Was ist neu

Was ist Kunst und was ist Mist?

manfred wagner: kunst ist die höchste ausformung menschlicher kreativität in seiner sozialen, kognitiven und emotionalen dimension.

viktor sklovskij: das wesen der kunst ist es die menschliche wahrnehmung (und reflexion) bewusster, nachhaltiger zu machen

schumpo kaladze: es ist völlig unnötig kunst allgemeingültig definieren zu wollen.

 

@Woodwose und andere

Aber: Einen Alltagsgegenstand zu nehmen und in einen anderen Kontext zu stellen, ist (was für ein Wortspiel) keine Kunst, im Sinne von: Das kann doch jeder.
Es gibt gewisse Missverständnisse, die erweisen sich erfahrungsgemäß als recht hartknäckig und dauerhaft. Dazu gehört etwa die Verwechslung der Begriffe Kunst und Handwerk.

Jeder kennt den Satz: "Das ist doch keine Kunst!"
Was man aber eigentlich viel eher mit diesem Satz meint, ist wohl so etwas wie "Das ist doch kein Handwerk!"

Es wird also einfach aufgrund eines weitverbreiteten Missverständnisses ein Begriff, den man nicht versteht, durch einen weiteren, den man versteht, einfach ersetzt. Damit verschwindet jedoch der frühere, viel weiter gefasste Sinngehalt des Wortes "Kunst" oder auch "Kunstwerk". Das ist der Vielfalt und der Entwicklungsfähigkeit einer Kultur sicherlich abträglich, von den meisten aber bedauerlicherweise erst gar nicht wahrnehmbar (als Konsequenz daraus fühlen sie sich daher von der Kunst manchmal einfach "verarscht").

[...] ein Pissoir ausstellt und behauptet, das wäre Kunst. Ich könnte am Ergebnis keinen Unterschied feststellen, und ich behaupte jetzt mal, das könnte niemand.
Aber das ist doch nicht wahr: Aufgrund des Ausgestellt-Seins des Pissoirs manifestiert sich ein ganz erheblicher Unterschied. Nämlich derjenige einer Verschiebung des Kontextes dieses Objekts (oder eigentlich besser gesagt: Hinfortnahme eines Kontextes) aus einer allgemein gültigen, festgelegten und eindeutigen Funktion hin zu der Möglichkeit eines völlig frei zuweisbaren Sinngehaltes weil uns im neuen Kontext des Ausgestellt-Seins in einem Museums kein solcher mehr einfach "frei Haus" mitgeliefert wird.

Ein erhebliches Missverständnis liegt wohl darin begründet, dass wir häufig meinen, der Sinngehalt eines Gegenstandes muss in diesem selbst sozusagen "begraben" liegen und es ist die Angelegenheit eines Kunstsachverständigen, diesen vermeintlich immanenten Sinngehalt "auszugraben". Im Zeitalter der Postmoderne ist diese einseitige Interpretation aber nun mal längst überholt. Sinngehalte sind zeitlich und kulturell abhängig und nicht etwa statisch. In hundert oder zweihundert Jahren erfüllen heutige Gegenstände in der Form eines Pissoirs (oder Gegenstände, die diesen sehr ähnlich sehen) vielleicht eine ganz andere, neuartige Funktion als sie es heute tun (und die alte wird bis dahin vergessen sein). So wie es, andersherum, vor hundert Jahren (meines Wissens nach oder einfach angenommen) noch keine Pissoirs im heutigen Sinne gab, stattdessen aber Gegenstände, die diesen zum Verwechseln ähnlich sahen und zB., was weiß ich, in der Küche zum Filtern großer Mengen Tee oder zum Servieren einer Suppe gebraucht wurden (das ist jetzt völlig aus der Luft gegriffen, aber es sollte klar werden, worauf ich hinaus will).

Auf diesen Umstand der Relativität von Sinnzuweisungen aufmerksam zu machen ist u.a. Aufgabe heutiger Kunst.


Noch ein anderes Beispiel aus einem anderen Blickwinkel das mir heute nachmittag dazu einfiel. Nehmen wir an, ich lege einen bestimmten Menschen oder eine Gruppe von Menschen auf eine Funktion hin fest. So hat man das früher zB. mit Sklaven gemacht. Und noch vor einigen Jahrzehnten geschah das etwa mit den Frauen. Das ging bekanntlich so weit, dass man unter dem Begriff "Menschen" ganz selbstverständlich nur männliche, zivilisierte Weiße verstand. Meinte man hingegen tatsächlich einmal ungewöhnlicherweise Weise die Summe der Menge "Menschen", Frauen und Sklaven musste man sich schon sehr umständlich ausdrücken um noch richtig verstanden zu werden.
Heute ist man zum Glück so weit, dem Menschen im modernen, nicht mehr länger gewisse Teile dieser Menge ausschließenden Verständnis generell keine feststehende(n) Funktion(en) mehr zuzuweisen. Der Mensch wurde damit in die ungewohnte, existenzialistische Freiheit entlassen und muss sich seinen eigenen Sinngehalt - nicht selten zu seinem Leidwesen - nun schon selbst suchen.
Wir legen den Sinn der Existenz eines Menschen also nicht mehr länger fest. Warum sollten wir diese Festlegung aber bei den Gegenständen, die uns täglich umgeben, hingegen weiter beibehalten? Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis wir uns auch davon endlich befreit haben.


Meiner Meinung nach hat ein Kunstwerk, so echt und ehrlich es auch sein mag, das man nicht vom Produkt einen Witzbold oder Scharlatans (oder auch eines unfähigen Künstlers) unterscheiden kann, ein Problem. Das wäre so, als würde ich hier eine fehlerstrotzende Geschichte veröffentlichen, deren "Fehler" aber künstlerischer Ausdruck sind.
Diese Ansicht vertreten hier sicherlich viele. Es wäre einmal interessant zu erfahren, wie die Kommentare in diesem Forum so aussähen, wenn ein James Joyce sein "Finnegan's Wake" (bzw. eine der rund ein Dutzend(?) vorhandenen und verschiedenen Übersetzungen ins Deutsche) in die Rubrik Experimente oder gar in Sonstige posten würde. Aufgrund diverser grammatikalischer und orthografischer "Schwächen" (noch ganz abgesehen vom kaum erkennbaren Sinngehalt) käme der Text wohl ziemlich schnell in unser Korrekturcenter. Nach rund vier Wochen dann würde selbiger, da er vom Autoren keinerlei Überarbeitung erfuhr, automatisch gelöscht werden.

War Joyce nun ein literarischer Scharlatan? Nur weil ihm die meisten Leser in diesem Text nicht folgen konnten oder können? Wie wäre aber noch eine weitere Entwicklung möglich, wenn sich jeder Künstler unbedingt einem (Verständnis-)Diktat seiner Rezipienten unterordnen müsste?


@lukas: Danke für deine Anerkennung. Auch ich verstehe die Ausführungen hier zum Teil durchaus als Früchte meines bisherigen Studiums. Es hilft einfach ganz allgemein das Denken zu schulen und nicht zuletzt mit alten Gewohnheiten zu brechen. Kostolany soll einmal zu jemandem gesagt haben:

"Studieren Sie Kunst und Philosophie - da lernen Sie zu Sehen und zu Denken!"

Das hab ich mir gemerkt und - abgesehen von einem Studium der Kunst, das kommt vielleicht später noch - auch beherzigt. Und bis heute (viertes Semester) nicht bereut.

Dass ich dich Adorno vermissen lasse hat damit zu tun, dass dieser wenigstens hier an der Uni München, was das übliche Lehrangebot angeht, einfach komplett ignoriert wird. Ähnlich verhält es sich übrigens zB. mit Heidegger, Bloch oder Habermas (was man dagegen regelrecht "nachgeschmissen" bekommt sind die üblichen Themen eines Nietzsche, Wittgenstein oder natürlich Kant, was die mehr personen- als sachbezogenen, philosophischen Theorien betrifft).

 
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War Joyce nun ein literarischer Scharlatan? Nur weil ihm die meisten Leser in diesem Text nicht folgen konnten oder können? Wie wäre aber noch eine weitere Entwicklung möglich, wenn sich jeder Künstler unbedingt einem (Verständnis-)Diktat seiner Rezipienten unterordnen müsste?
Das hieße ja im Umkehrschluss, dass wir schnellstmöglich unser Korrekturcenter abschaffen sollten, denn wer weiß, wieviele antiorthografisch / antigrammatisch gesinnte Künstlerkarrieren wir damit schon vereitelt haben?
Eine Behauptung, die man vielleicht diskutieren sollte: Kunst, die sein Schöpfer nicht verstanden wissen will, ist keine Kunst. Will er jedoch, wird er Kompromisse zwischen seinem Verschlüsselungsbedürfnis und den gesellschaftlichen Anschauungen seiner Zeit eingehen müssen.


FLoH.

 
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Da ich hier offenbar den Eindruck erwecke, ich würde heutige Kunst generell abqualifizieren und ihr die Daseinberechtigung absprechen, möchte ich nur mal klarstellen, dass das nicht der Fall ist.
Zitat von Pilo Ratte:

Aber das ist doch nicht wahr: Aufgrund des Ausgestellt-Seins des Pissoirs manifestiert sich ein ganz erheblicher Unterschied. Nämlich derjenige einer Verschiebung des Kontextes dieses Objekts (oder eigentlich besser gesagt: Hinfortnahme eines Kontextes) aus einer allgemein gültigen, festgelegten und eindeutigen Funktion hin zu der Möglichkeit eines völlig frei zuweisbaren Sinngehaltes
Ich habe in meinem Beitrag auch gar nicht bestritten, dass die Verschiebung des Kontextes Kunst sein kann, aber z.B. ein Pissoir aus seinem Kontext zu reissen und seiner originalen Funktion zu berauben, könnte eben auch einfach ein Scherz eines Witzbolds sein.
War Joyce nun ein literarischer Scharlatan? Nur weil ihm die meisten Leser in diesem Text nicht folgen konnten oder können?
Bestimmt nicht. Das wollte ich keineswegs andeuten. Ich gebe zu, ich hätte das hier
Meiner Meinung nach hat ein Kunstwerk, so echt und ehrlich es auch sein mag, das man nicht vom Produkt einen Witzbold oder Scharlatans (oder auch eines unfähigen Künstlers) unterscheiden kann, ein Problem.
vielleicht anders formulieren sollen. Es folgt daraus ein Problem, nämlich, dass ich mich fragen muss, woran es liegt, wenn ich ein Kunstwerk nicht verstehe. Liegt es an mir oder an dem Kunstwerk? Liegt es daran, dass es große Kunst ist, die ich nicht zu begreifen im Stande bin oder daran, dass es einfach misslungen ist und da einfach nichts ist, was ich begreifen könnte?
Zitat von Floh:
Kunst, die sein Schöpfer nicht verstanden wissen will, ist keine Kunst. Will er jedoch, wird er Kompromisse zwischen seinem Verschlüsselungsbedürfnis und den gesellschaftlichen Anschauungen seiner Zeit eingehen müssen
Tja, daraus folgt aber natürlich erst recht ein Problem. Ohne Künstler, die kompromisslos neue Wege beschritten hätten, wäre die Kunstgeschichte wohl ziemlich armselig und vor allem langweilig.

Aber ich glaube, dieser Thread entfernt sich ein wenig on der Frage, die Dreimeier eingentlich stellen wollte (wenn ich ihn richtig verstanden habe). Es geht nicht darum, was Kunst ist und was nicht (Da gebe ich neidlos zu, dass die Philosophische Ratte z.B. das besser weiß als ich), sondern, wie ich sie erkenne und von der Pseudokunst eines Möchtegernkünstlers/Scharlatans/Witzbolds unterscheiden kann.
Wenn Duchamps niemand kennen würde und er Fontain in Ermangelung anderer Austellungsmöglichkeiten zu Hause auf seinem Tisch liegen hätte, würden sich seine Besucher ohne weitere Erklärung sicher denken "Was soll das denn?" und nicht "Wow, Duchamps hat ein Kunstwerk geschaffen!" Weil ihn eben niemand als Künstler kennen und ihm das kein Mensch als Kunst (im doppelten Sinne) abkaufen würde.
Ich glaube mich sogar zu erinnern, dass Duchamps irgendwann mal gesagt hat (sicher nicht im Wortlaut): Ein Kunstwerk werde eben dadurch Kunst, dass es von einem Künstler stammt bzw. ein Künstler nicht durch seine Kunstfertigkeit zum Künstler, sondern durch die Tatsache, dass er Kunst schafft.
Na ja, das ist jetzt sicher nicht falsch, aber ist es nicht etwas dürftig? Nicht als Erklärung dafür, was Kunst ist, sondern dafür, wie man sie identifiziert? Erkenne ich Kunst wirklich nur daran, dass sie von einem Künstler stammt? Woran erkenne ich dann, dass es sich um einen echten Künstler handelt? Daran, dass ihn die Mehrheit für einen Küsntler hält? Oder die Mehrheit der Kunstkritiker?

 

Vielleicht erkenne ich es dann, wenn der Künstler sein Werk erklären kann und ich ihm folge.
Der unbekannte Künstler hat dann nur das Problem jemanden zu finden, der ihm vorbehaltlos zuhört und folgt.
Und wir sind dann da, dass Kunst ist, was wenigstens einer für Kunst hält.
Bleibt aber immer noch der freie Wille des Dritten und Vierten ihm zu folgen oder für sich das Werk als Mist zu klassifizieren.
Kunst ist also für mich, was ich für Kunst halte und das kommt selten aus dem isolierten Objekt allein.
Daher hat niemand das Recht etwas als Mist zu titulieren, wenn wenigstens einer es für Kunst hält.
Auch wenn es Mist ist.

 
Zuletzt bearbeitet:

Erkenne ich Kunst wirklich nur daran, dass sie von einem Künstler stammt? Woran erkenne ich dann, dass es sich um einen echten Künstler handelt? Daran, dass ihn die Mehrheit für einen Küsntler hält? Oder die Mehrheit der Kunstkritiker?
Das ist doch mal ein frischer Aspekt, den man mal durchdiskutieren sollte. Angenommen, es gäbe da einen fiktiven Künstler (und so etwas ähnliches kam mir bereits zu Ohren), der sagen wir im Alter von 10 Jahren auf einen Baum geklettert ist, höher und höher, und sich später nicht mehr runtertraute. Drei Tage blieb er auf dem Baum hocken, dann wurden seine Rufe erhört und jemand holte ihn runter, zitternd und traumatisiert und mit vollgeschissener Hose. Im Folgenden beginnt der Junge wie verrückt Bäume zu malen, während er älter wird, erst skizzenhaft und diletantisch, später, so mit 25, dann photorealistisch. Und plötzlich die Wende: mit 32 fängt er an, nur noch grüne Flächen zu malen, die er mit Kot und Urin vollschmiert. Diese "Bilder" stellt er aus, alle Kritiker rufen: geil! und die Dinger verkaufen sich für 10000 Euro das Stück und der Künstler wird berühmt.

Jetzt kommt der Laie ins Spiel: Er geht an den Kunstwerken vorbei und denkt: Was für ne Scheiße, im wahrsten Sinne des Wortes. :D Kunst oder Mist - weil keine "Schlüssel" im Bild sind, die einen Zusammenhang, eine Interpretation zulassen, ohne dass der Betrachter den Künstler und seine Vorgeschichte KENNT?

 

Ich finde auch, dass die Biografie eines Kunstschaffenden (oder gar seine persönlichen Traumata) von allenfalls sekundärer Bedeutung dafür ist, ob es sich bei einer Sache nun um Kunst handelt oder nicht. Das wäre sonst ja eine Art Götzenverehrung...

 

Okay, und was haltet ihr hiervon:

"...Beuys wurde als 19jähriger Flakhelfer an Bord eines Kampfbombers 1943 über der Krim abgeschossen. Tartaren, die als Nomaden umherzogen, fanden den schwer verwundeten. Sie nahmen sich seiner an und pflegten ihn in einem Zelt mit tierischem Fett, hüllten ihn in wärmenden Filz..."
Grundkurs Kunst 2 (Klant/Walch), Verlag Schroedel, 1990, S.182
Nerdinger befördert den Flakhelfer zum Piloten und erzält die Geschichte so:
"...Im Winter 1943 stürzte er als Pilot eines Sturzkampfbombers (Stuka) vom Typ JU 87 auf der Krim ab. Nomadisierende Tataren fanden ihn, schwer verwundet, näher dem Tod als dem Leben. In einem Zelt pflegten sie seine Wunden mit tierischem Fett und hüllten ihn in wärmende Filzdecken. Diese Behandlung ist "das Ereignis, das ohne Zweifel den nachhaltigsten Einfluß auf Joseph Beuys haben sollte... Filz und Fett wurden seine wesentlichen plastischern Materialien"(H.Stachelhaus). Selbst in seiner Kleidung, seinem Filzhut und seiner "Fliegerweste", die er wie Markenzeichen trug, hielt er die Erinnerung an den Krieg lebendig."
(Perspektiven der Kunst, Nerdinger, Lurz 1990 S.321/f)
Grundsteine Kunst adelt den Bruchpiloten zum strahlenden Gesalbten:
"Warum wählte er Filz, einen Stoff, der zwar furchtbar kratzt, wenn man ihn auf nackter Haut trägt, dafür aber hervorragend wärmt? Seine Lebensgeschichte kann eine Antwort auf diese Frage geben. Im 2. Weltkrieg wurde Beuys in seinem Flugzeug über Russland abgeschossen und schwer verwundet von Nomaden in Filzdecken gehüllt und mit tierischem Fett gesalbt. Fett und Filz haben deshalb bei Beuys lebens- und energiespendende Qualitäten. Beuys Markenzeichen wurde der Filzhut. Überall, wo er oder sein Filzanzug sich befanden, strahlten sie Energie, nicht nur Wärme, sondern geistige Kraft aus."
"Grundsteine Kunst", Fridhelm Niggemeier, Klett 1995, S.100f

aus: Kunst als Mythos

 

@Dante: Ich fand die Fettecke von Beuys ja eigentlich bisher eher lächerlich, aber jetzt finde ich sie sogar lustig. :D

 

Interessante Diskussion.

Und plötzlich die Wende: mit 32 fängt er an, nur noch grüne Flächen zu malen, die er mit Kot und Urin vollschmiert. Diese "Bilder" stellt er aus, alle Kritiker rufen: geil! und die Dinger verkaufen sich für 10000 Euro das Stück und der Künstler wird berühmt.

Hieß der Typ nicht Nitzsch, oder so? :D

Jedenfalls, wenn man mal Alles versucht auf einen Nenner zu bringen, ist und bleibt Kunst absolut subjektiv. Muss es auch sein, denn prinzipiell ist alles subjektiv. Kunst in ihren vielfältigen Erscheinungsformen polarisiert extrem. Oben angeführtes Beispiel lässt z. B. jeden Ästheten die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Mancher nennt es gar Antikunst, was jedoch den Begriff der Kunst schon wieder beinhaltet. Sehr ambivalent, das ganze.

Dummerweise bleibt es am Schluß beim Geschmack hängen und das ist zum Beispiel einer der Nägel an denen ich mir oft meine Hände blutig kratze. Ca. 200 Personen im Dresdener Schlachthof empfinden das Gestammel/Gekrächze eines Herrn Daniel K. als Kunst.
Die Dresdener Stadtväter gaben einem Architekten den Zuschlag für den Bau des UFA - Kinos, der daraus einen grotesken, verwinkelten Glas-Betonträgerbau machte. Man fragt sich: Was soll das darstellen?
Der Architekt hat sich dabei etwas gedacht, in einer Diskussion könnte er mir wahrscheinlich sogar überzeugend vermitteln, was genau er sich gedacht hat. Mir wird es beim einfachen Ansehen jedoch nicht klar.

Aber spezifizieren wir die Frage nach der Kunst noch ein wenig:

Inwiefern hat nämlich der Bildungsgrad Auswirkungen darauf was das Individuum als Kunst empfindet?

Wahrscheinlich muss man nur vergeistigt genug sein um Exkremente auf Leinwand als anspruchsvoll einzustufen. Oder bloß pervers. Andererseits gehört schon ein Zacken Stumpfsinn dazu, untalentierte Menschen in dem zu fördern, was sie als Kunst verkaufen möchten (die üblichen Beispiele möge sich an dieser Stelle jeder selber denken... )

Kunst ist definitiv Ansichtssache.
Ich habe mich mal lang und breit in einem Forum mit jemandem gestritten, der behauptete, Kafka wäre der Meister der Themaverfehlung und würde sich bloß an Nebensächlichkeiten aufhalten. Dieses persönliche Empfinden ändert nichts daran, dass Kafka ein Meilenstein der Literatur ist. Für den angeführten Kritiker jedoch, ist Kafka keine Kunst.

So lässt sich trefflich darüber streiten und philosophieren, es bleibt ein Fass mit 'persönlicher, vom Geschmack beeinflusster Meinung' versehenem Siebboden.

Gr33ts
Judas

 

Judas, Du widersprichtst Dir selbst ein wenig. Erst reduzierst Du Kunst auf den bloßen Subjektivismus (was meiner Meinung zu platt ist), dann sagst Du, dass Kafka ein Meilenstein der Literatur ist.

Wäre Kunst bloß subjektiv, gäbe es keine Meilensteine. Es gibt eine Sozialisation in der Kunst, das heißt Kunst ist weitgehend subjektiv, aber diese Subjektivität wird zu großen Teilen von außen geprägt. Insofern ist Kunst ein soziales Phänomen.

 

Vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Mein Fehler.

Aber viele subjektive Eindrücke können durchaus eine flächendeckende Meinung bestimmen. So wie bei Kafka oder anderen Künstlern, die insgesamt relativ unumstritten sind was ihre Position anbelangt. Trotzdem ist es eine subjektive Sache ob ich dem zustimme oder nicht. Schließlich habe ich ja den Status der großen Meister nicht festgelegt. Das meinte ich. Insofern sehe ich da keinen Widerspruch, den was allgemein gültig ist muss im subjektiven Einzelnen erstmal angewachsen sein.

Finde es also platt oder nicht, aber ein übergeordnetes großes Ganzes, dass uns genau sagt was Kunst sein darf und was nicht, gibt es einfach nicht. Somit bleibt es bei der Einschätzung des Individuums, was es persönlich als Kunst empfindet oder nicht. Wenn sich dann eine Menge Gleichgesinnter zusammentun, schön, dann habern wir eine Mehrheit (welche z.B. Kafka zum Meilenstein erklären kann), vielleicht sogar eine Lobby, aber mit Sicherheit noch längst keine allgemeingültige Definition.

Es ist, wie du selbst sagst, ein Phänomen. Aber jedes Phänomen hat seine Ursachen und einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Und wie bei so vielen Dingen ist der Einzelne, das Individuum, der kleinste gemeinsame Nenner.

 

Das ist mehr oder weniger das, was ich meinte :) Kunst entsteht aus sozialer Interaktion und ist als Produkt dieser an soziale Relationen gebunden. Ohne ein Miteinander und Gegeneinander in der Gesellschaft gibt es keine Kunst.

 

Das Ei des Kolumbus?

Hallo,


ich habe nach längerem Grübeln - inspiriert durch eine Ausstellung zu Ingeborg Bachmann übrigens - eine anscheinend/scheinbar universale Definition von Kunst gefunden, die ich hier einmal in den Raum werfen will:

Kunst: Unverbindliche Form der Kommunikation*. -- Da Kommunikation das ist, was ankommt (Molcho(?) nach schnellem Googeln), wäre damit auch gleich Mist erklärt, aber das ist nur ein Schuss ins Blaue.

Zweck und Aufgabe der Kunst ist es doch, Geisteshaltungen, Gedanken, Gefühle und implizit Wissen zu kommunizieren und gleicht darin sprachlichen Äußerungen. Im Unterschied zu jenen ist sie jedoch von Unverbindlichkeit gekennzeichnet, und zwar in mehrerlei Hinsicht:
- Kunst richtet sich an ein diffuses, unbekanntes Publikum: empfänger-unverbindlich.
- Dem (gemeinen) Empfänger dürfte es erstmal egal sein, von wem ein Kunstwerk stammt: schöpfer-unverbindlich. -- Probleme bereitet mir aber der gegenwärtige Autorenkult bzw. -antikult wie in unserer Vergangenheit. Jedenfalls ist es diskutabel.
- Kunst ist zeitlos bzw. auf Zeitlosigkeit angelegt: kontext-unverbindlich.
- Ein Kunstwerk ist nicht (sollte nicht sein) mit dem Anspruch auf Wahrheitsgehalt verknüpft, sondern fördert eher die kritische Auseinandersetzung mit ihm: wahrheitsunverbindlich.
- fallen euch noch weitere ein?

Wie gefällt euch dieser Ansatz?


FLoH.

*) Ich unterliege dem Zwang ständig das Rad neu zu erfinden. Sollte sowas in etwa der Form schon woanders geschrieben sein, begrüße ich Referenzen - wär ungerne als wissenschaftlicher Plagiateur verschrien. :dozey:

 

Übrigens finde ich, daß Kunst einfach genau das ist, was gefällt.

Nicht mehr und nicht weniger.

 

Übrigens finde ich, daß Kunst einfach genau das ist, was gefällt.

Nicht mehr und nicht weniger.

Das sehe ich genau so. Nee, Moment mal, das hatte ich ja schon geschrieben... :)

 

Gut, mir "gefallen" auch Studentendemos gegen Studiengebühren, zum Beispiel...

 

Stimmt auch wieder. Und teilweise stimme ich dem auch zu, natürlich.

 

Ich weiß nicht, ob ich zu dieser ersten Fraktion gehöre, aber ich stimme trotzdem mal zu.

Gleichzeitig meine ich aber auch, dass es nur subjektive Kunst gibt, aber keine objektive Kunst. Kunst kann nur Kunst sein, wenn man sie "versteht". Anstelle von "mir gefällt das" oder "mir gefällt das nicht" kann ich auch sagen "ich verstehe das" oder "ich verstehe das nicht". Das Letztere ist genauso subjektiv wie das Erste, wenn natürlich auch mehr "geistige Arbeit" dahintersteckt.

Nur so ein Gedanke, ich rechne mal mit heftigem Gegenwind...

 

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