Was ist neu

Was ist Kunst und was ist Mist?

Mal eine bescheidene Zwischenfrage: Welche Voraussetzungen sind eigentlich notwendig, um eine Sache als "objektiv" bezeichnen zu können?

Bzw. welche, um etwas als "subjektiv" auszeichnen zu können?

 

Philo wirft hier die zentrale Frage beim Kunstverständnis auf. Denn ich denke, dass es unnötig ist, Kunst auf die beiden Pole "rein subjektiv" und "absolute, objektive Definition" zu beschränken: Die Wahrheit liegt in der Mitte.

Um ein bestimmtes Kunstwerk zu verstehen und es als solches zu akzeptieren, muss ich mit dem Künstler einen Bezugsrahmen, nennen wir ihn Kultur, teilen. Diese Kultur muss natürlich nicht zu 100% kongruent sein, sonst könnte ich z.B. Inuit-Kunst nie als solche erkennen. Dennoch muss es genug Überschneidungen geben.

Und hier liegt genau der Knackpunkt: Bin ich z.B. ein Landwirt aus Warnebüttel, so kann mir diese Definition von Kunst durchaus bekannt und bewusst sein. Dennoch bin ich nicht "verpflichtet" das Werk eines New Yorker Actionpainters als Kunst anzuerkennen, weil sein Bezugsrahmen von meinem vielleicht zu verschieden ist.

Es gibt also durchaus allgemeingültige Definitionen von Kunst (wir hatten schon diverse in diesem Thread), bloß hängen sie auch von vielen Parametern ab, die im Betrachter bestimmt werden, daher kann ich z.B. nicht so einfach sagen, was für Philo oder Lukas Kunst wäre. Ich kann es aber für einen Kreis von Personen sagen, die mit mir einen gewissen Bezugsrahmen teilt.

Aus diesen Bezugsrahmen ergeben sich übrigens Genres, in der Literatur, in der Musik und in jeder anderen Kunstrichtung.

 

Philo: Das war mehr so dahergedacht. Ich verheddere mich gerade ziemlich in meinem Versuch, "subjektiv" und "objektiv" auseinanderzuhalten. Mit "subjektiv" meinte ich einfach "für die einzelne Person", wobei hier natürlich schon das Problem auftaucht, dass "objektiv" "für alle Personen" wäre und damit auch subjektiv... Vielleicht könntest du deine Frage selbst beantworten? :) Wenn es denn keine Fangfrage war... ;)

Naut: Guter Beitrag, volle Zustimmung! :thumbsup:

 

Mit "subjektiv" meinte ich einfach "für die einzelne Person", wobei hier natürlich schon das Problem auftaucht, dass "objektiv" "für alle Personen" wäre und damit auch subjektiv...
Genau. Wo soll man da in der heutigen Zeit des Pluralismus und der Globalisierung noch eine Grenze ziehen? Zudem wäre eine völlig subjektiv urteilende Person nichts anderes als eine verrückte, irre Person. Andererseits wäre eine völlig objektiv urteilende Person eine Art determinierte Kunstfigur, ein unmündiges Element in der Struktur einer jeweiligen Gesellschaft.

Das großartige an der Kunst ist aber gerade, dass diese uns einen unvergleichlichen Spielraum zwischen Subjekt und Objekt bietet, der uns antreibt und provoziert, bestenfalls infrage stellt und unseren geistigen Horizont zu erweitern weiß. Die Kunst gehört zu den allermenschlichsten und daher wichtigsten Äußerungen unseres Daseins. Wenn es einmal keine Kunst mehr geben sollte oder auch nur noch objektive Kunst dann wird es auch keine Menschen mehr geben. Wenn es dank zunehmender(?) Individualisierung der Gesellschaft andererseits einmal nur noch subjektive Kunst geben sollte, hätten wir zwangsläufig soviele Kunstformen, wie es Menschen gibt. Wir könnten uns dann überhaupt nicht mehr darüber verständigen, was wir unter Kunst verstehen sollen - ja, sie wäre für jeden einzelnen von uns gar nicht mehr als solche erkennbar! Wir würden dann nur noch unsere ganz persönliche, private Kunst wahrnehmen und alles andere als hinsichtlich dem Kunstbegriff belanglos betrachten.

Also: Kunst ist der natürliche Spielraum zwischen Subjekt und Objekt. Die strukturellen Möglichkeiten innerhalb dieses Spielraums sind an der Zahl annähernd unendlich.

 

Also: Kunst ist der natürliche Spielraum zwischen Subjekt und Objekt. Die strukturellen Möglichkeiten innerhalb dieses Spielraums sind an der Zahl annähernd unendlich.
Damit kommen wir zu einem weiteren Punkt: Wie sieht es denn mit dem ästhetischen Empfinden (des Menschen) aus? Ist das tatsächlich so dermaßen subjektiv? Empfinden nicht viele Menschen ein und die selbe Person als "schön"? Oder Sonnenuntergänge, Blumen, alte Schlösser? Da muss es doch größere Gemeinsamkeiten geben, die auch in der Kunst greifen...

 

Philoratte: Danke für deine Ausführungen, die ja eigentlich schon teilweise in deinem vorherigen Posting standen, die ich da aber leider nicht begriffen habe. :)

Dante: Ich denke, auch da kommt es einfach auf den Kontext an. Wenn z.B. in der heutigen Zeit jemand, der sich für Architekturgeschichte interessiert, eine alte Burg betrachtet, wird er sie wahrscheinlich schön finden. Andersherum konnte ein Mensch aus früherer Zeit, der viele Jahre in einem Burgkerker eingesperrt war, wohl nichts Schönes mehr mit einem solchen Gebäude verbinden.

 

Ja, Ästhetik wird auch kulturell vermittelt. Aber sie basiert auf biologischen Gegebenheiten, so ist zum Beispiel ein positives Empfinden von Symmetrie ein Überlebensmechanismus, eine Paarungstaktik. Eben basierend auf diesen allen Menschen gemeinsamen Wurzeln entwickelt sich die kulturelle und darus die individuelle Ästhetik.

 

...die weiterhin eine Sackgasse darstellen würde, wäre der ein oder andere nicht wiederum künstlerisch tätig und würde damit ein Stück Kultur schaffen (die ferner wiederum Einfluss auf unser biologisches Rezeptionsvermögen hat?!? Vielleicht zu weit hergeholt, aber das wäre ja wohl echt der Hammer!!)

Dante: Ich denke, auch da kommt es einfach auf den Kontext an. Wenn z.B. in der heutigen Zeit jemand, der sich für Architekturgeschichte interessiert, eine alte Burg betrachtet, [...]
Ich denke, das ist zu eng gefasst. Erstens berücksichtigt es nur den psychologischen Aspekt der Frage nach dem Kunstempfinden und zweitens würde zumindest ein intelligenter Mensch sehen, dass die Burg nicht die eigentliche Ursache für sein Eingesperrtsein sein kann, sondern viel eher eine Gesetzgebung, ein juristischer Akt oder ähnliches. Er könnte diese Burg also dennoch (weiterhin) als schön empfinden, obwohl er in dieser jahrelang eingesperrt war.

[...] so ist zum Beispiel ein positives Empfinden von Symmetrie ein Überlebensmechanismus, [...]
...oder nehmen wir das Empfinden von Rhythmus in der Musik oder in Gedichten. Die Frage, ob soetwas wie Schönheit eher in der Ordnung und der Harmonie oder eher im Chaos und der Willkür zu finden seien würde sicher mit einer breiten Zustimmung für die erste Möglichkeit beantwortet werden. Hier kann man wohl getrost von einer Objektivität und eben nicht von einer Subjektivität sprechen.

Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass sich Kunst im heutigen Verständnis nicht darin erschöpft, was wir als schön empfinden und was nicht.

 

ich habe mal was interessantes gefunden, das sinngemäss sagt, dass kunst alles ist was die funktion erfüllt unsere wahrnehmung bewusster/intensiver/länger zu machen.

 

Na, ich denke, die Einschätzung dessen, was Kunst ist, ist so subjektiv und vielfältig wie die Menschen. Würde man deine Definition annehmen (und für einige ist sie sicher auch richtig, ich teile sie nur nicht für mein persönliches Kunstverständnis), dann wäre an die Wand geschmierte Sche*** Kunst. (Sorry für das blöde Beispiel, aber ich lese grade ein Buch, in dem das vorkommt.) Für mich ist es das aber nicht. Das heißt nicht, dass ich nur das als Kunst ansehe, was mir gefällt. Aber etwas enger als du sehe ich den Begriff schon.

 

an die wand geschmierte scheisse ist im richtigen kontext sicher grossartige kunst, natürlich auch abhängig davon wie und mit welcher intention die scheisse an die wand geschmiert wurde.

ausserdem ist der oben angeführte zugang zur kunst nicht mein kunstverständnis sondern einfach etwas was ich interessant finde.

 

Harkhov Syndrom schrieb:
ich habe mal was interessantes gefunden, das sinngemäss sagt, dass kunst alles ist was die funktion erfüllt unsere wahrnehmung bewusster/intensiver/länger zu machen.
also kiffen? ;) :D

 

Achja: Zur Frage "Was ist Kunst?" kann ich jedem, der sich dafür interessiert, Orson Welles' "F wie Fälschung" empfehlen...

 
Zuletzt bearbeitet:

ich habe bei Texten das kürzlich auf einen kurzen Nenner gebracht, was in der Literatur Kunst ist, und was normale Texte.

Besitze ich zwei Bilder - eines in Öl, eines maschinell gefertig
dann ist es ein Ölgemälde und ein beliebiges Verkehrsschild.
Beide sagen etwas aus, aber das beliebige Schild ist auch beliebig reproduzierbar.
Der Sinn erschliesst sich bei beiden.

rein optisch denke ich, dass wir uns nun den Unterschied ausmalen können, ohne ins Detail zu gehen

 
Zuletzt bearbeitet:

in diesem Forum - und ich habe es gerade editiert -
geht es ja um die Differenz von Texten die uns unterhalten und dem Unterschied zur Literatur -
der Begriff Kunst umfasst natürlich alle Sparten - Musik, Malerei, Skulptur, Geschirr u und und und
ich begrenze mich auf die Darstellung vom Unterschied von Literatur und anderen Schauplätzen in Texten.

 

Jaja, der gute alte Duchamp. Ich hätte zu gerne die Gesichter der Leute gesehen, als er damals das Urinal angeschleppt hat. :D

 

Es überfordert schon die meisten Leute, sich über eine allgemeine Definition von Kunst, Gedanken zu machen. Der bürgerliche Geist versucht sich ständig an Vereinfachungen, die aber überhaupt nicht tragen können, da Kunst sich in allen Bereichen abspielt.

Es ist nahezu unmöglich, alle Faktoren, die für ein Werk eine Rolle spielen in die Überlegungen miteinzubeziehen. ... eigentlich unmöglich für einen Menschen, eine allgemeine Definition zu umreissen.

Einfacher ist es, einzelne Kunstwerke einzuordnen, da man etwas Greifbares hat. Man sieht, wie hier alle anhand von Beispielen argumentieren, die aber mangels Transzendenzfähigkeit, sogleich widerlegt werden können.

Greifbares für eine abstrakte und allgemeingültige Definition von Kunst, sind eigentlich nur der "Anspruch eines Werkes" und die Frage "Wird dieser Anspruch erreicht?".
Mit Anspruch meine ich nicht notwendigerweise die Intention eines Künstlers, der sich auch nicht immer im Klaren sein muss, was er gerade geschaffen hat, sondern kann auch etwas werkimmanent entsprungenes.
Mit der Frage "wird dieser Anspruch erreicht" meine ich Koheränz. Ist das Werk stimmig, greift alles ineinander?

Das alles betrifft noch keine qualitativen Einordnungen und kann immer noch sehr relativ ausgelegt werden, jedoch sollte man sich vor der "Alles subjektiv"-Aussage hüten, da sich in jedem wirklichen Kunsterk, bei weitgehend unvoreingenommener Betrachtung irgendwann eine Stimmigkeit zeigt, die ungeachtet des Geschmacks greift.

Den Geschmack sollte man erst einschalten, sobald man sich das Werk genau und so unvoreingenommen, als möglich, betrachtet hat - eine Fähigkeit, die man trainieren kann, aber nicht jedem im gleichen Maße zukommen kann.

Und das alles auch nur, wenn man abstrakte Diskussionen über Kunst führen will, was allerdings nur der Meinungsbildung dient, da ein Ergebnis, einem Menschen unmöglich ist, wie anfänglich erwähnt. Wie gesagt, heisst das aber nicht, dass alles subjektiv ist - bloß, weil man etwas nicht erfassen kann, heisst das nicht, das es nicht da ist...

 

DrWinter schrieb:
Das alles betrifft noch keine qualitativen Einordnungen und kann immer noch sehr relativ ausgelegt werden, jedoch sollte man sich vor der "Alles subjektiv"-Aussage hüten, da sich in jedem wirklichen Kunsterk, bei weitgehend unvoreingenommener Betrachtung irgendwann eine Stimmigkeit zeigt, die ungeachtet des Geschmacks greift.

Richtig, aber auch die Interpretation ist zunächst einmal subjektiv und richtet sich nach den Ansichten, der sozialen Konditionierung, der Bildung und der Intelligenz des Betrachters. Natürlich kann man sich nach und nach dem Objekt annähern, aber ich vermute, dass jeder unvoreingenommene Betrachter ein Kunstwerk zunächst anders interpretiert, als der Typ neben ihm. Oder sein Nachbar, Boss, Briefträger, Hofnarr usw...

 

Du hast mich missverstanden: von Interpretation hatte ich noch gar nicht gesprochen. Mein Beitrag bezog zuerst auf die soweit es geht reine Betrachtung.
Und wenn Du argumentierst, dass die Betrachtung von einem Ding, das Ding bestimmt, machst Du eine Diskussion unmöglich, da man annehmen muss, dass das Ding auch existiert, wenn niemand es betrachtet, weil sonst erschafft es jeder für sich selbst und es hat keine eigenen Eigenschaften, über die wir ja reden.

Betrachtungshemnisse wie Bildung oder soziale Konditionierung dürfen in unserer Diskussion keine Rolle spielen, da wir von dem Werk ausgehen müssen, nicht von den Betrachtern.

Außerdem geht es nicht um einen ersten Eindruck, sondern um einen Gesamteindruck... was für meine These spricht, ist zB dass viele Kunstliebhaber bei der Betrachtung des selben Werkes unabhängig von einander die gleichen Beobachtungen machen und die Differenzen sich erst in späteren Fragen ergeben.

 
Zuletzt bearbeitet:

DrWinter schrieb:
Und wenn Du argumentierst, dass die Betrachtung von einem Ding, das Ding bestimmt, machst Du eine Diskussion unmöglich, da man annehmen muss, dass das Ding auch existiert, wenn niemand es betrachtet, weil sonst erschafft es jeder für sich selbst und es hat keine eigenen Eigenschaften, über die wir ja reden.

Das habe ich auch gar nicht gesagt... mir ging es wirklich nur darum, was ein Kunstwerk für das Individuum bedeutet.
Ich habe auch nicht bestritten, dass sich jeder Schritt für Schritt an die Subjektivität des Künstlers annähern kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine "ungebildete Hausfrau" einen anderen Erst -oder GEsamteindruck hat, als ein Kunstkenner, ein Europäer wird es teilweise schwer haben, einen in der asiatischen Kultur verwurzelten Künstler richtig zu verstehen usw..
Um mehr ging es mir nicht.


Und ich denke nicht, dass man den Betrachter bei einer ernsthaten Kunstdiskussion ausschließen kann. Kunst definiert sich schließlich auch über die Wirkung.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom