriffe für die 3. Person sind, und es da glaube ich nicht ganz so einfach ist… und wenn ich mich nicht irre, wechseln Autoren doch auch zwischen diesen beiden manchmal…
Da ist die Perspektive in der 1. Person doch eigentlich am einfachsten, oder nicht? Man erzählt immer nur aus den Augen einer einzigen Person. Da will man nicht plötzlich die Gedanken von zwei Charakteren gleichzeitig aufs Blatt zu bringen. (was bei auktorial geht, und bei personal nicht, wenn das, was ich gerade nachgegoggelt habe, stimmt)


Präteritum+3. Person kann man nichts falsch machen.
Ich-Erzähler+Präsens birgt schon einige Risiken, wobei das über eine kurze Strecke auch anders wirkt als auf Romanlänge.

Und was ist mit dem 1. Person Präteritum? Das ist was mich grad persönlich beschäftigt.
Würde mich freuen, wenn du noch auf die Beispiele eingehen könntest, die ich oben gebracht habe – Dion und Yours sind sich schon mal uneinig –
Zum Kontext: Mein Erzähler ist laut deiner Definition glaub auktorial, weil er die abgeschlossene Geschichte schon kennt.
Ich neige nämlich auch dazu, ähnlich wie Hal von der Geschichte wegzugehen auf einmal philosophieren zu wollen, bzw. den Leser direkt anzusprechen (ob irgend jemand diese Stellen lesen will, ist ein anderes Thema), und dann habe ich glaub ein problem, wenn ich im Präteritum bin, bzw. dort bleibe.

Wie hier:

Die Hippiefrau den mit langen blonden Haaren reichte mir das LSD Plättchen und lächelte.
Ich zögerte.
Es gibt zwei Arten von Männern auf dieser Welt. Es gibt solche, die alles für eine hübsche Blondine machen, und dann gibt es solche, die wirklich alles für eine hübsche Blondine machen.
Ich gehörte zur zweiten Gruppe.

Wie mache ist das in der 1. Person Präteritum? Und wie hätte es Hal erst hingekriegt?
Oder ist das so gar kein Problem? Künstlerische Freiheit, wenn man so will…

Hier ein weiteres Beispiel, das mich nicht loslässt:

Er setzte sich hin, nahm einen langen Schluck Bier und grinste. Nein, das war kein Hardrocker, eher einer dieser Geisteswissenschaftler, die sich für intellektuell und gesellschaftskritisch halten, im Grunde aber nur Ausreden suchen, um ein Leben lang saufen, kiffen und meckern zu können. Was er hier an der Uni Ulm wollte, einer rein naturwissenschaftlichen Uni, konnte ich mir kaum vorstellen.

muss das etwa hielten und suchten heißen?

mfG,

JuJu

 
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Wie mache ist das in der 1. Person Präteritum? Und wie hätte es Hal erst hingekriegt?
Oder ist das so gar kein Problem? Künstlerische Freiheit, wenn man so will…
Genau so ist es. Es ist kein Problem.
Einfach im Präteritum weitererzählen.

(Deswegen wechseln dann manche Autoren von einem Kapitel zum nächsten plötzlich die Zeit, und es heißt plötzlich: "Gestern habe ich wieder mit Marla geschlafen", wo doch die ganze Zeit im Präsens erzählt wurde.)
Nein, da wechselt der Autor nicht tatsächlich die Zeit. Sondern er spult nur einen Tag vor und lässt den Erzähler dann sagen, was gestern war (und das geschieht natürlich im Perfekt, weil man vom Präsens ins Perfekt zurückgeht, wie wie es aus der gesprochenen Sprache kennen). Das ist aber keine Änderung in der Erzählsituation. Der Erzähler hatte dann nur einen Abend sein Diktiergerät nicht dabei und bringt den Leser am nächsten Tag auf den neuesten Stand.

Wobei auktorial und personal auch Begriffe für die 3. Person sind, und es da glaube ich nicht ganz so einfach ist… und wenn ich mich nicht irre, wechseln Autoren doch auch zwischen diesen beiden manchmal…
Man kann da nicht zurückwechseln. Wenn ein Erzähler erstmal auktorial ist, ist er auktorial. Es geht bei mehreren Perspektiven dann auch darum, durchzuhalten, was jede der einzelnen Perspektiven weiß. Man kann auch aus zehn verschiedenen Figuren und deren Perspektiven erzählen und dabei personal bleiben. Dann sollte ich aber jedesmal die Perspektive korrekt wechseln (und die wechseln nur im Kapitel-Rhytmus).

Wenn in einer Szene 4 Figuren auftauchen und der Erzähler von jedem definitiv weiß, was er denkt und fühlt, ist das der auktoriale (allwissende) Erzähler, der seit dem 2. Weltkrieg auf dem absteigenden Ast ist, weil das der Gott in seiner Geschichte ist und man ethisch nicht mehr davon ausgeht, dass das heute noch angebracht ist.
Wenn in einer Szene 4 Figuren auftauchen und der Erzähler sieht durch den Augen von einem und gibt Mutmaßungen aus dessen Perspektive darüber ab, was die anderen denken, dann ist das ein personaler Erzähler. Der kann, nach dieser Szene, in eine der anderen Figuren "hineingehen" und aus deren Sicht weitererzählen. Das ist alles noch personal.
Und wenn ich jetzt einen Erzähler habe, der diese Szene mit den 4 Figuren, immer wieder durchbricht und sagt, den habe er später noch einmal kennengelernt und erfahren, wie er sich da gefühlt habe, und den anderen habe er auch nochmal gesehen, der sei bei einem Friseur an einem Herzinfarkt gestorben, dann haben wir auch einen auktorialen (allerdings modernen) Erzähler, der zwar mehr weiß, als er im Moment, in der die Szene spielt, wissen konnte, aber NICHT Gott ist, nicht allwissend.

Da ist die Perspektive in der 1. Person doch eigentlich am einfachsten, oder nicht? Man erzählt immer nur aus den Augen einer einzigen Person.
Nein, weil in der Perspektive der 1. Person muss sich die Handlung eigentlich auf die Erzählstimme abfärben, wenn man es authentisch machen will. Und man hat Schwierigkeiten in der 1. Person, weil es oft wie Prahlerei wirkt, wenn einer nur von sich redet, dann muss man schauen, dass man möglichst viel von anderen und von Dingen erzählt.
Diese ganzen furchtbaren Geschichten, die nur von den Gefühlen und Befindlichkeiten und Eindrücken des Ich-Erzählers handeln, kennen wir alle zur Genüge. Die haben oft nur 3 Seiten und trotzdem hängt uns das "Ich" da zum Hals raus.
Die einfachste Konstruktion ist 3. Person+Präteritum und man beschränkt sich selbst nur auf das Wissen dieser einen Figur. Man schaut nur ihr immer über die Schulter.
Diesees 3.Person+Präteritum ist ein literarisch "unechtes" Konstrukt, das ist ein Gemogele, mit einem "Erzähler", der nie in Erscheinung tritt, und von dem keiner weiß, wer er ist, weil es die Literaturwissenschaft verbietet, dass es der Autor ist.
Wer erzählt denn das Lied von Eis und Feuer?
Wer erzählt denn Stephen Kings "ES"?
Wer erzählt "den Schwarm" und wer diese Dan Brown-Bücher?
So eine Erzählkonstruktion halt, so ein gentleman's agreement zwischen Leser und Autor, dass da irgendjemand eben erzählen muss, irgendjemand ist der Stellvertreter des Lesers in der Geschichte und sorgt dafür, dass der Leser immer an den richtigen Stellen in die Handlung einsteigt und alles Spannende sieht und auch die Gedanken der Figuren hört, die gerade im Fokus sind, und dafür fragt der Leser gefälligst nicht, wer da erzählt. (Die Frage stellen wir uns heute ohnehin immer weniger, weil Fragen der Erzählkonstruktion im Film und Fernsehen z.B. keinen - oder ... fast keinen - interessieren; es ist für uns ganz normal, dass wir alles sehen, ohne uns zu fragen, wer da eigentlich erzählt. Wer erzählt denn "Die Simpsons"? ...)

Literarisch-Korrekt ist das eben nicht.
Der Zauberberg von Mann wird von einem Erzähler erzählt, der sich auf der 2. Seite schon über den Protagonisten lustig macht.
Die Wolf Haas Bücher über den Kommisar Brenner werden von so einem Arsch am Tresen erzählt (ich glaube: ein Band, den ich leider nicht kenne, beschäftigt sich dann explizit damit, wer der Erzähler bei den Brenner-Büchern eigentlich ist).
Moby Dick wird von Ishmael erzählt.
Jakob, der Lügner, nicht von Jakob, sondern von einem Mitinsassen.
Genau wie Sherlock Holmes nicht von Sherlock Holmes erzählt wird, sondern von Dr. Watson.

Das sind "echte" Erzählkonstruktionen, und Erzählfiguren. Die kann man anfassen.

 
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Die Hippiefrau den mit langen blonden Haaren reichte mir das LSD Plättchen und lächelte.
Ich zögerte.
Es gibt zwei Arten von Männern auf dieser Welt. Es gibt solche, die alles für eine hübsche Blondine machen, und dann gibt es solche, die wirklich alles für eine hübsche Blondine machen.
Ich gehörte zur zweiten Gruppe.

Hier wird die Perspektive gewechselt, darum kann man das machen. Im Präteritum steht die erzählte Geschichte, und im Präsens steht die Gedankenwelt des Erzählers. Das sind zwei unterschiedliche Ebenen.

Das Ich berichtet und kommentiert gleichzeitig, das sind zwei Perspektiven, und darum die zwei Erzählzeiten.

Wobei ich finde, dass man das nicht inflationär verwenden sollte.

Er setzte sich hin, nahm einen langen Schluck Bier und grinste. Nein, das war kein Hardrocker, eher einer dieser Geisteswissenschaftler, die sich für intellektuell und gesellschaftskritisch halten, im Grunde aber nur Ausreden suchen, um ein Leben lang saufen, kiffen und meckern zu können. Was er hier an der Uni Ulm wollte, einer rein naturwissenschaftlichen Uni, konnte ich mir kaum vorstellen.

Da gehört Präteritum hin, also hielten und suchten. Weil sich die Perspektive nicht ändert, muss alles auf einer Ebene bleiben. Es sind ja eindeutig die Gedanken, die sich der Erzähler gemacht hat, als die Ereignisse stattgefunden haben.

 
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Hallo Yours,

Hier wird die Perspektive gewechselt, darum kann man das machen. Im Präteritum steht die erzählte Geschichte, und im Präsens steht die Gedankenwelt des Erzählers. Das sind zwei unterschiedliche Ebenen.

Das Ich berichtet und kommentiert gleichzeitig, das sind zwei Perspektiven, und darum die zwei Erzählzeiten.


Okay cool, das freut mich, und macht ja irgendwie auch Sinn. Wenn ich am Stammtisch irgendwas berichte, und die Geschichte dann plötzlich untrebreche, um kurz etwas zu kommentieren, beschwert sich dann doch auch keiner über die Erzählzeit.

Wobei ich finde, dass man das nicht inflationär verwenden sollte.

Das stimmt, man soll erzählen und nicht labern.

Im Gegensatz zur ersten Szene, klingt das auch tatsächlich im Präteritum okay, das sind wirklich vergangene Gedanken, und kein aktuelles "Kommentar", wie z.B:

Sie hatte langes schwarzes Haar, in dem sich irgendwie kleine Glitzer gefangen hatten, die schimmerten, als sei ihr Kopf elektrisch aufgeladen. Ihre Haut war glatt, weiß, makellos. Ihre Fingernägel waren grün lackiert.
Und sie spielte Angry Birds
Es kommt eigentlich nicht so häufig vor, dass man Frauen aus nächster Nähe beobachten kann. Wenn sie nicht gerade schlafen oder tot sind, merken sie es ziemlich schnell und fühlen sich belästigt, und dann muss man entweder wegblicken oder sich als Spanner outen.
Meine Nebensitzerin jedoch, sie spielte einfach weiter, absolut so, als merkte sie nicht, dass der fremde Typ, der direkt neben ihr saß, sie seit gut fünf Minuten anstarrte.
Okay Super! Vielen Dank.


Hallo Quinn,


Genau so ist es. Es ist kein Problem.
Einfach im Präteritum weitererzählen.

sehr cool

Die Frage stellen wir uns heute ohnehin immer weniger, weil Fragen der Erzählkonstruktion im Film und Fernsehen z.B. keinen - oder ... fast keinen - interessieren; es ist für uns ganz normal, dass wir alles sehen, ohne uns zu fragen, wer da eigentlich erzählt. Wer erzählt denn "Die Simpsons"? ...

Da muss ich spontan an Titanic denken. Da wird doch aus der Sicht von Rose erzählt (man sieht sie zu Beginn des Films als alte Dame), und dann tauchen pötzlich jede Menge Szenen im Film auf, wo sie gar nicht dabei ist. Woher weiß sie denn so genau , dass Leo dies oder jenes tat? Schließlich ist er am Ende vom Film gestorben, ihr hinterher davon erzählen konnte er ja nicht.

Vieln Dank für die Erläuterung, das leuchtet alles ein.
Noch Zum Stephen King, Dan Brown und dieses 3. Person Präteritum, dass meistens verwendet wird:
Diese Form ist dann auch personal oder nicht? Von Kapitel zu Kapitel schlüpft man in verschiedene Personen, und beschränkt sich dann allein auf ihr Epfinden, Sehen, Gedanken usw…

Und noch kurz zu diesem "modernen" auktorialen Erzähler. Hast du ein Beispiel dafür? Schreibt bei uns jemand im Forum so? Auktorial zeichnet sich ja durch eine gewisse Distanz zum Geschehen aus, Effi Briest und so ein Kram ist bestimmt auktorial, aber wenn man nicht allwissend ist, dann ist das doch auch irgendwie strange… also ich weiß jetzt nicht genau, wie ich mir dieses "moderne" vorstellen soll.
Und kann es nicht auch sein, dass es in einer auktorialen Erzählung Stellen gibt, wo der Erzähler in den Kopf einer Person steigt, und das Ganze dann passagenweise sehr personal klingt?

Und noch zu King: Ich habe vor kurzem the Stand gelesen, und da schreibt er ein paar Mal am Ende von Kapiteln so Sätze wie:
Und das war das Letzte Mal, das sie sich sahen.
Oder: Er sollte diesen Ausspruch noch bereuen.

Also streng genommen geht das in einer personalen Erzählung doch auch nicht, oder? Da spricht doch ein auktorialer Erzähler.
Ist dann wohl auch künstlerische Freiheit …

mfG,

Julian

 
Zuletzt bearbeitet:

Da muss ich spontan an Titanic denken. Da wird doch aus der Sicht von Rose erzählt (man sieht sie zu Beginn des Films als alte Dame), und dann tauchen pötzlich jede Menge Szenen im Film auf, wo sie gar nicht dabei ist. Woher weiß sie denn so genau , dass Leo dies oder jenes tat? Schließlich ist er am Ende vom Film gestorben, ihr hinterher davon erzählen konnte er ja nicht.
Tut mir leid, ich habe Titanic nie gesehen und bin sehr stolz darauf.

Noch Zum Stephen King, Dan Brown und dieses 3. Person Präteritum, dass meistens verwendet wird:
Diese Form ist dann auch personal oder nicht? Von Kapitel zu Kapitel schlüpft man in verschiedene Personen, und beschränkt sich dann allein auf ihr Epfinden, Sehen, Gedanken usw…
Ja. Wenn es sauber durchgehalten wird.

Und noch zu King: Ich habe vor kurzem the Stand gelesen, und da schreibt er ein paar Mal am Ende von Kapiteln so Sätze wie:
Und das war das Letzte Mal, das sie sich sahen.
Oder: Er sollte diesen Ausspruch noch bereuen.
Und das geht nur bei einem auktorialen Erzähler. Das ist "Foreshadowing", typische Spannungs-Schule. Es ist grad ein Hänger in der Spannungskurve und wir versichern dem Leser, dass es nachher schon noch spannend wird. Das ist - nach der Erzähltheorie - dann auktorial. Und für Puristen ist das ein Perspektiv-Fehler.

Und noch kurz zu diesem "modernen" auktorialen Erzähler. Hast du ein Beispiel dafür?
John Maddox Roberts, der SPQR-Zyklus. Da erinnert sich jemand an sein Leben zurück und gibt immer wieder Anekdoten zum Besten.
Bei "Jakob, der Lügner" weiß der Erzähler mittlerweile Dinge, weil er sie recherchiert hat, über die er zum Zeitpunkt des Geschehens noch nichts wusste. Dann hat er sich Dinge "zusammengereimt", oder vermutet sie nur. Das ist alles nicht mehr so einfach. :)
Die Fernsehserie "How i met your mother" ist so erzählt.
Hier im Forum? Ich hab bestimmt ein paar Geschichten so geschrieben, aber will keine Eigenwerbung machen. Ricks Geschichten sind oft in diesem Rückblick geschrieben, aber da wird die Erzählsituation auch nicht richtig thematisiert ... ich wüsste jetzt nichts, allgemein wird hier im Forum wenig mit Erzählperspektive und Erzählsituation experimentiert. Also so weit ich den Überblick habe, es gibt auch Autoren, die ich nicht lese, vielleicht machen die das dann ... weiß der Geier.
Germanistikstudenten machen das manchmal hier ... da behandeln sie Dienstags im Seminar den Dekonstruktivismus und Donnerstags gibt's dann ne spitzen neue Kurzgeschichte.

Ganz im allgemeinen, dieser Unterschied.
Der "veraltete" auktoriale Erzähler ist allwissend.
Der "moderne" auktoriale Erzähler ist nur wissender, als er es im Moment der Handlung sein konnte und teilt dem Leser mit, wie er an die Informationen gelangt ist, die er im Moment der Handlung gar nicht haben konnte.

Auktorial zeichnet sich ja durch eine gewisse Distanz zum Geschehen aus, Effi Briest und so ein Kram ist bestimmt auktorial, aber wenn man nicht allwissend ist, dann ist das doch auch irgendwie strange… also ich weiß jetzt nicht genau, wie ich mir dieses "moderne" vorstellen soll.
In der Praxis fällt einem das gar nicht auf. Das ist etwas, zu dem man sich zwingen muss, auf die Erzählsituation zu achten.
Das sieht man doch hier im Forum. Wer achtet denn hier auf Erzählstruktur und Erzählsituation? Aris hat neulich eine Collage hingestellt und darauf gehofft, dass jemand mit ihm darüber spricht. Friedrichards Texte haben immer den Autor als Erzähler, jetzt stellt er sie ja unter Rezensionen. Neulich hatte in Horror einer einen post-modernen Erzählrahmen, mit einer Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte, aber hat das selbst gar nicht beachtet und einfach alles in einer Stimme erzählt - das geht dann natürlich nicht.
Das Erzählen innerhalb eines Erzählrahmens mit einer Erzählsituation, einer Erzählfigur, das ist Schreiben für Fortgeschrittene, das ist auch "literarisches" Schreiben. Wenn ich ein Buch aus dem Drehregal in der Bahnhofsbuchhandlung zieh, mit lustigen FIguren auf dem Cover ... dann werd ich da nix finden.
Wenn ich irgendwas lese von Calvino oder Eco, dann krieg ich hundert-pro einen Erzählrahmen verpasst.
Calvino "Wenn ein Reisender in einer Winternacht" ist super-meta, da fängt der erste Satz damit an, dass man sich anschickt, nun das Buch zu lesen. Und bekommt Empfehlungen, wie man es sich am besten bequem macht.
Bei Ecos Name der Rose ist das so ein Dr. Watson-Erzähler.
Und bei Dürrenmatts "Versprechen" ist der Ich-Erzähler ein Autor (es soll wohl impliziert werden, es sei Dürrenmatt selbst), der auf einer schlecht besuchten Lesung dann von dem Kommisar auf der Heimfahrt erzählt bekommt, was sich da zugetragen hat.
Bei "Meister des Jüngsten Tages" bekomt man eine Erzählung serviert, und am Ende gibt es einen Nachtrag: Ja, das sei jetzt ein Tagebuch gewesen. Der Autor habe sich umgebracht und an den und den Stellen müsse er wohl gelogen haben.

Vor achtzig Jahren als Agatha Christie die Krimis geschrieben hat, hat sie alle zwei Jahren neue Erzählstrukturen erfunden, die wir heute in Durchpausungen noch im Fernsehprogramm sehen. Auf einmal hatte sich der Mörder nicht mehr im "er" versteckt oder im "sie" bei anderen, auf einmal war der Mörder im "Ich" zu suchen, weil der Leser vom Erzähler belogen worden ist.
Dann hatte man in "Fight Club" einen schizophrenen Erzähler. Handlungen fanden in der Psyche des Erzählers statt, in seinem Kopf.
Und immer kommt dann Alice im Wunderland, weil das ein Buch über die Sprache und das Erzählen ist.
Moderne/Postmoderne Literatur ist immer ein Spiel mit der Erzählsituation. Das hat auch nicht immer was mit dem Vergnügen des Lesers zu tun ... da schreibt man auch für ein bestimmtes Publikum, das sich an so was erfreut.
Ich hab neulich einen Bericht über Köche im Fernsehen gesehen, da sagte ein Koch, er könne von seinen Gästen gar nicht erwarten, dass sie sein Essen "verstehen", hauptsache, es schmecke ihn halt.
So ähnlich ist das mit der Erzählsituation auch ... man kann sich da viel Arbeit machen und der Leser interessiert sich nicht dafür. Honorieren tut er es schon mal gar nicht, weil das alles furchtbar anstrengend ist.


Und kann es nicht auch sein, dass es in einer auktorialen Erzählung Stellen gibt, wo der Erzähler in den Kopf einer Person steigt, und das Ganze dann passagenweise sehr personal klingt?
Ja, klar. Auktorial kann so tun, als wär er personal und kann sich selbst Beschränkungen auflegen.
Aber wenn man erstmal vom personalen ins auktoriale gewechselt ist, dann ist man auktorial.
Ein Vogel kann auf dem Boden landen und so tun als wär er ein Frosch, aber ein Frosch kann sich nicht Flügel wachsen lassen und anfangen zu fliegen.

Deshalb ist diese Geschichte von King mit dem Foreshadowing dann "unsauber" erzählt. Ein personaler Erzähler, der seine Erzählsituation "verrät/betrügt", weil er ein Loch in der Spannungskurve ausggleichen muss.
Da wachsen dem Frosch kurz Flügel.

So, jetzt bin ich aber auch fertig und hab da genug gelabert.

Gruß
Quinn

 

So, jetzt bin ich aber auch fertig und hab da genug gelabert.
Du schon, ich aber noch nicht. :D

Das Präteritum ist eine Zeitform, die die Vergangenheit ohne Bezug auf die Gegenwart ausdrückt. Deshalb werden auch SF-Geschichten im Präteritum erzählt, obwohl sie in der Zukunft spielen. Es ist also universell einsetzbar.

Mit dem Präsens dagegen habe ich so meine Schwierigkeit, es sei denn, es wird in 1. Person erzählt. In der dritten Person klingt es für mich aufgesetzt, ja bemüht authentisch. Im Präsens erzählten Geschichten klingen wohl gegenwärtiger, was aber nur dünne Stories brauchen, denn auf eine gute Story angewendet wirkt das wie Turbo. Warum? Warum muss etwas, was schon gut ist, noch gepusht werden?

Wahrscheinlich ist das der Zeit geschuldet, in der wir leben. Gut ist nicht mehr gut genug, es muss glänzen, ins Auge springen, Authentizität demonstrieren. Kurz: Es ist halt modern geworden, im Präsens zu erzählen, doch man kann das, wie ich, auch als Fluch betrachten.

 

Dion schrieb:
Im Präsens erzählten Geschichten klingen wohl gegenwärtiger, was aber nur dünne Stories brauchen, denn auf eine gute Story angewendet wirkt das wie Turbo. Warum? Warum muss etwas, was schon gut ist, noch gepusht werden?
Mir wurde mal zu einer Geschichte nahe gelegt, würde ich sie im Präsens erzählen, wäre sie viel eindringlicher.
Da frage ich mich jetzt schon, ob nun der Inhalt zu dünn war, oder jemand aus etwas Gutem noch etwas Besseres machen wollte. ;)

Diesen Auszug aus yours Link in #4 finde ich (für mich jedenfalls) ziemlich hilfreich:

* Am Morgen rasierte er sich, wie es Männer eben taten.

Falsch wäre das Präsens "... wie es Männer eben tun". Das Präsens existiert in einem Roman nicht, denn grundsätzlich kennt die Erzählstimme eines Romans nur Präteritum und Plusquamperfekt. Präsens und Perfekt kommen nur in wörtlicher Rede der Figuren vor, wenn die Figuren wie in gesprochener Sprache sprechen (in Unterhaltungsliteratur gängig).


Ich muss einsehen, ich habe mich bisher zuwenig um die Erzählsituation gekümmert und Präteritum/Perfekt mehr aus dem Bauch heraus verwendet.
Aber diese Diskussion hier ist wirklich spannend und erweitert den Horizont, Danke !

 

Hallo Dion, Friedrichard,

Vielen Dank für die Infos! Wirklich sehr hilfreich.


Nix zu danken,

lieber Juju

Was ich aber noch vermisse, und worauf ich eigentlich mit diesem Thread hinauswollte, ist eure persönliche Meinung zu den verschiedenen Zeiten –
fragstu unter # 5 –

dabei könnt’s doch aus den Texten ersehen – sofern sie denn gelesen werden, was kein Vorwurf sein soll. Les ja auch nicht alles, dazu häng ich viel zu wenig am und / oder im Internet mit meinem selbstverordneten täglich rationierten Stündchen.
Tatsächlich muss ich der von Dir zitierten Jo Recht geben, insofern ich allemal das Präsens bevorzuge, wobei mich relativ wenig (der kluge Leser wird wissen, warum das eh geringe Interesse noch relativiert wird, denn es ist gleichermaßen falsch wie richtig, wahr wie erlogen) interessiert, was andere, besonders Giganten darüber denken: erst einmal ist es MEINE Zeit, die durch irgendeinen beliebigen, auch schon mal albernen Einfall gestohlen wird, statt fleißig Steuern zu verklären,
dann ist es die Zeit des (geneigten) Lesers, die durch Laienspiele gestohlen wird (die allemal von mir als intelligenter eingestuft werden, als elektronischem Gequäke eines geschäftstüchtigen Bodybuilders nachzulaufen – und wär er gleich Anwalt wie’ne Motte – oder noch blödsinniger mit Bohlen und Halbacht das Suppenhuhn Tiutschiulandes zu suchen), die bei mir ja noch potenziert wird, weil ich eben keine Gebrauchsanweisungen mag – weder schreiben noch befolgen (Herr Schäuble merkelt auf).
Wenn Du schreibst, den Text bearbeitest oder einen anderen Text liest & verarbeitest – es ist immer Gegenwart, denn in der Natur gibt’s an sich kein Gedächtnis - selbst wenn sie [nicht es!] nix vergisst - und seine Spiegelung, die Zukunft. Es ist immer JETZT. Das ist wie mit der Psyche: die Zeit ist an den Raum gebunden wie die Psyche an einen lebendigen Leib. Der Leib verfällt relativ langsam, die Seele ist ruckizucki weg, wie weggeblasen könnt man sagen – sie wird nicht umsonst mit dem Odem (poetisch für: Atem) verglichen: geht uns die Luft aus, kommt uns die Seele abhanden. Da hilft auch kein Paradies oder –das und erst recht kein Pfarrherr.
„Die“ Zeiten spielen nur in unserm Schädel und – unbewiesene Behauptung von mir aus der Beobachtung, als Bingo [(m)ein 16jähriger allzu groß geratener Spitz-Rüde starb, änderte sich im Rudel das Verhalten des damals achtjährigen Groendaele-Weibchens Belgia total: schlagartig „vergreiste“ es – keine fröhliche Jagd mehr auf Kaninchen, Reh und Hirsch, träumte öfter denn je schlecht – und im Traum verarbeitet das Tier das Erlebte wie auch alle Primaten, kennt also auch etwas wie Vergangenheit] …
Distanz brauch ich nicht durch die dritte Person Singular hineinzubringen: ich bin die gelebte & personifitierte Distanz, denn wer mittendrin in der Masse steht, könnt gar nicht beurteilen, was ihm geschieht!, das konnten selbst nicht die Reporter bei der Loveparade 2010 trotz Knopfs im Ohr – warum also zum Teufel hätte man darüber Imperfekt schreiben sollen?, wo sich dergleichen Flachsinn wiederholen wird und schon fast hat.

Warum,

lieber Juju,

fangen Märchen idR mit „Es war einmal …“ an, obwohl die Einleitung durch ein „einst“ einiges kürzer würde? Einst verweist auf die scheinbar konkrete Zeit – die hinter einem liegt als auch auf die fiktive, die vor einem liegt. Es spiegelt sich quasi der Zahlenstrahl im Zeitstrahl: Einst war … / Einst wird … und wir stehn mittendrin.

Das verweist auch alles auf den Ursprung des „Erzählens“ aus der Zahl (lass Primaten oder Kleinkinder auswählen, welche Reihe von Leckereien sie nehmen sollen: die mit den größeren Abständen zwischen drei Leckereien, also die längere Reihe, oder die kürzere Reihe, wo sechs Leckereien ziemlich dicht beieinander liegen: welche Reihe wird da wohl idR genommen?). Erzählen kommt aus der Familie von zählen wie ja auch to tell aufs niederdeutsche vertellen verweist (schließlich stammt dieses English von den Altsachsen). So war denn auch die erste Schrift eher was für Buchhalter (Buchhaltung = angewandte Mathematik), denn für Erzähler.

Um zum Abschluss zu kommen und niemand einzuschläfern sei noch’ne Variante zu Deiner hippiesken Frage zum Besten gegeben -

Du erinnerst Dich?:

Die Hippiefrau mit den mit langen blonden Haaren …
Und jetz’ küddet:
Es [gebe / gäbe] zwei Arten von Männern auf dieser Welt. Es [gebe / gäbe] solche, die alles für eine hübsche Blondine mach[t]en, und dann [gebe / gäbe] es solche, die wirklcih alles für eine hübsche Blondine mach[t]en,
was selbstverständlich den geneigten und naiven Leser beim Folgesatz in der gegenwärtigen Form überhaupt nicht, aber umso mehr in der Form
Ich gehörte zur zweiten Gruppe
verwirren könnte, dass selbst die Dudenredaktion beim Konj. II fürs "machen" die würde-Konstruktion empfiehlt.

Doch unterschätzte sie - die Dudenredaktion - dort & damit nicht das Talent des Lesers?

Da drängt sich doch das Präsens vor ...

So, jetzt brauch ich was Laberwasser ...

Gruß

Friedel

 

Lieber Friedel, warum schlägst du hier Konjunktiv vor?

Es [gebe / gäbe] zwei Arten von Männern auf dieser Welt.

So spricht kein Mensch (mehr).

Er erkläre mir das bitte, der Herr Friedel.

 

So spricht kein Mensch (mehr)
grenzt schon an Diskriminierung - denn sollte ich also ein Schimpanse oder gar ein Pantoffeltierchen sein?,

lieber yours,

oder kenntestu mehr als zwo Dutzend Leute, gar über sechs Mrd., und selbst bei nur 100 Mio Deutsch sprechenden besserte es sich nicht. Aber ich freu mich, dass es mir endlich einer sagt, wie man zu sprechen hätte / habe.

Oder willstu ernstlich den Konjunktiv erklärt haben,

verehrter Hochachtungsvoll?

Gruß

Friedel

 

So spricht kein Mensch (mehr).
Wie schon Friedel es meinte, das ist eine gewagte Aussage, yours, denn damit sprichst du allen, die wie ich die Wörter gebe und gäbe auch im realen Leben gern benutzen, das Menschsein ab. :D


Tatsächlich muss ich der von Dir zitierten Jo Recht geben, insofern ich allemal das Präsens bevorzuge, …
Das hätte ich nicht von dir gedacht, Friedel, zumal deine Begründung
Wenn Du schreibst, den Text bearbeitest oder einen anderen Text liest & verarbeitest – es ist immer Gegenwart, denn in der Natur gibt’s an sich kein Gedächtnis - selbst wenn sie [nicht es!] nix vergisst - und seine Spiegelung, die Zukunft. Es ist immer JETZT.
etwas zu wünschen übrig lässt, um nicht zu sagen, an Haaren herbeigezogen ist, was du übrigens selbst ungewollt bestätigst, wenn du dem Tier und allen Primaten zubilligst, so etwas wie Vergangenheit zu haben – oder siehst du sie außerhalb der Natur stehend?

 

Neeee, ich wollte hier sicher niemanden diskriminieren oder sogar das Menschsein absprechen. In meinen Ohren klingt es altbacken, das wollte ich damit ausdrücken.

Ich sehe auch keine Abhängigkeit, die einen Konjunktiv I gerechtfertigt hätte.

Und wie du auf Konjunktiv II kommst, ist mir noch mehr schleierhaft.

Ich hätte wirklich gerne gewusst, weshalb man deiner Meinung nach, Friedel, in dem Beispiel den Konjunktiv I und II verwenden kann.

 

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