Es war ein dunkler Abend und ein windiger Sturm erhob sich über dem blauen Meer. Das zweifamilienhausgroße Schiff trotzte dem furchtbaren Sturm während faustgroßer Hagel vom wolkenbedeckten, unheilschwangerem Himmel fiel
Ich versuche mal, ernst zu bleiben.
Dunkler Abend, windiger Strum, blaues Meer: Objektive Adjektive, aber überflüssig.
Zweifamilienhausgroß: Objektives Adjektiv, spezifiziert das Schiff näher. Im Prinzip okay, nur ist es ein ziemliches Ungetüm. Also leseflußhemmend.
Faustgroß: Objektives Adjektiv, spezifiziert den Hagel näher. Okay.
Furchtbarer Sturm: Subjektives Adjektiv, erzeugt psychischen Widerstand: Ich will selbst beurteilen, ob ich den Sturm furchtbar finde.
Wolkenbedeckt: Objektiv aber überflüssig, denn es gibt keine Stürme bei klarem Himmel (will jetzt auch keine meteorologischen Spitzfindigkeiten hören!)
Unheilsschwangerer Himmer: Subjektives Adjektiv, erzeugt psychischen Widerstand. Ich will selbst beurteilen, ob ich den Himmel unheilsschwanger finde.
Obwohl das Beispiel keinen tieferen Sinn hat, ist es erstaunlich, welche Kraft der Text entwickelt, wenn wir uns der überflüssigen und nervenden Adjektive entledigen (nebenbei auch noch das doppelte "Sturm" beseitigen):
Am Abend erhob sich ein Sturm über dem Meer. Das zweifamilienhausgroße Schiff trotzte dem Wind, während faustgroßer Hagel vom Himmel fiel.
Das war ein künstliches Beispiel. Nehmen wir doch mal ein echtes, am besten von dem Autor, der eine Lanze für die Adjektive brach:
Schwere Schneeschichten ließen die Äste der dichtstehenden Bäume wie in tiefer Trauer gebeugt herabhängen, während die mächtigen Stämme weißen Monolithen gleich in den wolkenverhangenen Himmel ragten.
Es ist kein subjektives Adjektiv zu finden! Das ist schon mal positiv.
Die objektiven Adjektive sind auf den ersten Blick nicht tautologisch, aber man kann reduzieren, wenn man will:
Schwere Schneeschichten - Schöne Alliteration, btw, aber wenn wir lesen, daß die Äste herabhängen, kriegen wir per "show" bereits einen Eindruck vom Gewicht des Schnees. Das "tell" kann also entfallen.
Tiefe Trauer - Wieder eine Alliteration. Hier stellt sich mir die Frage, ob es wirklich notwendig ist, die Trauer der Bäume noch zu vertiefen. Mir persönlich reicht die einfache Version. Man könnte sich darüber streiten, ob es nicht ein subjektives Adjektiv ist.
Mächtige Stämme - Warum nicht? Aber: Gleich darauf kommt der Vergleich mit Monolithen. Also brauchen wir das mächtig nicht.
Meine reduzierte Version dieses Satzes würde im ersten Schritt also so lauten:
Der Schnee ließ die Äste der dichtstehenden Bäume wie in Trauer gebeugt herabhängen, während die Stämme weißen Monolithen gleich in den wolkenverhangenen Himmel ragten.
Ich persönlich kann allerdings auch auf den Rest an Adjektiven verzichten, und das ergibt sich aus dem Rest des Textes.
Dichtstehend - Für Handlung und Atmosphäre nicht bedeutsam (rein persönliches Empfinden).
Weiß - Würde bedeuten, daß der Schnee an den Stämmen haftet, was ich für sachlich bedenklich halte.
Wolkenverhangen - Für Handlung und Atmosphäre nicht bedeutsam (rein persönliches Empfinden).
Was also bleibt übrig:
Der Schnee ließ die Äste der Bäume wie in Trauer gebeugt herabhängen, während die Stämme Monolithen gleich in den Himmel ragten.
Hm, der Satz fängt an, mir verdammt gut zu gefallen!
r
PS: Na gut, es gibt da noch 2 Kritikpunkte, die nichts mit Adjektiven zu tun haben, deswegen gehe ich nicht näher auf sie ein. Aber das schockierende Endergebnis enthalte ich euch trotzdem nicht vor:
Die Bäume wirkten traurig, so tief drückte der Schnee ihre Äste hernieder.