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Was ist Kunst und was ist Mist?

Seniors
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23.07.2001
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Was ist Kunst und was ist Mist?

Ich hab mal eine Frage:
Was ist Kunst und was ist Mist?
Und wie erkenne ich was?
Der letzte Anstoß zu dieser Frage ist eine Geschichte, die ich zugegebenermaßen, schwach kritisiert habe.
Ich fand die Geschichte nicht doll, aber auch nicht schlecht und habe das in wenigen, sanften Sätzen geäußert.
Ein anderer Kritiker ist allerdings deutlicher und ausführlicher geworden.
Aus der Erwiderung des Autors erfuhr ich dann, dass die Geschichte surrealistisch angelegt sei und natürlich auch so betrachtet werden müsse.
Logisch.
Ich möchte ausdrücklich erklären dass die Art, weder der Kritik, noch der Erwiderung aus meiner Sicht zu kritisieren ist. Alles lief nett ab und darum geht es mir nicht.

Ich frage mich nur: Woran erkenne ich Mist? (Hier meine ich auch nicht die erwähnte Geschichte)
Übertrieben: Schreibe ich einen totalen Scheiß, bekomme ich entsprechende Kritiken.
Was ist, wenn ich erkläre, dass meine Geschichte aber „Kunst“ sei und alle anderen keine Ahnung hätten? Wenn ich es gar nicht erklären kann, sage ich: Ich will provozieren.
Ist jede Geschichte Kunst? Was ist Kunst?
Muss Kunst angekündigt, bzw. erklärt werden, damit ich weiß worauf ich mich einlasse?
Ein Genre reicht da nicht.
„Achtung! Dies ist kein Scheiß, sondern Kunst!“

Mir geht es in viele Bereichen so:
Dali war in meinen Augen ein Genie.
Von Joseph Beuys fühle ich mich verarscht! Besser: Ich meine, er hat die verarscht, denen er das was er gemacht hat, als Kunst verkauft hat.
Pinkle ich in eine Ecke, ist das eine Sauerei.
Habe ich einen Namen, ist das Aktionskunst.
Muss das, was gemacht wird immer nur im Zusammenhang betrachtet werden, mit dem, der es macht? (Es sei denn, man ist ein Prinz- was pinkeln betrifft)

Fragen eines eher einfach denkenden Menschen mit mäßiger Bildung , der mit der Kunst überfordert ist und doch weiter Kritiken schreiben möchte.
Ihr habt die Chance der Bildung einen großen Dienst zu erweisen.
Das entsprechende Ministerium wird euch sicher dankbar sein, wenn sie im eigenen Laden fertig sind.

 

Kunst ist alles, was der Mensch wissentlich und auf Können begründet hervorbringt, unter der Voraussetzung, das dieses sich nicht in einer eindeutigen Funktion erschöpft oder in dieser festgelegt ist.

Alles, was die Natur hervorbringt oder zur Technik gezählt werden kann ist damit ausgeschlossen.

In einem engeren Sinne wird zur Kunst nur die bildende Kunst gezählt.

Ein Geschichte hier auf kg.de ist demnach zumindest immer insofern ein legitimes Kunstobjekt, insofern es eine gewisse Fertigkeit erfordert, überhaupt schreiben zu können und sich das Ergebnis frei auslegen lässt (Vermeidung einer eindeutigen Festlegung auf eine Funktion)


Kunst wurde früher (um die Wende vom 18. zum 19. Jhr.) übrigens nicht vom Handwerk unterschieden. Auch jeder Schuhmacher etwa war danach ein allgemein anerkannter "Künstler". Erst später entwickelte sich dann die noch heute gängige Verbreitung einer Unterscheidung dieser zwei Begriffe.

 

Die philosophische Ratte schrieb:
Kunst ist alles, was der Mensch wissentlich und auf Können begründet hervorbringt, unter der Voraussetzung, das dieses sich nicht in einer eindeutigen Funktion erschöpft oder in dieser festgelegt ist.
Vorsicht: Du nennst hier eine notwendige Bedingung für das Vorhandensein von Kunst, aber sie ist nicht hinreichend.

Einfaches Beispiel: Ich könnte mir in jahrelanger Mühe beibringen, barocke Gipsputten mit einer Axt genau in der Mitte zu spalten. Das ist zweifellos etwas, das großes Können erfordert. Wenn ich das ganze nicht unter Drogen ausführe, ist es wissentlich. Und eine eindeutige Funktion erfüllt es offenbar auch nicht. Aber es muss keine Kunst sein.

Deine (und es ist ja nicht nur Deine) Definition kann für viele Dinge die Frage beantworten, was keine Kunst ist (z.B. ein Autobus). Die positive Setzung, was Kunst ist, beantwortet sie nicht in allen Fällen.

Kunst ist, was der Mensch wissentlich und auf Können begründet hervorbringt, unter der Voraussetzung, das dieses sich nicht in einer eindeutigen Funktion erschöpft oder in dieser festgelegt ist und von mindestens einem Menschen für Kunst gehalten wird.

 

Ist jede Geschichte Kunst? Was ist Kunst?
Diese Fragen, sind so unerschöpflich, dass sie nicht in befriedigender Art und Weise beantwortet bzw. geklärt werden können.

Abgesehen von spezifischen, fachgebundenen Definitionen und Theorien, was Kunst sei, liegt die Hauptsache immer im Auge des Beschauers.

Fragen eines eher einfach denkenden Menschen mit mäßiger Bildung , der mit der Kunst überfordert ist und doch weiter Kritiken schreiben möchte.
Ich gehe davon aus, dass es hier um eine möglichst einfache, allgemeinverständliche Erklärung des Begriffes "Kunst" gehen soll.
Hierbei sollte aber eher die Frage im Vordergrund stehen, ob es persönlich gefällt - dem eigenen Geschmack entspricht. Die viel zitierte "Geschmackssache" ist ein wesentlicher Faktor, eine Unterscheidung zwischen "Mist" und "Kunst" zu finden.
Eine Geschichte kann vom Autor als Kunst gedacht werden. Ein Leser kann sie für Mist halten, ein anderer findet sie großartig, der nächste interpretiert viel mehr in sie hinein als der Autor vielleicht beabsichtigt hat.

Ein anderes Beispiel: die ägyptischen Pyramiden sind zweifelsfrei beeindruckend. Ich sehe hier zum einen das Alter bzw. die Zeit, in der sie errichtet worden sind und die jahrelangen Anstrengungen die unternommen wurden, um sie fertig zu stellen. Für mich sind sie aber keine Kunst. Ein Architekt sieht das vielleicht ganz anders, da er mit ganz "anderen Augen" an die Sache herangeht.

Um es abzuschließen: ich sehe die Geschichten in diesem Forum nicht als Kunst an - sie unterhalten mich - mal mehr, mal weniger gut. Wenn ein Autor seine KG als Kunst bezeichnet, kann er das von mir aus tun. Das würde jedoch nicht meine Kritik (ob positiv oder negativ) beeinflussen.
Und so sollte es viellecht auch bei anderer Kunst, wie Theater, Gemälden, Skulpturen etc. gehalten werden.
Der persönliche Geschmack ist entscheidend.

 

.........
(moderne) kunst "muss" transzendent sein, sonst ist sie dekor.
.........
SUPER !! ich bin beeindruckt!
was bedeutet das?

 
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Versuch einer Unterscheidung

Meine eigene und natürlich unvollkommene Sicht auf die Dinge:

Kunst:
1. (künstler-subjektiv) Ein Werk, das ich nicht nur erschaffe, sondern es so gestalte, dass ich mich in ihm selbst wiederfinde, dass es eigene Gefühle ausdrückt, sozusagen aus der inneren Welt in die äußere Welt "übersetzt". Mit dem Schaffen von Kunst ist das Bedürfnis verbunden, zu wachsen, ein Stück weiter zu mich selbst zu finden. Die sachliche Mitteilung, so es eine solche gibt, rückt gegenüber der emotionalen bzw. psychischen Wirkung in den Hintergrund. Kunst ist kein Mittel oder Werkzeug, um irgendetwas herbeizuführen, sie setzt nur Zeichen und darf daher auch "versagen".
2. (empfänger-subjektiv) Kunst ist ein ausgestelltes Werk, das subjektiv schön ist, mich also auf eigentümliche, neue Art fasziniert. Dabei spielt es keine Rolle, ob es irgendwelchen Normen oder Gewohnheiten entspricht – auch "Hässliches" kann schön sein. Kunst wird nicht verbraucht, sie wird entdeckt, ich will mich darin wiederfinden und sie genießen. Kunst nimmt nichts, sie gibt mir etwas mit, und erweckt vielleicht sogar den Anschein, nur für mich selbst erschaffen worden zu sein.

Mist:
1. (künstler-subjektiv) Eigenes Werk, von dem ich nicht überzeugt bin und daher nicht für veröffentlichungswürdig halte. Mist verursacht erstmal psychische Disharmonie und Scham vor mir selbst, bis ich das Projekt abbreche und verwerfe/überdenke.
2. (empfänger-subjektiv) Werk, dass mich emotional oder moralisch abstößt, zumindest ich keinen Zugang zu ihm finde. Mist gibt nichts, Mist stiehlt, nämlich Aufmerksamkeit. Mist frustriert.

Diese Unterscheidung erlaubt natürlich keine objektive Beurteilung, ob ein bestimmtes Werk nun Kunst oder Mist ist. Aber sie unterstützt das Selbstvertrauen, sowohl auf Künstler-, als auch auf Empfängerseite. Das ist wichtig.

Die lateralen Konstellation 1-1 und 2-2 sind doch soweit klar: Hier verbindet Künstler und Empfänger das Zu-sich-selbst-finden bzw. die Frustration.
Interessant wird es aber erst, wenn man den Kreuzkonstellationen nachgeht: 1-2 (für den Künstler ist Kunst, was dem Empfänger Mist) und 2-1 (umgekehrt). Da weiß ich noch nicht weiter.

FLoH.

 

Mir ging es übrigens ähnlich wie dir, Dreimeier, ich hab ne Geschichte stark zerrissen und musste mich dann belehren lassen. Doch Vorsicht, wenn der Autor sich auf Kunst beruft.

Ansonsten:

Kunst ist subjektiv, deshalb halte ich diese Diskussion für vertane Zeit.

 

Paranova schrieb:
Mir ging es übrigens ähnlich wie dir, Dreimeier, ich hab ne Geschichte stark zerrissen und musste mich dann belehren lassen. Doch Vorsicht, wenn der Autor sich auf Kunst beruft.
Nur der Vollständigkeit halber: Das war ich, nicht Dreimeier :D Hab mich aber mit dem Autor schon versöhnt.

 

Naut schrieb:
Vorsicht: Du nennst hier eine notwendige Bedingung für das Vorhandensein von Kunst, aber sie ist nicht hinreichend.
Dass ich oben nur über das Prinzip der Ausschließung argumentierte war mir wohl bewusst. Letzteres aber auch noch zu definieren war mir schließlich zu anstrengend. Bin ja nicht alleine hier. :)

Kunst ist, was der Mensch wissentlich und auf Können begründet hervorbringt, unter der Voraussetzung, das dieses sich nicht in einer eindeutigen Funktion erschöpft oder in dieser festgelegt ist und von mindestens einem Menschen für Kunst gehalten wird.
Gute und klare Eingrenzung.
Kunst verlangt also immer sowohl nach einer objektiven als auch subjektiven Erklärung. Alles andere ist unbefriedigend.

flashbak schrieb:
Diese Fragen, sind so unerschöpflich, dass sie nicht in befriedigender Art und Weise beantwortet bzw. geklärt werden können.
Bereits dieser Thread hier beweist das Gegenteil. Kunst hat nichts metaphysisches (mehr) an sich.

(moderne) kunst "muss" transzendent sein, sonst ist sie dekor.
Auch eine schöne Definition.

@Dreimeier

Ganz einfach. Nehmen wir als Beispiel ein willkürlich ausgewähltes Objekt, das jeder aus seinem Alltag kennt: Eine Gabel.

Solange ich diese Gabel, die ich zB. gerade vor mir liegen habe, lediglich als Werkzeug benutze, um mir damit diverse Speisen zuzuführen, hat diese Gabel eine feststehende Funktion. Als handelt sich bei diesem Objekt in diesem Kontext also um kein Kunstobjekt.

Sobald ich aber genau diese eine Gabel, die ich gerade vor mir liegen habe, sagen wir, als Sinnbild der Esskultur unserer (westlichen) Zivilisation betrachte, dh. die zuvor festgelegte Funktion, die uns allen so vertraut ist, transzendiere (=überschreite), wird diese Gabel zu einem durchaus legitimen Kunstobjekt (für mich).

Problematisch wird die Sache übrigens dann wieder, wenn ich versuchen würde, diese Gabel als Kunstobjekt zu verkaufen. Dieser Absicht könnte nämlich unterstellt werden, dass ich bestimmte Objekte nur deshalb herstelle oder wenigstens betrachte, um ihnen eine feststehende Funktion zuzuordnen: nämlich derjenigen verkauft zu werden. Die transzendierende Interpretation dieses Objektes könnte ich mir dabei lediglich frei ausgedacht haben - ohne tatsächlich zu dieser zu stehen - nur um damit einen vermutlich verkaufswerten Vorwand zu erhalten. In diesem Fall wäre der Kunststatus dieser Gabel zumindest anzuzweifeln. Jedenfalls, solange nicht noch jemand anderes diese Gabel für ein Kunstobjekt hält (ohne diese wiederum lediglich verkaufen zu wollen).

 

(moderne) kunst "muss" transzendent sein, sonst ist sie dekor.

"transzendent" ist das Gegenteil von "immanent", "dekor" 'kommt' wohl von "dekorativ" oder Dekoration. Ich habe das so verstanden:
Ein (modernes) Kunstwerk muss einen Inhalt vermitteln, der über die Darstellung des Kunstwerks hinausgeht, sonst ist es nur ein schmückendes, aber ansonsten sinnleeres Werk.
(Falls das nicht stimmt, bitte ich um Korrektur.)

@Lukas:

Wobei der Begriff "transzendent" ja auch subjektiv ist, was für den einen eine Darstellung der Rolle der Kunst in den Zeiten ihrer technischen Reproduktion ist, ist für den anderen einfach nur ne Brillo-Schachtel, die Warhol irgendwo hingestellt hat. (Mit dem Beispiel will ich dich nicht auf die Schippe nehmen, ich nehme es nur, weil mir selbst gerade kein anderes einfällt). Weil mir der Sinn eines Kunstwerkes abgeht würde ich es nicht für "objektiv schlecht" halten. Für "subjektiv schlecht" darf ich es allerdings halten und dem Künstler das auch mitteilen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Nun, da werden auch Einige gesagt haben "Aaaah..." (so wie ich gerade), andere werden gesagt haben "So what?! Natürlich ist ein Bild einer Pfeife keine Pfeife."

edit: Achso, da war noch mehr?! Ich Torfkopf... Dann diesen Beitrag einfach ignorieren...

 

Ja, weiß im Nachhinein auch nicht mehr, warum ich das so verstanden hab...

Also, weiter geht's! :teach:

*zurücklehn*

 
Zuletzt bearbeitet:

Zitat von Philosophische Ratte:
Problematisch wird die Sache übrigens dann wieder, wenn ich versuchen würde, diese Gabel als Kunstobjekt zu verkaufen. Dieser Absicht könnte nämlich unterstellt werden, dass ich bestimmte Objekte nur deshalb herstelle oder wenigstens betrachte, um ihnen eine feststehende Funktion zuzuordnen: nämlich derjenigen verkauft zu werden.
Das ist in unserer kommerzialisierten Welt in der Tat nicht ein, sondern das Problem. Wie unterscheide ich die echten Künster von jenen, die nur Geld machen wollen, aber ihr Machwerke mit klugen Worten zu verkaufen wissen?

Bei solchen Diskussionen muss ich immer an Marcel Duchamps "Fontain" denken. Für alle, die es nicht kennen: "Fontain" ist ein Pissoir, das Duchamps gekauft, signiert und ausgestellt hat.
Tja, ich mochte hier gar nicht bestreiten, dass Duchamps sich Weltbewegendes dazu gedacht hat, aber ich denke nicht daran, in ein Museum zu gehen, um mir dort ein Klo anzuschauen. Denn mehr ist es nicht. Es liegt einfach da, ohne irgendwelchen Kontext. Nochmal: Ich schließe gar nicht aus, dass Duchamps damit bedeutende künstlerische Aussagen treffen wollte, aber woher soll ich das wissen? Was habe ich davon? Da es keinen Beipacktext gibt, muss ich mir die Gedanken dazu selbst machen, aber dazu muss ich in kein Museum gehen und dazu brauche ich eigentlich Duchamps nicht. Dazu muss ich bloß auf die Bahnhofstoilette gehen und über die dortigen Urinale sinnieren.

 

Ich bin begeistert über euer Interesse.

………flashbak
ich sehe die Geschichten in diesem Forum nicht als Kunst an - sie unterhalten mich - mal mehr, mal weniger gut. Wenn ein Autor seine KG als Kunst bezeichnet, kann er das von mir aus tun.
……….
Vergleiche ich die Literatur mit der Malerei, so kann ein Autor die von mir gewünschten „Bilder“ durchaus schaffen. Ich meine, dass eine Geschichte dann schon Kunst ist.

…….. Anna
ich erinnere mich mit Schrecken an eine Diskussion, die Künstler mit dem "gesunden Volksempfinden" ("normale" Bürger und Leser) über Monate in einer Zeitung geführt haben.
……….
Ich kann die Leute teilweise verstehen. Da war die Frage aber sicher nicht, was Kunst ist, sondern ob man diese Kunst dort haben will.
Mir geht es oft so mit der Architektur so. Da habe ich ein Stadtbild, das bestehend, eine angenehme, ruhige Atmosphäre schafft. In eine Baulücke wird ein modernes Center gestopft, das eben diese Atmosphäre zerstört.
Als einzelnes Objekt sicher interessant, dort aber fehl am Platze.
Mein Lieblingsobjekt: Neandertalmuseum! Wenn ich nach dem Weg gefragt werde antworte ich: „Wenn sie ein Parkhaus gefunden haben sind sie richtig. Das ist das Museum.“
Man muss sich sehr überlegen, welche Kunst ich wo anbiete, und vor allem wem.

…….. MisterSeaman
Ein (modernes) Kunstwerk muss einen Inhalt vermitteln, der über die Darstellung des Kunstwerks hinausgeht, sonst ist es nur ein schmückendes, aber ansonsten sinnleeres Werk.
……….
Seh ich auch so, nur nicht immer schmückend.
.……… Woodwose
"Fontain" ist ein Pissoir, das Duchamps gekauft, signiert und ausgestellt hat. Tja, ich mochte hier gar nicht bestreiten, dass Duchamps sich Weltbewegendes dazu gedacht hat, aber ich denke nicht daran, in ein Museum zu gehen, um mir dort ein Klo anzuschauen.
………..
Na, das geht doch in meine Richtung.
Kunst ist also alles, was irgendeiner dafür hält. Wir brauchen aber eine Aussage.
Was ist, wenn diese Aussage nicht klar zu Tage tritt, wie bei diesem Klo?
Ist es nicht etwas arrogant, wenn ein Künstler meint, der Betrachter müsse sich schon damit auseinandersetzen und sich die Hintergründe beschaffen?
Geh ich morgen los und erkundige mich, was mir denn wohl die zwei gekreuzten Eisenstangen sagen sollen. Die vor dem Rathaus stehen? (Die Bauarbeiter hatten Feierabend und deshalb stehen die da)
Oder das Steinkreuz in der Fußgängerzone. Absolut Kunst! Wer, von den Passanten kennt den Hintergrund?
Kaum einer. Man lehnt sein Fahrrad dagegen oder einem anderen ist das Ding einfach nur im Weg.

 

Wenn man sich das nächste Mal in der Bahnhofstoilette Gedanken über die Pissoirs macht, hat das Kunstwerk seinen Zweck doch schon erfüllt. Zwar nicht innerhalb seines Kontexts (Museum) aber außerhalb seines Kontexts.
Will sagen, die eigene Wahrnehmung, die eigenen Gewißheiten werden in Frage gestellt, was nach einer geläufigen modernen Definition Sinn der Kunst ist.

 

- Kunst schließt nicht aus, dass man damit kommerziellen Erfolg hat und kommerzielle Absichten diskreditieren nicht den Künstler
- Kunst ist ein Misthaufen, hat die Gruppe Spur mal behauptet
- Kunst zu sein ist keine intrinsische Eigenschaft von irgendwelchen Werken, Kunst zu sein wird immer zugesprochen oder ergibt sich aus dem Kontext der Darbietung, obwohl nicht jeder Putzeimer in einer Galerie notwendigerweise Kunst sein muss, sondern auch manchmal nur ein Putzeimer ist

 

Wenn man sich das nächste Mal in der Bahnhofstoilette Gedanken über die Pissoirs macht, hat das Kunstwerk seinen Zweck doch schon erfüllt.
hättest du das ohnd diese Diskussion denn gemacht? Und machst du es?
Ich werde mir gedanken über den Seifenspender machen.
Überhaupt beachte man Seifenspender aus künstlerischer Sicht zu wenig.
Sorry... mir sind nicht die richtigen Fremdwörter eingefallen. :shy:

 

Woodwose schrieb:
Tja, ich mochte hier gar nicht bestreiten, dass Duchamps sich Weltbewegendes dazu gedacht hat, aber ich denke nicht daran, in ein Museum zu gehen, um mir dort ein Klo anzuschauen.
mAn ist es gar nicht notwendig, dass Duchamp sich dabei etwas "weltbewegendes" gedacht hat. Was hier zählt ist allein der vollzogene Akt der Übertragung eines Gegenstandes in den Bereich der Kunst.

Man muss das ja nicht gut finden, aber die Aussage

Es liegt einfach da, ohne irgendwelchen Kontext.
ist daher nicht korrekt: Der Kontext liegt im Ausgestellt-Sein (in den Räumlichkeiten eines Museums).
Das ist etwas völlig anderes als ein Gebraucht-Werden (in den Räumlichkeiten eines Bahnhof-Klos). In letzterem Fall wird dem Gegenstand eine eindeutige Funktion zugewiesen, die hier jeder kennt, und nichts anderes.
Im ersteren Falle hingegen kann von einer Funktion nicht mehr die Rede sein. Ganz im Gegenteil wird diesem Gegenstand durch sein Ausgestellt-Sein ein nicht mehr abzugrenzender Raum an Sinnzuschreibungen zugewiesen.
Das aber ist nur möglich, wenn man einen Gegenstand, den man bisher rein gewohnheitsgemäß nur im Grenzbereich einer einzigen, festen Funktion kennengelernt hat, radikal aus seinem bisherigen Kontext reisst. zB. als Ausstellungsobjekt in einem Museum.

Nehmen wir zur Veranschaulichung einmal den umgekehrten Fall an: Ich entwende die "Venus von Willendorf" aus ihrem Museum (oder auch ihre Kopie davon!), erleide kurz darauf einen Unfall infolgedessen ich eine Gehirnerschütterung erfahre und für die nächste Zeit von einer gewissen Amnesie heimgesucht werde. Anschließend weiß ich nicht mehr, dass die, von mir selbst entwendete "Venus von Willendorf" in einem Museum stand (und es sich daher wohl um ein - archäologisches - Kunstobjekt handelt) und verwende diese fortan als - Briefbeschwerer.

Da liegt sie also, die Venus, und fristet ihr weiteres Dasein als Briefbeschwerer. Damit hätte ich ihr eine eindeutige Funktion zugewiesen und käme wohl im Traum nicht mehr auf die Idee, in diesem jahrtausende alten Fundstück steinzeitlicher Kunst etwas anderes zu sehen als eben diese eine Funktion als Briefbeschwerer.

Eines Tages, nehmen wir mal an, käme nun ein Freund zu mir, der diese Venus auf meinem Schreibtisch auf einem Stoß bearbeiteter Briefe sähe. Vielleicht würde dieser nun zu mir in etwa sagen: "Dieser Briefbeschwerer erinnert mich an eine viel zu übergewichtige Frau!"

Und - siehe da - schon hätte sich der Funktionsumfang dieser Skulptur um eine Funktion erweitert: Sie erinnert meinen Freund an "eine viel zu übergewichtige Frau", eine zugegebenermaßen mehr geistige und weniger praktische Funktion, wie diejenige eines Briefbeschwerers, aber dennoch eine Art Funktion.

Nehmen wir weiterhin an, eine Bekannte aus Nigeria (oder irgendeinem anderen Land mit einem anderen kulturellen Umfeld als unseres) käme zu diesem Gespräch hinzu und würde spontan in diesem Briefbeschwerer die Personifikation eine verehrungswürdigen Gottheit ihrer Religion erblicken! Was würde sie wohl dazu sagen, diese Skulptur (ausschließlich) als Briefbeschwerer zu verwenden? (obwohl die Skulptur diese Funktion doch ganz hervorragend erfüllen mag...)


Es ist hoffentlich ein wenig klar geworden, worauf ich hinaus will: Es gibt ein Recht dafür, was ein Warhol, Duchamp oder Beuys machen oder gemacht haben. Der Sinn liegt darin, Gegenstände aus ihrem gewohnten Umfeld zu reissen und in einen neuen hineinzuversetzen. Dass Duchamp dafür nun ausgerechnet ein Pissoir nahm liegt vielleicht darin begründet, dass der Bereich, in dem ein Pissoir gewöhnlich vorzufinden ist, mit gewissen Tabus und Schamhaftigkeiten belegt ist. Dort ist unsere Engstirnigkeit daher wohl mithin am ausgeprägtesten vorzufinden. Niemand würde zB. wohl auf den Gedanken kommen, sich ein Klo als Hocker in sein Wohnzimmer zu stellen - selbst dann, wenn es diesen Sinngehalt ganz hervorragend erfüllen würde (es ist stabil, hat die für eine Sitzgelegenheit passende Höhe, kann bei Bedarf unter den Tisch gestellt werden, damit mehr Platz ist usf.)

Aufgabe moderner Künstler ist es daher, uns als Rezipienten die Möglichkeit (das Ausgestellt-Sein) und den (u.U. durchaus zunächst provozierenden) Anlass zu liefern, um über mitunter ganz alltägliche Gegenstände neu nachzudenken und diese zB. in einen neuen Kontext zu stellen um ihnen damit einen neuartigen Sinngehalt zuzuweisen.

Im philosophischen Umfeld sind dazu übrigens die Arbeiten Heideggers richtungsweisend. Wir nehmen unsere Umwelt u.a. über Sinn- und Verweisungszusammenhänge wahr und konstituieren diese damit. Je nach Beschaffenheit dieser Einrichtung begründet sich auch je unterschiedlich unsere Existenz und ihre Sinnhaftigkeit darin (bis hin zu einer Welt, in der es keine eigentlichen Menschen mehr gibt wie bei Foucaults Strukturalismus).

 

Es gibt ein Recht dafür, was ein Warhol, Duchamp oder Beuys machen oder gemacht haben. Der Sinn liegt darin, Gegenstände aus ihrem gewohnten Umfeld zu reissen und in einen neuen hineinzuversetzen.
Dem möchte ich überhaupt nicht widersprechen. Auch wenn es in meinem Posting so klang, will ich nicht behaupten, die von dir genannten Leute seien keine ernsthaften Künstler.
Aber: Einen Alltagsgegenstand zu nehmen und in einen anderen Kontext zu stellen, ist (was für ein Wortspiel) keine Kunst, im Sinne von: Das kann doch jeder. Sicher, bei den meisten Kunstwerken ist das nciht der Fall, aber um bei Fontain zu bleiben: Es hätte genauso gut ein Witzbold auf die Idee kommen können, die Leute zu verarschen, indem er ohne jeden weiteren Hintergrund bzw. Hintergedanken ein Pissoir ausstellt und behauptet, das wäre Kunst. Ich könnte am Ergebnis keinen Unterschied feststellen, und ich behaupte jetzt mal, das könnte niemand. Ebenso könnte das ein Scharlatan machen, der bloß auf Geld aus ist.
Was soll ich also in so einem Fall tun? Soll ich automatisch annehmen, es sei Kunst, weil der Hersteller das behauptet, oder soll ich die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass ich nur verulkt und betrogen werde? Letzteres müsste ich als alter Skeptiker dann aber immer tun, wenn es keine "Beweise" für eines von beidem gibt.
Meiner Meinung nach hat ein Kunstwerk, so echt und ehrlich es auch sein mag, das man nicht vom Produkt einen Witzbold oder Scharlatans (oder auch eines unfähigen Künstlers) unterscheiden kann, ein Problem. Das wäre so, als würde ich hier eine fehlerstrotzende Geschichte veröffentlichen, deren "Fehler" aber künstlerischer Ausdruck sind. Wenn der Leser nicht merkt, dass es sich dabei um ein Stilmittel handelt, ist der Autor darin gescheitert, dies dem Leser zu vermitteln. Der Autor mag zwar trotzdem zufrieden sein mit seinem unverstandenen Kunstwerk, aber allen anderen sei die Frage gestattet, welchen Sinn das ganze für sie hat.

 

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