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Was ist eine Geschichte?

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Aber ja! Ich meine, wer braucht solch forumsinterne Mechanismen? Davon abgesehen, dass es total willkürlich wäre.

 

@Löschung
Ist nur noch die Frage, wer entscheiden soll, wann ein Text eine Kurzgeschichte ist.
Die Literaturwissenschaft?
Dein "Nazi-Vergleich" war übrigens mit das Unappetlichste, was mir hier in den letzten Jahren so begegnet ist. Glückwunsch dafür.

 

Die Literaturwissenschaft?
Gute Idee! Aber wie umsetzen?
Ich habe am Anfang auch meine Texte freiwillig gelöscht. Aber das klappt nicht immer. Und so richtig demokratisch ist das auch nicht. Ich bin nun wahrlich kein Literaturwissenschaftler, aber ich vermute mal, dort gibt es, anders als in vielen Naturwissenschaften, keine einheitliche, unumstößliche Lehrmeinung, die auch noch als Formel angewendet werden könnte. Oder irre ich da?

 

Geschichte = Szenische Darstellung einer konfliktreichen Handlung.
Das reicht für den Hausgebrauch.

Wenn eins der drei Sachen fehlt: Darstellung, Konflikt oder Handlung, kommt unwillkürlich die Idee auf, das sei keine Geschichte.
Hier in dem Text ist eben der Bereich "Handlung" und "Konflikt" schwach.

 

Aber wer entscheidet? Selbst feirefiz sprach sich dafür aus, dass hier durchaus eine Geschichte (wenn auch „schlechte“) zu erkennen sei.
Willst du die Verantwortung übernehmen?
Außerdem habe ich mich in erster Linie „aufgeregt“ über die Vermischung von formaler und inhaltlicher Kritik. Keine Kurzgeschichte + Propaganda = Löschung
Weder das eine noch das andere sehe ich in dieser Geschichte. Was nun?

 

Aber wer entscheidet? Selbst feirefiz sprach sich dafür aus, dass hier durchaus eine Geschichte (wenn auch „schlechte“) zu erkennen sei.
Willst du die Verantwortung übernehmen?
Die Moderatoren entscheiden das. Dafür sind die da.

Keine Kurzgeschichte + Propaganda = Löschung
Weder das eine noch das andere sehe ich in dieser Geschichte. Was nun?
Nichts. Ich hab dargestellt, warum es meiner Ansicht nach keine Geschichte ist und wo man ansetzen müsste, wenn man eine schreiben wollte (beim Konflikt). Dafür ist das Forum da, dass wir uns über Texte unterhalten. Dazu gehört auch: Das ist keine Geschichte.

Wenn wir uns über Autos unterhalten würde und einer käme mit dem Fahrrad angeradelt, wäre es auch eine legitime Kritik zu sagen: Das ist kein Auto. Das ist keine Zensur.

Was ist denn dein Ansatz zu sagen, das sei eine Geschichte? Ich frag mich das immer, wie du dann Geschichte so definierst, dass der Zeitungsartikel, der Blogeintrag, die Einkaufsliste und ein Brief nicht dazu gehören. Also hier fehlt die Handlung und der Konflikt. Das ist auch ein Markenzeichen von Werbung z.B. "Oh, der Boden ist so dreckig (Konflikt), wie gut dass sofort Meister Proper kommt und alles wegwischt (Auflösung)."

 
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@quinn
Ich möchte mich hier nicht auf eine Diskussion über Marais Text einlassen. Ich halte ihn keinesfalls für eine gelungene Kurzgeschichte und wenn überhaupt ihn jemand verteidigen sollte, dann die Autorin selbst.
Nichts destotrotz ist es kein Einkaufszettel, sondern ein ernsthafter Versuch, eine Geschichte zu schreiben.
Und noch einmal: Ich habe mich über Vermischung von formalen (keine Kurzgeschichte) und inhaltlichen (christliche Propaganda der dummen Sorte) „aufgeregt“.
„Deine“ Kriterien sind so wage (und müssen es auch sein), dass es in meinen Augen sehr schwer sein wird, hier eine Regelung zu finden.
Ich zitiere mal feirefiz (ohne ihn gefragt zu haben - sorry feirefiz):

Ich persönlich finde, dass dieser Text hier mehr Geschichte ist, als die Werbungskakophonie, die ja auch in der Experiementerubrik dieser Definition genügen müsste (Und nein, ich will die Diskussion nicht wieder aufrollen,der Text soll da meinetwegen stehenbleiben, es geht mir nur darum, dass hier nicht mit zweierlei Maß gemessen werden sollte, nur weil ein Text besser ankommt als der andere). Hier gibt es zumindest zwei Charaktere, es gibt eine Art Konflikt, es gibt ein Minimum an Handlung. Dass das alles verdammt dünn ist, keine Frage, aber m.E. nicht löschenswürdig.

Jo katla, das ist ein gutes Schlusswort.
Da Marias Geschichten ohnehin bald gelöscht werden und ich vermutlich ebenso, ist die Diskussion somit beendet.
Eine persönliche Bemerkung:
Ich gebe zu, ich reagiere allergisch auf wohlfeil formulierte Anträge auf Selbstzerstörung. Ich mag es einfach nicht, wenn Menschen angegriffen und massiv unter Druck gesetzt werden. Es tut mir leid, aber ich sehe in Marai keine christliche Propagandistin, die hier Andersdenkende zum Glauben zwingen will.
Das ich einen Vergleich mit der Bücherverbrennung (oder gar Massenvernichtung von Menschen) während der Zeit des Faschismus gebracht habe, ist reine Interpretation. Unsere Geschichte ist voll von Unterdrückung von Andersdenkenden, das haben nicht die Faschisten erfunden, das gab es Jahrhunderte davor und ebenso nach 1945.

Eine "Nazivergleich" war in der von dir offensichtlich angenommenen Variante nicht gewollt. Ich hätte mich da differnzierter ausdrücken sollen. Entschuldige!

 
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Nee Heiner, hoer mal auf mich zu zitieren. Und schon grad wenn Du dabei meinen Namen falsch schreibst. Ich habe hier meine Meinung geaussert. Und Quinn ist in seiner Antwort darauf eingegangen und hat meines Erachtens ueberzeugend dargelegt, warum er es anders sieht (dass der Konflikt eben nicht entwickelt wird, da stimme ich zu). Seine Kriterien sind nicht vage - er hat sie dargelegt, nun gilt es zuzustimmen oder begruendet zu widersprechen.
Ich tendiere auch nach seinen und insbesondere nach Katlas Ausfuehrungen noch immer zum Pol sehr schlecht gemachte Kurzgeschichte, weil ich hier rudimentaere Ansaetze literarischen Gestaltungswillens erkenne. Aber der ist nur Nuancen vom Pol gar keine Kurzgeschichte entfernt.

Anstatt mich nun hier herzuzerren wie irgendeine Autoritaet, solltest Du einfach auf seine Forderung eingehen, zu begruenden, warum Du anderer Meinung bist, bzw. wie Du eine Geschichte definieren wuerdest, oder Dich aus der Diskussion zurueckziehen.

Ich finde ausserdem, Du solltest diesen wirklich unsaeglichen Nazi-Vergleich nicht einfach ignorieren, sondern Dich dafuer entschuldigen.

edit: Ich sehe grad, dass Du Dich aus dem Vergleich rauswurmen willst. Das ist jaemmerlich. Ich hatte es extra noch als Frage formuliert, obwohl die Anspielung deutlich ist. Du haettest Zeit gehabt, das richtig zu stellen, wenn Du Dich da missverstaendlich ausgedrueckt haettest.

 
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Ja , feirefiz, war falsch, dich zu zitieren. (Ich hätte mir nicht die Mühe machen wollen, deine schon von mir als richtig empfundenen Aussagen, selbst zu formuliern)
Tut mir leid - kommt nicht wieder vor.

oder Dich aus der Diskussion zurueckziehen.

Dann werde ich das mal tun und meinen Mund halten.

 

Zur Frage der Definition

Innert kurzer Zeit hatten zwei Texte, veröffentlicht in den Rubriken Experiment resp. Alltag, zu einem Eklat geführt. Rede und Gegenrede, ob diese die Kriterien einer Kurzgeschichte erfüllen, führten an den jeweilig betroffenen Autoren vorbei, da diese sich vermutlich überfordert fühlten. Dialog und Disput gelten seit der Antike als kommunikative Fähigkeiten, um zu thematischer Versachlichung und Erkenntnis zu gelangen. Auch wenn Platon zu seiner Zeit ein analoges Thema m. E. recht despotisch definierte, denke ich, sollten heutzutage in einem literarischen Forum solche Fragen ohne verbale Verletzungen möglich sein. Auf die Gefahr hin, nun selbst ins Fettnäpfchen zu treten, habe ich nachfolgend knapp und konzentriert meine Sichtweise festgehalten. Nicht weil ich es besser deuten könnte als andere, sondern einzig um die Frage auf den Kern der Sache und einen ausgewogenen Dialog zurückzuführen.

Das Ringen um eine Definition, was künstlerische oder literarische Prosa ausmacht, scheitert m. E. dann, wenn sie die schöpferischen Intentionen von Dichtern zu stark einzuschränken versucht. Vorgegeben ist, dass sich diese Genres in Wortwahl, Satzbau, Sprachmelodie, Bildhaftigkeit und Sprachrhythmus poetischer Gestaltungsmittel bedienen. Für die Kurzprosa ist zudem ein komprimierter Inhalt an sich die Regel.
Die literaturwissenschaftlichen Ansätze als Massstab einer Definition finde ich hierbei nur von eingeschränkter Bedeutung. Nicht deshalb, weil sie keine exakte Wissenschaft ist, sondern wegen ihres retrospektiven Charakters. Es obliegt ihr nicht, die zukünftigen Entwicklungen von Literaturformen festzulegen. Diese sind im gesellschaftlichen und schöpferischen Kontext offen, auch Kurzprosa ist davon nicht abgespalten.
Letztlich entscheiden die Leser, ob sie sich von Werken eines Autors angesprochen fühlen und diese Lesen oder nicht. Für Autoren ist es deshalb im eigenen Interesse unumgänglich, sich in der Gestaltung von Inhalten und Sprache um ansprechende Formen zu bemühen.

Ein anderer Aspekt ist es, wenn literarische Prosa als Medium eines bestimmten ideologischen Gedankengutes (politisch, religiös etc.) auftritt. Als künstlerische Prosa hat es sicherlich auch seine Daseinsberechtigung, wenn die Indikationen dazu stimmig sind. Ist es erkenntlich als manipulativ gezielter Propagandatext aufgesetzt, verliert es anhand dieses Charakteristikums schnell mal seinen literarischen Anspruch.
Ob solche Prosa in ein Verlagsprogramm, oder wie vorliegend in das Forum hier passt, ist dann eher ein „geschäftspolitischer“ Entscheid, der sich an den internen Regulierungen orientieren sollte. Dieser Spielraum, der wenn wirklich erforderlich sicher anpassungsfähig ist, deckt ja auch ab, welches Genre Literatur hier publiziert werden soll, und entscheidet darüber, dass gesetzliche Normen (z. B. Jugendschutz) eingehalten werden.

Jeder Leser und Autor hat die Möglichkeit seine Meinung zu Geschichten kundzutun, also auch begründet Kritik zu üben. Hierbei sollten sich Kritiker aber auch ihrer Sorgfaltspflichten und der gewählten Worte bewusst sein, denn auch sie könnten einem Irrtum unterliegen, insbesondere wenn ein Absolutheitsanspruch gegenüber dem Autor erhoben wird. Konstruktive Kritik schränkt es damit in keiner Form ein und führt auch eher zu einer ernsthaften Hinterfragung durch den Autor.

 
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. Es obliegt ihr nicht, die zukünftigen Entwicklungen von Literaturformen festzulegen. Diese sind im gesellschaftlichen und schöpferischen Kontext offen, auch Kurzprosa ist davon nicht abgespalten.
In so einer Definition tut man so, als würden wir hier avantgardistische Meisterwerke besprechen. Das geht an der Praxis völlig vorbei, bis zur Lächerlichkeit fast.

Wir haben halt zwei Möglichkeiten. Entweder wir sagen: Eine Kurzgeschichte ist eine bestimmte Form der Literatur. Sie gehört zur Epik. Sie hat die Absicht, etwas zu erzählen. Sie hat einen Konflikt. Sie hat eine Handlung. Sie stellt die Handlung in Szenen dar. Die Szenen bilden einen Zusammenhang. Sie ist literarisch bearbeitet. Sie ist kürzer als die Novelle (also maximal so um die 200.000 Zeichen).

Oder wir sagen: Eine Kurzgeschichte ist ein Text, der in einem Kurzgeschichtenforum gepostet wird.

Ich bin für Option 1. Ich muss immer schmunzeln, wenn einer schreit: Oh Mein Gott! Das engt den Künstler so stark ein! Das zeigt, für mich, dass man sich mit dem Schreiben überhaupt nicht beschäftigt hat. Die Kurzgeschichte ist super-duper-frei. Handlung, Konflikt, Zusammenhang. Wie will man denn ohne erzählen? Gar nicht! Und wenn man nicht erzählen will, dann will man keine Geschichte schreiben. Geschichten erzählt man, man sagt sie nicht. "Sagen" ist keine literarische Handlung.

 

kann mir jemand zusammenfassen, was Meinung und Gegenmeinung besagen, so in fünf Sätzen? :) Ich wär auch gern auf dem Laufenden!

 
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Hallo Anakreton,

„Innert kurzer Zeit hatten zwei Texte, veröffentlicht in den Rubriken Experiment resp. Alltag, zu einem Eklat geführt. Rede und Gegenrede, ob diese die Kriterien einer Kurzgeschichte erfüllen, führten an den jeweilig betroffenen Autoren vorbei, da diese sich vermutlich überfordert fühlten.“

Na, da muss ich doch ein bisserl widersprechen: Anakreton, du verwechselst da etwas: der Typ in meinem Text war überfordert, nicht ich – weder „vermutlich“ noch mit Sicherheit. Von „Eklat“ zu sprechen … da gab es im Forum schon ganz andere Sachen.

Eine seltsame Aussage von dir, wenn du doch eigentlich solche Standards willst:

„sollten heutzutage in einem literarischen Forum solche Fragen ohne verbale Verletzungen möglich sein.“

In der Diskussion zu meinem Text gab es auch keine Verletzungen. Ich fand sie eher anregend und höflich, auch wenn es keine Einigung gab.

„Nicht deshalb, weil sie keine exakte Wissenschaft ist, sondern wegen ihres retrospektiven Charakters. Es obliegt ihr nicht, die zukünftigen Entwicklungen von Literaturformen festzulegen. Diese sind im gesellschaftlichen und schöpferischen Kontext offen, auch Kurzprosa ist davon nicht abgespalten.“

Das sehe ich auch so. Trotzdem habe ich hier im Forum schon wiederholt die Meinung vertreten, dass gewisse Einschränkungen nicht negativ, sondern eine Herausforderung für Autoren sind (Das zeigt sich auch bei Spielen: die Kunst ist es ja, trotz der Abseitsregel ein Tor zu schießen, die Regel gibt dem Spieler die Möglichkeit, sein Können zu zeigen).
Da die Kurzgeschichte die ‚freieste aller Kurzprosaformen ist‘ hat man genug Freiheiten.(ich schau noch mal nach, ich denke das stammt von Gelfert. War nicht Gelfert: 'die freieste Form prosaischer Darstellung‘ (Benno von Wiese)).


Das mit den „zukünftigen Entwicklungen“ ist auch wichtig: Ein Freund von mir hat noch gelernt, eine KG. müsste ein offenes Ende haben. Ich wurde noch zur Verwendung von Adjektiven verdonnert, hier im Forum wird das meistens nicht gern gesehen.

L. G.,

Woltochinon


Hallo Quinn,

„Eine Kurzgeschichte ist eine bestimmte Form der Literatur. Sie gehört zur Epik. Sie hat die Absicht, etwas zu erzählen. Sie hat einen Konflikt. Sie hat eine Handlung. Sie stellt die Handlung in Szenen dar. Die Szenen bilden einen Zusammenhang. Sie ist literarisch bearbeitet. Sie ist kürzer als die Novelle (also maximal so um die 200.000 Zeichen).“

Weder in meiner Schulzeit, noch im Studium habe ich das Kriterium ‚Konflikt“ präsentiert bekommen.

Weiß du vielleicht, aus welcher ‚Schule‘ und Zeit die Vorgabe „Konflikt“ stammt?

Wie ist „Konflikt“ definiert? Ist es schon ein Konflikt, wenn jemand Gummibärchen will, der andere aber Schokolade?

Vielleicht müssen auch nicht alle Kriterien immer (bzw. gleich stark) in einer Geschichte wahrgenommen werden.

Kannst du dir – gewissermaßen als Spiel – vorstellen, dass es eine Geschichte ohne Konflikt gibt? (sei sie noch so schlecht).

Ein Konflikt macht eine Geschichte sicher interessant und ist ein guter ‚Kern‘ für einen Text, ich will also nicht darauf hinaus, dass es keinen Konflikt geben darf.


Häferl hat (Beitrag 7) folgendes zitiert:
Im Reclam-Heft »Wie interpretiert man eine Novelle und eine Kurzgeschichte?« (ISBN 3-15-015030-2) findet sich folgende Definition:

Zitat:
Was ist eine Geschichte?

Geschichte bedeutet Geschehenes. Wer aber eine Geschichte erzählt, berichtet nicht von Geschehenem, sondern erzählt ein Geschehen. Jedes Geschehen läßt sich berichten, aber nicht jedes läßt sich als Geschichte erzählen. Damit es zu einer Geschichte werden kann, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein. In seiner einfachsten Form ist ein Geschehen der Übergang von einem Zustand A zu einem Zustand B. Selbst wenn wir an einen extrem sensationellen Übergang denken, werden wir schnell erkennen, daß daraus allein noch keine Geschichte werden kann. Angenommen, ein Mann springt von einer Brücke und ertrinkt. Auch der geschickteste Geschichtenerzähler könnte dieses Geschehen nur berichten, er wäre außerstande, daraus eine Geschichte zu machen. Damit eine solche entstehen kann, muß der Zustand B, also das Ertrinken, zunächst ungewiß bleiben. Selbst wenn der Mann noch eine Weile um sein Leben kämpft, sich womöglich rettet, bleibt es immer noch ein Geschehen, das nur berichtet, nicht als Geschichte erzählt werden kann; denn sowohl der Tod als auch das Überleben des Mannes wäre die lineare Weiterführung des Zustandes A auf der Brücke. Eine Geschichte braucht aber ein nichtlineares Geschehen. Sie muß im Zuhörer oder Leser eine Erwartungsspannung der Ungewißheit aufbauen und diese dann durch das Eintreten einer unvorhergesehenen Wendung lösen. Selbst die handlungsärmste Geschichte braucht eine solche nichtlineare Wendung im Ablauf des Geschehens. Anderenfalls könnte sie nicht den von jeder Geschichte erwarteten Aufbau einer Spannung und danach deren Lösung bewirken. Damit aus einem linearen Geschehen ein nichtlineares wird, muß ihm zunächst etwas entgegenwirken. Im Falle unseres Beispiels könnte dieses zweite Geschehen darin bestehen, daß ein anderer Mann hinterherspringt, um den ersten zu retten. Auch dies ist ein lineares Geschehen, an dessen Ende nur der Erfolg oder das Scheitern des Rettungsversuchs stehen kann. Und wieder könnte das Geschehen nur berichtet, aber nicht erzählt werden; denn im Fall der Rettung würde die Hoffnung des Zuhörers, im Fall des Scheiterns seine Befürchtung erfüllt. Es käme aber zu keinem Aufbau einer Ungewißheitsspannung mit deren abschließender Lösung. Offensichtlich fehlt noch ein drittes Element, um das Geschehen als Geschichte erzählbar zu machen. Es muß etwas eintreten, wodurch das lineare Geschehen eine unverhoffte Wendung erhält. Dies könnte z. B. darin bestehen, daß der mutige Retter ein Nichtschwimmer ist, während der vermeintliche Selbstmörder sich als guter, aber betrunkener Schwimmer entpuppt. Schlagartig eröffnen sich für die Geschichte zwei mögliche Ausgänge, ein ernster und ein heiterer. Im ernsten Fall klammert sich der Retter an den Betrunkenen und reißt ihn mit in den Untergang, im heiteren Fall muß der Betrunkene sich seinerseits abmühen, seinen Retter zu retten. Beides wäre Stoff für eine Geschichte.
Zugegeben, es wären beides recht triviale Geschichten. Aber selbst künstlerisch hochrangige sind auf dieses Schema angewiesen, nur ersetzen sie das triviale physische Handeln durch psychisches Geschehen. Etwa so: Eine Frau lädt zu einer Party eine andere Frau ein, von der sie fasziniert ist, die ihr Mann aber nicht zu mögen scheint. Sie bemüht sich, ihren Mann umzustimmen. Am Ende der Party beobachtet sie ihn bei der Verabschiedung der Gäste, und plötzlich erkennt sie an der Art, wie er der anderen den Mantel umlegt, daß die beiden ein Verhältnis haben. Dies ist der Kern einer äußerst geschehnisarmen Kurzgeschichte von Katherine Mansfield mit dem Titel Glück. Es ist zugleich ein Musterbeispiel für die Minimalstruktur einer Geschichte.
Noch kürzer: Einem elektrischen Pluspol nähert sich ein Minuspol. Wir erwarten den Spannungsausgleich durch Kurzschluß. Da gerät ein unerwarteter Widerstand in Gestalt einer Glühbirne dazwischen. Die Lampe leuchtet auf, und schon ist es eine Geschichte.


L. G.,

Woltochinon

 

Trotzdem habe ich hier im Forum schon wiederholt die Meinung vertreten, dass gewisse Einschränkungen nicht negativ, sondern eine Herausforderung für Autoren sind (Das zeigt sich auch bei Spielen: die Kunst ist es ja, trotz der Abseitsregel ein Tor zu schießen, die Regel gibt dem Spieler die Möglichkeit, sein Können zu zeigen).
Tolles Beispiel, Woltochinon,

wirklich, denn um nichts wird im Fußball mehr gestritten als um die Frage, ob es im Falle eines Falles ein Abseitstor war oder nicht. Wie eben bei der Frage, ob eine Kurzgeschichte zu recht so genannt werden kann. :D

 

Danke JoBlack :-) Ich bin jedenfalls der Meinung, dass Geschichten nicht unbedingt Konflikte enthalten müssen, um KG genannt werden zu können - wobei ich die Frage sinnvoll finde, wie Konflikt in der Diskussion definiert wird. Ein klassischer, vom Autor absichtlich zugespitzter Konflikt zwischen Figuren mit verschiedenen Absichten oder in einer Figur zwischen Engelchen und Teufelchen auf den Schultern - der ist meines Erachtens nicht zwingend erforderlich für eine Geschichte.

 
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Ok, Kubus, Konflikt ist Dir nicht wichtig. Aber was ist wichtig? Also dafuer, dass Du was als Geschichte anerkennst.

Also was mir besonders wichtig ist, ist szenische Darstellung. Also dass da nicht nur im luftleeren Raum von einer koerperlosen Stimme ganz abstrakt ueber irgendein Thema rumreflektiert wird, sondern dass es Figuren, Umwelt mit Atmosphaere, Gefuehle und Gedanken gibt, die einem nicht so analytisch vorgelegt, sondern in Handlung und Bilder uebersetzt werden, aus denen der Leser sich dann selbst eine Erkenntnis basteln darf.

Also das ist jetzt nicht das einzige Kriterium. Aber immer wenn das fehlt, tendiert es mir in Richtung Essay, Glosse, Kolumne, whatever. Und das les ich hier tatsaechlich nicht so gerne.

 

Hallo Woltochinon

Eigentlich wollte ich eben schnell ins Bett hüpfen, da ich in wenigen Stunden wieder raus muss. Da sah ich bei einem kurzen Blick, dass in diesem Thread ja schon einiges gelaufen ist, oh Schreck, leider auch schief.

Es fängt damit an, dass du mich mit einer Wortschöpfung ansprichst, die trotz des A vorab mich an das lateinische creatura erinnert. Wäre es wirklich so, müsste ich sagen, dies ist zu viel der Ehre, die Schöpfung vermag ich nicht zu verkörpern. Aber das gewählte Anakreton registrierte ich mit einem milden Lächeln.

Den Vorläufer dieser Schieflage hat es aber bei einem der beiden von JoBlack liebenswürdigerweise eingestellten Links. Es ist ein Fehler von mir, dass ich nur die Rubriken erwähnte, aber nicht die betreffenden Texte. Also ich meinte anstelle deinem Text:

http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=45471

Es tut mir leid, wenn du durch meine Unaufmerksamkeit, über das Thema hinaus, herausgefordert wurdest und bitte dich dafür um Entschuldigung.

Jetzt muss ich wirklich dringend abtauchen, aber ich werde im Laufe des Tages darauf zurückkommen, sobald ich Freiraum finde.


Schöne Grüsse

Anakreon

 
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Weder in meiner Schulzeit, noch im Studium habe ich das Kriterium ‚Konflikt“ präsentiert bekommen.
Tjo, vielleicht nimmt man das als selbstverständlich an. Ich weiß es nicht. Konfliktreiche Handlung halt.

Wie ist „Konflikt“ definiert? Ist es schon ein Konflikt, wenn jemand Gummibärchen will, der andere aber Schokolade?
Bei einem Konflikt geht es darum, einen wie auch immer gearteten Widerstand zu überwinden. Die Figur steht dann mit dem Widerstand in einem Konflikt.


Kannst du dir – gewissermaßen als Spiel – vorstellen, dass es eine Geschichte ohne Konflikt gibt? (sei sie noch so schlecht).
Das ist wieder so akademisch. Man muss doch mal das Umfeld dieses Forums hier betrachten. Also vorstellen kann ich mir viel, wenn man sagt: Wie sauschlecht kann eine Geschichte noch sein und wie hauchdünn kann der Konflikt noch kommen. Was ist denn ein Text ohne dass jemand darin, einen Widerstand überwinden muss? Das erinnert mich an die Geschichten, die meine Mutter erzählte, da hat sie den und den beim Einkaufen getroffen, und als dann klargestellt war, mit wem die verheiratet und verschwägert ist, hat sich rausgestellt, dass nichts passiert ist, außer dass sie die getroffen hat. Literarische Geschichten waren das wirklich nicht.

Ein Konflikt macht eine Geschichte sicher interessant und ist ein guter ‚Kern‘ für einen Text, ich will also nicht darauf hinaus, dass es keinen Konflikt geben darf.
Das wär mit Verlaub auch völlig hohl ... jedes bedeutende Werk der Epik (zumindest was mir so einfällt) hat einen Konflikt ... die haben die Tore bei Troja nicht einfach so aufgemacht und der weiße Wal hat sich auch nicht grade vor die Harpune geworfen, also ... "ohne Konfikt" ich hab noch nichts erlebt, was eine Geschichte ohne Konflikt wäre.
Es ist manchen vielleicht nicht klar, die stellen sich unter einem Konflikt vor, dass zwei Typen so lange gegeneinander rennen, bis einer umkippt, aber in jeder Erzählung geht es, im Kern, um das Überwinden von Widerständen. Welcher Text der Weltliteratur wäre denn anders? Shakesspeare nicht, Faust nicht, der Zauberberg nicht, alles, was in Richtung Unterhaltung geht sowieso nicht, ich weiß es nicht. Man muss ja, wenn man erzählt, dem Konflikt schon arg aus dem Weg gehen, um nicht aus Versehen auf ihn zu stoßen, wenn man mehr als 4 Zeilen schreibt, wird man schon irgendeinen Widerstand finden.
Sogar diese qualvoll länglichen Gesellschaftsromane sind voller Konflikte, also keine Ahnung.

 

"Schmeisst doch einfach den Ring ins Feuer"
"Wir haben aber keinen Ring. Wir haben Schneewittchen."
"Na, dann schmeisst doch Schneewittchen ins Feuer."
"Aber - wir können doch nicht Schneewittchen ins Feuer werfen."
"Ja, dann habt ihr 'n Problem."

Meine Meinung: Eine Geschichte braucht einen Konflikt, sei es ein innerer oder äusserer, ansonsten ist es eine Begebenheit ohne Unterhaltungswert, meist in den Kritiken mit "da passiert einfach nichts" ausgedrückt.

Ich stelle sogar die Behauptung auf: Eine konfliktfreie KG funktioniert nicht, erzeugt beim Leser nur ein müdes "und nun?"

 

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